Straffreiheit und internationale Komplizenschaft
Dieser militärische Angriff, die Ermordung
von 9 Personen (der einer einzigen wäre
bereits zu viel), der illegale Einsatz in
internationalen Gewässern, die Festnahme
von hunderten von Passagieren und ihre Inhaftierung
auf israelischem Staatsgebiet, die Polizeiverhöre,
die sie über sich ergehen lassen mussten
und die Androhungen von Gerichtsprozessen
und Gefängnisstrafen, zeigt auf, dass
sich die israelische Regierung der Straffreiheit
für solche Aktionen sicher sein kann.
Eine Straffreiheit, die ihr von der sogenannten
internationalen Gemeinschaft gewährt
wird.
War es doch erst vor ein paar Tagen am 27.
Mai 2010, als Benjamin Netanyahou in Paris
der offiziellen Beitrittszeremonie seines
Landes zur OECD (Organisation für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung), dem Klub
der reichen Wirtschaftsländer beigewohnt
hat. Im Beitrittsgesuch wurden die besetzten
Gebiete, wo die ‚jüdischen Siedlungen
wie Pilze aus dem Boden schiessen, als ein
dynamischer Faktor der Volkswirschaft des
Staates Israel präsentiert. Dies wurde
von der sogenannten internationalen Gemeinschaft
vollkommen ausgeklammert und nicht kommentiert.
Auch die Schweiz, die aktiver Teil der OECD
ist, zog gleichermassen mit.
Auch wurde der am 15. September letzten Jahres
veröffentlichte Bericht des Richters
Richard Goldstone von den wichtigsten westlichen
Medien und Regierungen gleich wieder beerdigt.
Der Bericht beurteilte völkerrechtlich
die Operation ‚Gegossenes Blei’
(militärische Operation gegen die PalästinenserInnen
von Gaza) von Ende Dezember 2008 bis Januar
2009 und sprach von Menschenrechtsverletzung
und Kriegsverbrechen.
Eine koloniale Politik und kein «Vergehen»
Niemand kann von dem tödlichen Angriff
auf die ‘Hilfsflotte’ glaubhaft
von einem Versehen der israelischen Armee
sprechen. Es reichen die im Vorfeld geäusserten
Drohungen gegen die OrganisatorInnen der Hilfsaktion
seitens des israelischen Verteidi-gungsministers
Ehud Barak um erkennen zu können, dass
es sich um eine strategisch geplante und ausgeführte
Operation handelte.
Der blutige Angriff fügt sich in die
lange Geschichte der Palästina-Krise,
wie der einseitige Konflikt euphemistisch
genannt wird. Die kolonialen Züge dieser
Geschichte werden offensichtlich, sobald man
sich mit ihr befasst.
Begonnen hat sie mit der Gründung eines
‘jüdischen Staates’ und der
Entscheidung gegen einen pluralistischen Staat,
obwohl auch nach der Nakba - der militärischen
Vertreibung der PalästinenserInnen -
immer noch über 20% der Menschen arabischer
Herkunft waren. Sie geht 1967 weiter mit der
Besetzung von palästinensischen Gebieten:
Jordanien und Gaza. Der Kolonialisierungsprozess
setzte sich danach unter allen Regierungen
fort. Einerseits wurden unzählige Siedlungen
in den besetzten Gebieten errichtet oder man
verwandelte die Gebiete, mit dem Ziel sie
für die PalästinenserInnen unbewohnbar
zu machen in '‚Leopardenfelle’
voneinander getrennte und isolierte Landstriche.
Der Bau der Mauer verfolgte diese Politik
weiter. Diese zeigt sich heute am Gazastreifen,
den man zu ersticken trachtet, oder im alten
Jerusalem, das Schritt für Schritt besetzt
wird und Wohnungen in grossem Masse zerstört
werden, um dann Mietswohnung zu bauen, die
Israelis vorbehalten sind.
