Die
Arbeiterbewegung in den USA:
Notstand und Zeichen der Erneuerung
Von
Lee Sustar
aus Inprekorr Oktober 2004
Ein
Gefühl von Notstand durchzieht die US-Arbeiterbewegung.
Vereinzelte organisatorische Erfolge konnten
die Arbeitsplatzverluste aufgrund von Werksschließungen
und Umstrukturierungen nicht ausgleichen. „Partnerschaften“
zwischen Arbeit und Kapital hatten, auch unter
Beteiligung traditionell kämpferischer
Gewerkschaften, Zugeständnisse in Höhe
von Dutzenden Milliarden Dollar in der Stahl-
und Automobilindustrie sowie im Luftverkehr
zum Ergebnis. Ursprünglich als vorübergehende
Lösungen für angeschlagene Industriezweige
eingeführt, sind diese Zugeständnisse
schnell zum Standard geworden. Die drei größten
Supermarktketten stellten ähnliche Forderungen,
und zwangen 59.000 Einzelhandelsbeschäftigte
[1] seit Oktober 2003 in einen monatelangen
Streik, der trotz mehrfacher strategischer Fehler
der Gewerkschaft breite Solidarität und
Unterstützung genoss.
Wir
werden Zeuge, dass die Gewerkschaften immer
weniger Druckmittel in Verhandlungen einbringen
können. Der Organisationsgrad im Privatsektor
fiel von 9,6 Prozent im Jahre 2002 auf 8,2 Prozent
in 2003. [2] Im Gegensatz dazu wurden in den
1950er Jahren die Spitzenwerte des Organisationsgrads
mit 35 Prozent in der Privatwirtschaft erreicht.
Heute steht in einzelnen Wirtschaftszweigen
„die Zukunft kollektiver Verhandlungen
überhaupt in Frage“, wie die Herausgeber
eines jüngst erschienenen Buches über
die Beziehungen zwischen Kapital und Arbeit
schreiben. [3] Staatsinterventionen gegen die
Gewerkschaften nehmen zu, von George W. Bushs
Anti-Gewerkschafts-Maßnahmen bis zu Bundes-Insolvenzrichtern,
die regelmäßig mit der Neuausfertigung
von Arbeitsverträgen drohen.
Die
Krise war Ansporn für ein Bündnis
bedeutender Gewerkschaftsführer, bekannt
als die „New Unity Partnership“
(Neue Einheits-Partnerschaft – NUP), eine
tief greifende Umstrukturierung der Arbeiterbewegung
zu fordern, mit dem Ziel der Organisierung der
Unorganisierten. Sogar über einen förmlichen
Bruch mit dem Dachverband AFL-CIO wird viel
geredet. [4] Ein weiterer Bruch entstand zwischen
den Arbeitergewerkschaften, die den Präsidentschaftsbewerber
Richard Gephardt unterstützten, der für
sein gewerkschaftsfreundliches Abstimmungsverhalten
im Kongress bekannt ist, und Howard Dean, der
den Gewerkschaften nichts versprach, aber von
den Führern der Dienstleistungsgewerkschaft
SEIU (Service Employees International Union)
und der Gewerkschaft AFSCME (American Federation
of State, County, and Municipal Employees) für
den öffentlichen Dienst als „wählbar“
gesehen wurde. Das Ergebnis war ein doppeltes
Debakel für die Arbeiterbewegung: Während
SEIU und AFSCME Deans „Wählbarkeit“
propagierten und die Lastwagenfahrergewerkschaft
(International Brotherhood of Teamsters) von
Gephardts Washingtoner „Beziehungen“
schwadronierte, strömten die gewerkschaftlichen
Wähler zu einem Kandidaten, der behaupten
konnte, auf beiden Gebieten stärker zu
sein – zu John Kerry. Die Arbeiterbewegung
trottete nun hinter Kerry her, mit weniger eigenem
Profil als je zuvor. [5]
Doch
es entstehen andere, hoffnungsvollere Elemente
in der Arbeiterbewegung. An der Basis wächst
die Bereitschaft zum Widerstand und für
politische Aktivitäten außerhalb
der Wahlen.
In
den letzten Monaten des Jahres 2003 gab es Streiksiege
der Beschäftigten der Yale-Universität
und der Chicagoer Stadtentwässerung. [6]
Kurz danach gelang es einer rebellischen Basis
beinahe, die Führung der Lehrergewerkschaft
von Chicago in einen Streik gegen einen schlechten
Tarifvertrag zu zwingen. [7] In drei wichtigen
Teamsters-Ortsverbänden in Chicago, Milwaukee,
and Seattle wurden Verantwortliche der konservativen
Gewerkschaftsführung abgesetzt. [8] Inzwischen
unterstützten die Gewerkschaften eine Reihe
von Kundgebungen zugunsten der Rechte von Immigrantinnen
und Immigranten als Teil einer landesweiten
Kampagne „Freiheitsrechte“, die
einer Kundgebung von 100.000 Menschen in New
York am 9. Oktober gipfelte. [9] Im Monat danach
gingen 20.000 Arbeiterinnen und Arbeiter auf
die Straße um gegen die gesamtamerikanische
Freihandelszone (Free Trade Area of the Americas
– FTAA) zu protestieren und setzten gegen
Polizeigewalt eine Demonstration durch, die
die Behörden verhindern wollten. [10] Danach
demonstrierten Tausende in verschiedenen Städten
im ganzen Land für ihr Recht, den Internationalen
Menschenrechtstag zu organisieren. Und im ganzen
Jahr 2003 legitimierte die gewerkschaftliche
Antikrieggruppe US Labor Against the War trotz
ihrer begrenzten Größe Anti-Kriegs-
und Anti-Besatzungspolitik der Gewerkschaften
– eine lange überfällige und
wichtige Entwicklung, vor allem angesichts der
jahrzehntelangen Kollaboration mit der US-Außenpolitik
im Kalten Krieg. [11]
Sicherheitshalber
werden die Gewerkschaften alles auf die Wahlen
2004 werfen. Trotzdem sind die Kämpfe und
Aktivitäten der letzten Monate Anzeichen
für die Bemühungen der Arbeiterbewegung,
ihre Krise in den Griff zubekommen, wenn auch
stockend und unterschiedlich. Sowohl Potenzial
als auch Grenzen der Gewerkschaften wurden beim
Kampf der United Food and Commercial Workers
(UFCW) gegen Zugeständnisse bei der Gesundheitsversorgung
und andere Kürzungen sichtbar, wobei der
Hauptkampf in Süd-Kalifornien trotz der
konfusen und widersprüchlichen Strategie
der UFCW Arbeitersolidarität in einem seit
Jahren nicht mehr gesehenen Ausmaß mobilisierte.
Auch wenn das Ergebnis noch nicht klar ist,
hat der Kampf bereits konkret gezeigt, dass
gewerkschaftlich organisierte Arbeiterinnen
und Arbeiter und ihr Umfeld sich hinter einen
Kampf stellen, dessen Themen alle arbeitenden
Menschen betrifft, organisierte wie unorganisierte.
Nelson Lichtenstein, Historiker der Arbeiterbewegung,
sagte zur Los Angeles Times: „Einige Streiks
beginnen, über sich selbst hinauszuwachsen,
und dies ist einer von ihnen. Er ist zu einem
politisierenden Ereignis geworden, das Menschen
zwingt, Position zu beziehen, auf die eine oder
andere Art.“ [12]
Sich
verschärfende Angriffe der Unternehmer
von oben, zunehmende Unruhe der Basis von unten,
Spaltungen in der Führung, neue Öffnungen
für Aktivitäten und Organisierung
– all das zusammen ist eine potenziell
explosive Mischung. Der Aufgalopp vor dem nächsten
AFL-CIO-Gewerkschaftstag 2005 wird darum zu
einer viel tiefer gehenden Debatte über
die Zukunft der Arbeiterbewegung führen
als 1995, als AFL-CIO-Präsident John Sweeny
die alte Garde absetzte. Die gewerkschaftliche
Linke wird, trotz ihrer Schwäche, die Gelegenheit
haben, in diese Debatte einzugreifen und eine
Strategie von Basisorganisation, Gewerkschaftsdemokratie,
Ablehnung von Zugeständnissen und Gewerkschaftskampagnen,
gestützt auf aktive Arbeiterinnen und Arbeiter
und den Aufbau von Bewegungen, vorschlagen.
Unternehmeroffensive
auf Hochtouren |
Die
Rezession von 2001 und die nur schwache Erholung
haben es den Unternehmern erlaubt, ihre Angriffe
auf die Arbeiterinnen und Arbeiter auf ein seit
der Präsidentschaft Ronald Reagans 1980
beispielloses Maß zu verschärfen.
Wie in der Reagan-Ära dienten Steuerkürzungen
für die Reichen als ideologisch-politische
Verpackung für einen Mehrfrontenkrieg gegen
die Arbeiterinnen und Arbeiter. Reallöhne
stagnierten oder fielen für die Mehrheit
der Beschäftigten, da ein wachsender Teil
der Einkünfte in die Profite gelenkt wurde.
[13] Um dies auszugleichen, griffen Arbeiterinnen
und Arbeiter immer mehr zu Krediten, oft über
Kreditkarten mit astronomischen Zinssätzen.
