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Der tendenzielle Anstieg der Ausbeutungsrate

Michel Husson aus Inprekorr Nr. 436/437, März / April 2008
Dieser Artikel ist das erste Kapitel eines Buchs, das unter dem Titel
Un pur capitalisme 2008 im Verlag Editions Page Deux erscheinen wird.


Das Hauptkennzeichen des globalisierten Kapitalismus seit Anfang der 1980er Jahre ist der sinkende Lohnanteil, mit anderen Worten der sinkende Anteil des Bruttoinlandsprodukts (BIP), den die Lohnabhängigen erhalten. Dieser Tendenz entspricht, in marxistischen Begriffen gesprochen, ein Anstieg der Ausbeutungsrate. Es handelt es sich um ein statistisch eindeutig belegbares Ergebnis, das für die meisten Länder des Nordens wie des Südens gilt.

STATISTISCH UNWIDERLEGBARE DATEN

Die von offiziellen Körperschaften erstellten Daten zeigen eine Gesamtentwicklung, die für alle Industriestaaten, die Europäische Union und Frankreich gilt. Ungeachtet aller Polemiken, die sich daran entzündet haben (siehe Kasten 1) handelt es sich um eine sowohl vom IWF als auch von der Europäischen Kommission anerkannte Tatsache. Ein kürzlich von der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich veröffentlichtes Dokument (Ellis Smith 2007) bestätigt, dass der tendenzielle Anstieg des Profitanteils (The global upward trend in the profit share) ein strukturelles Phänomen ist, das sich nicht auf konjunkturelle Fluktuationen zurückführen lässt. Die zeitliche Entwicklung verläuft in allen Fällen ähnlich: Bis zur Krise Mitte der 70er Jahre ist der Lohnanteil nahezu stabil, danach steigt er abrupt an. In der ersten Hälfte der 80er Jahre kehrt sich der Trend um: Der Lohnanteil sinkt und pendelt sich tendenziell auf einem historisch sehr tiefen Niveau ein.

Frankreich bildet keine Ausnahme, wie die nachfolgende Tabelle zeigt. Den jüngsten Daten des nationalen Statistikbüros Insee zufolge liegt der Anteil der Löhne am Unternehmensgewinn 2006 bei 65,8 %, gegenüber 74,2 % im Jahr 1982, was einem Rückgang von 8,4 Prozentpunkten entspricht. Gemäß Europäischer Kommission sank der Anteil der Löhne in der gesamten EU zwischen 1982 und 2006 um 9,3 Prozentpunkte von 66,5 % auf 57,2 %. Ein analoger Rückgang lässt sich in allen EULändern beobachten (8,6 Prozentpunkte). Weniger ausgeprägt scheint der Rückgang dagegen für die Gesamtheit der G7 zu sein, was insbesondere auf die Vereinigten Staaten zurückzuführen ist. Dieselbe Tendenz findet schließlich auch in aufstrebenden Ländern wie China, Mexiko und Thailand statt (Tabelle 1).

DER FALL DER VEREINIGTEN STAATEN

Die wichtigste Ausnahme in dieser Tendenz sind die Vereinigten Staaten und Großbritannien, wo der Lohnanteil langfristig im Wesentlichen unverändert geblieben ist. Diese Feststellung steht scheinbar in Widerspruch zur Darstellung, wonach diese beiden Länder führend in der neoliberalen Politik sind. So fallen die durchschnittlichen Lohnsteigerungen in Großbritannien höher aus als in Europa oder Frankreich. Am deutlichsten sieht man aber an den Vereinigten Staaten, wie die Dinge liegen. Dass in diesem Land die Lohnanteile so hoch geblieben sind, stellt insofern ein wirkliches Paradox dar, als die Kaufkraft der Bevölkerungsmehrheit nicht gestiegen ist oder zumindest wesentlich weniger als die Arbeitsproduktivität. Unter diesen Bedingungen sollte der Lohnanteil eigentlich schneller sinken als die zwischen 1980 und 2005 beobachteten 3,5 Prozentpunkte.

