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Mobilisieren wir uns zur Verteidigung des Service Public und der Arbeitsbedingungen !

Sie leeren die Kassen… und zerschlagen die sozialen Rechte der Lohnabhängigen

Seit über einem Jahrzehnt greifen die Unternehmer, der Bundesrat und die Kantonsregierungen die Rechte der Lohnabhängigen im öffentlichen und im staatlich subventionierten Sektor an. Die vereinigte helvetische Regierungsfamilie, von den SozialdemokratInnen über die Freisinnigen und ChristlichdemokratInnen bis zur SVP, senkt durch ihre Politik auch die Qualität der Dienstleistungen, was zu Lasten der Mehrheit der Bevölkerung geht. Das Prinzip des Service Public, unabhängig vom Einkommen der Benutzerinnen und Benutzer gleiche Leistungen für alle zu erbringen, wird immer mehr in Frage gestellt.

IHRE ZIELE

Welche Ziele verfolgen die Unternehmer und die Regierungen ? 1. Zunächst einmal geht es darum, die „Steuerbelastung“ der Kapitaleigentümer zu reduzieren. Die Zeche dafür werden die Lohnabhängigen bezahlen. Der Service Public dient dazu, allen Menschen den Zugang zu Dienstleistungen zu garantieren, die für unsere Lebensbedingungen wichtig sind. Zum Beispiel Bildung oder medizinische Versorgung von guter Qualität. Dies ist nur möglich, wenn diese Dienstleistungen unentgeltlich sind – zum Beispiel die Schule – oder zumindest deutlich

unter ihren Kosten angeboten werden. Die Differenz wird von der Allgemeinheit getragen, d.h. über Steuern finanziert. In diesem Sinne handelt es sich beim Service Public um einen Soziallohn, der in erster Linie den Personen mit bescheidenen Einkommen zu Gute kommt. Steuersenkungen üben einen starken Druck auf diesen Soziallohn aus. Die Kosten werden zunehmend auf die Benutzerinnen und Benutzer abgewälzt. Die Auswirkungen sind zum Beispiel im Gesundheitsbereich zu sehen : es entsteht eine Zweiklassenmedizin. Dasselbe bereitet economiesuisse, der Dachverband der Unternehmen, auch im Bildungswesen vor. Steuersenkungen für die Reichen führen also zu einer Senkung des Lebensstandards für die Mehrheit der Bevölkerung.

2. Darüber hinaus sollen neue Bereiche für den Profit des privaten Kapitals erschlossen werden. Dazu dient die Privatisierung der rentablen Sektoren, wie die Telekommunikation und bald auch schon die Post. Hinzu kommt, dass die Verschlechterung der Leistungen des Service Public einen Teil der Benutzerinnen und Benutzer dazu bewegt, sich dem privaten Sektor zuzuwenden. Zum Beispiel, wenn es um die Schulbildung ihrer Kinder geht. Aber auch bei der medizinischen Versorgung und Pflege : So werden die von der Zürcher Kantonsregierung angekündigten Massnahmen im Bereich der Grundversorgung – weniger Zeit für die Behandlung der Patientinnen und Patienten, Absenkung des Komforts, längere Wartezeiten – den Abschluss von Zusatzversicherungen (wer sich das leisten kann…) begünstigen. Profitieren werden davon die Eigentümer der Krankenkassen.

3.Nicht zuletzt wollen die Regierungen und ihre Herren – die Besitzer der grossen Unternehmen (Banken, Versicherungen, Industrie) – die Arbeitsbedingungen der Angestellten des öffentlichen Sektors angreifen. Zwei Ziele stehen im Zentrum dieses Vorhabens. Einerseits soll das „schlechte Beispiel“ der diesen Lohnabhängigen gewährten Rechte (vom Schutz gegen Entlassungen bis zu relativ guten Bedingungen bei der Altersvorsorge) ausradiert werden. Anderseits zielt die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen der Lohnabhängigen im öffentlichen Sektor mit relativ „stabiler“ Beschäftigung darauf ab, die Arbeitsbedingungen aller Lohnabhängigen nach unten zu ziehen. Dies zeigt sich zum Beispiel an der Politik des Kantons Zürich, der die Löhne der Staatsangestellten linear um 3 % kürzen will.


