Nach
wochenlanger Verharmlosung ist das fürchterliche
Atom-Desaster in Fukushima nun auf Gefahrenstufe
7 gesetzt worden. Dies entspricht dem höchst
möglichen Niveau, um einen nuklearen Unfall
zu klassifizieren und kommt bis heute nur dem
in Tschernobyl von 1986 gleich, dessen Probleme
bis heute ungelöst bleiben. Heute noch
muss sich die Bevölkerung von Tschernobyl
mit den Folgen der Katastrophe auseinandersetzen
und die folgenden Generationen werden weiterhin
den Preis in Sachen genetischer Missbildung,
Tumore, Umweltschäden und Schäden
für das ganze ökonomische und soziale
System einer Region zahlen müssen.
Fukushima
ist überall!
Das
Gleiche gilt für Fukushima und für
Japan, aber nicht nur. Die ganze Welt –
und auch wir, obwohl Japan in unserer Vorstellung
weit entfernt liegt – wir alle sind von
diesem Desaster betroffen, unabhängig davon,
was unsere Experten sagen. Ein nuklearer Unfall
bringt über die direkten Opfer hinaus Folgen,
die die Umwelt und die weltweite Bevölkerung
belasten, und das für tausende von Jahren.
Die Meere, die Luft und die Gewässer kennen
keine Grenzen, sie folgen keiner gesellschaftlicher
Logik, sie verschieben sich nach ihren Gesetzen
und tragen die vergifteten Früchte unseres
sogenannten Fortschritts über alle Kontinente
mit sich.
Mensch
kann meinen, dass in der Schweiz der Zustand,
der in Nordjapan feststellbar ist, nie eintreffen
wird. Nie werden wir es mit einem Erdbeben und
einem Tsunami zu tun haben, die ein Stück
des Landes vollständig zerstören werden.
Auf der ganzen Welt wiederholen die Befürworter
der Atomenergie die extreme Seltenheit des Ereignisses
in Japan.
In
Kalifornien zum Beispiel haben die Experten
nicht gezögert und behaupten, dass die
hiesigen Kraftwerke ein Erdbeben mit dem höchsten
Skalenwert überstehen können, und
vergessen dabei, dass auch in Fukushima die
Sicherheitsrhetorik genau dies behauptete. Die
Experten mussten folglich feststellen, dass
uns die Natur überraschen und weit über
das gehen kann, was wir als vorhersehbar bezeichnen!
Ja, weil die Natur heute und auch in Zukunft
unberechenbar ist bzw. sein wird, unabhängig
von unseren wissenschaftlichen Bemühungen,
sie zu studieren und sie unseren Bedürfnissen
unterzuordnen.
Die
Sicherheit, die es nicht gibt...
Tatsächlich
sind wir nicht in der Lage – und wir werden
es auch nie sein – alle Risiken vorherzusehen,
denen wir ausgesetzt sind. Bei Katastrophen
ist es gewöhnlich so, dass sie eintreten,
weil sie nicht vorhersehbar waren oder ihr mögliches
Ausmass unterschätzt wurde.
Jetzt
werden in allen bestehenden Kraftwerken in Eile
«Sicherheitsmassnahmen » getroffen,
um ihre Aktualität zu prüfen und bestehende
Bauprojekte zu stoppen...bis die Wogen geglättet
sind. Unabhängig von der Rhetorik der Sicherheitsmassnahmen,
um Schaden an Personen, Natur und Sachen vorzubeugen
oder im schlimmsten Falle einzudämmen,
ist die Wahrheit, dass die Atomenergie eine
Kraft ist, die – einmal entfesselt –
nicht zurückgehalten werden kann. Früher
oder später wird etwas Unerwartetes passieren.
Die Frage ist nicht ob, die Frage ist nur wann.
Die unmittelbaren und zukünftigen Risiken
der Desaster von Fukushima und Tschernobyl sollten
uns schon endgültig überzeugt haben,
dass die menschlichen und sozialen Kosten eines
Unfalls weit höher liegen als die Vorteile
der Ausbeutung des Uranatoms. Falls dies nicht
gereicht hat, fügen wir ein weiteres Beispiel
hinzu, das nicht weniger heikel und besorgniserregend
ist: Die Lagerung des radioaktiven Abfalls.