Im Jahre 2003 stiegen die Konsumentenkredite
auf eine Höhe von 2 Billionen Dollar, und
die Zahl der Privatinsolvenzen erreichte 1,6
Millionen. [14] Der Verlust von drei Millionen
Arbeitsplätzen seit 2001 führte darüber
hinaus zum schlechtesten Arbeitsmarkt seit der
großen Krise der 1930er Jahre. Langzeitarbeitslosigkeit
stieg zwischen 2001 und 2003 um 70 Prozent;
zwei Millionen Menschen sind für 27 Wochen
oder länger arbeitslos. [15] Einen Arbeitsplatz
zu behalten, ist nur ein Teil des Kampfes. Von
den etwa vierzig Millionen Menschen ohne Krankenversicherung
2001 waren fast 26 Prozent bei einem Großunternehmen
beschäftigt. [16]
Dank
explodierender Produktivität haben die
Unternehmer die Rate der Neueinstellungen noch
unter dem Niveau der Boom-Jahre der 1990er gehalten:
ein Zuwachs von 4,3 Prozent in 2002/2003. [17]
Es
gab buchstäblich keine Investitionen in
High-tech-Ausrüstung, die angeblich den
Produktivitätsschub in den Neunzigern bewirkt
hatten. Logische Konsequenz: Weniger Menschen
arbeiteten härter um mehr zu produzieren,
während ihre Löhne stagnierten oder
fielen. [18]
Die
Bush-Administration mag die Unternehmeroffensive
beschleunigt haben, aber sie hält im Grunde
unvermindert seit der Präsidentschaft von
Bill Clinton an. Clinton verantwortet die Nordamerikanische
Freihandelszone (NAFTA), die Wohlfahrts„reform“
und Deregulierung; durch Streichung von Arbeitsplätzen
und Kürzung von Sozialausgaben erreichte
er einen ausgeglichenen Haushalt, und seine
Wirtschaftspolitik war eine direkte Förderung
der Banker an der Wall Street. [19] Während
Demokraten und Republikaner dieses Programm
unterschiedlich fortschreiben wollen, verfolgen
sie doch beide eine vom Big Business schon Anfang
der 70er Jahre aufgestellte Agenda. Paul Krugmann,
Wirtschaftswissenschaftler an der Princeton
University und Kolumnist der New York Times,
schrieb dazu: „Man kann nicht verstehen,
was in Amerika heute passiert, ohne das Ausmaß,
die Ursachen und die Konsequenzen des gewaltigen
Anstiegs der Ungleichheit in den letzten Jahrzehnten
zu verstehen, insbesondere die Konzentration
von Einkommen und Wohlstand in den Händen
einiger weniger. [20]
Die
Gewerkschaften: Tiefe der Krise |
Als
Haupthindernis für diese Wohlstandsverschiebung
von der Arbeit zum Kapital waren die Gewerkschaften
ständig im Fadenkreuz des Amerikas der
Unternehmer. Sie nutzten die Krise 2001 und
die anhaltende Arbeitslosigkeit, um die praktisch
völlig Beseitigung von Flächentarifverträgen
in einigen Wirtschaftszweigen zu Ende zu bringen.
Dieser Prozess ist am stärksten, wo die
organisierten LKW-Fahrer einst das Symbols der
Teamsters von Jimmy Hoffa Sr. und von Gewerkschaftsmacht
überhaupt waren. Heute steht der Organisationsgrad
der Trucker bei 18 Prozent, wobei United Parcel
Service (UPS) für aus dem Durchschnitt
herausragt. Der vom jüngeren Jimmy Hoffa
schlecht geplante und in die Niederlage geführte
Streik gegen die LKW-Gesellschaft Overnite hat
letztlich nur die Schwäche der Gewerkschaft
sichtbar gemacht; die wachsende Stärke
der nicht gewerkschaftlich organisierten Federal
Express im Transportgewerbe hat den Druck auf
die Gewerkschaft erhöht. Aus dem LKW-Sektor
dieses Wirtschaftszweigs sind die Gewerkschaften
zu großen Teilen herausgedrängt:
„Man kann wohl annehmen, dass gewerkschaftliche
Tarifverträge in dieser Branche bald nicht
mehr haltbar sein werden“, schrieb Michael
Belzer, ein früherer Teamster und heute
anerkannter Wissenschaftler der Transportwirtschaft.
[21]
Selbst
dort, wo die Gewerkschaften noch nennenswerte
Hebel in der Hand halten, haben die Unternehmer
die schwache Ökonomie benutzt, um Zugeständnisse
zu fordern, die noch mehr Arbeitsplätze
strichen und Löhne und Sozialleistungen
begrenzten oder kürzten – und Gewerkschaftsfunktionäre
haben dem in den meisten Fällen zugestimmt.
Dies gilt sogar für hochprofitable Unternehmen.
Selbst bei Verizon, der führenden Telekommunikationsgesellschaft
der USA, stimmten die Gewerkschaften nach Aussagen
von Managern Zugeständnissen bei der Gesundheitsversorgung
und der Arbeitsplatzsicherheit im Werte von
1 Milliarde Dollar zu. [22]
Bei
den Fluggesellschaften nutzten die Unternehmer
Verluste, um Zugeständnisse zu rechtfertigen,
die Jahre, wenn nicht Jahrzehnte gewerkschaftlicher
Erfolge zurückrollten. Entgegen der offiziellen
Rechtfertigung, nach der es um Opfer zur Rettung
der Airlines nach den Anschlägen vom 11.
September 2001 ging, waren die Zugeständnisse
in Wirklichkeit die Lösung der Unternehmer
für Überkapazitäten, von der
die US-Wirtschaft generell betroffen war. Bei
der bankrotten United Airlines belaufen sich
die Kürzungen bei Löhnen, Arbeitsplätzen
und -vorschriften auf 2,56 Milliarden Dollar
in jedem der nächsten vom Vertrag abgedeckten
sechs Jahre. [23] (Die United-Mechaniker bestraften
dann ihre Gewerkschaft IAM (International Association
of Machinists), indem sie beschlossen, zu einer
Handwerker-Gewerkschaft zu wechseln.) Bei den
ebenfalls bankrotten US Airways erreichte die
Gesellschaft Zugeständnisse von 7,9 Milliarden
über sieben Jahre und schloss die Pensionskasse
der Piloten. [24] American Airlines erpressten
mit der Drohung einer Insolvenz 1,8 Milliarden
jährlich in einem 4-Jahres-Abkommen –
und gaben dann die Existenz bankrottsicherer
Pensionspläne für Top-Manager zu.
[25] Dazu kommt, dass bereits vor diesen Zugeständnissen,
seit den 80er Jahren, die Reallöhne in
der Luftfahrt gefallen waren, für Stewardessen
etwa um mindestens 20 Prozent. Und dies im am
stärksten gewerkschaftlich organisierten
Sektor der Privatwirtschaft, wo 2002 etwa 39
Prozent der Beschäftigten Gewerkschaftsmitglied
waren. [26]
In
der Stahlindustrie sind die etwa 600.000 Ruheständler
Hauptziel für Zugeständnisse. Mit
ihrer Zustimmung zu einem Restrukturierungsplan
durch Insolvenzgerichte hat die Stahlarbeitergewerkschaft
USWA (United Steelworkers of America) den Unternehmern
erlaubt, die Gesundheitszahlungen für die
Ruheständler zu kürzen und die Rentenzahlungen
an die Pension Benefits Guarantee Corp. der
Regierung zu übertragen, die mit mehr als
11 Milliarden im Minus ist und den Rentnern
nur einen Teil dessen auszahlt, was ihnen zusteht.
[27] Dies, wie auch gemeinsame Eintreten zusammen
mit den Unternehmern für höhere Importzölle
auf Stahl, ist die Strategie der Gewerkschaft
zur Verteidigung der verbleibenden 124.000 Arbeitsplätze
in der Stahlindustrie – um den Preis,
die früheren Generationen von Stahlarbeitern
fallen zu lassen. Am Ende hat USWA-Präsident
Leo Gerard ein Spitzenbündnis mit Wilbur
Ross, einem Wall-Street-Finanzier, der die International
Steel Group (ISG) auf den Ruinen der LTV Steel
and Bethlehem Steel gründete, geschlossen.
(U.S. Steel machte einen ähnlichen Zukauf,
indem sie die bankrotte National Steel übernahm
und 35.000 Rentner und Angehörigen die
Zahlungen kürzte.) [28] Ross unterstützte
die jetzt ausgelaufenen Stahlzölle für
China und andere Länder. Trotzdem hat ISG
eine komplette frühere LTV-Stahlhütte
nach China transportiert, wo sie in zwei oder
drei Jahren die Produktion aufnehmen und weiteren
Billigstahl auf den Markt werfen wird. [29]
Die
Automobilarbeitergewerkschaft UAW (United Auto
Workers) machte bei den Verhandlungen über
einen 4-Jahres-Vertrag für 307.000 Arbeiterinnen
und Arbeiter im September 2003 ebenfalls beispiellose
Zugeständnisse, aber hauptsächlich
für künftige Beschäftigte. Neu
eingestellte in Delphi, einem früheren
Werk von General Motors (GM), und Visteon, einem
Ford-Ableger, werden 14 bis 16 Dollar pro Stunde
bekommen, etwa 10 Dollar weniger als jetzige
Arbeiterinnen und Arbeiter und Beschäftige
in Montagewerken. Die genaue Höhe der Lohnkürzungen
war nicht sofort bekannt, weil die UAW bereit
war, die Verhandlungen abzuschließen,
nachdem der Vertrag ratifiziert war. Das Abkommen
gibt das 66 Jahre alte Prinzip „Gleicher
Lohn für gleiche Arbeit“ auf –
und um die Ratifizierung zu sichern, wurden
die Stimmen der GM-Arbeiter mit denen von Delphi
zusammen gezählt und entsprechend bei Ford
und Visteon. [30]
Beschäftigte
in Montagewerken sind auch betroffen, indem
sie mehr für die Verschreibung von Medikamenten
bezahlen müssen. Das Abkommen beinhaltet
einen Vertragsbonus (eine für alle gleiche
Einmalzahlung – d.Übs.). Die Renten
werden zum ersten Mal seit Jahrzehnten nicht
und die Grundlöhne in den nächsten
vier Jahren nur um 5 Prozent steigen. [31] Tatsächlich
sind die Löhne in der Automobilmontage
seit 1980 praktisch unverändert geblieben,
wenn man die Inflation berücksichtigt.