WAS TUT DIE SO GENANNTE „LINKE“ ?

Was tun die Verantwortlichen der so genannten „Linken“ in dieser Situation ? Sie beteiligen sich aktiv an der Umsetzung dieser Politik… An der Spitze der Post zum Beispiel, wo sie eifrig Postbüros schliessen. Aber auch in den Kantonsregierungen. In Zürich streicht die grüne Verena Diener das Angebot der öffentlichen Spitäler zusammen. Thomas Burgener von der SP schliesst das Spital von Martigny (VS). Pierre-Yves Maillard, der Kandidat der SP für den Regierungsrat im Kanton Waadt, hat sich bereits vor seiner Wahl dafür ausgesprochen, den jährlichen, altersbedingten Lohnanstieg des Personals in Frage zu stellen.

DIE POSITIONEN DER BFS

Die Bewegung für den Sozialismus (BFS) steht für eine andere Politik ein.

1. Die Politik der Budgetkürzungen ist Teil des Klassenkampfs der Herrschenden gegen die Lohnabhängigen : unerträgliche Arbeitszeiten und Druck am Arbeitsplatz, blockierte Löhne, zunehmende Beschäftigungsunsicherheit, Anstieg der Krankenkassenprämien ohne Ende, Reduktion des Mindestzinssatzes bei der 2. Säule der Altersvorsorge, Kürzungen der IV-Renten und der Fürsorge, Reduktion der Arbeitslosengelder, usw. Ein paar Demos (schon gar nicht einige „symbolische Aktionen“) werden nicht ausreichen, um die Politik der Regierungen zu stoppen. Die einzige Sprache, die sie verstehen werden, geht aus einer entschlossenen Mobilisierung hervor : streiken wir, alle gemeinsam !

2. Auf eidgenössischer Ebene rollt der nächste Angriff : Trotz der massiven Ablehnung des Steuerpakets am 16. Mai plant der Bundesrat neue Steuergeschenke für die Reichen. Vorgesehen ist eine Reduktion der Stempelsteuer (Immobilien- und Finanzgeschäfte) und der Unternehmensbesteuerung : ein Geschenk von mehr als 1 Milliarde für die Aktionäre ! Im Jahr 2003, als die Arbeitslosigkeit stark anstieg, haben die 25 grössten an der Börse kotierten Unternehmen der Schweiz ihren Aktionären 13.5 Milliarden Franken Dividenden ausbezahlt – 11 % mehr als im Vorjahr. Aber das reicht ihnen noch nicht ! Die Steuergeschenke werden als Argumente für weitere Kürzungen im öffentlichen Verkehr, bei der Bildung, im Gesundheitswesen, usw. eingesetzt werden. Alle Gewerkschaften, Vereine und linken Kräfte müssen gemeinsam das Referendum gegen die Pläne des Bundesrats ergreifen.

3. Eine Alternative zur Politik der leeren Kassen ist notwendig. Es gibt konkrete Vorschläge, um der Sezession der Reichen ein Ende zu setzen (siehe Seite 4 dieses Flugblatts). Aber zuerst muss etwas grundsätzlich festgehalten werden : Es ist die auf das Privateigentum der grossen Unternehmen, Banken und Versicherungen gestützte private Aneignung des Reichtums, die es den Herrschenden ermöglicht, sich ganz legal den Steuern zu entziehen und ohne Unterbruch ihre Drohung auszusprechen : entweder ihr bietet weitere Steuergeschenke an, oder wir gehen anderswohin. Der Wettlauf um Profite, der in der kapitalistischen Gesellschaft die private Aneignung des von den Lohnabhängigen produzierten Reichtums auf Schritt und Tritt begleitet, begünstigt ebenfalls die Politik des Abbaus beim Service Public. Alles muss zur Ware und Quelle von Profit werden – die Gesundheit, die Bildung, das Wasser, die Altersvorsorge, usw.

Wir wollen den Service Public verteidigen, ausweiten und verändern, wobei die demokratische Beteiligung der Beschäftigten und der Benutzerinnen und Benutzer bei der Definition der zu erreichenden Ziele von entscheidender Bedeutung ist. Dazu ist es notwendig, für öffentliche Eingriffe in die heilige Sphäre des Privateigentums, die uns immer mehr erdrückt, zu kämpfen.


