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Tekel-Beschäftigte
protestierten am Freitag in Ankara gegen
die Schließungspläne der
Regierung. Foto: Nick Brauns |
Mustafa
Türkel ist sich sicher: »Diese Regierung
versteht nur Härte.« Mit der Feststellung
kündigte der Vorsitzende der türkischen
Lebensmittelarbeitergewerkschaft Tek Gida-Is
neue Kampfmaßnahmen zu Beginn des zweiten
Protestmonats von Tausenden Beschäftigten
des staatlichen Tabakmonopols Tekel an. Am gestrigen
Freitag begannen Arbeiter des Unternehmens einen
dreitägigen Sitzstreik vor der Zentrale
des Gewerkschaftsdachverbandes Türk-Is
in Ankara. Anschließend wollen sie in
einen dreitägigen Hungerstreik treten.
Lenkt die Regierung dann immer noch nicht ein,
drohen sie, den Hungerstreik unbefristet fortzusetzen.
»Lieber Tod als Kapitulation«, rufen
sie und bejubelten die Forderung von Sami Evren
nach einem Generalstreik. Der solle nach Willen
des Vorsitzenden der Dienstleisungsgewerkschaft
KESK von allen Verbänden gemeinsam organisiert
werden.
12000 Stellen bedroht
Nach dem Verkauf der Tabakproduktion an den
Lucky-Strike-Produzenten British-American-Tobacco
im Jahr 2006 will die islamisch-konservative
AKP-Regierung von Ministerpräsident Recep
Tayyip Erdogan 2010 alle noch in staatlicher
Hand befindlichen Tekel-Lager- und Produktionsstätten
schließen. Damit droht rund 12000 Arbeitern
der Verlust ihres Jobs oder die Überführung
in eine elfmonatige Kurzarbeit mit über
einem Drittel Lohneinbußen und dem Verlust
aller erworbenen sozialen Rechte.
Rund
1300 Arbeiter kampierten seit Mitte Dezember
in einem Stadtpark und später bei Gastfamilien.
Sie versammeln sich tagsüber zu Kundgebungen
vor der Türk-Is-Zentrale. Die Solidarität
der Bevölkerung ist groß. Anhänger
der linksalternativen Partei für Freiheit
und Solidarität (ÖDP) und der sozialdemokratischen
Volkshäuser organisieren das tägliche
Frühstück für die Streikenden.
Hausfrauen bringen Tee und frisches Börek,
eine Familie schlachtete sogar ein Lamm. Längst
sind die Proteste zu einem Fanal für alle
unter der neoliberalen Regierungspolitik leidenden
Teile der Bevölkerung geworden. Feuerwehrleute,
Eisenbahner und andere Staatsangestellte haben
Solidaritätsstreiks durchgeführt.
Zu
Beginn der Proteste Mitte Dezember hatten Spezialeinheiten
der Polizei die Tekel-Arbeiter mit Pfefferspray
und Wasserwerfern attackiert. Es gab Verletzte,
einem Betroffenen droht bleibende Lähmung.
Auch in der vergangenen Woche nahm die Polizei
Dutzende Menschen vorübergehend fest –
nachdem über 8000 Tekel-Beschäftigte
in einer landesweiten Urabstimmung nahezu einstimmig
für die Fortsetzung ihrer Kampfaktionen
votiert hatten.
Für
den heutigen Sonnabend hatte der Dachverband
Türk-Is eine landesweite »Demonstration
für Brot, Frieden, Freiheit, Demokratie
und Recht« in der Innenstadt von Ankara
geplant. Auch die linksgerichteten Gewerkschaftsverbände
DISK und KESK riefen dazu auf. Doch aus »allgemeinen
Sicherheitserwägungen« verbot der
Gouverneur von Ankara diese Kundgebung und erzwang
eine Verschiebung auf Sonntag – wenn viele
der aus entfernten Landesteilen angereisten
Gewerkschafter bereits wieder auf dem Heimweg
sein werden. Der Massenaufmarsch würde
den Straßenverkehr zum Erliegen bringen
und den Umsatz der Geschäfte sinken lassen,
führt Gouverneur Kemal Önal seine
»Sicherheitsbedenken« gegenüber
einer Gruppe ausländischer Gewerkschafter
aus, die ihm eine Protestresolution überreicht
hatten. Im Übrigen sei die ganze, seit
einem Monat stattfindende, Kundgebung vor der
Gewerkschaftszentrale illegal.
Nationalismus verbannt
Zu Beginn ihrer Proteste skandierten die Tekel-Arbeiter
noch die nationalistische Parole »Unser
Kampf für Brot –unsere Liebe Türkei«.
Inzwischen sind solche Slogans weitgehend der
Losung »Für die Brüderlichkeit
der Völker« gewichen. Gemeint sind
die Völker der Türkei. Die Hälfte
der Tekel-Belegschaft stammt aus den kurdischen
Landesteilen. Auf einem Transparent am Gewerkschaftshaus
stehen die Namen dortiger Betriebsstandorte
wie Diyarbakir und Mus neben westtürkischen
wie Izmir und Istanbul. Viele der immer wieder
Halay tanzenden Arbeiter tragen selbstbewußt
ihre Pusus – traditionelle schwarz-weiß
gemusterte kurdische Tücher, wie sie auch
die Guerilla in den Bergen hat. In der Westtürkei
war es in der letzten Zeit mehrfach zu Lynchversuchen
an Arbeitern gekommen, die sich so demonstrativ
zu ihrer kurdischen Herkunft bekannt hatten.
Der Erste Vorsitzende der Gewerkschaft Tek Gida-Is
gehörte früher einer nationalistisch
orientierten Bewegung an, sein Stellvertreter
stammt aus Diyarbakir, der heimlichen Hauptstadt
Kurdistans, und spricht mit deutlichem kurdischen
Akzent. Er betont, daß die Tekel-Arbeiter
auch Vertretern der linken kurdischen Partei
für Frieden und Demokratie im Parlament
besucht hätten. »Unser gemeinsamer
türkisch-kurdischer Kampf überwindet
den Chauvinismus«, sagt ein für die
Arbeit in den kurdischen Landesteilen zuständiger
Gewerkschaftssekretär. Und ein Arbeiter
vom Schwarzen Meer, der der Minderheit der Lasen
angehört, erklärt: »Unser gemeinsamer
Kampf ist die wahre demokratische Öffnung
der Türkei«. Damit spielt er auf
die von der Regierung im vergangenen Jahr vollmundig
versprochene »demokratische Öffnung«
an, auf die bislang keine Taten folgten. Eine
immer wieder skandierte Parole der Tekel-Beschäftigten
lautet: »Keiner oder alle. Alles oder
nichts. Einer kann sich da nicht retten. Gewehre
oder Ketten. Keiner oder alle. Alles oder nichts.«
Bertolt Brecht würde sich freuen. |