Seit
die „bolivarische Revolution“ 1998
in Venezuela die Macht übernahm, wird sie
verkannt und ist umstritten. Als Hugo Chavez
1998 die Präsidentschaft der Republik antrat,
übernahm er das Ruder in einem tief entpolitisierten
Land und Staat, das schwer an Korruption und
Vetterleswirtschaft krankte. Die 1958 eingerichtete
„Demokratie“ war von den Parteieliten,
die mit den großen Profiteuren einiger
Geschäftskreise verbandelt waren, für
sich allein in An-spruch genommen worden; sie
teilten sich die Staatseinnahmen eines der wichtigsten
Erzeuger- und Exportländer von Erdöl
unter sich auf.
Chavez
wurde eher auf der Grundlage der Ablehnung dieses
alten Systems als auf der eines soliden politischen
Projektes, das von organisierten gesellschaftlichen
Kräften getragen wäre, auf die er
sich stützen könnte, zum Präsidenten
gewählt. Man muss daher bei der Beurteilung
Milde walten lassen, und dies umso mehr, als
der in Venezuela ablaufende politische Prozess
völlig neu und unerhört ist. Wir möchten
betonen, dass es in Venezuela keine sozialistische
Revolution mit einem Führer Hugo Chavez
gibt. Sofern man aber unter „Revolution“
eine radikale Veränderung der politischen
Mentalität und Organisierung versteht,
eine massive Entwicklung von Bewusstsein, wonach
der Staat dem Volk zu gehören hat, dann
läuft eine solche Revolution gerade ab
SEIT
DEN FÜNFZIGER JAHREN... |
Wenn man unter „Revolution“ einen
langen Prozess versteht, der vor den jeweils
konkreten Maßnahmen beginnt, so begann
die Revolution in Venezuela in den fünfziger
Jahren gegen die Diktatur von Marcos Pérez
Jiménez und steht heute mit Hugo Chavez
als Sprecher vor den Toren der Staatsmacht.
Um eine Idee aufzugreifen, die von den Anhängern
des Präsidenten mit der roten Mütze
sehr häufig angeführt wird, so wäre
die „bolivarische Revolution“
eine Art französischer Revolution, eine
unvermeidliche Etappe zur Sanierung des Landes
und zur Vorbereitung eines
radikaleren Prozesses in der Zukunft. Wir möchten
zeigen, wie die „repräsentative Demokratie“
durch das anden Rand Drängen der Kräfte
der revolutionären Linken, die sich entschieden
hat, ihre Kräfte in eine politische Arbeit
in der Armee zu investieren, entstand und starb;
danach möchten wir versuchen, die komplexe
Realität der „bolivarischen Revolution“
als einer Etappe „der partizipativen und
protagonistischen, der multiethnischen und plurikulturellen
Demokratie“, wie es in der Präambel
der „Verfassung der bolivarischen Republik
Venezuela“ steht, zu beschreiben.
DER
ANTIKOMMUNISTISCHE PAKT |
Die
Gegenwartsgeschichte Venezuelas ist von Analysten
häufig als die Ausnahme in Lateinamerika
dargestellt worden: Ein Land, in dem eine repräsentative
und liberale Demokratie errichtet wurde, während
der Rest des Kontinents unter Militärdiktaturen
und bei sich entwickelnden Guerilla-Bewegungen
politischer Instabilität ausgesetzt sei.
Doch die Wirklichkeit ist weit vielschichtiger!
Die repräsentative Demokratie entstand
in Venezuela am 23. Januar 1958 durch den Sturz
der Diktatur von Marcos Pérez Jiménez
im Gefolge eines Volksaufstandes, der von einer
Erhebung der Militärs begleitet war. Von
den zivilen Parteien war die Kommunistische
Partei Venezuelas (KPV) diejenige, die sich
am aktivsten am Aufstand beteiligte. Sie führte
die Patriotische Junta an, ein Bündnis
aller gegen die Diktatur gerichteten Parteien:
die Demokratische Aktion, die COPEI, die URD
und die KPV. 1
Zu jener Zeit war Venezuela das wichtigste Ölland
des Planeten. Es war der größte Lieferant
von Öl und anderen Rohstoffen, die für
die Versorgung der in Europa kämpfenden
US-Truppen während des Zweiten Weltkriegs
nötig waren. Die gesamte Ölindustrie
wurde von westlichen, besonders anglo- amerikanischen
Ölgesellschaften kon-trolliert. Der Sturz
der Diktatur führte zu einem neuen politischen
Regime, das sich endgültig mit der Wahl
von Romulo Betancourt, dem im Exil lebenden
Führer der Demokratischen Aktion (Acción
Democratica, AD), durch-setzte. Die KPV unterstützte
neben anderen die Kandidatur von Wolfgang Larrazabal,
der als Übergangspräsident
zwischen dem 23. Januar 1958 und der Wahl von
Betancourt im Januar 1959 amtierte. Das neue
Regime gab sich 1961 eine Verfassung; es wurde
im Verlauf des Jahres 1958 durch ein Bündnis
zwischen den drei wichtigsten Par-teien (AD,
COPEI, URD) besiegelt. Jenes Bündnis beschloss,
mittels des „Paktes von Punto Fijo“
die KPV an den Rand zu drängen. Dabei handelt
es sich um eine Art Absprache über eine
gemeinsame Regierung der drei Parteien.
Unter dem Vorwand, man müsse die entstehende
Demokratie beschützen, beschlossen sie,
sich die Regierungs-verantwortung zu teilen,
wie auch immer die Wahlergebnisse ausfallen
würden. Gleichzeitig unterzeichnete die
ArbeiterInnenzentrale Venezuelas (CTV), die
von der AD geführt wurde und direkt mit
deren Interessen verbunden war, ein Abkommenmit
dem Unternehmerlager, wonach die unter der Diktatur
ausgehandelten Tarifverträge nicht angetastet
werden sollten.
So entstand also das Modell: Die drei Parteien
teilten sich die Macht, die Arbeitenden wurden
als politische Akteure ausgeschaltet, weil man
ihnen die Führung der Gewerkschaftszentrale
raubte, und die Linke wurde an den Rand gedrängt.
Dieser Pakt von Punto Fijo brach mit dem Wahlsieg
von Chavez 1998, der damals große Unterstützung
in der Bevölkerung genoss, weil er das
von ihm so genannte „populistische Regime
der Versöhnung der Eliten“ frontal
angriff, endgültig zusammen.
DIE
ARBEIT DER KPV IN DER ARMEE |
Zum
Zeitpunkt der Errichtung jenes politischen Modells
blieb die Linke keineswegs inaktiv. In den ersten
Monaten des Regimes stellten die Arbeitenden
und StudentInnen, sowie die revolutionäre
Linke allgemein, ihre Forderungen auf. Betancourts
Wahlsieg von 1958 wurde alsbald als Verrat angesehen.
