Treibstoffproduzenten,
-transporteure und -händler,
Fahrzeughersteller aller
Kategorien3,
Verkäufer, Garagisten, Versicherer, Straßen-
und Kunstbauten-Betonierer, Designer, Publizisten
… die Mafiabosse auf dem weltweiten Markt
der Verbrennungsmotoren sind nicht bereit, auch
nur auf das kleinste Körnchen des Schwarzen
Goldes zu verzichten. Wenn die Erdölfelder
erschöpft sind und den Motoren der Treibstoff
ausgeht, wollen sie aus Landwirtschaftsflächen
Ersatz für das Schwarze Gold pumpen –
auch auf die Gefahr hin, dass sie die Menschen
aushungern, die von diesen Flächen leben:
„food against fuel“.4
Taub
und blind für Warnungen und Vorhersagen
stürzen sie mit Vollgas drauflos, notfalls
über Millionen von Leichen. Weil die zu
erwartenden Hungersnöte aber für negative
Schlagzeilen sorgen könnten, gibt sich
das Automobil-Marketing „ökologisch“:
ein paar grüne Tupfen da und dort und lauter
Blumen in den Werbeanzeigen für Fahrzeuge
mit Mischtreibstoff. Bei diesem „Öko“-Benzin
handelt es sich um grünen Alkohol, der
dem schwarzen Öl beigemischt wird, wobei
das Verhältnis 10 bis 85% betragen kann.
Einer der Slogans lautet übrigens „85%
Blumen 100% Kraft“5
… Oder der Werbespruch der Vaudoise Versicherungen:
„Sonnige Tarife für Grünfahrer“.
Alle Marken setzen auf Bioethanol oder Bioester
aus Raps, Sonnenblumen, Mais, Zuckerrohr, Zuckerrüben
oder Maniok.6 Diese
Zusätze sollen helfen, dass sich die in
Kritik geratenen Fahrzeuge auch weiterhin gut
verkaufen lassen. Die Firmen haben keine Hemmungen,
gleichzeitig grüne Werbeanzeigen zu veröffentlichen
und den Absatz großer Fahr-zeuge voranzutreiben
– eine einzige Tankfüllung mit Ethanol
für einen großen 4x4 erfordert gleich
viel Getreide, wie es braucht, um eine Person
ein Jahr lang zu ernähren.7
Grünes
Öl oder „soylent green“?
„Wir
befinden uns im Jahr 2022 ... aber die Menschen
haben sich nicht verändert. Sie sind zu
allem bereit, wenn es darum geht, ihre Bedürfnisse
zu befriedigen. Und das, was sie wollen, ist
Soylent Green.“ So lauteten die Anzeigen
zum Film „Soylent Green“ von Richard
Fleisher. Das Meisterwerk von 1973 ist keineswegs
veraltet
... es hat sich eher verjüngt: Die Fiktion
wird zur Realität, wenn den Menschen nur
noch ein einziges Nahrungsmittel übrig
bleibt: Tabletten aus „Soylent Green“
…8
Es
besteht kein Zweifel: Die Menschheit tritt in
eine kritische, noch nie da gewesene Phase.
Ein drohendes Unheil unter anderen ist der Hunger
– ein Problem, das der Kapitalismus mit
Hilfe wissenschaftlicher Forschung, industrieller
Neuerungen, wirtschaftlicher Entwicklung und
Marktwachstum zu lösen versprach. Das Gegenteil
ist der Fall: „Die Produktivität
der Pflanzen dürfte in den meisten Gebieten
der Welt abnehmen, wenn sich die Temperaturen
um einige Grad erhöhen.“ 9
Denn „diese Änderungen [Erwärmung,
Verwüstung, Wirbelstürme usw.] wirken
sich verhängnisvoll auf die Ernährungssicherheit
aus und betreffen die Armen unverhältnismäßig
stark.“10 Doch
das ist nicht alles. Während weltweit eines
von drei Kindern und eine von 7 erwachsenen
Personen an Unterernährung leiden11,
nimmt der Nahrungsmittelbedarf weiter zu: Von
heute bis 2050 „müsste sich die weltweite
Landwirtschaftsproduktion verdoppeln.“12
„Die zukünftige Landwirtschaft hat
höhere Energiekosten, verfügt nur
beschränkt über Dünger und muss
Wasser sparen“, drei Ressourcen, die immer
knapper werden. Wie kann man es wagen, Menschen
hungern zu lassen, um die Verbrennungsmotoren
auch in der Nach-Erdöl- Zeit speisen zu
können? Die opportunistischen AnhängerInnen
einer neoliberalen Ökologie würden
gut daran tun, diesbezüglich Stellung zu
beziehen.