[32] Auf Abteilungsebene öffnet der Vertrag
die Türen für mehr „Team Concept“-Arbeit,
in der viele Arbeitsplatzbeschreibungen und
das nach Alter abgestufte Bewerbungsrecht eliminiert
werden. [33] Diese so genannten modernen „operating
agreements“ werden helfen, den Arbeitsplatzabbau
im Bereich der UAW zu beschleunigen. Am Ende
der Vertragslaufzeit werden der UAW, die 1979
ihren Rekord von 1,5 Millionen Mitgliedern hatte,
nur noch 600.000 bleiben, viele davon außerhalb
der Automobilindustrie. [34]
Die
UAW plant, die Zentren ihrer Mitgliedschaft
umzubauen, indem sie Neutralitätsabkommen
mit den Unternehmern erreicht, die ihr die Organisierung
großer Zuliefererwerke gestattet. Im Ausgleich
will die UAW Lohnkürzungen akzeptieren
und bei der Verbesserung der Qualität mitwirken.
Als der Zulieferer Metaldyne Anfang des Jahres
ein Fertigungswerk für Einzelteile in New
Castle, Indiana von DaimlerChrysler kaufte,
stimmte die UAW entsprechend einer Lohnkürzung
um ein Drittel im Austausch für die Möglichkeit
zu, dieses bislang „gewerkschaftsfreie“
Werk zu organisieren. [35] Die Lohntüten
der Arbeiterinnen und Arbeiter werden geshreddert,
aber die Basis der Gewerkschaftsbeiträge
wird ausgeweitet – so etwa mögen
die UAW-Funktionäre hoffen.
Die
Realität ist, dass die UAW, die den Standard
für steigende Löhne in der Fertigung
setzte, um einen anständigen Lebensstandard
für alle Handarbeiter zu sichern, jetzt
Vorreiterin dafür ist, ihn nach unten zu
treiben. Man fragt sich, wie die Gewerkschaftsfunktionäre
glauben können, dass diese Strategie die
80 Prozent der Beschäftigten in der Automobilteilefertgung
ansprechen könnte, die bisher nicht gewerkschaftlich
organisiert sind – abgesehen von den Besserbezahlten
in den nicht organisierten „Transplants“
von Nissan, Toyota, Mercedes, BMW und anderen.
Das
Ausmaß der Konzessionen in der Automobil-
und Stahlindustrie, in der Luftfahrt und anderen
Branchen mag für manche Gewerkschaftsmitglieder
schockierend sein. Und doch sind sie absolut
logisch aus Sicht der Partnerschaft zwischen
Kapital und Arbeit, die die Strategie der US-Gewerkschaftsführer
seit einem halben Jahrhundert prägt. In
den Blütezeiten des US-Kapitalismus in
den 50-er und 60-er Jahren konnte ein solches
Vorgehen wachsenden Lebensstandard für
die Arbeiterinnen und Arbeiter bringen, selbst
wenn dem Kapital freie Hand zum Auszuschütten
enormer Profite gegeben wurde. Seit der Herausbildung
einer mehr Konkurrenzgeprägten Weltwirtschaft
seit den 1970-er Jahren versuchen die Unternehmer
jedoch bei jeder Gelegenheit Zugeständnisse
durchzusetzen oder ordnen sie einfach an. Gut
bezahlte und von der Basis isolierte Gewerkschaftsbürokraten,
die das Primat des Profits akzeptiert haben,
waren bis auf wenige Ausnahmen bereit, den Unternehmern
bei der Durchsetzung ihrer Kürzungen und
„Umstrukturierungen“ im Tausch für
die Garantie ihrer privilegierten Positionen
zu helfen. Der feurige Arbeiterführer aus
den Geschichtsbüchern hat also einer neuen
Generation farbloser Technokraten Platz gemacht,
die bestens im Verkaufen der Begründungen
des Managements für die Forderung nach
Zugeständnissen geschult sind –schlechte
Wirtschaft, ausländische Konkurrenz, Haushaltsdefizit,
Anti-Gewerkschaftsgesetze. Im Balanceakt zwischen
Unternehmern und Lohnabhängigen versucht
die Gewerkschaftsbürokratie, Konflikten
wo irgend möglich aus dem Weg zu gehen.
Zugeständnisse:
Die nächste Welle |
Doch
so sehr die Gewerkschaftsführer sich auch
bemühen, immer mehr Konflikte lassen sich
nicht vermeiden. Ein solcher Fall ist der Versuch
von UPS, sich aus dem Firmenübergreifenden
Pensionsfonds der Teamsters im Frachtgewerbe
zurückzuziehen. Im Streik von 1997 hatte
die Gewerkschaft nicht nur die Möglichkeit
der Übernahme von Teilzeitkräften
auf Vollzeitstellen erreicht, sondern auch den
Pensionsplan der Gewerkschaft verteidigt. Diesmal
will UPS, die schon 2002 Zugeständnisse
durchgesetzt hatte, die den Erfolg der Teilzeitkräfte
wieder zunichte machten, den Weg über den
Kongress versuchen. Der Vorschlag, die UPS-Pensionen
von denen anderer Firmen zu trennen, würde
Tausenden von Teamsters-Rentnern nur noch Pensionen
von 12.900 Dollar im Jahr belassen, etwa ein
Drittel der heutigen Zahlungen. [36] (Inzwischen
haben die Vertrauensleute der Teamsters einer
bedeutenden Pensionskürzung zugestimmt
und damit eine Serie gewalttätiger Proteste
in mehreren Teamsters-Ortsverbänden ausgelöst.
[37]
Wenn
UPS Erfolg hat, werden die anderen Unternehmer
folgen. David Stockman, früherer Budgetdirektor
in der Reagan-Administration und jetziger CEO
(Vorstandsvorsitzender) des Auto-Zulieferers
Collins & Aikman, rief im November die Bundesregierung
auf, eine Stiftung zu gründen und die Pensionen
der Autoindustrie zu übernehmen. [38] Insgesamt
fehlen den Rentenkassen der Unternehmer mindestens
350 Mrd. Dollar. [39] Verschiedene Großunternehmen
haben bereits damit gedroht, ihre Pensionskassen
zu schließen und der Regierung vor die
Füße zu werfen, was die Leistungen
drastisch kürzen und die Krise weiter vertiefen
würde. [40]
Wie
sieht es im öffentlichen Sektor aus, wo
die Gewerkschaften mehr Einfluss behalten haben?
Eine umfassende Analyse ist schwierig, wegen
der vielen und verschiedenen staatlichen Körperschaften,
mit denen die Gewerkschaften Verträge haben.
(Es sollte angemerkt werden, dass etwa sieben
Millionen Beschäftigte des öffentlichen
Dienstes wegen der Anti-Gewerkschaftsgesetze
in vielen Staaten und auf Bundesebene nicht
mehr das Recht auf kollektive Tarifverhandlungen
haben. [41]) Ein kurzer Blick auf die drei größten
Städte des Landes macht jedoch klar, dass
die Probleme dort dieselben wie in der Privatwirtschaft
sind: Outsourcing, steigende Gesundheitskosten
und Forderungen nach Produktivitätssteigerung.
In
New York hat die größte Gewerkschaft
des öffentlichen Dienstes, die 120.000
Mitglieder starke Bezirksgruppe 37 der AFSCME,
seit Juli 2002 keinen Tarifvertrag – oder
gar eine Lohnsteigerung – mehr erreicht.
Sie steht immer noch in einem in die Länge
gezogenen Kampf mit Bürgermeister Michael
Bloomberg um die Forderungen der Stadt nach
stromlinienförmigen Arbeitsregeln, Streichung
von Krankheitstagen, Urlaubstagen und mehr.
Bloomberg möchte die öffentlichen
Schulen zum Modell seiner Pläne machen.
Er fordert dort einen „schlanken Vertrag“,
der von der Lehrergewerkschaft in vierzig Jahren
erreichten Arbeitsregeln über Nacht streichen
und die Produktivität massiv steigern würde;
außerdem sollen die Hausmeisterdienste
privatisiert werden. [42]
Am
anderen Ende des Landes waren die Angestellten
im Bezirk Los Angeles, Mitglieder der SEIU-Ortsgruppe
660, nicht ganz so aggressiven Forderungen nach
Produktivität ausgesetzt, als sie Ende
2003 ihren Vertrag unterzeichneten. Sie stimmten
jedoch einem Einfrieren der Löhne in 2004
und einer Steigerung unterhalb der Inflationsrate
für die nächsten beiden Jahre zu.