Das Rätsel wurde von den beiden Ökonomen Ian DewBecker und Robert Gordon gelüftet, die der Frage nachgegangen sind, wohin die Produktivität geht. Ihre Antwort ist simpel: Die Produktivitätsgewinne wurden größtenteils von einer dünnen Schicht an Nutznießern mit sehr hohen Löhnen aufgesogen. Deren Löhne sind derart hoch, dass sie als Aneignung des Profits betrachtet werden müssen, selbst wenn es sich formell noch um Löhne handelt. Hier werden also Kapitaleinkommen wie die berühmten stock options beiseite gelassen. Dieses Phänomen könnte als nebensächlich betrachtet werden, doch es nimmt in Wirklichkeit erhebliche Ausmaße an. So ist beispielsweise der Anteil, den das oberste Prozent der Bestverdienenden erhält, zwischen 1980 und 2005 von 4,4 % auf 8 % gestiegen. Das entspricht einer Aneignung von 3,6 Prozent des BIP. Für fünf Prozent der Bestverdienenden liegt der Anteil bei 5,3 Prozent. Zieht man diese sehr hohen Löhne ab, erhält man ein vergleichbares Ergebnis wie in der Europäischen Union (Grafik 2).

STREIT UM STATISTISCHE DATEN
Die Feststellung dieses Trends hat insbesondere in Frankreich Diskussionen und Kontroversen ausgelöst. Sie wird im Namen statistischer Spitzfindigkeiten angezweifelt, die hier rasch genauer untersucht werden sollen. Tatsächlich stellen sich bei der Erfassung des Lohnanteils vor allem zwei sich teilweise überschneidende Probleme: Erstens muss man entscheiden, ob man die Gesamtwirtschaft oder nur Nichtfinanzunternehmen in Betracht ziehen möchte, zu denen je nachdem Einzelfirmen im Nichtfinanzbereich hinzugezählt werden können. Zudem muss der Grad an Lohnarbeit, mit anderen Worten der Anteil von Lohnabhängigen an der Gesamtbeschäftigung, berücksichtigt werden. Wenn Selbständige im Lauf der Zeit durch Lohnabhängige ersetzt werden, wie dies in den meisten Ländern der Fall ist, steigt der Anteil der Löhne am Nationaleinkommen, ohne dass dies einer Verbesserung der relativen Situation der Einzelnen entspricht. Um mögliche Vergleiche zwischen verschiedenen Phasen und Ländern anstellen zu können, wird in europäischen Statistiken ein bereinigter Lohnanteil berechnet, bei dem den nicht lohnabhängigen Beschäftigten ein Lohn zugeordnet wird, der dem Durchschnittslohn entspricht. Damit wird der Durchschnittslohn mit dem BIP pro Beschäftigten verglichen. Die maßgeblichen Indikatoren sind also der Lohnanteil am gesellschaftlichen Mehrprodukt von Nichtfinanzunternehmen und der bereinigte Lohnanteil für die Gesamtwirtschaft. Der im Bereich von Nichtfinanzunternehmen berechnete Lohnanteil ist tatsächlich jener Anteil, für den die Begriffe der Lohnmasse und des Unternehmensmehrprodukts am treffendsten definiert sind. Die Probleme mit Einzelfirmen und selbständig Beschäftigten entfallen ebenso wie die Schwierigkeit, das Mehrprodukt im Versicherungs, Bankenund Staatssektor (Staat, Sozialversicherungen, Gemeinden) zu bestimmen. Der bereinigte Lohnanteil bietet den Vorteil, dass er das Problem der selbständig Beschäftigten berücksichtigt und annähernd vertrauenswürdige internationale Vergleiche zulässt.

GRÜNDE FÜR DIE TRENDUMKEHR

Für die Neoliberalen stellt diese Trendumkehr weitgehend ein Rätsel dar. In einem Interview für die Financial Times (Guha 2007) bemerkt Alan Greenspan, der ehemalige Präsident der USZentralbank, ebenfalls dieses „äußerst seltsame Kennzeichen“ des heutigen Kapitalismus: „Der Anteil der Löhne am Nationaleinkommen in den Vereinigten Staaten und anderen Industriestaaten hat einen im historischen Vergleich ausgesprochen tiefen Stand erreicht.“ Langfristig „tendiert der Reallohn dazu, parallel zur realen Produktivität zu steigen“. Das sei „über Generationen“ beobachtet gewesen, heute aber nicht mehr der Fall. Der Reallohn habe „abzuweichen“ begonnen aus Gründen, die nach Ansicht Greenspans nicht klar sind. Dieser „erwartet seit langem und noch immer“ eine Normalisierung der Verteilung zwischen Löhnen und Profiten und befürchtet gleichzeitig „den Verlust politischer Unterstützung für die freien Märkte, wenn die Durchschnittslöhne der amerikanischen Arbeiter nicht demnächst schneller wieder ansteigen.“