„Öl
gegen Nahrung“
Die
Automobilindustrie will Agrotreibstoffe anbauen,
um weiterhin „Bio“- Benzin verkaufen
zu können. Dieses wird dann in Motoren
mit Mischtreib-stoff eingesetzt. Die Auspuffe
dieser Fahrzeuge spucken gleich viele Treibhausgase
aus wie bei der Verbrennung fossiler Brennstoffe,
die grundsätzlich genauso „bio“
sind! Der Unterschied besteht darin, dass beim
Wachstum der pflanzlichen Rohstoffe für
den „Bio“- Treibstoff gleich viel
CO2 absorbiert wird, wie bei der Verbrennung
wieder frei wird. Aber diese ausgeglichene Bilanz
ist eigentlich negativ, weil die Absorption
und Emission von CO2 nicht nur ausgeglichen,
sondern die CO2- Emissionen drakonisch gesenkt
werden müssen. Außerdem bestehen
ernsthafte Zweifel bezüglich der Unschädlichkeit
dieser Treibstoffe für die menschliche
Gesundheit, die Natur und das Klima. „Die
Biotreibstoffe können bei den Treibhausgasen
eine unbefriedigende Gesamtbilanz aufweisen,
denn einerseits braucht es meistens fossile
Energie, um die Pflanzen anzubauen (Traktorbenzin
und chemisch-industriell hergestellte Düngemittel),
und andererseits kommt es beim Ausbringen des
Düngers zu Lachgas-Emissionen (Distickstoffoxid).
Zudem können bei der Verbrennung von Biotreibstoffen
größere Methan- und Stickoxid-Emissionen
entstehen als bei der Öl-Verbrennung.“
13 Obwohl die Kritik
im Dunst der politischen Korrektheit erstickt
und von den Ökosozialisten, die eigentlich
das Gegenteil tun sollten, abgewürgt wird,
fehlt es nicht an kompetenten, wenn auch sich
widersprechenden Stimmen: „Die weltweite
Landwirtschaft kann nicht gleichzeitig für
die Ernährung, die Treibstoff-Pro-duktion
und den Schutz der Biodiversität sorgen.
[…] Die Zunahme der Biotreibstoffe wird
zur Folge haben, dass ein Kampf um den Boden
für Nahrungs- und Energiepflanzen entbrennt.
Die Energieknappheit droht eine Nahrungsknappheit
auszulösen.“14
Wie
schon die „gentechnisch veränderten
Organismen“ (GVO) wurde auch das Ethanol
von den USA und Brasilien lanciert, die ¾
davon produzieren. 15
Da solche Umwälzungen in der globalen Landwirtschaftspolitik
Unruhe auslösen, kommt es in der Auseinandersetzung
rund um die Öl-Ersatztreibstoffe auch zu
wütenden Reaktionen. Nestlé tadelt,
dass „es 4560 Liter Wasser braucht, um
einen Liter Bioethanol zu produzieren“
– und vorerst noch nicht von seinem Mineralwasser!
Außerdem braucht es, dies sei hier ebenfalls
erwähnt, einen halben Liter … Öl
pro Liter Bioethanol!16
Doch
die stärkste Opposition erwächst den
Agrotreibstoffen aus dem Süden, wo die
Menschen Gefahr laufen, den zukünftigen
Energiemangel des Nordens ausbaden zu müssen.
Unterstützt von den sozialen Bewegungen
bezweifeln führende Persönlichkeiten
aus Kuba und Venezuela ernsthaft, dass Lula
sein Ziel „Null Hunger“ erreichen
kann, wenn er sich gleichzeitig für die
Ausdehnung der Ethanol-Plantagen stark macht.
Aber der Ausverkauf von Nahrungs-Kulturland
ist nicht die einzige Sorge: Der Anbau von Agrotreibstoffen
verbindet sich unweigerlich mit „Konzentration
von Grundbesitz, Entwaldung, Verschmutzung von
Boden, Luft und Wasser sowie der Verdrängung
von Bauern.“ 17
Die Schweiz nimmt zurzeit eine zurückhaltende
Position ein.18 Dabei
wird es bleiben, solange wir entschlossen sind,
diese neuen Irrwege in Sachen Energie und Ökologie
anzuprangern. 19
Um
Irrwege handelt es sich, weil der Kapitalismus
den Kopf verliert, wenn es gilt, seine Macht,
die Kontrolle über die Produktion und den
daraus entstehenden Reichtum, zu bewahren. Auf
die alarmierenden Vorhersagen der Klima- und
Ölexperten reagieren die kapitalistischen
Unternehmen mit der Suche nach Ersatz für
die fossilen, umweltschädigenden und versiegenden
Brennstoffe und geraten dabei in eine Sackgasse.
