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Biotreibstoffe:
voller Tank oder voller Bauch?

Energiekrise und Klimakatastrophen interessieren die Automobilindustrie nicht. Angesichts ihrer saftigen Gewinne beachtet sie weder die Warnlichter des IPCC1 noch die alltäglich gewordenen Alarmsignale in den Medien, auf den Bildschirmen, im Fernsehen und im Kino, etwa im Beitrag „An Inconvenient Truth“ von Al Gore oder im Dokumentarfilm „The Oil Crash“!2

von François Iselin - aus Inprekorr Nr. 430 / 431 September/Oktober 2007


Treibstoffproduzenten, -transporteure und -händler, Fahrzeughersteller aller Kategorien3, Verkäufer, Garagisten, Versicherer, Straßen- und Kunstbauten-Betonierer, Designer, Publizisten … die Mafiabosse auf dem weltweiten Markt der Verbrennungsmotoren sind nicht bereit, auch nur auf das kleinste Körnchen des Schwarzen Goldes zu verzichten. Wenn die Erdölfelder erschöpft sind und den Motoren der Treibstoff ausgeht, wollen sie aus Landwirtschaftsflächen Ersatz für das Schwarze Gold pumpen – auch auf die Gefahr hin, dass sie die Menschen aushungern, die von diesen Flächen leben: „food against fuel“.4

Taub und blind für Warnungen und Vorhersagen stürzen sie mit Vollgas drauflos, notfalls über Millionen von Leichen. Weil die zu erwartenden Hungersnöte aber für negative Schlagzeilen sorgen könnten, gibt sich das Automobil-Marketing „ökologisch“: ein paar grüne Tupfen da und dort und lauter Blumen in den Werbeanzeigen für Fahrzeuge mit Mischtreibstoff. Bei diesem „Öko“-Benzin handelt es sich um grünen Alkohol, der dem schwarzen Öl beigemischt wird, wobei das Verhältnis 10 bis 85% betragen kann. Einer der Slogans lautet übrigens „85% Blumen 100% Kraft“5 … Oder der Werbespruch der Vaudoise Versicherungen: „Sonnige Tarife für Grünfahrer“. Alle Marken setzen auf Bioethanol oder Bioester aus Raps, Sonnenblumen, Mais, Zuckerrohr, Zuckerrüben oder Maniok.6 Diese Zusätze sollen helfen, dass sich die in Kritik geratenen Fahrzeuge auch weiterhin gut verkaufen lassen. Die Firmen haben keine Hemmungen, gleichzeitig grüne Werbeanzeigen zu veröffentlichen und den Absatz großer Fahr-zeuge voranzutreiben – eine einzige Tankfüllung mit Ethanol für einen großen 4x4 erfordert gleich viel Getreide, wie es braucht, um eine Person ein Jahr lang zu ernähren.7

 

Grünes Öl oder „soylent green“?

„Wir befinden uns im Jahr 2022 ... aber die Menschen haben sich nicht verändert. Sie sind zu allem bereit, wenn es darum geht, ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Und das, was sie wollen, ist Soylent Green.“ So lauteten die Anzeigen zum Film „Soylent Green“ von Richard Fleisher. Das Meisterwerk von 1973 ist keineswegs veraltet ... es hat sich eher verjüngt: Die Fiktion wird zur Realität, wenn den Menschen nur noch ein einziges Nahrungsmittel übrig bleibt: Tabletten aus „Soylent Green“ …8

Es besteht kein Zweifel: Die Menschheit tritt in eine kritische, noch nie da gewesene Phase. Ein drohendes Unheil unter anderen ist der Hunger – ein Problem, das der Kapitalismus mit Hilfe wissenschaftlicher Forschung, industrieller Neuerungen, wirtschaftlicher Entwicklung und Marktwachstum zu lösen versprach. Das Gegenteil ist der Fall: „Die Produktivität der Pflanzen dürfte in den meisten Gebieten der Welt abnehmen, wenn sich die Temperaturen um einige Grad erhöhen.“ 9 Denn „diese Änderungen [Erwärmung, Verwüstung, Wirbelstürme usw.] wirken sich verhängnisvoll auf die Ernährungssicherheit aus und betreffen die Armen unverhältnismäßig stark.“10 Doch das ist nicht alles. Während weltweit eines von drei Kindern und eine von 7 erwachsenen Personen an Unterernährung leiden11, nimmt der Nahrungsmittelbedarf weiter zu: Von heute bis 2050 „müsste sich die weltweite Landwirtschaftsproduktion verdoppeln.“12 „Die zukünftige Landwirtschaft hat höhere Energiekosten, verfügt nur beschränkt über Dünger und muss Wasser sparen“, drei Ressourcen, die immer knapper werden. Wie kann man es wagen, Menschen hungern zu lassen, um die Verbrennungsmotoren auch in der Nach-Erdöl- Zeit speisen zu können? Die opportunistischen AnhängerInnen einer neoliberalen Ökologie würden gut daran tun, diesbezüglich Stellung zu beziehen.