Er war auf einem linken Programm gewählt
worden und galt als Linker (er war in den dreißiger
Jahren Mitglied der KP Costa Ricas und beteiligte
sich zwischen 1945 und 1948 an einer Linksregierung,
sodann betonte er im Exil immer wieder seine
politische Identität); aber seine Politik
wandte sich mehr und mehr den Interessen der
herrschenden Klassen zu, weil er überzeugt
war, dass im Jahr 1959 keine Regierung, die
einen Bruch mit dem Kapitalismus vollzöge,
dem Druck der USA standhalten könnte. Die
kubanische Revolution, die im Januar 1959 ihren
Siegeszug in Havanna abschloss, sollte diese
Prognose auf radikale Weise dementieren. Sie
begünstigte die Radikalisierung von linken
Teilen in der Regierungspartei AD, brachte die
KPV wieder ins Spiel und führte zu einem
regionalen Konflikt zwischen der vernünftigen
„demokratischen Revolution“ in Venezuela,
die vom US-Außenministerium unterstützt
wurde, und der castristischen Revolution auf
der andern Seite, die man dort verfluchte. Die
Unterdrückung von Teilen der Linken durch
die Regierung Betancourt zwang die revolutionäre
Linke bis zu einem gewissen Grad, sich vom legalen
Weg abzuwenden. Zuerst beschloss die KPV, den
bewaffneten Weg zu gehen, wobei ihr 1961 der
MIR folgte, eine Linksabspaltung vor allem des
Jugendbereichs der AD, der während der
Jahre im Untergrund vom revolutionären
Marxismus beeinflusst worden war. In der KPV
kümmert sich unter Führung von Douglas
Bravo ein Sektor um die militärische Arbeit.
1959 behauptete er, 180 Berufsoffiziere hätten
sich der militärischen Front angeschlossen.
Diese Front sollte 1962 zweimal versuchen, das
Regime der AD durch einen von der KPV organisierten
Staatsstreich zu beseitigen. Das Auftauchen
von Chavez auf der politischen Szene am 4. Februar
1992 ist die Folge der Strategie von linken
Kräften in der Armee, deren Offiziere in
ihrer großen Mehrheit aus einfachen Verhältnissen
stammen, und somit für fortschrittliches
und marxistisches Denken, wie es von einigen
Professoren und Mitgliedern revolutionärer
Organisationen verbreitet wurde, durchaus empfänglich
waren. Aus diesem Grund lässt sich von
einem revolutionären Prozess sprechen,
der Ende der fünfziger Jahre begann und
mit der Wahl von Chavez zum Präsidenten
seinen ersten kleinen Sieg feiern konnte.
DAS
GEHEIME ENGAGEMENT VON HUGO CHAVEZ |
Der
junge Offiziersanwärter Hugo Chavez trat
Ende der siebziger Jahre in die Untergrundbewegung
ein, wobei er von seinem Bruder, Adan Chavez,
der damals Mitglied der Partei der venezolanischen
Revolution (PRV) war und sich heute in Venezuela
um die Agrarreform kümmert, angeleitet
wurde. Die PRV entstand aus der Guerilla. Sie
schuf 1962 unter dem Einfluss der KPV eine Front
zur Nationalen Befreiung und Bewaffnete Streitkräfte
zur Nationalen Befreiung. Als die KPV 1965 ihre
Mitglieder zur Beendigung des militärischen
Kampfes aufforderte,
weigerte sich Douglas Bravo, dem nachzukommen.
Aus der FLN-FALN wurde die FALN-PRV. 1969 entschied
sich die Mehrheit der KämpferInnen für
die Annahme der von Präsident Caldera angebotenen
Amnestie. Die Gruppe von Douglas Bravo und Ali
Rodriguez (der heute Leiter der Nationalen Ölgesellschaft
Petroleos de Venezuela S.A. - PDVSA -ist) behielt
die Guerilla der PRV bei und unternahm eine
Untergrundarbeit in den Reihen der Armee.
Es sei angemerkt, dass sowohl die KPV wie die
FALN und später die PRV ein klassenübergreifendes
antifeudales und antiimperialistisches politisches
Programm annahmen. Demnach hat auch die nationalistische
Bourgeoisie ihren Platz im kommenden revolutionären
Regime, ein Denkansatz, der auch von Chavez
weitgehend übernommen wurde. Im Venezuela
der Jahre ab 2000 denkt die „chavistische“
Mehrheit wie die Guerilla der sechziger Jahre,
was beim heutigen politischen Bewußtsein
durchaus eine politische Errungenschaft darstellt.
Im Innern der Streitkräfte entwickelte
Chavez die MBR-200 (Revolutionäre Bolivarische
Bewegung), die das Werk-zeug des zivilen und
militärischen Aufstandes vom 4. Februar
1992 werden sollte. Er ist eher als „Staatsstreich“
bekannt, doch war jener Aufstand die Antwort
der MBR-200 auf die Niederschlagung der Volkserhebung
vom 27. Februar 1989 (dem Caracazo), einer spontanen
Massenbewegung der Marginalisierten in Venezuela
gegen das neo- liberale Maßnahmenpaket
der Regierung Carlos Andres Perez, einer in
ganz Lateinamerika bekannten Gestalt der Sozialistischen
Internationale. Die Ord-nungskräfte verwundeten
etwa 3 000 Menschen tödlich.
Zu diesem Zeitpunkt betrat Chavez mit dem Staatstreich
vom 4. Februar 1992 als Unbekannter die politische
Szene. Natürlich misstraute die traditionelle
Linke, die wenig von der politischen Arbeit
in der Armee wusste, dem putschenden Oberst.
Abgesehen von der KPV, die zu einem Grüppchen
geworden war, waren zwei andere Parteien der
radikalen Linken zur Stelle, ja entwickelten
ihren eigenen Apparat in der Armee: Causa Radical
2 und Bandera Roja. 3
Die Volksmassen sahen in Chavez eine Chance,
sich von einem wegen seiner neoliberalen Politik
und seiner Korruption verhassten Regime zu befreien
(eine kleine Minderheit verfügt über
den Lebensstandard der USA, während die
große Mehrheit in absoluter Armut leben
muss). Von 1958 bis 1993 kamen alle Präsidenten
entweder von der AD oder der COPEI. Bei den
Präsidentschaftswahlen 1993 ergab sich
ein Bruch mit jenem Modell; außerdem erlangte
Causa Radical, eine heterodoxe marxistische
Partei, die sich vor allem in der klassen-kämpferischen
Gewerkschaftsbewegung im Osten des Landes entwickelt
hatte, Masseneinfluss. Bei den Wahlen von 1993
war ihr Kandidat Andres Velásquez drauf
und dran, Präsident zu werden, aber massiver
Wahlbetrug stahl ihm den Sieg. Eine Minderheit
in der Partei war für Massendemonstrationen,
um so den Sieg durchzusetzen, sowie das öffentliche
Auftreten von Truppenteilen, über die die
Partei in der Armee infolge einer ähnlichen
Arbeit, wie sie Douglas Bravo und dann Hugo
Chavez unternommen hatten, verfügte. Die
Mehrheit war dagegen, was zu Bruchlinien führte,
die 1997 zur Entstehung der Partei Patria Para
Todos (PPT) beitrugen, die heute der zweite
Pfeiler der Mehrheit von Chavez darstellt. Während
der geheimen Arbeit von Chavez in der Armee
gab es Kontakte zwischen dem Oberst und Causa
Radical , ohne dass man jedoch zu einer Übereinkunft
kam. Im Verlauf der Präsidentschaftswahlen
1993 rief Chavez zur „aktiven Wahlenthaltung“
auf, was zu starkem Hass von Seiten von Causa
Radical auf seine Person führte. Ihr damaliger
Kandidat Andres Velásquez befindet sich
heute in der Opposition und hat sogar nicht
gezögert, die gegen Chavez putschenden
Militärs vom April 2002 seiner Unter-stützung
zu versichern.