In diesen Handlungen und ihren Rechterfertigungen
entdeckt man die gleichen politischen, militärischen
und ideologischen Züge, die man vom französischen
Staat in Algerien kannte oder von der weissen
Minderheit in Südafrika. Die Negierung
der Besetzten und die ständige Propaganda
über die Gefahr, die diese darstellen
sollen, gehen Hand in Hand. Dies eint in der
Regierung Netanyahu die Labouristen –
Mitglieder der sozialistischen Internationalen
(wie auch die SP Schweiz) – und die
proklamierte rassistische radikale Rechtspartei
von Avigdor Lieberman (Minister für auswärtige
Angelegenheiten seit März 2009) und andere.
Die Historikerin Esther Benbassa, Autorin
des Buches „Jude sein nach Gaza“
(2009) und Koordinatorin des „Wörterbuch
des Rassismus, des Ausschlusses, und der Diskriminierung“
(Larousse, 2010), kann legitim behaupten:
"Weder die Bedrohung des 'Terrorismus',
noch das immer bemühte Gespenst Iran,
das ständig an der Vernichtung Israels
arbeiten soll, kann die Arroganz Israels rechtfertigen,
das sich auf schändliche Art und Weise
der Immunität bedient, die ihr die Shoah
verleiht." (Rue 89, 1.Juni 2010)
Die bis ins Detail geplante Kollektivbestrafung
Die Tragödie der Bevölkerung von
Gaza ist derart, dass die Formel „ein
zerstörtes Gefängnis unter offenem
Himmel“ sogar von sehr konformistischen
Medien und Politikern übernommen wird.
Seit der Blockade von Gaza ab Juni 2007, nachdem
die Hamas die Macht übernahm und nach
dem kolonialen Krieg unter dem bezeichnenden
Titel „Gegossenes Blei“, lebt
das Volk von Gaza (1,5 Millionen Einwohner
auf 360 km2!) im Elend, und leidet an einer
fortgeschrittenen materiellen, physischen
und psychischen Misere.
Der israelische General Eitan Dangot kontrolliert
die 81 Produkte, deren Import erlaubt ist.
Diese sind nach den willkürlichsten Kriterien
ausgewählt, ganz in der Tradition von
Kollektivbestrafungen. „Zimt ist erlaubt
aber Salbei und Koriander sind verboten. Konservendosen
werden geliefert, ausser jene mit Sirupfrüchten.
Die Toilettendeos bekommen grünes Licht,
aber nicht Konfitüren…“(Bericht
von Benjamin Barthe im „Le Monde“
vom 30.-31. Mai 2010).
Die Entscheidung, ob ein Produkt teil der
spärlichen Importströme wird, richtet
sich nach einem einzigen Parameter: „ob
es die nationale Sicherheit und die internationalen
Beziehungen beeinflussen könnte. was
die nationale Sicherheit bestimmen könnte
und die diplomatischen Beziehungen“.
Diese Worte stammen vom Armeeministerium,
dem der General Dangot. Der Journalist von
‚le Monde’ war verblüfft.
Die Container werden im Lagerschuppen von
Ashdod während Monaten und manchmal bis
zu zwei Jahr lang blockiert. Der Ort wurde
nun auch für den Empfang der Güter
der ‚Hilfsflotte’ vorgeschlagen.
Oft bleiben die Waren dann so lange liegen,
bis sie unbrauchbar sind und die Importeure
müssen zudem die Lagerungsgebühren
bezahlen, obwohl die Produkte ihr Verfallsdatum
längst überschritten haben, wenn
die Importbewilligung nach Gaza erteilt wird.
Auch hier ist die Strategie der Erniedrigung,
der Repression und der polizeilichen und militärischen
Kontrolle allgegenwärtig. Die gleichen
Strategien werden an den Check Points angewendet,
oder wenn entschieden wird Olivenbäume
zu zerstören, da diese subversive Aktivitäten
verbergen könnten, oder gar wenn Häuser
platt gewalzt werden weil die entsprechenden
Baubewilligungen fehlen, die übrigens
unmöglich zu bekommen sind.
