WAS
TUT DIE SO GENANNTE „LINKE“ ?
Was
tun die Verantwortlichen der so genannten „Linken“
in dieser Situation ? Sie beteiligen sich aktiv
an der Umsetzung dieser Politik… An der
Spitze der Post zum Beispiel, wo sie eifrig
Postbüros schliessen. Aber auch in den
Kantonsregierungen. In Zürich streicht
die grüne Verena Diener das Angebot der
öffentlichen Spitäler zusammen. Thomas
Burgener von der SP schliesst das Spital von
Martigny (VS). Pierre-Yves Maillard, der Kandidat
der SP für den Regierungsrat im Kanton
Waadt, hat sich bereits vor seiner Wahl dafür
ausgesprochen, den jährlichen, altersbedingten
Lohnanstieg des Personals in Frage zu stellen.
DIE
POSITIONEN DER BFS
Die
Bewegung für den Sozialismus (BFS) steht
für eine andere Politik ein.
1.
Die Politik der Budgetkürzungen ist Teil
des Klassenkampfs der Herrschenden gegen die
Lohnabhängigen : unerträgliche
Arbeitszeiten und Druck am Arbeitsplatz, blockierte
Löhne, zunehmende Beschäftigungsunsicherheit,
Anstieg der Krankenkassenprämien ohne Ende,
Reduktion des Mindestzinssatzes bei der 2. Säule
der Altersvorsorge, Kürzungen der IV-Renten
und der Fürsorge, Reduktion der Arbeitslosengelder,
usw. Ein paar Demos (schon gar nicht einige
„symbolische Aktionen“) werden nicht
ausreichen, um die Politik der Regierungen zu
stoppen. Die einzige Sprache, die sie
verstehen werden, geht aus einer entschlossenen
Mobilisierung hervor : streiken wir, alle gemeinsam
!
2.
Auf eidgenössischer Ebene rollt der nächste
Angriff : Trotz der massiven Ablehnung des Steuerpakets
am 16. Mai plant der Bundesrat neue
Steuergeschenke für die Reichen. Vorgesehen
ist eine Reduktion der Stempelsteuer (Immobilien-
und Finanzgeschäfte) und der Unternehmensbesteuerung
: ein Geschenk von mehr als 1 Milliarde für
die Aktionäre ! Im Jahr 2003,
als die Arbeitslosigkeit stark anstieg, haben
die 25 grössten an der Börse kotierten
Unternehmen der Schweiz ihren Aktionären
13.5 Milliarden Franken Dividenden ausbezahlt
– 11 % mehr als im Vorjahr. Aber das reicht
ihnen noch nicht ! Die Steuergeschenke werden
als Argumente für weitere Kürzungen
im öffentlichen Verkehr, bei der Bildung,
im Gesundheitswesen, usw. eingesetzt werden.
Alle Gewerkschaften, Vereine und linken
Kräfte müssen gemeinsam das Referendum
gegen die Pläne des Bundesrats ergreifen.
3.
Eine Alternative zur Politik der leeren Kassen
ist notwendig. Es gibt konkrete Vorschläge,
um der Sezession der Reichen ein Ende zu setzen
(siehe Seite 4 dieses Flugblatts). Aber zuerst
muss etwas grundsätzlich festgehalten werden
: Es ist die auf das Privateigentum
der grossen Unternehmen, Banken und Versicherungen
gestützte private Aneignung des Reichtums,
die es den Herrschenden ermöglicht, sich
ganz legal den Steuern zu entziehen
und ohne Unterbruch ihre Drohung auszusprechen
: entweder ihr bietet weitere Steuergeschenke
an, oder wir gehen anderswohin. Der Wettlauf
um Profite, der in der kapitalistischen Gesellschaft
die private Aneignung des von den Lohnabhängigen
produzierten Reichtums auf Schritt und Tritt
begleitet, begünstigt ebenfalls die Politik
des Abbaus beim Service Public. Alles muss zur
Ware und Quelle von Profit werden – die
Gesundheit, die Bildung, das Wasser, die Altersvorsorge,
usw.
Wir
wollen den Service Public verteidigen, ausweiten
und verändern, wobei die demokratische
Beteiligung der Beschäftigten und der Benutzerinnen
und Benutzer bei der Definition der zu erreichenden
Ziele von entscheidender Bedeutung ist. Dazu
ist es notwendig, für öffentliche
Eingriffe in die heilige Sphäre des Privateigentums,
die uns immer mehr erdrückt, zu kämpfen.