Glaubt man ihren „verheißungsvollen“,
mit viel Publizität verkündeten Forschungsresultaten,
so sind bereits alle Auswege aus der Krise gefunden
– und dies in weniger als einem Jahrzehnt!
Nachdem er die natürlichen Ressourcen ausgebeutet,
das Klima zerstört und die Grundbedürfnisse
der Menschen entgegen aller Versprechungen unbefriedigt
gelassen hat, will uns der Kapitalismus mit
seiner „Nachhaltigen Entwicklung“
glauben machen, sein produktivistisches System
sei plötzlich in der Lage, die entstandenen
Schäden zu reparieren und seine Mission
weiterzuverfolgen. Kohlenstoffsenken, saubere
Atomenergie, Wasserstoff in Hülle und Fülle,
magische Windkraftwerke, Treibstoff- Plantagen
… alle möglichen Lösungen zur
Abwendung der kommenden Katastrophen passen
da hinein. Es ist, als würde man uns triumphierend
mitteilen, man habe festgestellt, dass die Metastasen
des Produktivismus das wachsende Krebsgeschwür
heilen könnten.
|
„Die
importierten Biotreibstoffe haben nichts
Grünes oder Erneuerbares an sich.
Anstatt die Böden und die Existenzgrundlagen
der örtlichen Gemeinschaften und
indigenen Völker des Südens
in einer neuen Form des Kolonialismus
zu zerstören, müssen die Länder
des Nordens
-
anerkennen, dass sie für die
Zerstörung des globalen Klimasystems
verantwortlich sind,
-
ihren Energieverbrauch auf ein gangbares
Niveau senken,
-
die Klimaschulden zahlen, die auf
ihnen lasten, weil sie die zuvor genan-nten
Forderungen noch nicht erfüllt
haben,
-
ihre Investitionen in Solar- und Windenergie
bedeutend erhöhen.“
Auszug aus einer Erklärung von
NGO-Gruppen indigener Völker und
Bauernbewegungen zur UNO-Rahmenkonvention
über den Klima-wandel. Die Gruppen
hatten sich vom 6. bis 17. November
2006 in Nairobi getroffen und verlangten,
dass die Subventionen und auch alle
anderen Formen der ungerechten Unterstützung
der Ein- und Ausfuhr von Biotreibstoffen
sofort eingestellt werden.
|
Mut
zur Wahrheit
Der
an sich selbst krankende Kapitalismus empfiehlt
angesichts seiner Misserfolge Heilmittel, die
nur weitere Schäden verursachen und ein
grünes Mäntelchen tragen, das überhaupt
nichts mit Ökologie zu tun hat. Der Ersatz
von Treibstoffen auf Erdölbasis durch Agrotreibstoffe
ist nur ein Beispiel unter anderen: Bau neuer
Atomkraftwerke, Verwandlung von Kohlenstoff
in eine Handelsware und weitere Geistesblitze
des „Geo-Ingenieurwesens“ wie das
Düngen der Ozeane oder Sonnenlichtfilter
in der Stratosphäre, von denen das IPCC
sagt, dass sie „sehr spekulativ und unsicher
sind und unbekannte Risiken von Kollateralschäden
beinhalten.“20
Der
produktivistische Kapitalismus hat sich überlebt.