Zum Zeitpunkt der Präsidentschaftswahlen
von 1998 sagte Chavez, bei der Teilnahme handle
es sich „um einen taktischen Zug“.
Im Rahmen der repräsentativen Demokratie
eine Wahlentscheidung als taktisch anzusehen
bedeutet, den revolutionären Charakter
der eigenen Ziele zuzugeben. Er versicherte,
mittels der Urnen nur deshalb an die Macht gelangen
zu wollen, um als legitimer Staatschef eine
Revolution installieren zu können.
Hugo Chavez
EINE
POLITISCHE REVOLUTION |
Chavez
konnte nach und nach einige revolutionäre
Entwicklungen als Erfolg verbuchen, die erste
im Dezember 1998 gegen fast alle etablierten
Parteien. Unter dem Druck der Basis und gegen
den Willen des damals wichtigsten Führers
Pablo Medina 4 beschloss die Basis, Chavez zu
unterstützen. Die Bewegung für den
Sozialismus (MAS),
ein Pfeiler der Rechtsregierung von Caldera
(1993-1998), unterstützte ihn ebenfalls,
5 was zum Austritt ihrer wichtigsten Führer
aus der Partei führte. Alle anderen politischen
Kräfte stellten sich gegen ihn. Dennoch
gewann er die Wahlen nach einem auf die einfachen
Leute zugeschnittenen direkten Wahlkampf, wie
ihn die Menschen in Venezuela noch nie gesehen
hatten, mit 55 Prozent.
Sein großes politisches Projekt bestand
in einer Verfas-sungsreform mit dem Slogan :
„Alle Macht dem Volk“. Um diese
Reform zu erreichen, ließ er über
die Errichtung einer Verfassungsgebenden Versammlung
abstimmen. Als diese gewählt wurde, erhielten
seine Anhänger 90 Prozent der Sitze. Die
neue Verfassung wurde in weniger als einem Jahr
abgefasst, und von der Mehrheit des Wahlkörpers
vor der Erneuerung des Wahlmandats im August
2000 bestätigt. Bei diesen Wahlen erhielt
Chavez noch mehr Stimmen als im Dezember 1998.
Auf zahlreichen Ebenen enthält die neue
„bolivarische Verfassung“ der Bolivarischen
Republik Venezuela wirklich neue Maßnahmen.
Das Konzept des Rechtsstaates wurde durch das
Konzept des Rechts- und Gerechtigkeitsstaates
ersetzt. Zudem wurde das Konzept der partizipativen
Demokratie eingeführt. Alle Gewählten
können während der Wahlperiode abgewählt
werden. 6
Es wurde das Konzept der Arbeiterkooperative
sowie der Selbstverwaltung eingeführt.
Die Rechte der Eingeborenen sowie das Recht,
ihr Land gemäß den alten Grundsätzen
der präkolumbianischen Völker zu besitzen,
wurde anerkannt. Die Verfassung wurde feminisiert.
Das Prinzip der Verteidigung der Umwelt wird
von zahlreichen Ver-fassungsbestimmungen unterstützt.
Patente auf Leben sind genauso verboten wie
Monopole. Das Erdöl wird als Rohstoff jeder
Privatisierungsmöglichkeit entzogen. Die
Anwesenheit von ausländischen Truppen auf
dem Territorium ist verboten. Das Prinzip der
Solidarität und das der lateinamerikanischen
Integration nehmen einen her-ausragenden Platz
ein.
Andere Elemente zeigen, dass es unter den Komponenten
des Blocks an der Macht zu Konzessionen gekommen
ist. Für die Rechte im Chavez-Block wurde
das aus dem alten Regime stammende Prinzip der
dezentralen Polizei beibehalten, was dazu führt,
dass sich lokale Sheriffs halten können.
7 Die Abtreibung bleibt nach heftigen Diskussionen,
in denen Chavez für die Liberalisierung
eintrat, was er im April 2003 nochmals öffentlich
wieder-holte, verboten. Die Nicht-Diskriminierung
aufgrund von sexuellen Orientierungen wurde
nicht aufgenommen, doch Chavez ist kürzlich
für die Rechte von Homosexuellen eingetreten.
Das freie Unternehmertum bleibt wie das Privateigentum
an Produktionsmitteln in der Verfassung gewahrt.
Die Verfassung bewegt sich eindeutig im Rahmen
einer kapitalistischen Ordnung. Diese Beispiele
sowie andere zeigen, dass es in Chavez Partei
zu Beginn seiner Präsidentschaft auch wirkliche
Reaktionäre gab. 8
Obwohl die Verfassung zahlreiche Hindernisse
für eine wirkliche soziale
Revolution
enthält, stellt sie trotzdem ein wertvolles
Werkzeug für die Bewegung des Volkes dar,
die damit über einen Verbündeten im
Kampf um die semidirekte oder Beteiligungsdemokratie
verfügt. Denn darin besteht die wirkliche
Innovation der „bolivarischen Revolution“.
EINE
GESELLSCHAFT IN BEWEGUNG |
Tausende
von bolivarischen Zirkeln, Volksversammlungen,
Studentenversammlungen, Komitees für städtische
und ländliche Grundstücke, Dutzende
von politischen Basisorganisationen machen aus
dem Venezuela der Jahre ab 2000 eine Gesellschaft
in Bewegung. Alle diese Zusammenschlüsse
profitieren von der ehrlichen und massiven Unterstützung
des Staatschefs, der in ihnen den wirklichen
Prozess der Bewusstseinsbildung sieht, wie er
für eine Umgestaltung des Landes nötig
ist. So wurde beispielsweise mit Unterstützung
des Staatschefs von der organisierten Gemeinde
eine Schule wiedereröffnet, die durch eine
politische Entscheidung ihrer Direktorin geschlossen
worden war. 9 Mit Unterstützung des Ministers
für die höhere Bildung konnten studentische
Vollversammlungen die Öffnung der öffentlichen
Universität für Klassen aus dem einfachen
Volk durchsetzen. Das Nationale Fraueninstitut
baute im ganzen Land Tausende von „Treffpunkten“
auf, um die Frauen gegenüber häuslicher
Gewalt oder Gewalt am Arbeitsplatz zu sensibilisieren,
ihnen ihre Rechte in Erinnerung zu rufen und
sie zu organisieren, um für neue Rechte
zu kämpfen. Dasselbe Institut organisiert
Frauen, damit sie öffentliche Kleinkredite
bekommen und somit eine wirtschaftlich autonome
Rolle zu spielen beginnen, auch wenn die Aufgaben,
zu denen man ihnen rät, eine gewisse Arbeitsteilung
auf der Grundlage des Geschlechts reproduzieren
(Näharbeiten, Verpflegung usw.).
Es sind auch viele neue Gewerkschaften entstanden,
die der CTV-Zentrale, die mit der Opposition
verbunden ist, das Monopol auf die Vertretung
der Arbeitenden streitig machen. Diese Gewerkschaften
haben im Gefolge der Aussper-rungen vom Dezember
2002/ Januar 2003 beschlossen, einen neuen nationalen
Zusammenschluss zu bilden, die Nat-ionale Union
der Arbeitenden (UNT). 10
Die Hauptstadt Caracas hat ungefähr vier
Millionen Einwohner. Ein Großteil der
Bewohner lebt in den „barrios “
(Slums, in Brasilien favelas), jenen Stadtvierteln,
in denen sich die Opfer einer auf Ausschluss
gerichteten wirt-schaftlichen Entwicklung niedergelassen
haben. Ursprünglich waren die barrios Siedlungen
von Blechhütten, aber mit der Zeit wurden
ganze Stadtteile aus ihnen, wo die Bewohner
ihre Häuser auf besetztem Land ohne Eigentums-titel
erbaut haben. Diese Stadtteile sind Hochburgen
des „Chavismus“ und die Bewohner
treiben die Selbst-organisation voran, nehmen
die Geschicke im Stadtteil in die eigenen Hände
und folgen dem Ratschlag des Präsidenten:
„Organisiert Euch, wir sorgen für
politische und wirtschaftliche Unterstützung“.