Eine
Politik der leeren Kassen im Dienste des Kapitals
Milliardendefizite,
explodierende Staatsausgaben : diese alte Leier
der Unternehmer und Regierungen haben wir schon
Tausend Mal gehört. Was ist davon zu halten
? Was ist unsere Antwort darauf ?
WARUM GIBT ES ÖFFENTLICHE DEFIZITE
?
Öffentliche
Defizite liegen in der Natur des kapitalistischen
Systems. Sie werden in erster Linie
durch die gesamte Logik dieses Systems verursacht
: Die durch seine Funktionsweise verursachten
Kosten (Transportinfrastrukturen, Schulbildung,
usw.) werden weit gehend sozialisiert, d.h.
durch die Allgemeinheit getragen, während
die Profite in private Hände gelangen.
Dieser Widerspruch liegt dem strukturellen Graben
zu Grunde, der sich zwischen den Einnahmen und
den Ausgaben des Staats auf tut. Defizite sind
die Regel, Überschüsse die Ausnahme.
Ausserdem
zeichnet sich das kapitalistische System dadurch
aus, dass es immer wieder konjunkturelle Schwankungen
(Wirtschaftskrisen) gibt. Bei jeder
Rezession steigen die Defizite an. Zum einen
werden die durch eine Krise verursachten, zusätzlichen
Kosten zum Teil vom Staat getragen (Arbeitslosengeld,
Invalidität, Fürsorge, usw.). Zum
anderen sinken in einer Rezession die Steuereinnahmen,
weil die Einkommen eines Teils der erwerbstätigen
Bevölkerung zurückgehen.
Gegen
den Fatalismus !
Dennoch
fallen öffentliche Defizite nicht „vom
Himmel“. Sie sind Ausdruck von
vorherrschenden wirtschaftlichen und politischen
Optionen, die wir bekämpfen. Dies zeigt
sich am Beispiel der Schweiz seit Beginn der
1990er Jahre.
1.
Die zahlreichen Entlassungen, die Angriffe auf
die Löhne, usw. haben nicht nur die Profite
der Unternehmer vergrössert, sondern auch
die negativen Auswirkungen der Wirtschaftskrise
auf die öffentlichen Haushalte verschärft.
2.
Die restriktive Budgetpolitik des Staats, welche
die bürgerlichen Kreise durchgesetzt haben,
führte zu einer Vertiefung der Wirtschaftskrise.
Zur Stagnation des Konsums der privaten Haushalte
kam jene der öffentlichen Hand hinzu. Dies
hatte zwangsläufig negative Auswirkungen
auf die Konjunktur, die öffentlichen Defizite,
die Arbeitslosigkeit…
3.
Auch die Liberalisierung der Staatsbetriebe
und ihre Umwandlung in neue Quellen von privatem
Profit für das Kapital hat die Verschuldung
des Staats erhöht. Laut Angaben des Eidgenössischen
Finanzdepartements hat der Bund (bis Ende 2002)
20.3 Milliarden Franken für die Pensionskassen
von Swisscom, SBB, Post und RUAG (Rüstungsunternehmen)
bezahlt, und weitere 16.1 Milliarden stehen
noch aus. Hinzu kommen die nach der Telekom-Privatisierung
verspielten Milliarden : Laut Berechnungen hat
die Swisscom bei ihren Abenteuern im Ausland
(Übernahme von Unternehmen, usw.) beinahe
5 Milliarden Franken verloren.
4.
In den Kantonen zeigt sich ein ähnliches
Bild. Im Kanton Wallis sind laut offiziellen
Angaben 3.754 Milliarden öffentliche Gelder
in die staatlichen Pensionskassen geflossen.
Anderswo haben die Kantonalbanken das Portemonnaie
der lohnabhängigen Steuerzahler belastet.
Zum Beispiel in Genf, wo der Steuerzahler 3
Milliarden bezahlen muss, um „seine“
Bank zu retten.
5.
Schliesslich ist festzuhalten, dass sich in
der Schweiz wie auch auf internationaler Ebene
seit den 1970er Jahren eine Politik durchgesetzt
hat, bei der es darum geht, die Steuern zu senken
(insbesondere die Besteuerung des Kapitals),
um die Entstehung und Vergrösserung der
Defizite zu begünstigen. Diese Politik
bezeichnen wir als Politik der leeren Kassen.