Er hat unserem Planeten viele Schäden zugefügt,
unter denen die kommenden Generationen leiden
werden und die sie beheben müssen –
so weit dies möglich ist. Der beste Dienst,
den wir unseren Nachkommen erweisen können,
ist, den Kapitalismus daran zu hindern, noch
mehr zu zerstören, indem er die Menschheit
in neue landwirtschaftliche und industrielle
Abenteuer stürzt, die ebenso absurd wie
gefährlich sind. Dazu müssen wir es
wagen, die Wahrheit zu sagen, so unbequem sie
auch sein mag. Wir sollten kollektiv alternative
Lösungen entwickeln, diese in Forderungen
umwandeln und die Unterdrückten und Ausgebeuteten
mobilisieren, um die Sache umzusetzen. Dies
mit dem Wissen, dass nur etwas geht, wenn die
selbsternannten Herrscher der Welt zuvor abgesetzt
werden, wegen ihrer „nachhaltigen“
Unfähigkeit, der Menschheit und Natur Sorge
zu tragen. Die kapitalistische Entwicklung hat
bewirkt, dass die wohlhabenden Gesellschaften
nur noch am Erdöl- Tropf funktionieren
können – wie Schwerkranke, denen
man mit der Injektionsnadel ein lebensspendendes
Serum zuführt. Wenn die ersten Luftblasen
in den Ölpipelines auftauchen, funktionieren
Heizung, Beleuchtung, Pflege, Transport und
Produktion nicht mehr. Deshalb müssen wir
in Zukunft nicht nur die unmittelbaren und langfristigen,
sondern auch die vitalen Interessen der Arbeiterinnen
und Arbeiter vertreten. Es gilt, die traditionellen
Forderungen der Arbeiterklasse auszuweiten und
mit dringenden Forderungen zu verbinden: zum
Beispiel deutliche Reduktion des Verbrauchs
fossiler Energien, Bildung von Ölvorräten,
die ausschließlich für dringende
Transporte, für soziale Einrichtungen,
für das Heizen von Wohnungen im Winter
und für die Produktion unverzichtbarer
Güter eingesetzt werden, auch wenn dem
Kapital damit Gewinne entzogen werden. Nekrokapitalismus
oder Ökosozialismus – wir müssen
wählen, und zwar schnell!
Übersetzung: Alena Wehrli
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1
IPCC: „Intergovernmental Panel on Climate
Change“, zwischenstaatliche Sachverständigengruppe
über Klimaänderungen, der „Weltklimarat“
der UNO.
2 „A Crude Awakening: The
Oil Crash“, Dokumentarfilm
von Basil Gelpke und Ray McCormack,
Schweiz 2006, 90 Min.
3 Autos, Motorräder, Lastwagen,
Bau- und
Landwirtschaftsmaschinen, Flugzeuge, Schiffe
usw.
4 Food against fuel, auf deutsch
„Öl für Nahrung“:
Bezeichnung für das US-Programm,
das nach dem ersten Irakkrieg vorgab, den
Nahrungsbedarf der irakischen Bevölkerung
decken zu wollen. Tatsächlich ging es darum,
den Durst der Invasoren nach Öl zu stillen.
5 „Le marketing automobile
passe au vert“, Le
Temps, 9.5.07
6 Umfassende Informationen über
solche Mischungen
finden sich auf der Website von Wikipedia.
7 Courrier International, „Une
nouvelle crise
alimentaire menace le monde“, 14–20,
9.06
8 Wer nicht weiß, was diese
Tabletten enthalten,
hat einen Grund mehr, diesen 4-Sterne-Film
anzuschauen oder die entsprechende DVD zu
kaufen.
9 Troisième rapport d‘évaluation
du GIEC, Résumé
à l‘intention des décideurs,
S. 35 (Dritter
Sachstandsbericht des IPCC, Zusammenfassung
für Entscheidungsträger).
10 ebenda S. 32.
11 CADTM, 2001.
12 Hervé Kempf, „Nourrir
9 millions de Terriens“,
Le Monde, 12.3.07.
13 Jean Marc Jancovici, „Existe-t-il
des énergies
sans CO2?“, September 2003.
14 Michel Griffon, „Une
compétition entre cultures
alimentaires et énergétiques“,
Le Temps,
3.4.2007.
15 „Les biocarburants redessinent
la carte de
l’agriculture mondiale“, Le Monde,
3.4.07.
16 „Les biocarburants ne
sont pas assez écologiques
pour le patron de Nestlé“, 24 Heures,
30.4.07.
17 Mario Asava, „El alcohol
desata pasiones“,
IPS, Rio de Janeiro, 2.4.07.
18 „Bioethanol –
ein Treibstoff mit Zukunft“, Eidgenössisches
Finanzdepartement, 6.12.06.
19 Eine hervorragende Sammlung
kritischer Artikel
findet sich auf der Website der Organisation
Alliance Sud: www.alliancesud.ch.
20 Groupe de travail III du GIEC,
Quatrième rapport
d‘évaluation, S. 16 (IPCC-Arbeitsgruppe
III, Vierter Sachstandsbericht, Zusammenfassung
für Entscheidungsträger). |