Eine Politik der leeren Kassen im Dienste des Kapitals

Milliardendefizite, explodierende Staatsausgaben : diese alte Leier der Unternehmer und Regierungen haben wir schon Tausend Mal gehört. Was ist davon zu halten ? Was ist unsere Antwort darauf ?

WARUM GIBT ES ÖFFENTLICHE DEFIZITE ?

Öffentliche Defizite liegen in der Natur des kapitalistischen Systems. Sie werden in erster Linie durch die gesamte Logik dieses Systems verursacht : Die durch seine Funktionsweise verursachten Kosten (Transportinfrastrukturen, Schulbildung, usw.) werden weit gehend sozialisiert, d.h. durch die Allgemeinheit getragen, während die Profite in private Hände gelangen. Dieser Widerspruch liegt dem strukturellen Graben zu Grunde, der sich zwischen den Einnahmen und den Ausgaben des Staats auf tut. Defizite sind die Regel, Überschüsse die Ausnahme.

Ausserdem zeichnet sich das kapitalistische System dadurch aus, dass es immer wieder konjunkturelle Schwankungen (Wirtschaftskrisen) gibt. Bei jeder Rezession steigen die Defizite an. Zum einen werden die durch eine Krise verursachten, zusätzlichen Kosten zum Teil vom Staat getragen (Arbeitslosengeld, Invalidität, Fürsorge, usw.). Zum anderen sinken in einer Rezession die Steuereinnahmen, weil die Einkommen eines Teils der erwerbstätigen Bevölkerung zurückgehen.

Gegen den Fatalismus !

Dennoch fallen öffentliche Defizite nicht „vom Himmel“. Sie sind Ausdruck von vorherrschenden wirtschaftlichen und politischen Optionen, die wir bekämpfen. Dies zeigt sich am Beispiel der Schweiz seit Beginn der 1990er Jahre.

1. Die zahlreichen Entlassungen, die Angriffe auf die Löhne, usw. haben nicht nur die Profite der Unternehmer vergrössert, sondern auch die negativen Auswirkungen der Wirtschaftskrise auf die öffentlichen Haushalte verschärft.

2. Die restriktive Budgetpolitik des Staats, welche die bürgerlichen Kreise durchgesetzt haben, führte zu einer Vertiefung der Wirtschaftskrise. Zur Stagnation des Konsums der privaten Haushalte kam jene der öffentlichen Hand hinzu. Dies hatte zwangsläufig negative Auswirkungen auf die Konjunktur, die öffentlichen Defizite, die Arbeitslosigkeit…

3. Auch die Liberalisierung der Staatsbetriebe und ihre Umwandlung in neue Quellen von privatem Profit für das Kapital hat die Verschuldung des Staats erhöht. Laut Angaben des Eidgenössischen Finanzdepartements hat der Bund (bis Ende 2002) 20.3 Milliarden Franken für die Pensionskassen von Swisscom, SBB, Post und RUAG (Rüstungsunternehmen) bezahlt, und weitere 16.1 Milliarden stehen noch aus. Hinzu kommen die nach der Telekom-Privatisierung verspielten Milliarden : Laut Berechnungen hat die Swisscom bei ihren Abenteuern im Ausland (Übernahme von Unternehmen, usw.) beinahe 5 Milliarden Franken verloren.

4. In den Kantonen zeigt sich ein ähnliches Bild. Im Kanton Wallis sind laut offiziellen Angaben 3.754 Milliarden öffentliche Gelder in die staatlichen Pensionskassen geflossen. Anderswo haben die Kantonalbanken das Portemonnaie der lohnabhängigen Steuerzahler belastet. Zum Beispiel in Genf, wo der Steuerzahler 3 Milliarden bezahlen muss, um „seine“ Bank zu retten.