Wenn die Kosten der Krankenversicherung des
Bezirks steigen, was sehr wahrscheinlich ist,
wird das selbst diesen kleinen Zuwachs auffressen.
[43] Als nächste im öffentlichen Dienst
des Bereichs Los Angeles stehen die Lehrer vor
Verhandlungen, die bereits Kürzungen in
Bezug auf die Haushaltskrise Kaliforniens hinnehmen
mussten und nun wahrscheinlich noch viel mehr
aufgeben werden. [44] In Chicago, wo die örtlichen
Gewerkschaften schon lange mit der Politmaschine
der Demokratischen Partei verwoben sind, sahen
sich die Gewerkschaftsführer gezwungen,
zu einem Protest gegen die Pläne von Bürgermeister
Richard Daley aufzurufen, der noch vor Weihnachten
1000 Beschäftigte hinauswerfen will –
die letzte in einer ganzen Serie von Arbeitsplatzvernichtungen
und Produktivitätskampagnen. [45] Dieses
Muster wiederholt sich überall im öffentlichen
Sektor.
Wenn
die Unternehmer – öffentliche wie
private – mutig genug sind, solch aggressive
Forderungen aufzustellen, dann, weil sie Hand
in Hand mit dem seit Jahrzehnten gewerkschaftsfeindlichsten
Bewohner des Weißen Hauses zusammen arbeiten.
Seit seiner Amtsübernahme hat George W.
Bush Zwangsschlichtungen bei Streiks im Luftverkehr
angedroht, das Taft-Hartley-Gesetz gegen die
Hafenarbeiter bei West Coast angewandt, die
Gewerkschaften aus weiten Teilen des neuen Heimatschutzmuseums
ausgesperrt, neue Regeln zur Kürzung der
Bezahlung von Überstunden von Millionen
Beschäftigten gefordert, den Gewerkschaften
Beschränkungen bei ihren Finanzen auferlegt
und so weiter. In ihrer Häufigkeit und
Aggressivität erinnern diese Angriffe des
Weißen Hauses auf die Gewerkschaften an
die Regierungszeit der Republikaner von 1920.
Diese
gewerkschaftsfeindliche Welle bereitete den
Grund für den größten Arbeitskampf
seit Ende der 90er Jahre: Streik und Aussperrung
im Einzelhandel
Der
Krieg in den Supermärkten |
Anders
als die mächtigeren Gewerkschaften in der
Schwerindustrie und im Luftverkehr, hatte die
Einzelhandelsgewerkschaft United Food and Commercial
Workers (UFCW) wenig Rückzugsraum, als
sie mit einer neuen Runde harter Forderungen
bei Gesundheitskosten und Löhnen konfrontiert
war. Jetzt, wo Wal-Mart ihren Konkurrenten Kroger
als größten Einzelhändler der
USA überflügelte, entschlossen sich
die großen Supermarktketten (und einige
kleinere regionale) die Macht der UFCW mit einer
landesweiten Serie simultaner Angriffe im Herbst
2003 zu brechen. Ein monatelanger Streik gegen
örtliche Ketten in St. Louis endete mit
einem Teilsieg; ein zwei Monate dauernder Ausstand
bei einer Kroger-Kette in West-Virginia endete
mit einer Teilniederlage. [46] Aber die Entscheidungsschlacht
sollte im südlichen Kalifornien geschlagen
werden.
Die
Zahlen erklären warum. Etwa 59.000 Menschen
sind bei den drei größten Supermarktketten
beschäftigt: Vons/Pavilion (Safeway), Ralphs
(Kroger) und Albertsons. Gewerkschaften und
Unternehmer sind sich einig, dass die Entscheidung
im südlichen Kalifornien Vorbildfunktionen
für die ganze Branche haben wird, vor den
kommenden Tarifverhandlungen in Indianapolis,
Chicago, Denver und anderen Städten.
Seit
Oktober 2003 fanden in den drei größten
Supermarktketten mehrmonatige
Streiks statt, an denen sich 59.000 Angestellte
beteiligten.
Selbst
gemessen an dem heute harten Klima für
Gewerkschaftsverhandlungen sind die Forderungen
der kalifornischen Unternehmer verheerend. Sie
wollen einen Vertrag, der die Beschäftigten
zwingen würde, einen Anteil der Gesundheitskosten
zu tragen, der sich nach UFCW-Schätzungen
auf 95 Dollar pro Woche belaufen würde
– ein riesiger Betrag für schlecht
bezahlte und oft nur in Teilzeit tätige
Angestellte. Außerdem sollen Neueingestellte
nur noch niedrigere Löhne erhalten. Manager
sollen das Recht erhalten, bisher gewerkschaftlich
organisierte Arbeit ohne Beschränkung auszulagern
und in größerem Ausmaß über
die zu leistenden Arbeitsstunden zu bestimmen.
Die UFCW-Führer mussten eine Grenze setzen.
[47] Am 11. Oktober 2003 zogen Streikposten
vor den Läden von Safeway's Vons and Pavilions
auf; am nächsten Tag sperrten Ralphs und
Albertsons ihre Beschäftigten aus.
Anders
als die Stahl- und Luftfahrtbosse können
sich die drei größten Supermarktketten
nicht auf Armut berufen. Ihre zusammen gerechneten
operativen Profite stiegen von 5,1 Milliarden
Dollar 1998 auf 9,7 Milliarden Dollar 2002.
[48] Doch der Druck von Wal-Mart zwingt sie,
sich entscheidend zu bewegen, solange es noch
möglich ist – und sie haben die feste
Unterstützung des Großkapitals. „Wenn
die Gespräche zur Beilegung des Einzelhandelsstreiks
im mittleren und südlichen Kalifornien
wieder aufgenommen werden, werden die Unterhändler
der Supermärkte einen treuen, aber unsichtbaren
Verbündeten mit am Verhandlungstisch sitzen
haben: die Börsenanalysten der Wall Street“,
schrieb die Los Angeles Times Ende Dezember.
Mia Kirchgaessner von der Investmentbank Sanford
C. Bernstein & Co. schrieb, Streik und Aussperrung
seien „eine der besten Investitionen,
die die Einzelhändler tätigen könnten,”
und eine, „die sich wahrscheinlich noch
nach Jahren bezahlt machen wird.” [49]
In
Los Angeles, wo die Gewerkschaften in den letzten
Jahren die größten Fortschritte bei
der Organisierung schlecht bezahlter Immigrantinnen
und Immigranten gemacht hatten, wäre eine
Niederlage für die UFCW ein besonders verletzender
Schlag. Von Anfang an nahm die Bezirksgruppe
Los Angeles des Gewerkschaftsbundes unter Führung
von Exekutivsekretär Miguel Contreras die
UFCW unter ihre Fittiche. Auch die UFCW-Führung
weiß, was auf dem Spiel steht. Anfang
Dezember rief die Gewerkschaft zu einem nationalen
Treffen aller örtlichen Vorsitzenden und
Spitzenfunktionäre in Los Angeles auf.
„Wir wollen die Frage genau hier stellen:
‚Wie können wir den Streik gewinnen?’
Denn wir können ihn nicht verlieren“,
sagte Greg Denier, der Pressesprecher der Gewerkschaft.
[50]
Zu
verstehen, dass der Streik zu bedeutend ist
um ihn zu verlieren, ist jedoch nicht dasselbe,
wie zu wissen, wie man ihn gewinnen soll. Die
UFCW organisierte eine seit Jahren beispiellose
Gewerkschaftssolidarität; und doch schreckt
sie vor einer Taktik zurück, die den Kampf
gewinnen könnte. Zunächst zog die
Gewerkschaft ihre Streikposten von den regionalen
Verteilzentren ab, die die Warenhäuser
versorgen, scheinbar unter Druck der Teamsters,
die etwa 6000 Fahrer und Lagerarbeiter der Gesellschaft
vertreten. Als nächstes zog sie ihre Streikpostenketten
von der Ralphs-Kette ab, um ein „Zeichen
des guten Willens“ gegenüber der
von den Buschbränden im Herbst schwer getroffenen
Bevölkerung im südlichen Kalifornien
zu setzen – obwohl die UFCW in West-Virgnia
immer noch im Streik gegen die Gesellschaft
stand. (Später kam heraus, dass die drei
Ketten ihre Profite in der Zeit von Streik und
Aussperrung teilen, und so den Versuch der Gewerkschaft
unterlaufen, sie gegeneinander auszuspielen.)
Kurz vor Thanksgiving schickte die Gewerkschaft
ihre Streikposten wieder vor die Läden,
nachdem sich die Teamsters bereit erklärt
hatten, Streikgeld an die Mitglieder zu zahlen,
die die Streikpostenketten respektierten [und
die Läden nicht belieferten – Anm.
d. Übs.] Aber einen Monat darauf wurden
sie wieder abgezogen, offenbar weil Teamsters-Chef
Hoffa sich daran störte, weiter Streikgelder
zu zahlen. [51]
Kurz
vor Weihnachten kehrte die UFCW an den Verhandlungstisch
zurück und bot die Zustimmung zu Kürzungen
im Bereich der Gesundheitsvorsorge an, die von
GewerkschaftsführerInnen mit $ 350 Millionen
beziffert wurden; die UnternehmerInnen wiesen
dies zurück, und die Gespräche wurden
tags darauf beendet. [52]Nach mehr als 3 Monaten
Kampf sahen sich die meisten Arbeiter ihrer
Gesundheitsunterstützung beraubt. Das Einschreiten
des AFL-CIO verlieh dem Kampf etwas neue Energie
mit einer lebhaften Versammlung am 31. Januar
mit 20.000 Gewerkschaftsmitgliedern aus dem
ganzen Bezirk Los Angeles. Tage später
jedoch stifteten die UFCW-FührerInnen dadurch
Verwirrung, dass sie plötzlich eine verbindliche
Schlichtung zur Beilegung des Streiks vorschlugen.