So entstehen Volks-versammlungen, die recht
schnell von einer neuen Einrichtung verstärkt
werden: den lokalen Volksräten für
Planung, die alle Bürokraten zum Gegner
haben, vor allem die der Opposition, aber bisweilen
auch die in der politischen Mehrheit von Chavez.
Hugo Chavez auf einer Demonstration
Hier
finden wir eine der interessantesten Subtilitäten
der „bolivarischen Revolution“:
Der Staatschef ist der wichtigste Promotor der
Untergrabung des Staates durch die Organisierung
des Volkes. Angesichts eines überaus bürokratischen
Staates rief Hugo Chavez seine MitbürgerInnen
dazu auf, die Geschicke in den Stadtteilen selbst
in ihre Hände zu nehmen, und er predigte
auch die Arbeiterkontrolle in den Betrieben.
Damit das Volk zum wirklichen Meister der politischen
Macht werden könne, muss es organisiert
und zum Kampf bereit sein; darin kann man ein
Echo der marxistischen Theorie von der Doppelherrschaft
erkennen. Dennoch hat diese beeindrukkende politische
Gärung noch nicht zu einer wirklichen Transformation
der Gesellschaft Venezuelas geführt.
KEINE
GRUNDLEGENDE STRUKTURELLE TRANSFORMATION |
Im
Unterschied zur kubanischen Revolution, die
in weniger als drei Jahren zu einer Alphabetisierung
der ganzen Bevölkerung, zu einer Halbierung
der Mieten, zur Verstaatlichung der Stromversorgung,
und zur Durchsetzung einer Agrarreform geführt
hat, hat die „bolivarische Revolution“
noch keine großen strukturellen Reformen
bewirken können. Doch im Unterschied zur
castristischen Revolution hat der Chavismus
auch keine Zeitung unterdrückt, keine Partei
verboten, und es gibt auch keine politischen
Gefangenen. Weder im Guten noch im Schlechten
kann die bolivarische Revolution mit irgendeiner
„kubanischen Entwicklung“ in Verbindung
gebracht werden, wie es die Gegner von Chavez
fortwährend tun. Es sind jedoch große
strukturelle Reformen nötig, damit das
Volk nicht sein Vertrauen in die Möglichkeiten
dieser Regierung verliert. Ein großer
Plan zur Ernährung des Volkes, womit man
in den letzten Wochen vorsichtig begonnen hat,
muss entwickelt werden.11
Das öffentliche Gesundheitswesen befindet
sich in einem Zustand zunehmenden Verfalls.
Nur die Reform des nationalen Erziehungswesens
hat mit der Eröffnung von bolivarischen
Schulen, in denen die SchülerInnen ganztägig
unterrichtet werden und zu Essen bekommen, begonnen.
Es wäre jedoch verkehrt, würde man
die Verantwortung für diese Mängel
einzig der Regierung aufbürden. Die große
Schwierigkeit, mit der sich die Regierung ausei-nandersetzen
muss, liegt in ihrer fehlenden Kontrolle über
erhebliche Teile des Staatsapparates. Wenn auch
die legalistische Strategie von Chavez („eine
demokratische und friedliche Revolution“)
es ihm ermöglicht, die internationale Unterstützung
der Demokraten zu bekommen, so ist die Kontrolle
des Staatsapparates, der aus privilegierten
Beschäftigten besteht, weit komplexer.
Diese bürokratische Realität erklärt
sich aus dem Ent-wicklungsmodell Venezuelas
in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Venezuela lebt seit vierzig Jahren von der Ölrente,
die 50 Prozent seiner Staatseinnahmen und über
80 Prozent seiner Exporte ausmacht. 70 Prozent
der benötigten Nahrungsmittel werden eingeführt.
Jedoch handelt es sich um den fünftgrößten
Exporteur von Erdöl, und die Ressourcen
an Mineralien scheinen die bedeutendsten auf
der Erde zu sein. Das Wirtschaftsmodell Venezuelas
beruht auf dem Export seines Rohöls und
das Geld wurde nie in die Industrialisierung
des Landes investiert. Man könnte sagen,
dass Venezuela eigentlich kein kapitalistisches
Landist, das von einer nationalen Bourgeoisie
geleitet wird. Es gibt eigentlich auch keine
Arbeiterklasse, die von Unternehmern abhängt.
50 Prozent der Arbeitenden sind im informellen
Sektor beschäftigt; der größte
formale Arbeitgeber ist der Staat und seine
Anstellungspraxis entspricht dem Klientelismus
der früheren Regime. Jeder Minister oder
Direktor von Dienstleistungen stellt seine Freunde
an, ohne andere zu entlassen und die Beziehung
zu einer Partei läuft häufig über
solche klientelistischen Beziehungen. Im Ergebnis
gibt es Verwaltungen voller beschützter
Angestellten, die den Einflussmöglichkeiten
ihrer Chefs entsprechen und wenig mit der eigentlichen
Verwaltungshierarchie zu tun haben, wie sie
an den Universitäten gelehrt wird. Beispielsweise
hat der Pressedienst des Stadtteils Libertador
von Caracas allein 54 Angestellte! Die wenigen
in Venezuela bestehenden Privatunternehmen sind
dank vorheriger staatlicher Unterstützung
entstanden und die Eigentümer dieser Unternehmen
haben nie begriffen, was das Wort Steuern bedeutet.
Pro-Chavez Demonstration
DAS
FEHLEN EINES STRATEGISCHEN PROJEKTES |
In
Venezuela gibt es keine Partei, die man sinnvoller
Weise ArbeiterInnenpartei nennen könnte
wie etwa die ArbeiterInnenpartei (PT) Brasiliens.
Chavez ist ohne Apparat und ohne strategische
Reflexion an die Regierung gelangt. Er ist auch
das Produkt des riesigen Misstrauens, das die
VenezolanerInnen in Parteien haben. Aber eine
strukturierte Partei, die der Regierung auf
der Grundlage der Bedürfnisse und der Überlegungen
in der Bewegung des Volkes klare Orientierungslinien
lieferte, wird ganz stark vermisst. Das Fehlen
eines strategischen Trans-formationsprojektes
der venezolanischen Gesellschaft spürt
man in der zögerlichen Haltung zwischen
einem Bündnis mit den Arbeitenden, den
kleinen lokalen Unternehmern und den Erleichterungen,
wie sie dem transnationalen Kapital angeboten
werden. Der Diskurs schwankt zwischen der angeblichen
Notwendigkeit, einen nationalen Kapitalismus
aufzubauen (ja manchmal sogar eine kapitalistische
Klasse), um die innere Entwicklung, sowie die
Entwicklung der Produktivkräfte zu begünstigen
und dem Wunsch nach Mitbestimmung, ja Selbstverwaltung.