5. Schliesslich ist festzuhalten, dass sich in der Schweiz wie auch auf internationaler Ebene seit den 1970er Jahren eine Politik durchgesetzt hat, bei der es darum geht, die Steuern zu senken (insbesondere die Besteuerung des Kapitals), um die Entstehung und Vergrösserung der Defizite zu begünstigen. Diese Politik bezeichnen wir als Politik der leeren Kassen. Sie ist das Evangelium der vereinigten helvetischen Regierungsfamilie (siehe unten).

EIN SCHLARAFFENLAND… FÜR DIE UNTERNEHMER

Die Politik der leeren Kassen weist zwei eng miteinander verknüpfte Dimensionen auf : den Verzicht auf eine Infragestellung der Steuerprivilegien und sozialen Ungleichheiten ; eine aggressive Politik der Steuersenkung im Sinne einer „Sezession der Reichen“.

In der Schweiz verfügen die Reichen seit jeher über unzählige Steuerprivilegien. Sie profitieren von derart vielen Abzügen und Schlupflöchern, dass ihr Beitrag zur Finanzierung der öffentlichen Haushalte… äusserst symbolischer Art ist. Zum Beispiel „können 480 Zürcher Millionäre ein steuerbares Einkommen von weniger als 50’000 Franken deklarieren“ (L’Hebdo, 12.8.2004). Einen entscheidenden Vorteil bietet der extreme Föderalismus, der zu einem systematischen Steuerdumping führt. In der Gemeinde Freienbach im Kanton Schwyz, wo Industrielle wie Dieter Bührle oder Stephan Schmidheiny ihren Wohnsitz haben, liegt zum Beispiel der Steuersatz für eine ledige Person mit einem Einkommen von einer Million Franken unter dem Niveau, das für ein Einkommen von 30’000 Franken in Basel, Fribourg oder Luzern gilt…

In den vergangenen Jahren haben die Unternehmer und ihre Wasserträger diese Privilegien erfolgreich verteidigt. Sie haben auch die Übertragung von Ressourcen der Schweizerischen Nationalbank (SNB) in die öffentlichen Haushalte auf ein Minimum begrenzt. Die SNB ist immer den Grundsätzen der Politik der leeren Kassen gefolgt. Sie hat immer nur einen ganz kleinen Teil ihrer tatsächlichen Gewinne verteilt und ihre Reserven absichtlich mit wenig Rendite verwaltet, um die Zahlungen an Bund und Kantone klein zu halten. Laut Professor Thomas von Ungern- Sternberg (Uni Lausanne) hat allein der Kanton Waadt „in den letzten 10 Jahren dadurch etwa 1 Milliarde Franken an Einnahmen verloren“.

Sezession der Reichen

Doch damit nicht genug. Seit den 1980er Jahren haben die Reichen eine aggressive Politik der Steuersenkungen zu ihren Gunsten vorangetrieben. Die Direkte Bundessteuer wurde in den Jahren 1985 und 1987 gesenkt. Kurt Grüter von der Eidgenössischen Steuerverwaltung hielt 1993 fest, dass „die Einnahmeausfälle für den Bund auf Grund der Steuersenkungen seit 1985 und des Ausgleichs der Kalten Progression auf etwa 2 Milliarden Franken geschätzt werden“ (Die Volkswirtschaft, 5 / 1993).

Diese Einbussen haben wesentlich dazu beigetragen, dass der Bundeshaushalt zu Beginn der 1990er Jahre sofort in die roten Zahlen abrutschte, als die ersten Zeichen der Krise auftraten. Dennoch haben die bürgerlichen Kreise ihre Politik der Steuersenkungen fortgesetzt. 1993 und 1996 wurde die Stempelsteuer gesenkt. Ausserdem haben sie die Einführung der Mehrwertsteuer durchgesetzt, auf Grund derer eine Steuerlast von etwa 2.5 Milliarden Franken auf die Lohnabhängigen verlagert wurde, während die Industriellen von der Abschaffung der so genannten Schattensteuer (taxe occulte) profitierten.

Seit Ende 1997 ist das Wirtschaftswachstum in der Schweiz gestiegen, und die Situation der öffentlichen Haushalte hat sich verbessert. Die Unternehmerverbände und ihre Vertreter in den politischen Gremien haben davon profitiert und ihre Offensive beschleunigt. So wurde 1998 auf Bundesebene die proportionale Gewinnsteuer für die Unternehmen eingeführt, die Kapitalsteuer abgeschafft und die Emissionsabgabe auf Beteiligungsrechte um die Hälfte reduziert.