[53]
Und
sogar als der AFL-CIO sich um Solidaritätsaktionen
in den gesamten USA bemühte, konnte die
UFCW nicht einmal alle eigenen örtlichen
Führerungen in Marsch setzen. In Chicago
hatte der große UFCW-Bezirk 881 sich geweigert,
an einer öffentlichen Kampagne gegen die
Lebensmittelkette Safeway teilzunehmen und versucht,
einen separaten Vertrag mit diesem Unternehmen
auszuhandeln, der sogar auf die Schließung
vieler Läden in den Dominicks-Ketten hinauslief.
Das ganze interne Durcheinander wurde deutlich,
als die UFCW – im vierten Monat des Arbeitskampfs
– die Anzahl der streikenden und ausgesperrten
Arbeiter mit 59.000 statt mit den 70.000 bezifferte,
von denen sie zuvor immer gesprochen hatte.
Etwa 11.000 Arbeiter in kleineren Supermarktketten,
deren Eigentümer bereit sind, den Mustervertrag
später zu unterschreiben, hatten weitergearbeitet.
Die
unregelmäßige Streikführung
der UFCW-Führung hat Geschichte. Entstanden
durch einen Zusammenschluss im Jahr 1979 hat
die Gewerkschaft ständig kleinere Gewerkschaften
geschluckt, völlig außerhalb ihrer
Zuständigkeit, und in den meisten Fällen
deren eigene Verwaltungen beibehalten. [54]
Das Ergebnis ist eine Gewerkschaft, die groß,
aber kaum geschlossen ist – dominiert
von mächtigen, und manchmal korrupten,
regionalen Chefs und überbezahlten Spitzenleuten.
[55] Die Gewerkschaft ist berüchtigt für
den Streikbruch bei Hormel meatpackers in Austin,
Minnesota im Jahr 1985/1986, wo die Arbeiter
der UFCW-Ortsgruppe P-9 sich gegen Kürzungen
wehrten. Der damalige UFCW- Präsident William
Wynn behauptete, dass Nachgeben notwendig sei,
um ein Zeichen in der Fleischwarenindustrie
zu setzen. Das Ergebnis seiner Strategie war
die Transformation eines Industriezweigs mit
Spitzenlöhnen in Ausbeuterbetriebe für
niedrig bezahlte Immigranten. [56]
Der
Henker bei der Bezwingung der Ortsgruppe P-9
war Joseph Hansen, der deren Unterhändller
wurde und einen grob gewerkschaftsschädigenden
Vertrag aushandelte. Heute ist er der UFCW-Sekretär
für Finanzen und für das Sammeln von
Solidaritätsspenden beim Kampf im Einzelhandel
verantwortlich. Douglas Dority, der UFCW-Präsident
wurde, als Wynn im Zusammenhang mit Bestechungsvorwürfen
zurücktrat, war auch persönlich an
der Bezwingung der Ortsgruppe P-9 beteiligt.
Die Wirkung dieses Verrats ist noch immer erkennbar:
UFCW-Funktionäre ließen vor kurzem
in einem Tyson-Werk in Wisconsin zu, dass ein
11-Monats-Streik von 400 Fleischverarbeitern
sang- und klanglos einging. [57]
Supermarkt-Beschäftigte
der UFCW retteten ihre Krankenversicherung
und kehren nach 20 Wochen Streik an
ihre Arbeitsplätze zurück
Mit einer Mehrheit von 86% nahmen die
UFCW-Mitglieder in Süd-Kalifornien
den neuen Tarifvertrag an, der für
70.000 Beschäftigte in fast 900
Geschäften gilt, darunter die drei
Supermarkt-Ketten Safeway, Kroger und
Albertsons. Pressemitteilung
der UFCW vom 3.3.2004
John
Kerry besuchte UFCW-Streikposten:
Ich werde Bushs Steuergeschenke für
die Reichen zurücknehmen und
Geld für die Unterstützung
von Familien ausgeben
„Wenn ich Präsident bin,
werde ich Bushs Steuergeschenke für
die reichsten Amerikaner zurücknehme,
um den Amerikanern ohne Krankenversicherung
die Gesundheitsunterstützung
zu geben, die sie und ihre Familien
so dringend brauchen.“ John
Kerry, der voraussichtliche demokratische
Kandidat für die Präsidentschaftswahlen
im November, besuchte letzten Donnerstag
die Streikposten.
Pressemitteilung
der UFCW vom 1.3.2004
Starke
internationale Unterstützung
für Supermarkt-Streik
Handelsgewerkschaften in der ganzen
Welt verfolgen sehr genau den Supermarkt-Streik
in Süd-Kalifornien. Ihnen ist
bewusst, dass eine ähnliche Situation
schnell in Europa, Asien, Australien
oder anderen Teilen der Welt entstehen
kann, wenn es der UFCW und ihren Mitgliedern
nicht gelingt, die Krankenversicherung,
die Löhne, Renten und andere
Zahlungen der Einzelhandelsbeschäftigten
zu verteidigen.
Pressemitteilung
der UFCW vom 24.2..2004
Quelle:
http://www.union-network.org/UNIsite/Sectors/Commerce/index_ufcw_strike.htm
|
DIE
NEW UNITY PARTNERSHIP (NUP) UND DIE DEBATTE
ÜBER DIE ZUKUNFT DER ARBEIT |
Im
Jahr 2002 veröffentlichte der SEIU-Spitzenfunktionär
Stephen Lerner ein Dokument über eine Strategie,
um den Rückgang der Gewerkschaften umzukehren.
„Die Arbeiterbewegung ist, wie sie gegenwärtig
besteht, unfähig, Größe und
Macht von Gewerkschaften in den Vereinigten
Staaten auszudehnen“, schrieb er und fügte
später hinzu: „Wir können nicht
auf Konsens warten. Eine Gruppe aktiv organisierender
Gewerkschaften muss wie eine Arbeiterbewegung
zu handeln beginnen und zeigen, wie die Arbeiterbewegung
insgesamt vorgehen sollte.“ [58]
Ein
Jahr danach hatte diese Gruppe Gestalt als die
New Unity Partnership (Neue Einheit Partnerschaft
– NUP) angenommen. Ihr Kern sind drei
Gewerkschaftsvositzende und Absolventen von
Elitehochschulen: Andrew Stern von den SEIU,
John Wilhelm von der Gewerkschaft der Hotel-
und Restaurantangestellten (HERE) und Bruce
Raynor von der Textilgewerkschaft UNITE. Daran
beteiligt ist auch die Gewerkschaft der ungelernten
Arbeiter (LIUNA), und, außerhalb des AFL-CIO,
die Vereinigung der Zimmerleute, die sich im
Jahr 2001 aus der Föderation zurückgezogen
hatte. Die Pläne der NUP wurden im August
2003 am Vorabend des Treffens des Exekutivrates
des AFL-CIO den Medien zugetragen, um Sweeney
die Show zu stehlen und selber die Tagesordnung
der Arbeiterbewegung zu bestimmen. Auch wenn
die Frage einer formalen Trennung noch offen
ist, wird Sweeney zweifellos vor großen
Problemen stehen, wenn er seine Wiederwahl auf
dem AFL-CIO-Kongress 2005 erreichen will.
Kernargument
der NUP ist, dass die Gewerkschaften so schwach
sind, dass sie nicht mehr länger die Standards
auch für unorganisierte Arbeiter in denselben
Branchen setzen können. Dies wiederum schwächt
ihre Durchsetzungskraft gegenüber den Unternehmern
und ihre Anziehungskraft auf nicht organisierte
Arbeiter. Lerner argumentiert:
„In
ihrem fehlgeleiteten Einsatz ums Überleben
haben die Gewerkschaften durch planloses Organisieren
verschiedenster Bereiche nur ihre Kampfkraft
verwässert. Versuche, neue Mitglieder zu
gewinnen, um Verluste wieder gutzumachen –
ein bisschen im öffentlichen Bereich hier,
ein bisschen Kleingewerbe dort – diese
Gewerkschaften werden zu ‚allgemeinen
Arbeitervereinen’. Sie werden ‚Hansdampf
in allen Gassen und Meister von keinem’;
sie versuchen, die Verhältnisse in vielen
Industriezweigen zu verbessern, wo sie aber
jeweils zu wenige Arbeiter vertreten. ‚Allgemeines
Sammeln aller Arbeiter’ erlaubt einer
Gewerkschaft nur, ihren Rückgang in ihren
Kernbereichen zu verschleiern.“ [59]
Bis
hierhin gibt es wenig zu diskutieren. Was strittig
ist, ist die im durchgesickerten Dokument skizzierte
Lösung der NUP: eine radikale Umstrukturierung
von oben, bei der kleine Gewerkschaften mit
größeren verschmelzen sollen; neu
abgegrenzte Organisationsbereiche für 15
Kern-Industriezweige; Abschaffung örtlicher
Gewerkschaftsräte würden zugunsten
ernannter Funktionäre; 77 Prozent des Budgets
würde für Organisation zugeteilt,
der Rest für Politik vergeben. Und für
die Basis? „Die Arbeiter würden nicht
mehr als die Beitragszahler sein, die sie schon
allzu oft gewesen sind, – auch wenn sie
hin und wieder in Busse getrieben, in die gleichen
T-Shirts gesteckt und zu irgendeinem von der
Spitze verfügten Zweck 'mobilisiert' würden“,
schrieb die Gewerkschaftsjournalistin JoAnn
Wypijewski. [60]
Selbst dort, wo die Gewerkschaften
noch nennenswerte Hebel in
der Hand halten, haben die Unternehmer die schwache
Ökonomie
benutzt, um Zugeständnisse zu fordern.