Sie ist das Evangelium der vereinigten helvetischen
Regierungsfamilie (siehe unten).
EIN
SCHLARAFFENLAND… FÜR DIE UNTERNEHMER
Die
Politik der leeren Kassen weist zwei eng miteinander
verknüpfte Dimensionen auf : den Verzicht
auf eine Infragestellung der Steuerprivilegien
und sozialen Ungleichheiten ; eine aggressive
Politik der Steuersenkung im Sinne einer „Sezession
der Reichen“.
In
der Schweiz verfügen die Reichen seit jeher
über unzählige Steuerprivilegien.
Sie profitieren von derart vielen Abzügen
und Schlupflöchern, dass ihr Beitrag zur
Finanzierung der öffentlichen Haushalte…
äusserst symbolischer Art ist. Zum Beispiel
„können
480 Zürcher Millionäre ein steuerbares
Einkommen von weniger als 50’000 Franken
deklarieren“ (L’Hebdo,
12.8.2004). Einen entscheidenden Vorteil bietet
der extreme Föderalismus, der zu einem
systematischen Steuerdumping führt. In
der Gemeinde Freienbach im Kanton Schwyz, wo
Industrielle wie Dieter Bührle oder Stephan
Schmidheiny ihren Wohnsitz haben, liegt zum
Beispiel der Steuersatz für eine ledige
Person mit einem Einkommen von einer Million
Franken unter dem Niveau, das für ein Einkommen
von 30’000 Franken in Basel, Fribourg
oder Luzern gilt…
In
den vergangenen Jahren haben die Unternehmer
und ihre Wasserträger diese Privilegien
erfolgreich verteidigt. Sie haben auch die Übertragung
von Ressourcen der Schweizerischen Nationalbank
(SNB) in die öffentlichen Haushalte auf
ein Minimum begrenzt. Die SNB ist immer den
Grundsätzen der Politik der leeren Kassen
gefolgt. Sie hat immer nur einen ganz kleinen
Teil ihrer tatsächlichen Gewinne verteilt
und ihre Reserven absichtlich mit wenig Rendite
verwaltet, um die Zahlungen an Bund und Kantone
klein zu halten. Laut Professor Thomas von Ungern-
Sternberg (Uni Lausanne) hat allein der Kanton
Waadt „in den letzten 10 Jahren dadurch
etwa 1 Milliarde Franken an Einnahmen verloren“.
Sezession
der Reichen
Doch
damit nicht genug. Seit den 1980er Jahren haben
die Reichen eine aggressive Politik der Steuersenkungen
zu ihren Gunsten vorangetrieben. Die
Direkte Bundessteuer wurde in den Jahren 1985
und 1987 gesenkt. Kurt Grüter von der Eidgenössischen
Steuerverwaltung hielt 1993 fest, dass „die
Einnahmeausfälle für den Bund auf
Grund der Steuersenkungen seit 1985 und des
Ausgleichs der Kalten Progression auf etwa 2
Milliarden Franken geschätzt werden“
(Die Volkswirtschaft, 5 / 1993).
Diese Einbussen haben wesentlich dazu beigetragen,
dass der Bundeshaushalt zu Beginn der 1990er
Jahre sofort in die roten Zahlen abrutschte,
als die ersten Zeichen der Krise auftraten.
Dennoch haben die bürgerlichen Kreise ihre
Politik der Steuersenkungen fortgesetzt. 1993
und 1996 wurde die Stempelsteuer gesenkt. Ausserdem
haben sie die Einführung der Mehrwertsteuer
durchgesetzt, auf Grund derer eine Steuerlast
von etwa 2.5 Milliarden Franken auf die Lohnabhängigen
verlagert wurde, während die Industriellen
von der Abschaffung der so genannten Schattensteuer
(taxe occulte) profitierten.
Seit
Ende 1997 ist das Wirtschaftswachstum in der
Schweiz gestiegen, und die Situation der öffentlichen
Haushalte hat sich verbessert. Die Unternehmerverbände
und ihre Vertreter in den politischen Gremien
haben davon profitiert und ihre Offensive beschleunigt.