„Kein anderes Land ist so attraktiv“

Das Ergebnis liegt auf der Hand : Ein aktueller Bericht des Bundesrats hält fest, dass die direkte Steuerbelastung der juristischen Personen in den letzten zwei Jahrzehnten deutlich gesunken ist. In dem Bericht wird die Entwicklung zwischen 1977 und 2000 der Besteuerung eines Unternehmens mit einem Kapital (inkl. Reserven) von 100’000 Franken und einem Gewinn von 30’000 Franken (im Jahr 1977) analysiert. Im Kanton Zürich wäre demnach die Steuerbelastung dieses Unternehmens von 38.1 % auf 25.5 % gesunken, im Kanton Bern von 32.8 % auf 19.3 %. Und vergessen wir nicht, dass die Unternehmen in der Schweiz in den Genuss von grosszügigen Regeln betreffend die Abschreibung von Investitionen (Amortisation) kommen, was sich ebenfalls vorteilhaft auf ihre Steuererklärungen auswirkt. Darüber hinaus gewähren die Kantone neuen Unternehmen oft mehrere Jahre lang Steuererleichterungen oder sogar die vollständige Befreiung von den Steuern…

Was die Finanzzeitung AGEFI festhält, ist deshalb eine unbestrittene Realität : „Kein Land ist so attraktiv“ wie die Schweiz im Bereich der Unternehmensbesteuerung (AGEFI, 27.1.2004).

Ein anderer Bericht des Bundesrats zeigt, dass auch die Besteuerung der hohen Einkommen gesunken ist. Das gilt insbesondere für die Direkte Bundessteuer. 1985 lag der Steuersatz für ein Jahreseinkommen von 130’000 Franken bei 5.6 %. 2001 lag der entsprechende Satz für dasselbe Einkommen (inflationsbereinigt) bei nur noch 4.7 %. Für ein Einkommen von 260’000 Franken ist die Steuerbelastung im selben Zeitraum von 8.8 % auf 8.1 % gesunken.

Diese Politik der leeren Kassen führte im Zusammenspiel mit dem erneuten wirtschaftlichen Abschwung zwangsläufig erneut zu öffentlichen Defiziten. Dies ist beim Bund seit 2001 der Fall. Eine ähnliche Entwicklung hat in den Kantonen stattgefunden. Dieselbe Politik der Steuersenkungen führte zum selben Ergebnis. Die Erbschaftssteuer wurde in einem Kanton nach dem andern abgeschafft. Oft wurden die Steuersenkungen noch rascher durchgeführt als auf Bundesebene. Nehmen wir nur ein Beispiel : Im Kanton Waadt haben Steuersenkungen zwischen 1987 und 1997 zu Ausfällen von 3.6 Milliarden Franken geführt. Bis im Jahr 2000 lag dieser Betrag etwa bei 4 Milliarden – 10 Mal höher als das Defizit dieses Jahres !

 

UNTERENTWICKELTE ÖFFENTLICHE DIENSTE, BEGRENZTE DEFIZITE

In der Schweiz sind die öffentlichen Dienste im Vergleich mit den anderen europäischen Ländern unterentwickelt. Dies zeigen alle verfügbaren Indikatoren auf.

• Die Staatsquote erfasst das Verhältnis zwischen der Gesamtheit der öffentlichen Ausgaben (einschliesslich der Sozialversicherungen) und dem Bruttoinlandprodukt (BIP) eines Landes. Sie liegt in der Schweiz mit 38 % deutlich unter dem Durchschnitt der OECDLänder von 40.3 % (die OECD besteht aus den 30 führenden Industrieländern der Welt). Der Unterschied zu den Ländern der Euro- Zone, in denen die durchschnittliche Staatsquote 48.3 % beträgt, fällt noch viel deutlicher aus.