„Öl gegen Nahrung“

Die Automobilindustrie will Agrotreibstoffe anbauen, um weiterhin „Bio“- Benzin verkaufen zu können. Dieses wird dann in Motoren mit Mischtreib-stoff eingesetzt. Die Auspuffe dieser Fahrzeuge spucken gleich viele Treibhausgase aus wie bei der Verbrennung fossiler Brennstoffe, die grundsätzlich genauso „bio“ sind! Der Unterschied besteht darin, dass beim Wachstum der pflanzlichen Rohstoffe für den „Bio“- Treibstoff gleich viel CO2 absorbiert wird, wie bei der Verbrennung wieder frei wird. Aber diese ausgeglichene Bilanz ist eigentlich negativ, weil die Absorption und Emission von CO2 nicht nur ausgeglichen, sondern die CO2- Emissionen drakonisch gesenkt werden müssen. Außerdem bestehen ernsthafte Zweifel bezüglich der Unschädlichkeit dieser Treibstoffe für die menschliche Gesundheit, die Natur und das Klima. „Die Biotreibstoffe können bei den Treibhausgasen eine unbefriedigende Gesamtbilanz aufweisen, denn einerseits braucht es meistens fossile Energie, um die Pflanzen anzubauen (Traktorbenzin und chemisch-industriell hergestellte Düngemittel), und andererseits kommt es beim Ausbringen des Düngers zu Lachgas-Emissionen (Distickstoffoxid). Zudem können bei der Verbrennung von Biotreibstoffen größere Methan- und Stickoxid-Emissionen entstehen als bei der Öl-Verbrennung.“ 13 Obwohl die Kritik im Dunst der politischen Korrektheit erstickt und von den Ökosozialisten, die eigentlich das Gegenteil tun sollten, abgewürgt wird, fehlt es nicht an kompetenten, wenn auch sich widersprechenden Stimmen: „Die weltweite Landwirtschaft kann nicht gleichzeitig für die Ernährung, die Treibstoff-Pro-duktion und den Schutz der Biodiversität sorgen. […] Die Zunahme der Biotreibstoffe wird zur Folge haben, dass ein Kampf um den Boden für Nahrungs- und Energiepflanzen entbrennt. Die Energieknappheit droht eine Nahrungsknappheit auszulösen.“14

Wie schon die „gentechnisch veränderten Organismen“ (GVO) wurde auch das Ethanol von den USA und Brasilien lanciert, die ¾ davon produzieren. 15 Da solche Umwälzungen in der globalen Landwirtschaftspolitik Unruhe auslösen, kommt es in der Auseinandersetzung rund um die Öl-Ersatztreibstoffe auch zu wütenden Reaktionen. Nestlé tadelt, dass „es 4560 Liter Wasser braucht, um einen Liter Bioethanol zu produzieren“ – und vorerst noch nicht von seinem Mineralwasser! Außerdem braucht es, dies sei hier ebenfalls erwähnt, einen halben Liter … Öl pro Liter Bioethanol!16

Doch die stärkste Opposition erwächst den Agrotreibstoffen aus dem Süden, wo die Menschen Gefahr laufen, den zukünftigen Energiemangel des Nordens ausbaden zu müssen. Unterstützt von den sozialen Bewegungen bezweifeln führende Persönlichkeiten aus Kuba und Venezuela ernsthaft, dass Lula sein Ziel „Null Hunger“ erreichen kann, wenn er sich gleichzeitig für die Ausdehnung der Ethanol-Plantagen stark macht. Aber der Ausverkauf von Nahrungs-Kulturland ist nicht die einzige Sorge: Der Anbau von Agrotreibstoffen verbindet sich unweigerlich mit „Konzentration von Grundbesitz, Entwaldung, Verschmutzung von Boden, Luft und Wasser sowie der Verdrängung von Bauern.“ 17 Die Schweiz nimmt zurzeit eine zurückhaltende Position ein.18 Dabei wird es bleiben, solange wir entschlossen sind, diese neuen Irrwege in Sachen Energie und Ökologie anzuprangern. 19