Die Tatsache, dass die Justiz von der Opposition
kontrolliert wird, müsste eigentlich zu
einer strategischen Offensive
führen, damit in Venezuela die Straflosigkeit
zu einem Faktum der historischen Erinnerung
wird. Die Straflosigkeit gilt sowohl bei gewöhnlichen
Vergehen und Verbrechen wie auch bei politischen
Delikten: Die Urheber des Staatsstreichs vom
April 2002 sind auf Grund von Entscheidungen
der Justiz nach wie vor auf freiem Fuß.
Auch hier ist die legalistische Strategie gleichzeitig
eine Errungenschaft und ein Hindernis für
Umgestaltungen.
Schließlich fehlt es bei Hugo Chavez,
trotz seiner revolutionären Ursprünge,
an politischer Bildung. Dies hat ihn dazu gebracht,
Leuten zu vertrauen, die wie Alfredo Peña
oder Luis Miquilena, um nur die beiden zu nennen,
zu erstrangigen Gegnern mit besten Verbindungen
in den Staatsapparat geworden sind, als im Prozess
die ersten Anzeichen einer Radikalisierung auftauchten.
Gleichzeitig stehen die politischen und sozialen
Kräfte, die sich heute um Chavez herum
gruppieren, weiter links als diejenigen, die
ihn 1998 unterstützt haben. Die Organisierung
des Volkes ist vorangekommen und die der „bolivarischen
Revolution“ gewogenen Massen sind heute
viel wachsamer und besser gebildet als je zuvor
und beginnen zu zeigen, welchen Weg man einschlagen
muss. William Lara, der frühere Parlamentspräsident,
warnte die Mitglieder der Mehrheit, sie dürften
nicht hinter die politischen Erwartungen einer
Bevölkerung zurückfallen, die in vier
Jahren eine erhebliche politische Bildung erfahren
hat. Weil aber die Medien in den Händen
einer durch-geknallten Opposition liegen, hat
die Volksbewegung ein Gesetz über die Inhalte
in Radio und Fernsehen durch-gesetzt, das in
diesen Wochen im Parlament diskutiert wird.
Auch wenn es vorsichtig ist, so ist jenes Gesetz
doch ein Zeichen, dass die Regierung entschlossen
ist, der Manipulation der Information nicht
das Feld zu überlassen. Der neue Gewerkschaftsverband,
die Nationale Union der Arbeitenden, stellt
sich eindeutig auf die Grundlage des Klassenkampfes
und gegen die Tradition der Zusammenarbeit zwischen
Gewerkschaft und Unternehmer, wie sie in Venezuela
1958 eingeführt wurde. Nach dem Misserfolg
des Streiks der Unternehmer im Ölbereich
hat die Regierung die Ölindustrie wieder
in die Hand genommen. Nun muss sie auch die
Kontrolle über die Justiz und den Wahlrat
gewinnen, um zur Ablösung einer Reihe von
Abgeordneten und Gouverneure schreiten zu können,
die auf Chavez Liste gewählt worden waren,
sich aber mittlerweile auf die Seite der Opposition
geschlagen haben. Der in Venezuela ablaufende
politische Prozess ist neu und stellt auch viele
Fragen an unsere politischen Traditionen. Es
genügt nicht, die Zentralmacht zu übernehmen,
um die notwendigen Maßnahmen ins Laufen
zu bringen, die zur Umverteilung des nationalen
Reichtums nötig sind. Venezuela lehrt uns,
dass die Neuverteilung der Macht im Rahmen eines
Transformationsprozesses, der strikt im legalen
Rahmen erfolgt, eine Alternative zu den büro-kratischen
Hindernissen sein könnte. Das politische
Projekt ist nicht revolutionär und dennoch
akzeptieren die herrschenden Klassen das Ergebnis
der Urnen nicht. Die Inhaber der wirtschaftlichen
und politischen Macht, die 1998 von der Staatsmacht
entfernt wurden, werden alles tun, um die von
Chavez angestrengten Reformen, durch die die
Reichtümer Venezuelas wirklich allen seinen
BewohnerInnen zugute kommen sollen, zu verhindern.
In Venezuela stellt sich heute die traditionelle
Frage aller revolutionären Prozesse: Kann
man die Interessen der herrschenden Klassen
im Rahmen einer „demokratischen und friedlichen
Revolution“ frontal angreifen? In Venezuela
ist die Armee aufgrund der besonderen Geschichte
der revolutionären Bewegung offenbar unter
der Kontrolle der Regierung. Ist dies ausreichend,
um einen undemokratischen Ausgang zu verhindern,
wie ihn die Opposition am 11. April 2002 versucht
hat, als sie Chavez durch den Führer der
Unternehmer, Carmona, zu ersetzen suchte?
Die
Opposition hat, auch wenn sie heute enthauptet
und gespalten ist, die Waffen keineswegs niedergelegt.
Sie verfügt auch über eine von der
Verfassung gewährte Möglichkeit: Die
Abberufung der Gewählten zur Mitte ihrer
Amtszeit.
Die Mitte der Amtszeit liegt beim Präsidenten
auf dem 19. August 2003. Ab diesem Datum kann
die Opposition Unterschriften sammeln, um dann
ein Referendum über seine Abwahl abhalten
zu lassen. Seit über einem Jahr wiederholt
die Opposition unablässig, die große
Mehrheit der Bewohner des Landes wünsche
eine Abwahl von Chavez. Diese Gewissheit redet
sie sich selbst ein. Sowohl die nicht verbreiteten
Umfragen wie die Demonstrationen zugunsten von
Chavez lassen glauben, dass ein Sieg der Opposition
bei einem Referendum über die Abberufung
alles andere als feststeht. Dies erklärt
die vielseitige Strategie der Opposition, wobei
am offensichtlichsten der Einsatz der Massenmedien
zur Verbreitung der Idee ist, wonach die Regierung,
was immer da komme, die Krise mittels Verfassungsbruchs
überwinden wolle. Überall im Land
sät sie Zweifel und lässt auch schon
erkennen, dass sie erklären wird, dass
die Bedingungen für eine Abberufung von
Chavez noch nicht reif seien. Im Übrigen
weiß sie auch, dass ein Referendum gegen
Chavez in jedem Fall auch von Abstimmungen über
die Gouverneure und Abgeordneten der Opposition
begleitet wäre, von denen nur wenige bereit
sind, auf ihre Machtposition zu verzichten.
Sollte es tatsächlich zu einer Abberufung
von Chavez kommen, dann gäbe es für
die Opposition ein weiteres Problem: Bis zum
Beweis des Gegenteils zeigt nichts an, dass
der gegenwärtige Präsident sich bei
den nächsten Wahlen nicht erneut bewerben
könnte. In einem solchen Fall hätte
der Chavismus nur einen einzigen Kandidaten,
nämlich Chavez selbst. Und wie viele Kandidaten
stünden für die Opposition? Es genügte,
wenn sie nur zwei aufstellen würde, damit
Chavez mit ziemlicher Sicherheit die Wahlen
gewänne. Aber auch wenn das Mandat von
Chavez nicht angegriffen wird, so ist bei der
Opposition keinerlei Garantie gegeben, dass
sie nicht nach einem nicht verfassungskonformen
Weg suchen wird, um mit dem Chavismus an der
Regierung aufzuräumen.
Die „bolivarische Revolution“ stellt
eine notwendige Übergangsetappe dar, die
den Weg für eine Revolution freimachen
könnte, die von den unterdrückten
Teilen der venezolanischen Gesellschaft geführt
würde. Damit sie das Licht der Welt erblickt,
bedarf es politischer und gewerkschaftlicher
Netze der Solidarität.