• Noch interessanter ist die Steuerquote, welche das Verhältnis zwischen den gesamten Steuereinnahmen (einschliesslich der Lohnabzüge) und dem BIP erfasst. Der Bundesrat hat kürzlich festgehalten, dass die Steuerquote der Schweiz mit 31.3 % weiterhin unter dem Durchschnitt der OECDLänder liegt. Der Vergleich mit den EU-Ländern fällt noch günstiger aus, denn die Schweiz weist nach Irland die tiefste Steuerquote Europas aus.

„Die gesündesten Staatsfinanzen Europas“

Diese Überschrift der Zeitung La Liberté fasst den Zustand der Staatsfinanzen in der Schweiz gut zusammen. Dies zeigen die internationalen Vergleiche des Bundesamts für Statistik und der Eidgenössischen Steuerverwaltung.

• Betreffend das Verhältnis des Budgetdefizits zum BIP hat die Schweiz im Gegensatz zu den meisten europäischen Ländern die 3 %-Schwelle nie überschritten, auch nicht in Zeiten der Rezession.

• Laut dem Maastricht-Vertrag der EU darf die Staatsverschuldung 60 % des BIP nicht überschreiten. Die Schweiz liegt bei 52 %. Das ist einer der tiefsten Werte in Europa : Frankreich und Deutschland haben 60 % überschritten, Italien und Belgien liegen bei 110 %.

Und der Schuldenberg?

Tag für Tag hören wir die Leier vom unerträglichen Schuldenberg, der auf den öffentlichen Haushalten lastet. Doch der ehemalige SPS-Präsident Peter Bodenmann weist richtig darauf hin, „dass man die Schulden immer mit den Aktiven (dem Vermögen) vergleichen muss, um ein objektives Bild der Lage zu gewinnen. Wenn die Aktiven des Bundes, der Kantone und der Gemeinden zusammengezählt werden sehen wir, dass der Schuldenberg des Bundes von 125 Milliarden nicht einmal 50 % davon darstellt. Auch die kumulierten Aktiven der SNB und der Kantonalbanken übertreffen die Verschuldung bei weitem. Und das Kapital der 2. Säule ist 5 Mal höher als dieser Schuldenberg. Insgesamt hat die Schweiz also gar keine Schulden.“ (L’Hebdo, 8.1.2004)

Dasselbe gilt für den Schuldendienst (die Zinsen, die der Staat bezahlt). Sie müssen mit den Einkünften des Staates aus seinem Vermögen verglichen werden. Gemäss Berechnungen des Forschungsinstituts KOF an der ETH Zürich deckten die Kapitaleinkünfte des Staates in den Jahren 1990 bis 2000 ca. 87 % des Schuldendienstes, 2001 sogar 100 %. Man kann deshalb davon ausgehen, dass der Wert des staatlichen Vermögens etwa den Staatsschulden entspricht (Die Volkswirtschaft, 2 / 2004).

Schliesslich behauptet die neoliberale Doktrin, der Anstieg der öffentlichen Defizite erschüttere das Vertrauen der Kapitalmärkte in die staatlichen Institutionen, weshalb diese höhere Zinsen bezahlen müssten. In der Schweiz ist davon allerdings gar nichts zu sehen : Der Staat kann Kredite zu sehr tiefen Zinsen aufnehmen. Die durchschnittliche Verzinsung der Schulden des Bundes lag Ende 2003 bei 3.33 %, im Vergleich zu 3.49 % Ende 2002 – d.h. so tief wie nie seit 1970 (Die Volkswirtschaft, 8 / 2004). Sogar die Lage der am meisten verschuldeten Kantone ist bei weitem nicht dramatisch : „Der Kauf von Schuldtiteln der Kantone Waadt und Genf ist bei den Institutionellen Anlegern (Pensionsund Anlagefonds) sehr beliebt. Die beiden Kantone kommen in den Genuss von vorzüglichen Konditionen der Refinanzierung.“ (Le Temps, 17.7.2004)



Für eine wirkliche Steuerreform !