Um Irrwege handelt es sich, weil der Kapitalismus den Kopf verliert, wenn es gilt, seine Macht, die Kontrolle über die Produktion und den daraus entstehenden Reichtum, zu bewahren. Auf die alarmierenden Vorhersagen der Klima- und Ölexperten reagieren die kapitalistischen Unternehmen mit der Suche nach Ersatz für die fossilen, umweltschädigenden und versiegenden Brennstoffe und geraten dabei in eine Sackgasse. Glaubt man ihren „verheißungsvollen“, mit viel Publizität verkündeten Forschungsresultaten, so sind bereits alle Auswege aus der Krise gefunden – und dies in weniger als einem Jahrzehnt! Nachdem er die natürlichen Ressourcen ausgebeutet, das Klima zerstört und die Grundbedürfnisse der Menschen entgegen aller Versprechungen unbefriedigt gelassen hat, will uns der Kapitalismus mit seiner „Nachhaltigen Entwicklung“ glauben machen, sein produktivistisches System sei plötzlich in der Lage, die entstandenen Schäden zu reparieren und seine Mission weiterzuverfolgen. Kohlenstoffsenken, saubere Atomenergie, Wasserstoff in Hülle und Fülle, magische Windkraftwerke, Treibstoff- Plantagen … alle möglichen Lösungen zur Abwendung der kommenden Katastrophen passen da hinein. Es ist, als würde man uns triumphierend mitteilen, man habe festgestellt, dass die Metastasen des Produktivismus das wachsende Krebsgeschwür heilen könnten.

„Die importierten Biotreibstoffe haben nichts Grünes oder Erneuerbares an sich. Anstatt die Böden und die Existenzgrundlagen der örtlichen Gemeinschaften und indigenen Völker des Südens in einer neuen Form des Kolonialismus zu zerstören, müssen die Länder des Nordens

  • anerkennen, dass sie für die Zerstörung des globalen Klimasystems verantwortlich sind,
  • ihren Energieverbrauch auf ein gangbares Niveau senken,
  • die Klimaschulden zahlen, die auf ihnen lasten, weil sie die zuvor genan-nten Forderungen noch nicht erfüllt haben,
  • ihre Investitionen in Solar- und Windenergie bedeutend erhöhen.“

Auszug aus einer Erklärung von NGO-Gruppen indigener Völker und Bauernbewegungen zur UNO-Rahmenkonvention über den Klima-wandel. Die Gruppen hatten sich vom 6. bis 17. November 2006 in Nairobi getroffen und verlangten, dass die Subventionen und auch alle anderen Formen der ungerechten Unterstützung der Ein- und Ausfuhr von Biotreibstoffen sofort eingestellt werden.

Mut zur Wahrheit

Der an sich selbst krankende Kapitalismus empfiehlt angesichts seiner Misserfolge Heilmittel, die nur weitere Schäden verursachen und ein grünes Mäntelchen tragen, das überhaupt nichts mit Ökologie zu tun hat. Der Ersatz von Treibstoffen auf Erdölbasis durch Agrotreibstoffe ist nur ein Beispiel unter anderen: Bau neuer Atomkraftwerke, Verwandlung von Kohlenstoff in eine Handelsware und weitere Geistesblitze des „Geo-Ingenieurwesens“ wie das Düngen der Ozeane oder Sonnenlichtfilter in der Stratosphäre, von denen das IPCC sagt, dass sie „sehr spekulativ und unsicher sind und unbekannte Risiken von Kollateralschäden beinhalten.“20