Dennoch wird in zahlreichen Texten versucht, sich mit dieser Tendenz zum Fall des Lohnanteils auseinanderzusetzen. Dafür werden zahlreiche Erklärungen bemüht: der Energiepreis, die Zinsrate, die höhere Kapitalintensität. Diese Erklärungen halten aber nicht stand:

  • Nicht alle Länder waren gleich betroffen von den Energiepreissteigerungen und der Erdölgegenschock 1986 brachte keine Trendumkehr;
  • Die Trendumkehr zu sinkenden Lohnanteilen fiel zwar mit der Explosion der Zinsraten zusammen und drückte tatsächlich auf die Löhne, doch dieser Faktor kann die langfristige Entwicklung nicht erklären und hätte seine Wirkung einbüßen müssen, als die Zinsraten wieder zu sinken begannen.
  • Das Sinken des Lohnanteils kann auch nicht durch im Verhältnis zur Arbeit höhere Kapitalinvestitionen erklärt werden, denn die Investitionsrate ist nicht gestiegen und ein zunehmender Anteil der Profite fließt in Finanzeinkommen.

Gemeinsam ist den Erklärungsversuchen, dass eine strikt wirtschaftliche Erklärung für ein zutiefst soziales Phänomen gesucht wird. Die allgemeine Entwicklung des Lohnanteils lässt sich wesentlich einfacher durch das Kräfteverhältnis zwischen den gesellschaftlichen Klassen erklären. Während der Jahre des Wirtschaftsaufschwungs vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis zur Krise Mitte der Siebzigerjahre war dieses relativ ausgeglichen, um dann plötzlich aus dem Gleichgewicht zu geraten.

Zuerst führte die Krise zu einer Steigerung des Lohnanteils, da das Lohnwachstum noch anhielt, während die Arbeitsproduktivität plötzlich einbrach. Die klassische Politik der Wirtschaftsankurbelung funktionierte nicht mehr, und die herrschenden Klassen verlegten sich daraufhin auf eine neue Strategie: Sie gaben die „keynesianische“ Politik auf und orientierten sich voll auf einen neoliberalen Kurs. Alle Hebel wurden in Bewegung gesetzt, insbesondere der Schock der Steigerung der Zinsraten und die Globalisierung, doch das wesentliche Werkzeug war die krisenbedingte steigende Arbeitslosigkeit. Die kapitalistische Führungselite stützte sich auf dieses Phänomen, um die Regeln der Lohnbildung grundlegend und brutal umzustoßen. Von einer Lohnnorm, in der die Löhne gleichzeitig mit der Produktivität stiegen, so dass der Lohnanteil nahezu konstant blieb, ging man zu einer neuen Regelung über, in der die Löhne schwächer stiegen als die Produktivität, die gegenüber den Wachstumsjahren selbst schwächer wuchs. Unter diesen Bedingungen flossen die Produktivitätsgewinne nicht mehr an die Lohnabhängigen, deren Kaufkraft blockiert wurde, sondern in die Profite; von da an sank der Lohnanteil.

Mit einer einfachen ökonometrischen Modellrechnung kann diese Interpretation gestützt werden (siehe Anhang 1 und 2). Sie zeigt, dass die Arbeitslosenrate eine entscheidende Rolle spielt und die vorherrschende Theorie von einer ausgeglichenen Arbeitslosenquote (Gleich-gewichtsarbeitslosigkeit) dieses Verhältnis zwischen Arbeitslosigkeit und Einkommensverteilung nur implizit abbildet.

ARBEITSLOSIGKEIT UND FINANZIALISIERUNG

Das Sinken des Lohnanteils führte zu einer spektakulären Wiederherstellung der durchschnittlichen Profitraten ab Mitte der 1980er Jahre. Gleichzeitig fluktuierte weiterhin die Akkumulationsrate auf niedrigerem Niveau als vor der Krise (Grafik 3). Mit anderen Worten wurde der Aderlass bei den Löhnen nicht genutzt, um mehr zu investieren. Der berühmte Ausspruch Schmidts, wonach „die Profite von heute die Investitionen von morgen und die Arbeitsplätze von übermorgen“ seien, hat nicht funktioniert. Der nicht investierte Profit wurde hauptsächlich in Form von Finanzprofiten verteilt. Die Kluft zwischen den von den Unternehmen herausgeschlagenen Profiten und jenem Anteil dieser Profite, der in Investitionen floss, ist daher ein guter Indikator für den Grad an Finanzialisierung, also dem Gewicht des Finanzsektors. Dabei lässt sich zeigen, dass sich die Arbeitslosigkeit parallel zur Finanzialisierung entwickelt (Grafik 4). Auch hierfür gibt es einen einfachen Grund: Die Finanzwelt konnte sich den Großteil der Produktivitätsgewinne auf Kosten der Löhne aneignen, deren Anteil sank.