Manche
haben die NUP mit dem Committee for Industrial
Organization (Komitee für betriebliche
Organisation) verglichen, der Strömung
innerhalb des alten AFL, die sich später
abspaltete, um den unabhängigen Congress
of Industrial Organizations (Kongress betrieblicher
Organisationen – CIO) im Jahr 1936 zu
bilden. Der Unterschied ist natürlich,
dass der CIO als Antwort auf eine von SozialistInnen
und Kommunisten geführte aufständische
Streikbewegung geschaffen wurde, die im Jahr
1934 in drei Städten Generalstreiks organisierte.
Wie Herman Benson von der Association for Union
Democracy (Vereinigung für Gewerkschaftsdemokratie)
schrieb: „Der ideologische Duft der [NUP-]
Pläne erinnert an die altmodischen Dispute
früherer Jahre; eine seltsame Verbindung
zwischen dem alten AFL-Konservatismus mit seinen
rigide abgegrenzten Organisationsbereichen und
dem alten radikalen Industrie-Gewerkschaftswesen
mit seinen aufgrund abstrakter Diagramme proklamierter
fiktiver Gewerkschaften.“ Benson bemerkt,
dass Lerner die Diskussion über Gewerkschaftsdemokratie
als „zu eng“ bezeichnet und schließt
daraus, dass „die NUP eine Gewerkschaftsdemokratie
als eine Unannehmlichkeit, sogar als ein Hindernis
zu sehen scheint“. [61]
Politisch
ist die NUP völlig widersprüchlich.
Sie sammelt Progressive, wie Heck und Wilhelm,
mit dem altgedienten Gewerkschaftschef Terrence
O'Sullivan und dem konservativen Douglas McCarron
von den Zimmerleuten, der ein Bündnis mit
George W. Bush schmiedete. Doch die vermeintlichen
Linken sind sogar hier bereit, im Namen des
Pragmatismus eine Wende nach rechts zu machen:
Streng, Wilhelm und O'Sullivan baten andere
Gewerkschaftsführer, sie bei der Spende
von 1000 $ oder mehr für Wiederwahl des
republikanischen Sprechers Dennis Hastert zu
unterstützen. Diese drei, zusammen mit
McCarron, bestellten Tische für ein Dinner
des republikanischen Kongresswahlkampfkomitees.
Es
ist diese Betonung des politischen Realismus,
die die SEIU dazu führte, Howard Dean als
Präsidentschaftskandidaten zu unterstützen
und mit Sweeney und den Gewerkschaften der einfachen
Arbeiter zu brechen, die auf Richard Gephardt
ausgerichtet waren. Sterns ewiger Rivale, AFSCME-Präsident
Gerald McEntee, schloss sich ihm später
an, um einen weiteren Keil in die oberste Gewerkschaftsführung
zu treiben. Trotz aller Reden über Innovation
und Bereitschaft mit Traditionen zu brechen
drängt die SEIU, die treibende Kraft der
NUP und die größte Gewerkschaft im
AFL-CIO, die organisierte Arbeiterschaft so,
einen Kandidaten zu unterstützen, der viele
gewerkschaftsfeindliche Ziele verfolgt, u.A.
Privatisierungen. So sieht der Kern der radikal
klingenden Rhetorik der NUP aus: eine schlankere
und schäbigere Arbeiterbürokratie,
die an Mitgliedermobilisierungen (aber nicht
an Gewerkschaftsdemokratie) interessiert ist,
um die Unorganisierten zu organisieren und Stärke
in Tarifverhandlungen zu gewinnen. Die politische
Strategie der NUP ist auch keine Innovation.
Es ist im Grunde genommen ein Wiederverpacken
der langweiligen Tradition des Bestrafens der
Feinde und des Belohnens der Freunde –
die sich dann ebenfalls als Feinde erweisen.
Da sich die Wahl 2004 nähert, will die
NUP, wie der Rest des Gewerkschaftsestablishments,
einen Kandidaten der Demokratischen Partei unterstützen,
ganz gleich, wer es sein wird. Die NUP steht
genauso wie Sweeney der Entwicklung einer von
den Demokraten unabhängigen politischen
Alternative feindlich gegenüber.
Wenn
es zum Kampf gegen Zugeständnisse kommt,
hat die NUP auch keine Alternative. In Chicago
zum Beispiel plant die SEIU-Gruppe 73, das Outsourcing
von Hausmeisterstellen im öffentlichen
Dienst zu akzeptieren. Als Gegenleistung für
die Wahrung des Rechts, jene Arbeiter zu vertreten,
akzeptiert die Gewerkschaft eine Lohnkürzung
um $ 5 pro Stunde. Mitgliederbeiträge werden
vermutlich nicht gekürzt. Die Frage bleibt:
Wie kann die Arbeit die Unorganisierten organisieren,
wenn sie sogar den Status quo ihrer gegenwärtigen
Mitgliedschaft nicht halten kann? Die NUP hat
keine Antwort.
„Die Wiedergeburt der Arbeitersolidarität.“
Dennoch
ist die mit der Bildung der NUP ausgelöste
Debatte zu begrüßen. So wie Sweeneys
Vertreibung des konservativen Lane Kirkland
im Jahr 1995 die Tür für mehr Aktivismus
und Öffnung nach links auftat, so erzwingt
die NUP-Debatte auch eine erneute Diskussion
über den Zustand der organisierten Arbeiterbewegung.
Die Gewerkschaften sind seit geraumer Zeit in
einer tiefen Krise, aber erst jetzt läuten
die Alarmglocken. Die Rivalitäten und Trennungen
an der Spitze, zusammen mit dem Aktivismus um
den Streik im Lebensmittelbereich, bestimmen
den Rahmen der Diskussionen und Kämpfe,
in denen lang gepflegte Gewissheiten der Arbeiterbewegung
in Frage gestellt werden: von der Streikpostentaktik
bis zur bedingungslosen Unterstützung für
die Demokratische Partei. Außerdem schaffen
ihre Rivalitäten für diese oder jene
Gruppe eine Tendenz, Konkurrenten durch Organisieren
neuer Aktivitäten, Protesten und Anderem
zu überbieten. Und je mehr Ressourcen in
dieses Organisieren gesteckt werden –
sogar bei einem mangelhaften bürokratischen
Projekt –, um so besseres Potential bleibt
den Aktivisten für die notwendige persönliche
Arbeit in den Betrieben, die für das Wiedererstarken
der Gewerkschaft wesentlich ist.
Die
jüngsten Proteste gegen die Freihandelszone
FTAA in Miami lieferten einen Blick auf Probleme,
die auf die Gewerkschaft zukommen. Der AFL-CIO
fasste auf hoher Ebene einen Beschluss, nach
langer Abwesenheit nicht nur wieder auf den
Straßen zu protestieren, sondern sich
auch zu öffnen und Bündnisse mit Autonomen,
GlobalisierungsgegnerInnen und internationalen
UnterstützerInnen zu schmieden. Sowohl
Sweeney als auch NUP-Führer Raynor waren
vor Ort, um zur Menge zu sprechen, und alle
drei prangerten das brutale Vorgehen der Polizei
an. Die Politik war oft widersprüchlich
– Gesten internationaler Solidarität
kamen genauso vor wie Forderungen nach höheren
Zöllen –, aber die dominierende Nachricht
war die von Arbeitern, die sich über die
Grenzen zu einem gemeinsamen Kampf zusammenschlossen.
Dies war ein ganz anderer Ansatz als beim Kampf
gegen die NAFTA in den frühen 1990ern.
Arbeiter aus Südfloridas Baugewerbe, entlassene
TextilarbeiterInnen aus North Carolina, und
Stahlarbeiter aus dem Mittleren Westen zeigten
sich offen für radikale und sozialistische
Gedanken. Schließlich warf die harsche
Behandlung der Gewerkschaften durch den Staat
ein Licht darauf, was auf die kämpfenden
Arbeiter in den kommenden Monaten und Jahren
zukommt. Es war die unverblümte Botschaft
des Kapitals an die Arbeit, die real besagt:
Unsere Tage, Gewerkschaften als angesehene Partner
zu behandeln, sind vorbei – und, wie wollt
ihr damit umzugehen?