Aus der gleichen Quelle der kolonialen Arroganz
und der blinden Selbstrechtfertigung schöpft
die chronische Missachtung aller internationalen
Abkommen, wie diejenigen zur nuklearen Abrüstung.
Wenn nun das Schweizer Aussenministerium Micheline
Calmy-Reys eine ‚internationale Untersuchung’
fordert, steckt hinter diesem Zynismus viel
Wohlwollen. Denn der noch so verwerfliche
Angriff vom 31. Mai, ist nur ein Glied in
der Kette langer, konsequenter kolonialistischer
Repression.
Die Tageszeitung Le Monde vom 30.-31. (aber
eigentlich am 29. erscheint) schrieb folgenden
Titel auf Seite 5: "Die israelischen
Behörden rufen zur Generalmobilisierung
gegen die Flotte der Schiffe, die Richtung
Gaza unterwegs sind. Israel will die Durchfahrt
der Schiffe, die Hilfsgüter transportieren,
um jeden Preis verhindern." Daneben stand
noch: "Die israelische Luftwaffe flog
in der Nacht vom 28. auf Samstag den 29. sechs
Luftangriffe auf den Gazastreifen." Ein
Geständnis.
Eine Boykott-Kampagne entwickeln
Während der Operation ‘Gegossenes
Blei’, machte die israelische Regierung
alles in ihrer Macht stehende, damit die Medien
ihre Arbeit nicht machen konnten. So wurden
Journalisten des BBC, CNN und der grossen
amerikanischen Sender zu Stenografen des Chefpropagandisten
der israelischen Regierung, Mark Regev.
Das Ziel der israelischen Propaganda ist es,
diejenigen welche das Ende der Blockade von
Gaza, direkte Hilfe und die Anerkennung der
Hamas als Gesprächspartner fordern, zu
diskreditieren und dazu zu zwingen ihre Unschuld
zu beweisen. Sie mussten nachweisen, dass
es auf den Schiffen keine Waffen gab, dass
die Besatzung friedlich blieb und nicht ihrerseits
die israelischen Kommandos angriffen. Eine
Propagandastrategie, die schlimme Erinnerungen
weckt, durch die das Opfer zum Schuldigen
gemacht wird.
In die gleiche Kerbe schlägt das Bild,
das man versucht vom ägyptischen Präsidenten
Hosni Mubarak zu zeichen. Der beteiligt sich
aktiv an der Blokade des Gazastreifens und
unterdrückt in Ägypten alle Streiks,
sozialen Kämpfe, politischen Oppositionen
und alle Solidaritätsbewegungen mit dem
palästinensischen Volk. Gleichzeitig
wird er von der Propaganda vor allem als Akteur
für „einen Frieden im Nahen Osten“
dargestellt.
Die Türkei bleibt eine Alliierte von
Israel. Die beiden Armeen machen oft gemeinsame
Manöver. Eines war für kommende
Woche geplant. Doch die repressive türkische
Regierung will eine diplomatisch-politische
Rolle im Nahen Osten spielen. Und sie müssen
die Reaktionen der Solidaritätsbewegungen
im eigenen Lande in ihre Rechnung mit einbeziehen.
Deshalb nun die künstliche Distanz zur
israelischen Regierung, die bereit ist, sich
auf alle militärischen Abenteuer einzulassen,
sei es gegen den Iran oder den Südlibanon.
Netayahu setzt auf seine Politik der vollendeten
Tatsachen und die Unterstützung des USA.
Bereits die Blockade des Gazastreifen und
seine humanitären Folgen, sind eine offene
Verletzung des Artikels 33 der IV. Genfer
Konvention, welche Kollektivbestrafungen verbietet.
Einer der Wege, das palästinensische
Volk am besten zu unterstützen und den
Kampf gegen Apartheid und die Besetzung Palästinas
zu führen, ist die Kampagne «,
Desinvestment, Sanktionen» (BDS)