Übersetzung:
Paul B. Kleiser
1
Die bereits 1944 gegründete Demokratische
Aktion ist eine populistische Partei der Linken,
die Mitglied der Sozialistischen Internationale
(der Sozialdemokraten) ist. Die COPEI (unabhängiges
politisches Wahl-Organisationskomitee) ist die
christdemokratische Partei. Die URD, die Republikanisch-Demokratische
Union, die heute bedeutungslos ist, war eine
linksnationalistische Partei. Die Kommunistische
Partei Venezuelas profitierte von einer erheblichen
strategischen und politischen Autonomie gegenüber
Moskau. Sie war Anhängerin einer Politik
der Klassenzusammenarbeit gegenüber dem
Imperialismus, was sie dazu führte, ihre
Politik der nationalen Union vermittelt über
die Patriotische Junta fast bis zur Selbstaufgabe
durchzuführen.
2
Causa Radicalist eine Partei, die 1971 aus einem
Teil der KPV entstand, dem klar war, dass die
Guerilla gescheitert war und der sich einer
sozialdemokratischen Orientierung widersetzte.
Man beschloss also, alle Kräfte in die
Gewerkschaftsarbeit in einem Großunternehmen
der Eisenverarbeitung zu stecken. Als unorthodoxe
marxistische Partei hätte Causa Radical
1993 beinahe die Präsidentschaftswahlen
gewonnen.
3
Bandera Roja entstand aus einer Spaltung des
MIR ( Movimiento de Izquierda Revolutionaria
, einer revolutionär-marxistischen Abspaltung
von der AD 1961). Zu Beginn der siebziger Jahre
weigerten sie sich, die Waffen niederzulegen
und behielten einen kleinen Militärapparat
bei. In den achtziger Jahren schlugen sie eine
pro-albanische Orientierung ein und gegenwärtig
gehören sie zur Opposition
und werden als der bewaffnete Arm der Koordination
angesehen, in der rechte Kräfte das
Sagen haben.
4
Der Fall Pablo Medina ist symptomatisch für
die Spaltung der Linken gegenüber Chavez.
Als wichtige Figur in Causa Radical und revolutionärer
Marxist war er Sekretär der PPT und einer
der Führer der Bewegung gegen die Bezahlung
der Auslandsschulden in Venezuela. Er beteiligte
sich aktiv an der Abfassung der neuen Verfassung.
Er schrieb ein Buch, „Rebeliones“,
in dem er der Machtübernahme durch Chavez
eine wichtige Rolle zuschrieb, wiewohl er ihn
allerdings bei den Wahlen von 1998 nicht unterstützte.
Als er dann an der Spitze der PTT stand, versuchte
er, einen Bruch zwischen seiner Partei und Chavez
durchzusetzen, was ihm teilweise gelang; aber
auf dem Parteitag der PTT wurde diese Orientierung
später missbilligt. Er verließ die
PTT als Einzelner, obwohl der Rest seiner Familie
in der Führung der Partei blieb. Im ersten
Halbjahr 2002 schloss er sich der Opposition
an und tauchte unter den Putschisten im Präsidentenpalais
im April 2002 auf. Heute ist er Mitglied der
Demokratischen Koordination, ein Organisationskartell,
das mit aller Macht das „castrokommunistische
Regime von Chavez“ bekämpft und vor
allem aus Leuten der Rechten besteht. In Venezuelas
Politik gibt es eben zahlreiche Mysterien...
5
Seit 2002 ist die Mehrheit des MAS in die Opposition
gegangen. Jene, die diesen Weg nicht mitgehen
wollten, haben sich in einer neuen Partei zusammengeschlossen,
Für die Soziale Demokratie (PODEMOS), was
auch „Wir können“ bedeutet.
Der erste Massenauftritt versammelte im April
2003 25 000 Menschen.
6
Die Artikel 72ff. sehen die Abwahl aller MandatsträgerInnen
vor, sowie die Ablehnung eines Gesetzes oder
Vertrages sowie die Gesetzesinitiative
und die Abhaltung einer Volksabstimmung über
jede bedeutsame Frage. Bei den MandatsträgerInnen
kann die Abwahl ab der Mitte der Legislaturperiode
erfolgen. Diejenigen, die ein Referendum durchsetzen
möchten, brauchen dazu 20 Prozent der jeweiligen
Wahlberechtigten. Damit ein Mandat aberkannt
wird, muss die Zahl der für die Abberufung
abgegebenen Stimmen höher sein als die
Zahl der erhaltenen Stimmen des/der Gewählten.
Die Halbzeit des Mandats von Chavez endet am
19. August; ab diesem Tag könnte die Opposition
ihre Unterschriften beim Nationalen Wahlrat
(CNE) vorlegen. Die Mandate der Abgeordneten,
der Bürgermeister und der Gouverneure hätten
schon vor einigen Monaten angegriffen werden
können, aber die Aufstellung des Wahlrates
hatte noch nicht stattgefunden, so dass kein
Referendum stattfinden konnte. Die Opposition
möchte um alles in der Welt solche Abstimmungen
über die mit Chavez gewählten Abgeordneten
vermeiden, die seither ins Lager der Opposition
übergetreten sind, um ihr Feuer auf den
Präsidenten richten zu können.
7
Der bekannteste Fall ist der von Alfredo Peña.
Er war für die MVR von Chavez Mitglied
der Konstituierenden Versammlung und verteidigte
wärmstens das Prinzip der Dezentralisierung,
also auch die Erhaltung einer dezentralen Polizei.
Nachdem er mit Unterstützung von Chavez
zum Bürgermeister von „Groß-Caracas“
gewählt worden war, wurde er schnell sein
wichtigster Gegner und stellte die Stadtpolizei
von Caracas in den Dienst der Urheber des Staatsstreichs
vom April 2002. Alfredo Peña ist ein
typischer Fall von Karrierismus im politischen
Block von Chavez selbst. Jener hatte Peña
gegen den Kandidaten Aristobula Isturiz, ein
Mitglied der PPT, der heutigen Erziehungsminister
und ein „Pfeiler der Revolution“
unterstützt.
8
Das trifft z.B. auf Luis Miquilena zu. Zunächst
war er die „graue Eminenz“ von Chavez
und der Organisator der Partei MVR sowie Vorsitzender
der Konstituierenden Versammlung, danach wurde
er Mitglied des Obersten Gerichtshofes. Nachdem
er von Chavez aus dem Machtzentrum entfernt
worden war, wurde er zum Pflock von Arbeitern
beim Staatsstreich. Der von ihm ernannte Oberste
Gerichtshof entschied im August 2002, es habe
in Venezuela keinen Staatsstreich gegeben, sondern
nur ein „Machtvakuum“. In Venezuela
gibt es einflussreiche Netze, die mächtiger
sind als die Gesetze.
9
Während des Ausstandes in den Monaten Dezember
2002 und Januar 2003 hatte der Bürgermeister
von Groß-Caracas, Alfredo Peña,
dem die Schulen unterstehen, den Befehl gegeben,
die Schulen zu schließen.
10
Die UNT fasst die größten Verbände
zusammen, die die CTV verlassen haben. Am 1.
Mai demonstrierten unter den Fahnen der UNT
wahrscheinlich hunderttausend DemonstrantInnen.