So wurde 1998 auf Bundesebene die proportionale
Gewinnsteuer für die Unternehmen eingeführt,
die Kapitalsteuer abgeschafft und die Emissionsabgabe
auf Beteiligungsrechte um die Hälfte reduziert.
„Kein
anderes Land ist so attraktiv“
Das
Ergebnis liegt auf der Hand : Ein aktueller
Bericht des Bundesrats hält fest, dass
die direkte Steuerbelastung der juristischen
Personen in den letzten zwei Jahrzehnten deutlich
gesunken ist. In dem Bericht wird die Entwicklung
zwischen 1977 und 2000 der Besteuerung eines
Unternehmens mit einem Kapital (inkl. Reserven)
von 100’000 Franken und einem Gewinn von
30’000 Franken (im Jahr 1977) analysiert.
Im Kanton Zürich wäre demnach die
Steuerbelastung dieses Unternehmens von 38.1
% auf 25.5 % gesunken, im Kanton Bern von 32.8
% auf 19.3 %. Und vergessen wir nicht, dass
die Unternehmen in der Schweiz in den Genuss
von grosszügigen Regeln betreffend die
Abschreibung von Investitionen (Amortisation)
kommen, was sich ebenfalls vorteilhaft auf ihre
Steuererklärungen auswirkt. Darüber
hinaus gewähren die Kantone neuen Unternehmen
oft mehrere Jahre lang Steuererleichterungen
oder sogar die vollständige Befreiung von
den Steuern…
Was
die Finanzzeitung AGEFI festhält, ist deshalb
eine unbestrittene Realität : „Kein
Land ist so attraktiv“ wie die Schweiz
im Bereich der Unternehmensbesteuerung (AGEFI,
27.1.2004).
Ein
anderer Bericht des Bundesrats zeigt, dass auch
die Besteuerung der hohen Einkommen gesunken
ist. Das gilt insbesondere für die Direkte
Bundessteuer. 1985 lag der Steuersatz für
ein Jahreseinkommen von 130’000 Franken
bei 5.6 %. 2001 lag der entsprechende Satz für
dasselbe Einkommen (inflationsbereinigt) bei
nur noch 4.7 %. Für ein Einkommen von 260’000
Franken ist die Steuerbelastung im selben Zeitraum
von 8.8 % auf 8.1 % gesunken.
Diese
Politik der leeren Kassen führte im Zusammenspiel
mit dem erneuten wirtschaftlichen Abschwung
zwangsläufig erneut zu öffentlichen
Defiziten. Dies ist beim Bund seit 2001 der
Fall. Eine ähnliche Entwicklung hat in
den Kantonen stattgefunden. Dieselbe Politik
der Steuersenkungen führte zum selben Ergebnis.
Die Erbschaftssteuer wurde in einem Kanton nach
dem andern abgeschafft. Oft wurden die Steuersenkungen
noch rascher durchgeführt als auf Bundesebene.
Nehmen wir nur ein Beispiel : Im Kanton Waadt
haben Steuersenkungen zwischen 1987 und 1997
zu Ausfällen von 3.6 Milliarden Franken
geführt. Bis im Jahr 2000 lag dieser Betrag
etwa bei 4 Milliarden – 10 Mal höher
als das Defizit dieses Jahres !
UNTERENTWICKELTE
ÖFFENTLICHE DIENSTE, BEGRENZTE DEFIZITE
In
der Schweiz sind die öffentlichen Dienste
im Vergleich mit den anderen europäischen
Ländern unterentwickelt. Dies zeigen alle
verfügbaren Indikatoren auf.
•
Die Staatsquote erfasst das Verhältnis
zwischen der Gesamtheit der öffentlichen
Ausgaben (einschliesslich der Sozialversicherungen)
und dem Bruttoinlandprodukt (BIP) eines Landes.
Sie liegt in der Schweiz mit 38 % deutlich unter
dem Durchschnitt der OECDLänder von 40.3
% (die OECD besteht aus den 30 führenden
Industrieländern der Welt). Der Unterschied
zu den Ländern der Euro- Zone, in denen
die durchschnittliche Staatsquote 48.3 % beträgt,
fällt noch viel deutlicher aus.
•
Noch interessanter ist die Steuerquote, welche
das Verhältnis zwischen den gesamten Steuereinnahmen
(einschliesslich der Lohnabzüge) und dem
BIP erfasst. Der Bundesrat hat kürzlich
festgehalten, dass die Steuerquote der Schweiz
mit 31.3 % weiterhin unter dem Durchschnitt
der OECDLänder liegt. Der Vergleich mit
den EU-Ländern fällt noch günstiger
aus, denn die Schweiz weist nach Irland die
tiefste Steuerquote Europas aus.
