TEPCO
ist der viertgrößte Stromkonzern
der Welt und der größte Asiens. Er
betreibt siebzehn Kernkraftwerke und erzeugt
ein Drittel der Elektrizität Japans. Er
hat eine lange, gut dokumentierte Geschichte
schwerer Verstöße gegen Sicherheitsbestimmungen.
Seine Beinahe-Katastrophen konnte er unter Ausnutzung
seiner Wirtschaftsmacht und seiner schlagkräftigen
Werbung durch Verfolgung von Informanten sowie
die Unterdrückung von Widerstand in der
Bevölkerung systematisch vertuschen und
Kritiker zum Schweigen bringen.
Zu
dieser Konzerngeschichte gehören mehr als
200 gefälschte Sicherheitsprotokolle, von
denen einige der betroffenen Atomanlage Fukushima
Daiichi zuzuordnen sind. 2002 gab TEPCO zu,
Berichte über Risse in den Schutzhüllen
der Reaktorkerne 1,2,3,4 und 5 gefälscht
zu haben, die bis 1993 zurückreichen.
Die
gegenwärtige Krise von Fukushima, die durch
das Erdbeben der Stärke 9,0 am Freitag
letzter Woche ausgelöst wurde, ist nicht
die erste dieses Konzerns infolge eines Erdbebens.
2007 war anlässlich einer Erderschütterung
von viel geringerem Ausmaß (Stärke
6,8) ein Feuer ausgebrochen und Radioaktivität
freigeworden. Dabei wurde das Kraftwerk Kashiwazaki-Kariwa
mit 7 Reaktoren, das größte der Welt,
von TEPCO, heruntergefahren. Der Konzern gab
später zu, dass das Kraftwerk für
derartige Erdstöße nicht ausreichend
ausgelegt war.
Die
40jährige Geschichte von TEPCO ist eine
Fallstudie über die Komplizenschaft der
japanischen Regierungen und Aufsichtsbehörden
bei den Sicherheitsmängeln der Atomkonzerne.
Mit Unterstützung der Liberaldemokratischen
Partei (LDP), die Japan seit seiner Gründung
1955 bis 2009 praktisch ununterbrochen regierte,
verfolgte die Wirtschaftselite rücksichtslos
gegen den Widerstand der Anwohner und von Umweltexperten
den Bau von mehr als 50 Kernkraftwerken, um
die Energiebedürfnisse des japanischen
Kapitals zu befriedigen. Dies geschah, obwohl
das Land in einer der am meisten von Erdbeben
gefährdeten Zonen der Erde liegt.
Die
nuklearen Vertuschungen – zweifellos nur
die Spitze des Eisbergs – wurden erstmals
1995 bekannt. Damals empörte der gefälschte
Bericht über ein Natrium-Leck und ein Feuer
im japanischen Schnellen Brüter der japanischen
Atomenergie Agentur Monju die Öffentlichkeit.
Damals kam heraus, dass die Agentur PNC, (Power
Reactor and Nuclear Fuel Development Corporation,
die für Monju verantwortlich war, Berichte
abgeändert hatte. Sie hatte ein verfälschtes
Videoband herausgegeben, das unmittelbar nach
dem Unfall aufgenommen worden war, und hatte
den dort Beschäftigten einen Maulkorb verpasst.
Nach einer langen Reihe von Gerichtsprozessen
erlaubte die Regierung im letzten Jahr, dass
das Kraftwerk wieder angefahren wurde.
1999
kam es in der 120 Kilometer von Tokio entfernt
liegenden Urananreicherungsanlage Tokaimura
zu einem der schlimmsten Nuklearunfälle
in Japan. Bei einer unkontrollierten Kettenreaktion
in dem von der JCO betriebenen Anlage, einer
Tochter des Bergwerkskonzerns Sumitomo, wurden
zwei Angestellte getötet und radioaktive
Neutronen freigesetzt. Fünfundfünfzig
Arbeiter wurden radioaktiv verseucht und 300.000
Menschen wurden angewiesen in ihren Häusern
zu bleiben. Dazu war es gekommen, weil Sicherheitsbestimmungen
umgangen wurden und dadurch ein Leck verursacht
worden war. Später gaben Regierungsvertreter
zu, dass bestimmte Sicherheitseinrichtungen
in dem Betrieb nicht vorhanden gewesen waren.