11
Die Armee sorgt für Märkte des Volkes,
wo es das Lebensnotwendigste zu Preisen, die
jede Konkurrenz ausstechen, zu kaufen gibt.
Auch wurde der erste öffentliche Laden
der Ernährung im April eröffnet und
es ist ein Projekt der Regierung, in den Vierteln
der armen Bevölkerung Lebensmittelläden
mit sehr günstigen Preisen zu eröffnen.
Abkürzungen
AD Acción Democrática
Demokratische Aktion
COPEI Comité de Organización
Política Electoral Independiente
– Partido Social Cristiano de Venezuela
wörtlich: Unabhängiges politisches
Wahlorganisationskomitee; Sozialchristliche
Partei Venezuelas
CTV Confederación de Trabajadores
de Venezuela Dachverband der Arbeitenden
Venezuelas
MAS Movimiento al Socialismo Bewegung
für den Sozialismus
MBR-200 Movimiento Bolivariono Revolucionario
Revolutionäre Bolivarianische Bewegung
MIR Movimiento de la Izquierda Revolucionaria
Bewegung der Revolutionären Linken
MVR Movimiento Quinta República
Bewegung Fünfte Republik
PCV Partido Comunista de Venezuela Kommunistische
Partei Venezuelas
PDVSA Petróleos de Venezuela S.A.
Erdöl von Venezuela AG
PODEMOS Por la Democracia Social Für
die soziale Demokratie
PPT Patria Para Todos Vaterland für
alle
UNT Unión Nacional de los Trabajadores
Nationaler Verband der Arbeitenden
URD Unión Republicana Democrática
Republikanische Demokratische Union |
Ein
Putschversuch nach dem anderen
Nachdem
die Opposition 1998 und 2000 in den Wahlen
empfindliche Niederlagen einstecken musste,
konnte sie von 2001 an wieder Hoffnung
schöpfen, als die Regierung ihre
wichtigsten Gesetze ankündigte: die
Fischereigesetze, die die kleinen Fischer
vor dem industriellen Fischfang schützen,
ein Landgesetz, das eine vorsichtige,
aber notwendige Agrarreform vorsieht,
neue Steuergesetze, die in einem Land,
wo niemand daran gewohnt war, die gesetzlich
vor-gesehenen Steuern tatsächlich
zu zahlen, ein anderes Konzept einführen
sollen.
Von da an schlug die Opposition eine Strategie
permanenter Destabilisierung ein –
mit wirtschaftlicher Destab-ilisierung
durch das Leitungspersonal der Ölindustrie
und das einheimische und internationale
Unternehmertum, permanenten Demonstrationen
der Mittel- und der Oberschicht, die von
einer Medienpolitik, die der schlimmsten
Diktaturen würdig wäre, aufgegriffen
und hochgespielt werden, militärischer
Strategie.
Die wirtschaftliche Sabotage hatte zum
Zeitpunkt der Aussperrung in den Monaten
Dezember 2002 und Januar 2003 ein gigantisches
Ausmaß angenommen. Die wichtigste
Industrie ist von ihrer Leitung zum Stillstand
gebracht worden, die wegen der hochgradigen
Automatisierung, nur die Passwörter
für die elektronischen Geräte
für sich behalten mussten, um die
Produktion in der Ölindustrie zu
blockieren. Um den Erfolg sicherer werden
zu lassen, sind einige Werke und Quellen
jedoch einfach sabotiert worden, Pipelines
wurden unterbrochen, Pumpen zugeschweißt
usw. Gleichzeitig haben die großen
Nahrungsmittelbetriebe die Produktion
eingestellt, was für die Ärmsten
im Lande zu schweren Engpässen geführt
hat. In den Elendsvierteln, in denen es
nicht wie in innerstädtischen Bereichen
Anschlüsse an Gasleitungen gibt,
mussten die Familien zum Kochen auf Holzfeuer
zurückgreifen, da es keine Gaskartuschen
mehr gab. Hinzu kommt, dass die ausländischen
Reserven wegen massiver Kapitalflucht
(im Sommer 2002 50 Milliarden Dollar)
zusammengeschmolzen sind.
Ab Dezember 2001 hat in Venezuela ein
ganzes Jahr der Demonstrationen der Opposition
stattgefunden, sie verlangte den Rücktritt
des Staatschefs. Einige Male kamen mehrere
Hunderttausend zusammen. Eine derartige
Mobilisierung konnte mit Hilfe der absolut
surrealistischen Politik der Massenmedien
erzielt werden. So strahlen die privaten
Fernsehkanäle nicht ein einziges
Bild von den Demonstrationen für
Chávez aus, dagegen rufen sie zu
den Kundgebungen der Opposition auf und
übertragen sie direkt. Die Teilnahme
an diesen Demonstrationen wird von den
MeinungsmacherInenn als „heldenhaftes
Verhalten“ hingestellt, denn man
muss ja gegen die „castro-kommunistische
Diktatur“ standhalten. Seit über
einem Jahr lautet das Motto: Chávez
hat keinen Rückhalt mehr, er wird
bald stürzen. Zwischen den Sendungen
wird Werbung für die Opposition ausgestrahlt,
mit Wiederholungen. Einige JournalistInnen,
die ihren Beruf gewissenhaft ausüben,
beschreiben die Lage als einen Medienputsch.
Seit über einem Jahr setzt die Opposition
auf einen gewaltsamen Sturz von Chávez.
Im Dezember 2001 sind zum ersten Mal Militärs,
die abtrünnig geworden waren, bei
den Protesten gegen die ersten großen
Gesetzesmaßnahmen mitmarschiert.
Im April 2002 verlangte ein Teil des Generalstabs
den Rücktritt von Chávez und
setzte ihn gefangen, als er sich weigerte.
Die Reaktion des venezolanischen Volks
und der loyalen Truppen ist bekannt. Im
Oktober 2002 erklärten die wichtigsten
Akteure des Putschversuchs vom April die
Plaza Altamira in einem der vornehmen
Viertel von Caracas zum „von der
Diktatur befreiten Territorium“.
Das geschah zu dem Zeitpunkt, als die
Oppositionsführer sich an die Armee
wandten. Sie sind bislang noch nicht von
diesem Platz entfernt worden und rufen
weiter zu einem Einschreiten der Streitkräfte
auf. Im Dezember 2002 setzte die Opposition
darauf, dass die Armee wegen der Block-ierung
der Wirtschaft innerhalb von weniger als
zehn Tagen die Kasernen verlassen werde,
um die Regierung zu stürzen.
Nach dem Fehlschlag der Aussperrung hofft
die Opposition weiter auf eine Erhebung
von Militärs. Sie betreibt Propaganda,
Venezuela gewähre den kolumbianischen
FARC Schutz. In Caracas explodierten Bomben,
die von der Opposition umgehend mit den
FARC in Verbindung gebracht wurden, die
angeblich irreguläre venezolanische
Truppen trainiere. Man verfolgt das Ziel,
dass Venezuela auf die Liste der „Schurkenstaaten“
kommt, und will eine extreme Spannung
zu dem benachbarten Kolumbien auslösen,
dem besten Verbündeten der USA (und
einzigen lateinamerikanischen Land, das
den Irakkrieg unterstützt hat). Die
Opposition verfügt über die
Mehrheit in dem Ausschuss für Gesetzgebung,
der vor dem Abfall von Sektoren gebildet
wurde, die in dem Chávez-Block
gewählt wurden. Dieser Ausschuss
blockiert 40 Gesetzesentwürfe der
parlamentarischen Mehrheit. Die Mehrheit
beschloss eine Änderung der Geschäftsordnung
der Nationalversammlung, nach der Gesetzentwürfe,
die allzu lange blockiert werden, automatisch
in der Versammlung zur Beratung anstehen.