Der beobachtete Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und Finanzialisierung kann die Interpretation des modernen Kapitalismus als finanzmarktlastig allerdings nicht rechtfertigen. Das Verhältnis zwischen Industrieund Finanzkapital hat sich zweifellos grundlegend verändert und lastet auf den Ausbeutungsbedingungen. Allerdings muss ein richtiger Zusammenhang zwischen den verschiedenen Phänomenen hergestellt werden. Man kann nicht eine autonome Tendenz zur Finanzialisierung behaupten, die losgelöst wäre vom normalen Funktionieren des „guten“ Industriekapitalismus. Damit würde man künstlich die Rolle des Finanzsektors loslösen vom Klassenkampf um die Aufteilung des gesellschaftlichen Mehrprodukts. Sobald die Profitrate dank Rückgangs der Löhne steigt, ohne rentable Akkumulationsmöglichkeiten zu schaffen, beginnt die Finanzwelt eine funktionelle Rolle in der Reproduktion zu spielen, indem sie Absatzalternativen zur kaufkräftigen Nachfrage seitens der Lohnempfänger bietet.

Diese Meinung, die ich seit langem vertrete (Husson 1997, 2006), wird durch die Berücksichtigung der Globalisierung bekräftigt. Unter diesem Gesichtspunkt ist die Hauptfunktion der Finanzwelt, so gut wie möglich die Schranken zwischen verschiedenen Verwertungsmöglichkeiten abzubauen. Sie trägt in diesem Sinn zur Entstehung eines Weltmarkts bei. Die große Stärke des Finanzkapitals besteht in Wirklichkeit darin, sich über geografische und Sektorgrenzen hinwegzusetzen, weil es sich die Mittel verschafft hat, sehr rasch von einer Wirtschaftszone auf die andere, von einem Sektor auf den anderen umzusatteln. Kapitalbewegungen finden unterdessen in wesentlich bedeutenderen Größenordnungen statt. Die Funktion der Finanzmärkte besteht hier darin, die Gesetze der Konkurrenz zu verschärfen, indem Kapitalverlagerungen verflüssigt werden. In Abwandlung einer Aussage von Marx zur Arbeit könnte man sagen, dass die globalisierte Finanz jener konkrete Abstraktionsprozess ist, der jedes individuelle Kapital einem Wertgesetz unterwirft, dessen Anwendungsbereich sich unablässig erweitert. Die Hauptcharakteristik des gegenwärtigen Kapitalismus besteht also nicht im Gegensatz zwischen Finanzund Industriekapital, sondern in einer aufgrund der Finanzialisierung extremen Konkurrenz zwischen Kapitalien.

Anhang 1: Ökonometrie der Verteilung

Die hier dargestellte Modellrechnung geht davon aus, dass der Grad der Koppelung des Lohns an die Produktivität von der Arbeitslosenrate abhängt. Die Lohnprogression hängt damit vom Produktivitätswachstum ab. Doch diese Koppelung lockert sich auf, wenn die Arbeitslosigkeit steigt. Da der Lohnanteil selbst von der relativen Lohnund Produktivitätsentwicklung abhängt, kann mit dieser Angleichung indirekt der Einfluss des Kräfteverhältnisses auf dem Arbeitsmarkt gemessen werden. Die erhaltene Schätzung für die gesamte Europäische Union bietet eine solide Grundlage, die es ermöglicht, die rückläufige Entwicklung des realen Lohnwachstums darzustellen.