Drei
Jahre später wurde aufgedeckt, dass TEPCO
Sicherheitsdaten gefälscht hatte, darunter
auch die der veralteten Anlage Fukushima Daiichi.
Ursprünglich gab der Konzern 29 Fälschungsfälle
zu. Später jedoch musste er 200 Fälle
zugeben, die sich über zwei Jahrzehnte
von 1977 bis 2002 erstreckten. Dazu gehörten
die Unterbreitung von falschen technischen Daten
an die Behörden. Der Nuklearen Sicherheitsagentur
(NISA) zufolge hatte TEPCO versucht, Risse in
Reaktorhüllen bei dreizehn Reaktoren zu
vertuschen, darunter Fukushima Daiichi (6 Reaktoren),
Fukushima Daini (4 Reaktoren) und Kashiwazaki-Kariwa
(7 Reaktoren).
TEPCOS
Verfehlungen waren nur entdeckt worden, weil
ein früherer Ingenieur von General Electric
(GE) sie enthüllt hatte. GE ist der amerikanische
Elektronikkonzern, der enge Beziehungen zu TEPCO
pflegt und die Kraftwerke gebaut hat. Er ist
seit Jahrzehnten vertragsgemäß mit
der Inspektion seiner Kraftwerke und deren Betriebsabläufen
beauftragt. Zwei Jahre zuvor hatte der Ingenieur
die Sicherheitsverfehlungen an das zuständige
Ministerium (MITI) gemeldet, dem Vorgänger
des gegenwärtig zuständigen Ministeriums
für Wirtschaft, Handel und Industrie (METI).
Aber dies hatte nur dazu geführt, dass
die Regierung seinen Namen an den Konzern verriet
und mit der Firma zusammenarbeitete, um die
Information in der Versenkung verschwinden zu
lassen.
Der
Hitachi-Konzern, der die Dichtigkeitsprüfung
für TEPCO durchführte, war ebenfalls
in die Manipulation der Testergebnisse verwickelt.
Bei zwei Gelegenheiten waren die Druckverhältnisse
im Reaktor Nr. 1 von Fukushima instabil. Daraufhin
wurden Arbeiter angewiesen, Luft in den Behälter
einzuleiten, um den Anschein zu erwecken, dass
der Druck gehalten würde.
Trotzdem
ging die NISA weiterhin davon aus, dass es keine
Sicherheitsprobleme für den Betrieb der
Anlage gebe und verließ sich auf die Berechnungen
von TEPCO. Die Agentur inspiziert die Kernkraftwerke
nur alle dreizehn Monate und überlässt
die Inspektion der Reaktorhüllen und der
Pumpen jeder Betreibergesellschaft selbst.
Die
LDP-Regierung äußerte scheinheilig
ihre Besorgnis über diese Verletzungen
der Sicherheitsbestimmungen. Ihr stellvertretender
Minister für Wirtschaft, Handel und Industrie
erklärte, der Konzern habe "das Vertrauen
der Öffentlichkeit in die Kernenergie missbraucht".
Pflichtschuldig traten die Vorstände von
TEPCO zurück und ihre Nachfolger verpflichteten
sich förmlich, alle notwendigen Maßnahmen
vorzunehmen, um jeden weiteren Betrug zu verhindern.
Ende 2005 wurde der Betrieb in allen vorübergehend
stillgelegten Betrieben mit dem Segen der Regierung
wieder aufgenommen.