Wohin geht dieser Abfall? Welche Garantien geben
sie uns, dass er tatsächlich in Sicherheit
ist? Wie können wir überhaupt «Sicherheit»
definieren? Und – werden die Sicherheitsparameter
einmal definiert – wer garantiert uns,
dass sie eingehalten werden? Es gibt keine Garantien,
dass alle ihren Pflichten nachgehen und dass
der Müll an Orten gelagert wird, die uns
und denjenigen nach uns nicht schaden können.
Ausserdem können wir nicht davon ausgehen
– das zeigen uns die aktuellen Ereignisse
–, dass die Massnahmen ausreichen, um
das mystische «Null Risiko» zu erreichen,
auch wenn sie perfekt umgesetzt werden. Das
Unvorhersehbare wird früher oder später
eintreffen. Wir können dieses Risiko nicht
eingehen. Ohne zu übertreiben: Das Leben
auf unseren Planeten steht auf dem Spiel.
Der
Kapitalismus, der Kern des Problems
Diesen
Besorgnissen stehen die Interessen derjenigen
gegenüber, die sich für den Erhalt
des herrschenden Systems der Energieproduktion
und des Energieverbrauchs einsetzen. Es wird
behauptet, dass ohne Atomenergie unser Lebensstandard
nicht erhalten werden könne; die einzige
Alternative sei die Kontrolle des Konsums unserer
Haushalte; wir alle müssten auf etwas verzichten
oder aber mit schwerwiegenden Preiserhöhungen
rechnen.
Diese
Argumente – die vorgeben, «vernünftig»
zu sein – haben mehrere Ziele. Erstens
geht es darum, uns als Komplizen des Systems
und somit mitverantwortlich fühlen zu lassen,
um uns die Motivation und die Entschlossenheit
zu nehmen, gegen die Atomkraft zu kämpfen.
Zweitens wollen sie uns erpressen, indem sie
uns sagen, dass der gute Zustand unseres aktuellen
Produktions- und Wirtschaftssystems, von dem
unsere Arbeit und unser Einkommen abhängig
sind, nicht ohne diese Energiequelle überleben
kann.
Dem
setzen wir entgegen, dass der höchste Anteil
des Energiekonsums von den Unternehmen kommt
und nicht von uns; dass wir praktisch nie mitbestimmen
können, was wir wie produzieren wollen;
dass wir schliesslich nicht mitentscheiden können,
was verbraucht wird.
Der
Kapitalismus – in seiner Logik der Profitmaximierung
– ist gezwungen, stetig die Produktion
von Waren zu steigern, unabhängig davon,
ob diese Waren tatsächlich die realen Bedürfnisse
der Menschen befriedigen. Nicht alles, was in
diesem unvernünftigen Wirtschaftssystem
produziert wird, ist absolut notwendig und verbessert
unsere Lebensqualität. Im Gegenteil! Wir
denken zum Beispiel an Verpackungen gewisser
Waren, welche den Endpreis der Produkte belasten
und ökonomische und ökologische Kosten
verursachen, auch für ihre Entsorgung;
oder an die Produktion von Waffen, die das einzige
Ziel haben, Leben zu zerstören.
Dasselbe
gilt für die Arbeit: nicht alle Arbeiten
sind es wert, ausgeführt zu werden. Es
gibt einige, wie die Produktion von schädlichen
oder nutzlosen Waren, die lieber aufgehoben
werden, um unsere Tätigkeiten besser für
die Befriedigung unserer tatsächlichen
Bedürfnisse der Gesellschaft zu verteilen.
Wer
uns sagt, dass der Atomausstieg wirtschaftlich
nicht vertretbar ist, dem antworten wir, dass
dieses ökonomische System ökologisch,
menschlich und ethisch nicht tragbar ist. Hingegen
ist es gegenüber der jetzigen und zukünftigen
Menschheit unverantwortlich und kriminell, die
Atomkraft und das sie stützende wirtschaftliche
und soziale System zu verteidigen.
Den
sofortigen Atomausstieg zu fordern bedeutet
für uns, gleichzeitig das kapitalistische
Wirtschafts- und Sozialsystem in Frage zu stellen,
welches als einziges Ziel hat, das Kapital in
Wert zu setzen und nicht die sozialen Bedürfnisse
zu befriedigen.
Kämpfen
wir gegen die Atomkraft, kämpfen wir gegen
den Kapitalismus! |