„Die
gesündesten Staatsfinanzen Europas“
Diese
Überschrift der Zeitung La Liberté
fasst den Zustand der Staatsfinanzen in der
Schweiz gut zusammen. Dies zeigen die internationalen
Vergleiche des Bundesamts für Statistik
und der Eidgenössischen Steuerverwaltung.
•
Betreffend das Verhältnis des Budgetdefizits
zum BIP hat die Schweiz im Gegensatz zu den
meisten europäischen Ländern die 3
%-Schwelle nie überschritten, auch nicht
in Zeiten der Rezession.
•
Laut dem Maastricht-Vertrag der EU darf die
Staatsverschuldung 60 % des BIP nicht überschreiten.
Die Schweiz liegt bei 52 %. Das ist einer der
tiefsten Werte in Europa : Frankreich und Deutschland
haben 60 % überschritten, Italien und Belgien
liegen bei 110 %.
Und
der Schuldenberg?
Tag
für Tag hören wir die Leier vom unerträglichen
Schuldenberg, der auf den öffentlichen
Haushalten lastet. Doch der ehemalige SPS-Präsident
Peter Bodenmann weist richtig darauf hin, „dass
man die Schulden immer mit den Aktiven (dem
Vermögen) vergleichen muss, um ein objektives
Bild der Lage zu gewinnen. Wenn die Aktiven
des Bundes, der Kantone und der Gemeinden zusammengezählt
werden sehen wir, dass der Schuldenberg des
Bundes von 125 Milliarden nicht einmal 50 %
davon darstellt. Auch die kumulierten Aktiven
der SNB und der Kantonalbanken übertreffen
die Verschuldung bei weitem. Und das Kapital
der 2. Säule ist 5 Mal höher als dieser
Schuldenberg. Insgesamt hat die Schweiz also
gar keine Schulden.“ (L’Hebdo, 8.1.2004)
Dasselbe
gilt für den Schuldendienst (die Zinsen,
die der Staat bezahlt). Sie müssen mit
den Einkünften des Staates aus seinem Vermögen
verglichen werden. Gemäss Berechnungen
des Forschungsinstituts KOF an der ETH Zürich
deckten die Kapitaleinkünfte des Staates
in den Jahren 1990 bis 2000 ca. 87 % des Schuldendienstes,
2001 sogar 100 %. Man kann deshalb davon ausgehen,
dass der Wert des staatlichen Vermögens
etwa den Staatsschulden entspricht (Die
Volkswirtschaft, 2 / 2004).
Schliesslich
behauptet die neoliberale Doktrin, der Anstieg
der öffentlichen Defizite erschüttere
das Vertrauen der Kapitalmärkte in die
staatlichen Institutionen, weshalb diese höhere
Zinsen bezahlen müssten. In der Schweiz
ist davon allerdings gar nichts zu sehen : Der
Staat kann Kredite zu sehr tiefen Zinsen aufnehmen.
Die durchschnittliche Verzinsung der Schulden
des Bundes lag Ende 2003 bei 3.33 %, im Vergleich
zu 3.49 % Ende 2002 – d.h. so tief wie
nie seit 1970 (Die Volkswirtschaft, 8 / 2004).
Sogar die Lage der am meisten verschuldeten
Kantone ist bei weitem nicht dramatisch :
„Der Kauf von Schuldtiteln der Kantone
Waadt und Genf ist bei den Institutionellen
Anlegern (Pensionsund Anlagefonds) sehr beliebt.
Die beiden Kantone kommen in den Genuss von
vorzüglichen Konditionen der Refinanzierung.“
(Le Temps, 17.7.2004)
Für
eine wirkliche Steuerreform !
Auch
wenn das Ausmass der öffentlichen Defizite
und Schulden in der Schweiz alles andere als
dramatisch ist, handelt es sich dennoch um Mechanismen,
durch die Reichtum zu Lasten der lohnabhängigen
Steuer-zahler umverteilt wird, denn diese finanzieren
über die Steuern den Schuldendienst mit.