Kaum
mehr als ein Jahr später, im März
2007, gab der Konzern bekannt, dass eine interne
Untersuchung noch eine Reihe weiterer nicht
gemeldeter Vorfälle aufgedeckt habe. Dazu
gehörten ein unerwartet kritischer Vorfall
1978 und weitere falsche Berichte, die 2002
noch nicht enthüllt worden waren. Erneut
gab sich der Konzern zerknirscht: "Wir
bedauern aus ganzem Herzen, die Bevölkerung
und die Anwohner geängstigt zu haben“,
erklärte der Vizepräsident von TEPCO,
Katsutoshi Chikudate. Der Firma wurde der Weiterbetrieb
gestattet.
Einige
Monate später, im Juli 2007 kam es zu dem
Erdbeben der Stärke 6,8, durch welches
das TEPCO gehörige Atomkraftwerk Kashiwazaki-Kariwa
heruntergefahren wurde. Der Vorfall hatte bewiesen,
was von den Beteuerungen des Konzerns wirklich
zu halten ist. Das Erdbeben, das sein Zentrum
zehn Kilometer vor der an der Westküste
Honschus gelegenen Atomanlage hatte, verursachte
eine Absenkung des Hauptbauwerks, unterbrach
die Wasserleitungen, führte zu einem Feuer,
das erst nach fünf Stunden gelöscht
werden konnte und löste das Entweichen
radioaktiver Substanzen in die Umwelt und das
Meer aus. Die Firma behauptete zunächst,
dass keine Radioaktivität nach außen
gelangt sei, gab aber später zu, dass das
Erdbeben zum Austritt von radioaktivem Material
geführt und das japanische Meer verseucht
habe. Der Seismologe Katsuhiko Ishibashi warnte
davor, dass auf die Stadt Kashiwazaki eine größere
Nuklearkatastrophe zugekommen wäre, wenn
das Epizentrum nur zehn Kilometer weiter südwestlich
gewesen wäre und eine Stärke von 7,0
gehabt hätte.
Nach
der öffentlichen Empörung darüber
löste die Regierung neuen Ärger aus.
Nach Medienberichten bat ein hoher Regierungsbeamter
den Präsidenten von TEPCO in sein Büro,
um ihm "eine beispiellose erniedrigende
verbale Abwatschung" zu verpassen. Der
Aufseher gab sich "wütend", weil
das Management von TEPCO "seine Beamten
ursprünglich – nicht zum ersten Mal
– über das Ausmaß des Störfalls
im Unklaren gelassen hatte".
Die
Schließung der größten Nuklearanlage
von TEPCO 2007 führte erstmals zwei Jahre
lang zu Verlusten des Konzerns. Er gehört
jetzt mit einer Nettoverschuldung von 88 Mrd.
Dollar zu den am höchsten verschuldeten
Unternehmen der Welt. Diese Finanzkrise hat
das Management dazu getrieben, Kosten einzusparen
und den Gewinn aus seinen anderen Kraftwerken
massiv zu steigern, was auch zu Lasten der Sicherheit
geht. TEPCOs Dokument "Vision 2020"
verpflichtet sich "die Anstrengungen zur
Kosteneinsparung zu steigern" und den Anteil
nicht fossiler (vorwiegend atomarer) Energien
an seiner Produktion von 33 auf 50 Prozent zu
erhöhen.