Um eine Abstimmung über diese Änderung
zu verhindern, beschloss die Opposition,
das Zustandekommen von Parlamentssitzungen
physisch zu behindern. Die Mehrheit beschloss
daraufhin, Parlamentssitzungen auf der
Straße, „bei dem Volk“,
stattfinden zu lassen. Wollte man den
Grad der Radikalität der „bolivarianischen
Revolution“ am Maßstab der
Radikalität der Opposition gegen
sie ablesen, dann könnte keinerlei
Zweifel daran bestehen, dass Venezuela
die Avantgarde der antiimperialistischen
Bewegung in Lateinamerika darstellt! |
Antiimperialistische
Politik
Für
ein historisch mit den USA verbundenes
Land, wie Venezuela es ist, stellt die
Außenpolitik von Hugo Chávez
einen bedeutsamen Bruch dar; in der Vergangenheit
hatte das US-amerikanische State Department
Venezuela als ein Modell von Demokratie
im Gegensatz zu dem revolutionären
Kuba hingestellt. Mehr noch, es handelt
sich um das fortgeschrittenste lateinamerikanischeLand,
nicht weit vor den Toren des Empire. Im
Namen des Kampfs gegeneine unipolare Welt
hat die venezolanische Diplomatie in alle
Richtungen Strategien in Richtung Integration
Lateinamerikas, Stärkung der Verbindungen
mit der OPEC, Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen
zu China und Russland entwickelt. Sobald
sie ins Amt gelangt war, forderte die
Regierung das Militärbüro der
Vereinigten Staaten, das seine Einrichtungen
auf der wichtigsten Militärbasis
Venezuelas hatte, zum Auszug auf. Sie
sorgte dafür, dass ein Verbot der
Stationierung von ausländischen Truppen
auf dem Territorium des Landes in die
Verfassung aufgenommen wurde. Zugleich
untersagte die Regierung den US-Flugzeugen,
die sich im Rahmen der im Plan Colombia
vorgesehenen Überwachung auf dem
Weg nach Kolumbien befinden, den Überflug
des venezolanischen Territoriums; der
neue Präsident hat den Plan Colombia
öffentlich kritisiert. Der Entwurf
für eine Freihandelszone der Amerikas
(ALCA oder mit der englischen Abkürzung
FTAA), die die USA 2005 in Kraft treten
lassen möchten, wird von Präsident
Chávez abgelehnt, er gibt einer
politischen Integration Lateinamerikas
den Vorzug. Auf der Gipfelkonferenz [vom
April 2001] in Québec ist Venezuela
das einzige Land gewesen, das Vorbehalte
gegen dieses Abkommen geltend gemacht
hat. Präsident Chávez lehnt
es ab, die kolumbianischen FARC als terroristische
Organisation zu bezeichnen, er lässt
es bei der Verurteilung von terroristischen
Aktionen, die diese Guerilla verübt,
bewenden. Während der Wahlkampagne
hat Chávez die Solidarität
mit Kuba zu einer Achse seiner Außenpolitik
gemacht, und er tut dies bis heute. Im
Widerspruch zu dem 1960 von den USA über
die Insel verhängten Embargo hat
Venezuela eine umfangreiche Zusammenarbeit
eingeleitet. Auf dem Gebiet Erdöl
haben die beiden Länder ein Abkommen
über die Belieferung von Staat zu
Staat unterzeichnet, durch das Kuba günstige
Kreditbedingungen erhält, mit einem
an den internationalen Preis geknüpften
Index: Je teurer ein Barrel ist, desto
niedriger ist der Anteil der Rechnung,
der „cash“ zu zahlen ist,
und desto höher ist der Anteil, der
gestundet wird. Im Gegenzug stellt Kuba
Kontingente von Ärztinnen und Ärzten
sowie SportlehrerInnen, hat es 5 000 venezolanische
PatientInnen in kubanischen Krankenhäusern
behandelt und Hunderte von VenezolanerInnen
zur Ausbildung in Medizininstitute aufgenommen.
Venezuela ist das einzige Land Lateinamerikas,
das nicht für die letzte Resolution
der Menschenrechtskommission der UNO gegen
Kuba gestimmt hat, und bei seinen öffentlichen
Auftritten richtet Hugo Chávez
Fidel Castro regelmäßig Grüße
aus.
Venezuela hat mit einem Dutzend Ländern
der Karibik und Mittelamerikas Abkommen
über Öllieferungen geschlossen,
mit ähnlichen, wenngleich leicht
weniger vorteilhaften Kreditbedingungen
wie für Kuba; dadurch wird die Belastung
dieser kleinen Volkswirtschaften durch
die Ausgaben für Erdöl etwas
geringer. Chávez hat die Politik
der Stärkung der OPEC unterstützt
und im Jahr 2000 eine Gipfelkonferenz
dieser Organisation in Venezuela ausrichten
lassen; dort hat er die Entscheidung bekannt
gegeben, die Produktionsquoten würden
peinlich genau ein-gehalten werden. Die
unmittelbare Folge war, dass der Preis
eines Barrels umgehend angestiegen ist,
in wenigen Wochen kletterte er von 10
auf 20 Dollar. Im Rahmen dieser stärkeren
Zusammenarbeit hat Venezuela sich um die
Annäherung an die großen Exportländer
bemüht, also Libyen, Saudi-Arabien,
Iran und Irak. Chávez stattete
Saddam Hussein einen Besuch ab und war
damit der einzige Staatschef, der sich
nicht um das 1991 von dem Sicherheitsrat
der Vereinten Nationen verhängte
Embargo scherte. Diese Beziehungen gingen
dem State Department in Washington ziemlich
stark auf die Nerven, da es eine für
die Rohölimporte der USA wenig günstige
Achse Venezuela- Naher Osten ausmachte.
Venezuela stellte sich gegen den Afghanistan-Krieg
und den Irak-Krieg. Erst vor kurzem ging
Chávez den Internationalen Währungsfonds,
die Weltbank und die Welthandelsorganisation
an – als Agenturen, die eher die
Völker unterdrücken, als dass
sie ihnen helfen würden. Trotz allem
haben sich die Handelsbeziehungen zu den
USA nicht verändert. Venezuela ist
das Hauptlieferland für Erdöl.
Die Regierung der USA, die Präsident
Chávez Venezuela gestürzt
sehen möchte, die an dem Putschversuch
vom April 2002 aktiv beteiligt war und
die Übergangsregierung unter dem
führenden Unternehmer Carmona anerkannt
hatte, ist wegen der strikten Einhaltung
der verfassungsgemäßen Legalität
seitens der Regierung Chávez auf
dem Kontinent isoliert. Die Organisation
Amerikanischer Staaten verurteilte den
Staatsstreich. Allerdings verfügt
Chávez, abgesehen von Fidel Castro,
über keine strategischen Verbündeten
in Amerika. Bei dem letzten Treffen der
Rio- Gruppe im Juni 2003 war Chávez
der einzige Staatschef, der einen „integralen
strategischen Vorbehalt“ gegen die
Schlusserklärung anmeldete und öffentlich
eine internationale Debatte über
eine eventuelle militärische Intervention
in Kolumbien verlangte.
E. D. |
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