Auch wenn das Ausmass der öffentlichen Defizite und Schulden in der Schweiz alles andere als dramatisch ist, handelt es sich dennoch um Mechanismen, durch die Reichtum zu Lasten der lohnabhängigen Steuer-zahler umverteilt wird, denn diese finanzieren über die Steuern den Schuldendienst mit. Die Staatsschulden gehören den Eigentümern von Obligationen, die Jahr für Jahr Zinsen einstreichen. Hinzu kommen die Banken, die bei diesem ganzen Geschäft lukrative Kommissionen einneh-men... Anders gesagt leiht die öffentliche Hand heute bei den Kapitaleigentümern Geld aus, um ihre Ausgaben zu finanzieren, anstatt von ihnen Steuern zu erheben. Die Banken nehmen dabei eine Vermittlerrolle ein. Die Reichsten gewinnen bei dieser Politik gleich zwei Mal : als Steuerzahler und als Anleger !

Zugleich werden Defizite und Schulden dazu benutzt, um den Service Public abzubauen und zu verhindern, dass er seine Rolle als Garant von bestimmten Rechten (auf Bildung, medizinische Versorgung, usw.) wahrnehmen kann. Deshalb ist eine umfassende Alternative zu dieser Politik der leeren Kassen notwendig. Dabei dürfen wir die Augen vor der Realität nicht verschliessen : gute öffentliche Dienstleistungen lassen sich nur entwickeln und finanzieren, wenn die zunehmende Kontrolle einer kleinen Minderheit von Eigentümern, von Kapitalisten, über die wichtigsten Ressourcen und den Reichtum der Gesellschaft in Frage gestellt wird. Jede wirkliche Steuerreform muss dieser Herausforderung gerecht werden und von einer entsprechenden Bewusstseinsentwicklung und sozialen Mobilisierung begleitet und getragen werden. Dazu einige Hinweise.

1. Die Steuerhinterziehung muss ernsthaft bekämpft werden. Sie nimmt inzwischen ein enormes Ausmass an, wie der ultraliberale Klaus J. Stöhlker bestätigt : „Ich habe kürzlich in der Westschweiz mit Steuerexperten gegessen, die der Meinung sind, dass höchstens noch 10 % bis 30 % des Vermögens deklariert werden.“ (Le Temps, 22.7.2002) Der Kampf gegen die Steuerhinterziehung erfordert die Abschaffung des Bankgeheimnisses und einen Ausbau der Ressourcen der Steuerämter.

2. Die „Löcher“ im Steuersystem, die es den privilegierten Kreisen ermöglichen, ganz legal keine Steuern zu bezahlen, müssen geschlossen werden. Zum Beispiel sollten die im Rahmen der 2. und 3. Säule (Lebensversicherungen) der Altersvorsorge gewährten Steuerprivilegien ebenso abgeschafft werden wie die besonderen Steuerregelungen für vermögende Personen und die Steuergeschenke an Unternehmen.

3. Eine Steuer auf spekulative Kapitalbewegungen und auf die Verwaltung des den Banken anvertrauten Vermögens auf europäischer Ebene sollte ebenso eingeführt werden wie eine eidgenössische Kapitalgewinnsteuer.

4. Eine Bundessteuer auf Erbschaften und Schenkungen ist ebenfalls anzustreben. Wie Professor Marius Brülhart von der Uni Lausanne (HEC) betont, würde „diese Steuer allein ausreichen, um die Finanzierungslücke bei der Invalidenversicherung zu schliessen.“ (Le Temps 9.8.2004)

5. Notwendig ist auch eine materielle Harmonisierung der kantonalen Einkommens- und Vermögenssteuern, die sich nur in einem sehr engen Rahmen unterscheiden sollten. In den Kantonen müsste zudem ein einheitlicher Steuerfuss gelten, unabhängig von der Wohngemeinde. Die Herrschenden haben ein regelrechtes System des Steuerwettbewerbs entwickelt, das von der internationalen Ebene – zum Beispiel zwischen den EU-Ländern – bis hinunter zum Wettlauf zwischen Kantonen und Gemeinden im Rahmen des schweizerischen Föderalismus reicht. Diese Dynamik muss gebrochen werden, um der heutigen Sezession der Reichen ein Ende setzen zu können.

6. Die Mehrwertsteuer ist abzuschaffen. Es handelt sich um eine antisoziale Steuer, welche die mittleren und kleinen Einkommen über Gebühr belastet. Dagegen sollte die Direkte Bundessteuer auf Einkommen erhöht und zugleich auf Vermögen ausgedehnt werden.