Die
gegenwärtige Kernschmelze und atomare Katastrophe
von Fukushima ist das unvermeidliche Produkt
der langen Zusammenarbeit von TEPCO mit der
Regierung, die von der augenblicklich in Japan
regierenden demokratischen Partei fortgesetzt
wird. Premierminister Naota Kan hat sich wie
seine Vorgänger öffentlich wütend
über TEPCOs fortgesetzte Verschleierungspolitik
in dieser letzten – und bei weitem schlimmsten
– Katastrophe geäußert. Die
Nachrichtenagentur Reuters berichtete: "Japans
Premierminister war erzürnt über die
Vorstände des im Zentrum der nuklearen
Katastrophe stehenden Konzerns, weil sie so
lange brauchten, bis sie sein Büro über
die Explosion in dem betroffenen Reaktorkomplex
informierten und wollte wissen: ‘Was zum
Teufel geht denn da vor?’.“
Kans
"Wut" ist allein für die Öffentlichkeit
bestimmt. In den vergangenen Monaten hat seine
Regierung eine Kampagne gestartet, um den japanischen
Atomkonzernen, allen voran TEPCO, zu helfen,
Verträge abzuschließen, um neue Atomkraftwerke
in Übersee zu bauen. Im Rahmen dieser Initiative
rühmte das METI, das für die Sicherheitsagentur
NISA verantwortliche Ministerium, Japans "gesundes
Aufsichtssystem". Im August letzten Jahres
begleiteten Tsunehisa Katsumata, der Vorsitzende
von TEPCO, und andere Vorstände der japanischen
Nuklearwirtschaft Wirtschaftsminister Masayuki
Naoshima nach Vietnam, wo sie Verträge
zum Bau zweier Atomkraftwerke abschlossen.
Mit
Unterstützung der Regierung bleibt TEPCO
auch weiterhin eng mit anderen großen
japanischen Konzernen verbunden. Erst vor wenigen
Wochen, am 23. Februar, bildeten TEPCO und Mitsubishi
eine Partnerschaft, um die Leitung des öffentlichen
Elektrizitätserzeugers EGCO zu übernehmen,
eines der größten Stromproduzenten
in Thailand.
Die
jüngste Expansion des Konzerns reicht bis
in die USA. Im Mai 2010 schloss TEPCO als Partner
der Nuclear Innovation North America LLC (NINA)
einen Vertrag über die Planung der Erweiterung
der Nuklearanlage South Texas Project.
In
Japan plant TEPCO den Bau von sechs neuen Kernreaktoren,
darunter die Reaktoren 7 und 8 der Anlage Fukushima
Daiichi (2014 und 2015) sowie die Reaktoren
1 und 2 der Anlage Higashidori, die am Pazifischen
Ozean in Nordjapan gelegen ist. Im letzten Monat
protestierten Anwohner gegen den nächtlichen
Baubeginn von zwei Kernkraftwerken durch den
Konzern nahe der Insel Kyushu, wo es in dieser
Woche zu einem Vulkanausbruch kam.
Der
australische Sender Australian Broadcasting
Corporation berichtete am 15. März in seinem
Fernsehprogramm 7 Uhr 30 von den Demonstrationen
auf der Insel Iwai. Den Bericht hatte die Dokumentarfilmerin
Hitomi Kamanaka gedreht, die beim staatlichen
Sender NHK gekündigt hatte, nachdem dieser
sich geweigert hatte, das Material zu senden,
in dem sie die Atomkonzerne des Landes kritisiert.
TEPCO
steht seit Jahrzehnten unter dem Schutz der
Regierung und der Medien, nachdem die herrschende
Elite Japans sich Ende der 1960er und Anfang
der 1970er Jahre in halsbrecherischer Weise
auf die Atomkraft stürzte, um ihre Abhängigkeit
von Erdölimporten zu verringern. Die World
Socialist Web Site hat dies in dem Artikel Was
bedeutet die Katastrophe in Japan? erläutert.
Die Anlage Fukushima Daiichi von TEPCO, die
seit mehr als 40 Jahren am Netz ist, war die
erste, die am 26. März 1970 mit der Stromerzeugung
begann.
TEPCOS
lange Reihe bewusster Verletzungen elementarster
Sicherheitsstandards, die durch das geheime
Einverständnis einer Regierung nach der
anderen ermöglicht wurde, ist eine deutliche
Illustration der unerträglichen Gefahr,
der die Weltbevölkerung durch die kapitalistische
Gesellschaftsordnung ausgesetzt ist, in der
die Erzielung privaten Profits um jeden Preis
alles beherrscht.
|