Was
braucht es um zu gewinnen |
Trotz
all der armseligen Führung zeigt der Streik
im Einzelhandel und die Aussperrung das Potential
für eine ganz andere Art des Kampfes auf
– für eine, die mehr auf kämpferische
Aktionen setzt. Die großen Solidaritätsversammlungen
der Arbeiter des Lebensmittelbereiches haben
den Gewerkschaften über Südkalifornien
hinaus Sympathien entgegen gebracht –
von LehrerInnen, ElektrikerInnen, MedienarbeiterInnen,
solchen im Gesundheitsbereich, Beschäftigten
im öffentlichen Dienst, und anderen. Höhepunkt
war eine ‚Stoppt die Arbeit’-Versammlung
durch die ILWU, die ihr vertraglich zugesichertes
Recht nutzte, um während der Arbeitszeit
eine Versammlung abzuhalten, um die Docks zu
schließen und einen lauten Massenstreik
mit einer Versammlung, zusammen mit der UFCW,
im November zu veranstalten. Befragt, warum
die Werftarbeiter eine solche Aktion durchführen,
antwortete ein ILWU-Mitglied ganz einfach: „Ein
Unrecht gegen einen Einzelnen ist ein Unrecht
gegen alle“. [62]Viele Arbeiter und UnterstützerInnen
aus Los Angeles haben sich den Protesten angeschlossen
und ihre Gewerkschaften und örtliche Gruppen
mobilisiert. Eine der phantasiereichsten Aktionen
fand während der Erntedankwoche statt,
als die Lastwagenfahrer vor den Streikketten
stoppten und die Stimmung großartig war.
Die Versammlungen spiegeln die ungeheure Vielfalt
der US-amerikanischen Arbeiterklasse von heute
wider – Schwarze, Weiße, Latinos,
Asiaten, alle vereint im gemeinsamen Kampf.
Die
Unterstützung der Lastwagenfahrer stellte,
auch wenn sie nur einen Monat dauerte, einen
Bruch mit dem bei Streiks leider zur Routine
gewordenen Durchbrechen der Streikpostenketten
dar. Der Gewerkschaftsexperte Harley Shaiken
von der Universität Kalifornien-Berkeley
nannte die Entscheidung der Lastwagenfahrer,
die Streikposten zu unterstützen, „die
Wiedergeburt der Arbeitersolidarität“.
Als die Funktionäre der Lastwagenfahrergewerkschaft
ihre Entscheidung zurücknahmen, weigerten
sich viele Basismitglieder hier mitzumachen.
In zwei Verteilzentren, in denen UFCW-Mitglieder
mit den Lastwagenfahrern zusammen arbeiten,
widersetzten sich die UFCW-Arbeiter den Führern;
sie weigerten sich, die Streikposten zurückzuziehen,
und hielten die Einrichtungen geschlossen. [63]
Bedauerlicherweise hatten die UFCW-Mitglieder
nicht den Mut, ihre Streikposten auf andere
Warenhäuser zu verteilen.
Wenn
die UFCW-Führungsstrategie schwankend und
widersprüchlich ist, dann deshalb, weil
es zu wenig Basismitglieder in der Organisation
gibt, die einen solchen Kampf vorwärts
treiben könnten, wie das eigentlich in
jeder Gewerkschaft heutzutage ist. Weil die
Gewerkschaften durch den Druck der Unternehmer
zu Aktionen veranlasst wurden, haben sie Aktionen
begonnen und Debatten eröffnet, die den
Kontext für solche Organisationen schaffen
können. Bis die Basis der Gewerkschaft
fähig ist, solche Kämpfe zu bestehen,
ist das wahrscheinlichste Szenario weiterhin
von Zögern bestimmt, einen Kampf aufnehmen,
und zurückzuweichen, wenn die Unternehmer
zum Gegenschlag ausholen.
Mit
welchem Resultat auch immer: Der Aktivismus
und die Solidarität bei Streik und Aussperrung
haben neue Standards für die Arbeiterbewegung
gesetzt. Es hat sich als überzeugend erwiesen,
dass Arbeiter – organisiert oder nicht
– in einem solchen Kampf gemeinsam stehen
und ihm enorme materielle Unterstützung
gewähren. Weiter zeigt der Kampf im Einzelhandel,
dass die Gewerkschaftsbewegung das Potential
besitzt, den Schritt zu machen, den die GewerkschaftsführerInnen
in den verlorenen Streiks der 90er Jahre nicht
gemacht haben, nämlich den Einsatz von
Streikbrechern durch die Unternehmer zu stoppen.
Die Frage ist, ob und wann die Basis den Druck
verstärkt, auch so zu handeln.
Das
Ergebnis des Kampfes im Einzelhandel wird an
den harten Zahlen bei den Löhnen, Sozialleistungen,
Arbeitsbestimmungen etc. gemessen werden, und
dies zu Recht. Jedoch gibt es ein weniger sichtbares
aber dennoch bedeutsames Kriterium: ob der Kampf
helfen kann, Netzwerke von Aktivisten in der
UFCW mit verschiedenen Gewerkschaften zu knüpfen.
Es ist nicht nur wichtig für die Solidarität
künftiger Kämpfe,sondern auch für
die Diskussion, wie die Arbeiterbewegung wiederbelebt
werden kann und wie die ersten Schritte in Richtung
einer Basisorganisation auszusehen haben.
Die
Möglichkeit, so zu handeln, besteht –nicht
nur in Südkalifornien. Es gibt eine Verbindung
zwischen der Stärke der Arbeiter, die vier
Monate in LA gestreikt haben und der Entschlossenheit
der Stahlarbeiter in Arkansas, die gegen die
FTAA in Miami trotz polizeistaatlicher Repressalien
auf die Straßen gegangen sind. Die Fahnen
der Gewerkschaften bei der großen Demonstration
für ImmigrantInnenenrechte in New York
erinnerten an die besten Traditionen der organisierten
Arbeiter hinsichtlich Solidarität und Gerechtigkeit,
wie die ILWU-Arbeitsniederlegung zur Unterstützung
der Arbeiter im Lebensmittelsektor. Diese
Proteste und Kämpfe, die trotz der enormen
Verluste, die die Bewegung erlitten hat, auf
sie zukommen, werfen einen Blick auf das Potenzial
der Arbeit, um den kommenden Herausforderungengewachsen
zu sein.
SozialistInnen
in den Gewerkschaften heute |
Es
ist ein halbes Jahrhundert her, dass die antikommunistische
McCarthy-Hexenjagd SozialistInnen als eine deutlich
organisierte Strömung innerhalb der Gewerkschaften
physisch entfernte – eine Strömung,
die zum Kampf hätte mobilisieren und die
Gewerkschaftsführung zur Verantwortung
hätte ziehen können. Die Wucht des
Aufschwungs, die Inflation und das Vertrauen,
das mit einer Vollbeschäftigung kam, brachten
eine Streikwelle von den späten 60er bis
zu den frühen 70er Jahren – eine
Rebellion, die von der Antikriegs- und der Black-Power-Bewegung
beeinflusst war, besonders in der Automobilindustrie.
Der Aufstand der Basis jener Jahre schuf die
Möglichkeit organisatorische Verbindungen
zwischen SozialistInnen und militanter Basis
zu erneuern.
Bei den Teamsters waren Basisbewegungen
zu wilden Streiks fähig oder konnten
die von der alten Garde dominierte Lastwagenfahrer-Gewerkschaft
dazu zwingen.
Viele
sozialistische Organisationen schickten ihre
Mitglieder „zur ‚Kolonialisierung“
in die Industrie, um jene Kämpfe entwickeln
zu helfen. Hier waren die International Socialists
am systematischsten und spielten bei der Etablierung
von Basisgruppen eine wichtige Rolle in verschiedenen
Gewerkschaften, am wichtigsten bei den Teamsters
(Lastwagenfahrer). Andere solcher Gruppen entwickelten
sich unabhängig, solche wie Bergarbeiter
für Demokratie, die ihre korrupten FührerInnen
verjagten, die einen reformbereiten Rivalen
umgebracht hatten.
Während
die Teamsters for a Democratic Union (TDU) als
Reformgruppe überlebten, führte der
Beginn der Rezession in den frühen 70ern
und die folgende Offensive der Unternehmer zum
Untergang praktisch jeder Basisorganisation.
Nach Dekaden konservativer Sozialpartnerschaft
und des völligen Fehlens von SozialistInnen
in den Gewerkschaften waren die Bemühungen
um die Konsolidierung von Basisorganisationen
besonders schwierig. Kim Moody schreibt dazu:
„Das
Fehlen einer gut organisierten sozialistischen
Linken in den meisten dieser Bewegungen bedeutete,
dass das von der modernen Gewerkschaftspraxis
nach dem 2. Weltkrieg ererbte, fragmentierte
Bewusstsein, trotz Erschütterung durch
einzelne Aktionen, nicht von einem breiteren
Klassenbewusstsein oder einer signifikanten
Bewegung in Richtung einer unabhängigen
Arbeiterklassenpolitik ersetzt wurde. Sogar
die sichtbareren Basisorganisationen hatten
untereinander wenig Kontakt. Sie kämpften
ihre Schlachten mit ihren Unternehmern größtenteils
innerhalb der Sphären ihres eigenen „privaten
Wohlfahrtsstaats“. Des Weiteren kämpften
sie von einer Position einer vermeintlichen
Arbeitsplatzsicherheit aus, während die
neue Kampfbereitschaft die Reallöhne für
die meisten Gruppen über der Inflationsrate
hielt. Wie oben bemerkt, wuchs die Wirtschaft
schnell, die Wucht der fallenden Profitrate
war noch marginal. Der „gesunde Menschenverstand“
dieser Zeit wurde von Aktionen erschüttert,
an denen sich Millionen von Arbeitern ebenso
wie die Antikriegs- und die sozialen Bewegungen
beteiligten. Aber innerhalb der Arbeiterklasse
gab es weder sozialistische Linke noch eine
linke Ausrichtung auf die Arbeiterkämpfe,
die stark genug war, um diese beiden Richtungen
zusammen zu bringen. Dieses fragmentierte Bewusstsein
überlebte nicht nur, ermutigt durch die
moderne Gewerkschaftspolitik, sondern wurde
jetzt wieder durch die Wahrnehmung wirtschaftlicher
Unsicherheit in der Klasse verstärkt, was
es der Bürokratie erlaubte, ihre Autorität
wieder durchzusetzen und in den 80er Jahren
eine neue Periode des Rückzug und der Zugeständnisse
zu eröffnen. [64]
Dieser
Rückzug lastet schwer auf der Gewerkschaftsbewegung.