Dieses Modell schreibt sich als Lohn = (a + b x Arbl) x Prod + c mit den Kenngrößen a,b,c und Lohn = Wachstumsrate des Reallohns
Arbl = Arbeitslosenrate
Prod = Wachstumsrate der Produktivität

Die Annahmen für die gesamte Europäische Union für den Zeitraum 1961–2006 führen zu folgender Schätzung:

Lohn = (1,156 – 0,159 AL) x Prod + 1,371
  (12,0) (6,8)   (4,4)

(Bei einer Arbeitslosigkeit von Arbl=6% und einem Wachstum von Prod=2% sagt die Formel eine Lohnsteigerung von Lohn= (1,156 – 0,159 * 6) * 2 + 1,371 = 1,775 Prozent jährlich voraus.
Die Zahlen in der unteren Zeile sind die tKoeffizienten der Schätzung; wenn sie größer als 2 sind, kann man annehmen, dass der jeweilige Parameter signifikant ist)


Anhang 2:

Gleichgewichtsarbeitslosigkeit und Verteilung Die vorherrschende Wirtschaftstheorie zieht das negative Verhältnis zwischen Arbeitslosigkeit und Lohn heran, um eine „Gleichgewichtsarbeitslosigkeit“, kurz Nairu (Non Accelerating Inflation Rate of Unemployment), zu bestimmen. Gemeint ist jene Arbeitslosenquote, ab der die Inflation angekurbelt wird. Sie errechnet sich durch Kombination der Lohnund der Preisgleichungen in einem makroökonomischen Standardmodell.

Die Lohngleichung besagt, dass das Wachstum des Nominallohns (w) von drei Elementen abhängt:

  • einer Kopplung an die Preissteigerungsrate (p), hier zu 100% angenommen
  • einem autonomen [von den anderen Größen bereinigten] Kaufkraftwachstum
  • einer Abhängigkeit (Kenngröße b) von der Arbeitslosenrate (U), die negativ auf das Lohnwachstum wirkt.

Diese Lohngleichung lautet also:
(1) w = p + a – bU

Die Preisgleichung beschreibt die Preisbildung, indem eine Verdienstspanne auf die Einheitslohnkosten (den Lohn pro Produkteinheit) angerechnet wird. Deren Entwicklung hängt von drei Faktoren ab:

  • dem Wachstum des Nominallohns (w);
  • dem Produktivitätswachstum (n);
  • der Entwicklung (und nicht der Höhe) der Verdienstspanne (m)

Die Formel für den Preis lautet folglich:
(2) p = w ? + m

Diese beiden Gleichungen bilden die so genannte PreisLohnSpirale.
Die Theoretiker erlauben sich, durch Kombination der Gleichungen (1) und (2) die Preise (p,w) zu eliminieren und berechnen die „Gleichgewichtsarbeitslosigkeit Nairu“ (U*) wie folgt:
(3) U* = (m + a - n)/ b

Die Argumentation ist dabei folgende: Sinkt die Arbeitslosenquote zu stark (unter den Nairu), steigt der Reallohn tendenziell schneller als die Produktivität, und die Unternehmen sind „gezwungen“, ihre Preise zu erhöhen, um ihre Gewinnspanne zu halten. Das werden sie so lange tun, bis es durch die zusätzliche Inflation gelingt, die Zunahme der Erwerbstätigkeit abzubremsen, mit anderen Worten einen Zuwachs an Arbeitslosigkeit zu schaffen, der die Arbeitslosenquote auf das NairuNiveau zurückführt. Der Nairu bildet somit tatsächlich eine „Gleichgewichtsrate“, insofern es sinnlos wäre zu versuchen, ihn gegen seine „Rückstellkraft“ zu unterschreiten.

Implizit wird bei diesen Überlegungen jedoch eine konstante Gewinnspanne vorausgesetzt, denn sonst würde eine Lohnerhöhung nicht automatisch zu einer Preiserhöhung führen, sondern sich in der Abnahme der Verdienstspanne ausdrücken. Die Theorie der Gleichgewichtsarbeitslosigkeit ist mit anderen Worten auch eine Theorie der Gleichgewichtsverdienstspanne. Der Nairu steht auch für eine „Arbeitslosenquote, die den Lohnanteil nicht erhöht“, jene Quote, unter der die Einkommensverteilung durch die Lohnprogression in Frage gestellt zu werden droht. Man könnte genauso gut von einer Theorie der „Gleichgewichts-ausbeutungsrate“ sprechen, die umso höher ist, je höher die Arbeitslosenquote und die Produktivitätsgewinne sind, sofern sich Letztere nicht voll auf die Löhne niederschlagen.

Quelle: http://hussonet.free.fr und Inprecor, Januar 2008.

Die elektronisch verfügbaren Quellen finden sich unter folgender Adresse http:// hussonet.free.fr/capur.htm.

Aus dem Französischen: Tigrib