Die Staatsschulden gehören den Eigentümern
von Obligationen, die Jahr für Jahr Zinsen
einstreichen. Hinzu kommen die Banken, die bei
diesem ganzen Geschäft lukrative Kommissionen
einneh-men... Anders gesagt leiht
die öffentliche Hand heute bei den Kapitaleigentümern
Geld aus, um ihre Ausgaben zu finanzieren, anstatt
von ihnen Steuern zu erheben. Die Banken nehmen
dabei eine Vermittlerrolle ein. Die Reichsten
gewinnen bei dieser Politik gleich zwei Mal
: als Steuerzahler und als Anleger !
Zugleich
werden Defizite und Schulden dazu benutzt, um
den Service Public abzubauen und zu verhindern,
dass er seine Rolle als Garant von bestimmten
Rechten (auf Bildung, medizinische Versorgung,
usw.) wahrnehmen kann. Deshalb ist eine umfassende
Alternative zu dieser Politik der leeren Kassen
notwendig. Dabei dürfen wir die Augen vor
der Realität nicht verschliessen : gute
öffentliche Dienstleistungen lassen sich
nur entwickeln und finanzieren, wenn die zunehmende
Kontrolle einer kleinen Minderheit von Eigentümern,
von Kapitalisten, über die wichtigsten
Ressourcen und den Reichtum der Gesellschaft
in Frage gestellt wird. Jede wirkliche Steuerreform
muss dieser Herausforderung gerecht werden und
von einer entsprechenden Bewusstseinsentwicklung
und sozialen Mobilisierung begleitet und getragen
werden. Dazu einige Hinweise.
1.
Die Steuerhinterziehung muss ernsthaft bekämpft
werden. Sie nimmt inzwischen ein enormes
Ausmass an, wie der ultraliberale Klaus J. Stöhlker
bestätigt : „Ich habe kürzlich
in der Westschweiz mit Steuerexperten gegessen,
die der Meinung sind, dass höchstens noch
10 % bis 30 % des Vermögens deklariert
werden.“ (Le Temps, 22.7.2002) Der Kampf
gegen die Steuerhinterziehung erfordert die
Abschaffung des Bankgeheimnisses und einen Ausbau
der Ressourcen der Steuerämter.
2.
Die „Löcher“ im Steuersystem,
die es den privilegierten Kreisen ermöglichen,
ganz legal keine Steuern zu bezahlen, müssen
geschlossen werden. Zum Beispiel sollten
die im Rahmen der 2. und 3. Säule (Lebensversicherungen)
der Altersvorsorge gewährten Steuerprivilegien
ebenso abgeschafft werden wie die besonderen
Steuerregelungen für vermögende Personen
und die Steuergeschenke an Unternehmen.
3.
Eine Steuer auf spekulative Kapitalbewegungen
und auf die Verwaltung des den Banken anvertrauten
Vermögens auf europäischer
Ebene sollte ebenso eingeführt werden wie
eine eidgenössische Kapitalgewinnsteuer.
4.
Eine Bundessteuer auf Erbschaften und Schenkungen
ist ebenfalls anzustreben. Wie Professor Marius
Brülhart von der Uni Lausanne (HEC) betont,
würde „diese Steuer allein ausreichen,
um die Finanzierungslücke bei der Invalidenversicherung
zu schliessen.“ (Le Temps 9.8.2004)
5.
Notwendig ist auch eine materielle Harmonisierung
der kantonalen Einkommens- und Vermögenssteuern,
die sich nur in einem sehr engen Rahmen unterscheiden
sollten. In den Kantonen müsste zudem ein
einheitlicher Steuerfuss gelten, unabhängig
von der Wohngemeinde. Die Herrschenden haben
ein regelrechtes System des Steuerwettbewerbs
entwickelt, das von der internationalen Ebene
– zum Beispiel zwischen den EU-Ländern
– bis hinunter zum Wettlauf zwischen Kantonen
und Gemeinden im Rahmen des schweizerischen
Föderalismus reicht. Diese Dynamik muss
gebrochen werden, um der heutigen Sezession
der Reichen ein Ende setzen zu können.
6.
Die Mehrwertsteuer ist abzuschaffen.
Es handelt sich um eine antisoziale Steuer,
welche die mittleren und kleinen Einkommen über
Gebühr belastet. Dagegen sollte die Direkte
Bundessteuer auf Einkommen erhöht und zugleich
auf Vermögen ausgedehnt werden. |