Das Stimmverhalten der AutoarbeiterInnen, Stahlkocher
und Maschinisten, die in den letzten Jahren
verheerende Konzessionen akzeptierten, ist Ergebnis
des Rückzugs der letzten 20 Jahre. Lohnerhöhungen
in den späten 90ern – verbunden mit
Mehrarbeit – glichen teilweise Verluste
aus den 80ern aus. Unternehmer und GewerkschaftsführerInnen
gleichermaßen schlossen geschickt Verträge
mit Vorruhestandsregelungen und Niedriglöhnen
für Neueingestellte ab, um so die gewerkschaftliche
Stärke ohne unnötige Konfrontation
zu unterminieren. Wegen ihres Misstrauen, ob
die Gewerkschaftsbosse wirklich einen Kampf
führen zu wollen, akzeptierten die Arbeiter
einen solchen Abschluss zu Lasten der Arbeitersolidarität.
Mangels politischer Alternative meinten auch
gute GewerkschafterInnen, keine andere Wahl
zu haben. Viele sind klassenbewusst und über
den wachsenden Druck auf ihr Leben verbittert,
aber sie sind zynisch geworden oder ohne Selbstvertrauen
zu einem Kampf.
Anderswo
fühlten die Unternehmer sich für schärfere
Maßnahmen stark – oder herausgefordert
–, während ArbeiterInnen versuchten,
eine Grenze zu setzen und durchsetzungsfähigere
und reformorientierte FührerInnen wählten.
Beispiele hierfür sind die LehrerInnengewerkschaft
von Chicago und die Ortsgruppe 100 der Transportarbeitergewerkschaft
in New York, zu der U-Bahn- und BusfahrerInnen
gehören. In beiden Fällen wurde mit
Unterstützung wichtiger AktivistInnen,
die SozialistInnen sind, eine neue Führung
gewählt, um den Mauscheleien und Zugeständnissen
der alten Garde ein Ende zu machen. Doch in
beiden Gewerkschaften haben die neuen Führungen
in den letzten beiden Jahren ihre angekündigten
Ziele bei weitem nicht erreicht und Tarifverhandlungen
außergewöhnlich in die Länge
gezogen. Sie konnten das machen, weil es keine
Basisorganisation gab, die anstelle von zaudernden
Führungen zu Aktionen hätte aufrufen
können. Im Gegensatz dazu konnten Basisbewegungen
in den 70er Jahren wilde Streiks durchführen
oder die von der alten Garde dominierte Lastwagenfahrer-Gewerkschaft
zu offiziellen Streiks zwingen.
Der
Fall der Lastwagenfahrer in den 90ern macht
die Grenzen der Führung reformistischer
Gewerkschaft ohne große Basis im Hintergrund
deutlich. Die Wahl des Reformers Ron Carey 1991
wäre ohne die langjährige Arbeit der
TDU und anderer AktivistInnen in der Gewerkschaft
unmöglich gewesen. Der erfolgreiche UPS-Streik
von 1997 – der das ganze Land in Bann
schlug und breite Unterstützung fand –
hätte das Tempo für die gesamte Arbeiterbewegung
bestimmen sollen. Stattdessen wurde Carey wegen
Korruptionsvorwürfen (die das Bundesgericht
Jahre später als haltlos bewertete) aus
seinem Posten gejagt, ohne Unterstützung
des AFL-CIO oder der TDU. Gewiss war es schwierig,
gegen die Heftigkeit der Regierungsintention,
ihn zu beseitigen, eine erfolgreiche Verteidigungskampagne
aufzubauen. Aber dies wäre eine Gelegenheit
gewesen, sich gegen staatliche Einmischungen
in Arbeiterangelegenheiten zu wehren, wie sie
sich in jüngster Zeit verstärkt haben.
Es
soll hier nicht gesagt werden, dass die Wahl
von Reformern irrelevant sei. Sweeney ist Kirkland
vorzuziehen. Die Wahl von Carey war ein enorm
großer Schritt für die Lastwagenfahrer,
und James P. Hoffas anschließende Wahl
war ein riesiger Schritt rückwärts.
Und es soll auch nicht gesagt werden, dass GewerkschafterInnen
noch warten sollten, bevor sie Reformer ins
Amt wählen. Eher geht es darum, dass die
Wiederbelebung der Arbeiterbewegung nicht von
oben, von einzelnen Reformern oder Initiativen
wie der neuen NUP kommen wird, sondern sich
aus der Quelle speist, die sie immer hatte:
der Basis. Dies ist zwangsläufig ein langfristiger
Prozess.
Wo
stehen nun SozialistInnen in den Gewerkschaften
heute? Im Gegensatz zu den 30er und selbst den
70er Jahren sind SozialistInnen in den Gewerkschaften
selten innerhalb derselben Branchen und Gewerkschaften
konzentriert. Manche sind aktiv seit den 70ern,
und eine jüngere Generation von SozialistInnen
hat sich in den letzten Jahren herausgebildet.
Die Frage ist, wie man sich von individuellen
und kleinen Gruppen von SozialistInnen in einer
bestimmten Gewerkschaft hinbewegt zur Initiierung
von Aktivitäten, die zu der Art von Basisorganisation
führen kann, die Gewerkschaftspolitik auf
lange Sicht beeinflussen kann. Während
diese Aktivität manchmal die Kandidatur
als Gewerkschaftsfunktionär einschließt,
ist das Ziel einer Basisorganisation verschieden.
Das
Ziel muss es sein, die eigenen Fähigkeiten
der Arbeiter, beharrlich für ihre Interessen
zu kämpfen, zu steigern, um das Fundament
vorzubereiten, wenn SozialistInnen eines Tages
um die Führung in den Bewegungen der Arbeiterklasse
kämpfen. Dies ist keine abstrakte Debatte
darüber, wie die Welt aussehen sollte,
sondern ein Streit über Ideen, Strategien
und Taktiken der Arbeiterbewegung – davon,
wie man mit einer beleidigenden Aufsicht umgeht
bis zur Frage, wie man einen Streik gewinnt.
So zielt Basisstrategie, die im Arbeitsalltag
verwurzelt ist, auch auf eine Verbindung der
Tageskämpfe mit einer tieferen sozialistischen
Analyse der Welt und dem Herausbilden einer
politischen Alternative. Auf diese Art und Weise
werden die Verbindungen zwischen sozialistischer
Organisation und der Arbeiterbewegung allmählich
wieder hergestellt werden.
Heute
steht das Streikniveau auf einem historischen
Tief. Aber die Aktionen um den südkalifornischen
Streik, die den Siegen in Yale und dem Chicagoer
Kanalisationsstreik und dem Beinahe-Streik in
der LehrerInnengewerkschaft in Chicago folgten,
zeigen neue Möglichkeiten des Aufbaus einer
Arbeiterbewegung auf, die weiß, wie man
kämpfen muss.
Die
seit mehr als zwei Jahrzehnten offensichtliche
Krise der Arbeiterbewegung nähert sich
in den kommenden Monaten und Jahren der Belastungsgrenze.
Sie wird wahrscheinlich den organisatorischen
Ausdruck in Form von Spaltungen und Fusionen
annehmen, aber sie eröffnet auch eine politische
Debatte in der Bewegung auf einem Jahrzehnte
lang unerreichten Niveau. In
diesem Zusammenhang werden SozialistInnen Gelegenheit
haben, dass ihre Ideen Gehör finden, aber
sie werden auch ihre Strategien in der Praxis
testen können. Wo GewerkschaftsführerInnen
versuchen, die Krise mit bürokratischer
Umstrukturierung auf Kosten der Arbeiterdemokratie
zu beheben, werden SozialistInnen ihre Vorstellungen
von Basisaktivismus, Kampfgeist, Widerstand
gegen Konzessionen und Solidarität an der
Basis als Gegenvorschlag vorbringen.
In
jedem Fall garantiert die wachsende Aggressivität
der UnternehmerInnen mehr und mehr, dass heftige
Konfrontationen im Kommen sind. Eine zuversichtliche,
wohlorganisierte Gruppe von SozialistInnen in
den Gewerkschaften, wenn auch klein, kann einen
wichtigen Beitrag zum Basiswiderstand leisten,
der Gestalt annimmt.
Übersetzung:
H.K.
[1] „UFCW Revises Number of Workers in
Labor Dispute“, Los Angeles Times, 13.2.2004.
Anfangs behauptete die Gewerkschaft, 70.000
seien in den Konflikt einbezogen; später
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[Zur Anspielung auf den Schematismus der IWW
siehe auch http://www.iww.org/cic/history/haggerty.html]
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über http://solidarity.igc.org/TheRankAndFileStrategy.html |