Der produktivistische Kapitalismus hat sich überlebt. Er hat unserem Planeten viele Schäden zugefügt, unter denen die kommenden Generationen leiden werden und die sie beheben müssen – so weit dies möglich ist. Der beste Dienst, den wir unseren Nachkommen erweisen können, ist, den Kapitalismus daran zu hindern, noch mehr zu zerstören, indem er die Menschheit in neue landwirtschaftliche und industrielle Abenteuer stürzt, die ebenso absurd wie gefährlich sind. Dazu müssen wir es wagen, die Wahrheit zu sagen, so unbequem sie auch sein mag. Wir sollten kollektiv alternative Lösungen entwickeln, diese in Forderungen umwandeln und die Unterdrückten und Ausgebeuteten mobilisieren, um die Sache umzusetzen. Dies mit dem Wissen, dass nur etwas geht, wenn die selbsternannten Herrscher der Welt zuvor abgesetzt werden, wegen ihrer „nachhaltigen“ Unfähigkeit, der Menschheit und Natur Sorge zu tragen. Die kapitalistische Entwicklung hat bewirkt, dass die wohlhabenden Gesellschaften nur noch am Erdöl- Tropf funktionieren können – wie Schwerkranke, denen man mit der Injektionsnadel ein lebensspendendes Serum zuführt. Wenn die ersten Luftblasen in den Ölpipelines auftauchen, funktionieren Heizung, Beleuchtung, Pflege, Transport und Produktion nicht mehr. Deshalb müssen wir in Zukunft nicht nur die unmittelbaren und langfristigen, sondern auch die vitalen Interessen der Arbeiterinnen und Arbeiter vertreten. Es gilt, die traditionellen Forderungen der Arbeiterklasse auszuweiten und mit dringenden Forderungen zu verbinden: zum Beispiel deutliche Reduktion des Verbrauchs fossiler Energien, Bildung von Ölvorräten, die ausschließlich für dringende Transporte, für soziale Einrichtungen, für das Heizen von Wohnungen im Winter und für die Produktion unverzichtbarer Güter eingesetzt werden, auch wenn dem Kapital damit Gewinne entzogen werden. Nekrokapitalismus oder Ökosozialismus – wir müssen wählen, und zwar schnell!

Übersetzung: Alena Wehrli

1 IPCC: „Intergovernmental Panel on Climate
Change“, zwischenstaatliche Sachverständigengruppe
über Klimaänderungen, der „Weltklimarat“
der UNO.
2 „A Crude Awakening: The Oil Crash“, Dokumentarfilm
von Basil Gelpke und Ray McCormack,
Schweiz 2006, 90 Min.
3 Autos, Motorräder, Lastwagen, Bau- und
Landwirtschaftsmaschinen, Flugzeuge, Schiffe
usw.
4 Food against fuel, auf deutsch „Öl für Nahrung“:
Bezeichnung für das US-Programm,
das nach dem ersten Irakkrieg vorgab, den
Nahrungsbedarf der irakischen Bevölkerung
decken zu wollen. Tatsächlich ging es darum,
den Durst der Invasoren nach Öl zu stillen.
5 „Le marketing automobile passe au vert“, Le
Temps, 9.5.07
6 Umfassende Informationen über solche Mischungen
finden sich auf der Website von Wikipedia.
7 Courrier International, „Une nouvelle crise
alimentaire menace le monde“, 14–20, 9.06
8 Wer nicht weiß, was diese Tabletten enthalten,
hat einen Grund mehr, diesen 4-Sterne-Film
anzuschauen oder die entsprechende DVD zu
kaufen.
9 Troisième rapport d‘évaluation du GIEC, Résumé
à l‘intention des décideurs, S. 35 (Dritter
Sachstandsbericht des IPCC, Zusammenfassung
für Entscheidungsträger).
10 ebenda S. 32.
11 CADTM, 2001.
12 Hervé Kempf, „Nourrir 9 millions de Terriens“,
Le Monde, 12.3.07.
13 Jean Marc Jancovici, „Existe-t-il des énergies
sans CO2?“, September 2003.
14 Michel Griffon, „Une compétition entre cultures
alimentaires et énergétiques“, Le Temps,
3.4.2007.
15 „Les biocarburants redessinent la carte de
l’agriculture mondiale“, Le Monde, 3.4.07.
16 „Les biocarburants ne sont pas assez écologiques
pour le patron de Nestlé“, 24 Heures,
30.4.07.
17 Mario Asava, „El alcohol desata pasiones“,
IPS, Rio de Janeiro, 2.4.07.
18 „Bioethanol – ein Treibstoff mit Zukunft“, Eidgenössisches
Finanzdepartement, 6.12.06.
19 Eine hervorragende Sammlung kritischer Artikel
findet sich auf der Website der Organisation
Alliance Sud: www.alliancesud.ch.
20 Groupe de travail III du GIEC, Quatrième rapport
d‘évaluation, S. 16 (IPCC-Arbeitsgruppe
III, Vierter Sachstandsbericht, Zusammenfassung
für Entscheidungsträger).