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„Gelenkte Demokratie“ in Russland

von David Mandel aus Inprekorr Nr. 404/405 Juli/August 2005

Übersetzung: Björn Mertens

Dieser Artikel verwendet den Ausdruck „Gelenkte Demokratie“ („Managed democracy“) als analytischen Begriff, um den besonderen Charakter des gegenwärtigen politischen Systems in Russland zu beschreiben, das weder eine kapitalistische Demokratie noch eine Diktatur ist. Ein System, in dem die Exekutivmacht alle anderen Bereiche des Staates und die ganze Zivilgesellschaft dominiert, obwohl sie – in gewissen Grenzen – politische Rechte und unabhängige politische Organisationen toleriert. Russlands „gelenkte Demokratie“ basiert auf der Schwäche aller Klassen der Gesellschaft. Die Arbeiterklasse ist unfähig, der willkürlichen Macht der Exekutive Grenzen zu setzen und ihre volksfeindliche Politik zu verändern. Die Bourgeoisie wird durch ihre Isolation von und Opposition gegen die übrigen gesellschaftlichen Kräfte gezwungen, die politische Dominanz der Exekutive zu akzeptieren, um ihre soziale Vorherrschaft zu verteidigen. Das symbiotische Verhältnis zwischen den politischen und ökonomischen Eliten – beide frei jeglicher Ziviltugenden – macht sie grundsätzlich desinteressiert an einem Rechtsstaat, trotz der Vorteile die dieser dem Staat wie der Ökonomie bringen würde. Aber trotz seiner Unabhängigkeit ist dies ein schwacher Staat, der seine wichtigeren politischen Ziele nicht verwirklichen konnte. Zusammen mit der inhärenten Instabilität „gelenkter Demokratien“ bedeutet dies, dass Russland nicht immun gegen die „farbigen Revolutionen“ ist, die sich jüngst in seinen Nachbarländern ereignet haben.

Nach fünf Jahren an der Macht bleibt das Putin-Regime Gegenstand unterschiedlichster Einschätzungen. Wo einige Beobachter eine halbkoloniale Administration im Dienste westlicher Interessen sehen, entdecken andere eine Regierung, die eine raffinierte nationalistische Strategie mit dem Ziel der geopolitischen Wiedergeburt Russlands verfolgt. Wo die einen neoliberale Fanatiker am Ruder des Staates wahrnehmen, bejammern andere den wachsenden Einfluss von Partisanen staatsgeleiteter Entwicklung. Diese einander widersprechenden Analysen spiegeln weniger die entgegengesetzten ideologischen Standpunkte ihrer Autoren wider als die Inkohärenz der Politik Putins, der einst erklärte, sein Ziel sei die Einführung der „Diktatur des Gesetzes“, dessen erste größere Handlung als Präsident aber eine Totalamnestie für Jelzin und seine „Familie“ (Leute, die für ihn gearbeitet haben) war, der den zaristischen doppelköpfigen Adler und die dreifarbige Flagge zusammen mit der stalinistischen Nationalhymne, wenn auch mit neuem Text, wieder einführte. Trotz dieser offensichtlichen Inkohärenz enthüllt eine Untersuchung der Beziehungen zwischen dem politischen Regime und der Art des aus der „Schocktherapie“ entstandenen Kapitalismus eine tiefer liegende Logik. Eine solche Untersuchung kann auch Licht auf das Paradoxon eines Regimes werfen, das trotz Fehlens einer ernsthaften Opposition entschlossen seinen ohnehin schon festen Klammergriff um die Gesellschaft weiter verstärkt.

„GELENKTE DEMOKRATIE“

Der Begriff „Gelenkte Demokratie“ („managed democracy”) wurde auf Russland sowohl von Verteidigern wie von Kritikern des derzeitigen Regimes angewandt. Doch abgesehen von seinem ideologischen Gebrauch kann dieser Begriff auch einen analytischen Wert haben. „Gelenkte Demokratie“ liegt irgendwo zwischen den entgegengesetzten Polen der liberalen (kapitalistischen) Demokratien, die durch (formell) freien Wettbewerb organisierter politischer Interessen, demokratische Freiheiten und Rechtsstaatlichkeit gekennzeichnet sind, und Diktaturen, die organisierte politische Opposition und politische Rechte brutal unterdrücken. „Gelenkte Demokratien“ bewahren die äußerlichen Merkmale von Demokratien und tolerieren in wechselndem Ausmaß politische Rechte und organisierte politische Opposition. Doch zögern diejenigen, die die Apparate der Staatsmacht kontrollieren, nicht, das Gesetz und anerkannte demokratische Normen zu brechen, um ihre Position zu halten.

Auf den ersten Blick mag der Unterschied zwischen Diktatur und „gelenkter Demokratie“ vernachlässigbar erscheinen. Aber die „farbigen Revolutionen“ in Georgien, der Ukraine und zuletzt in Kirgisien1 richteten sich gegen „gelenkte Demokratien“, die sich von der in Russland nicht wesentlich unterscheiden. Diese Ereignisse illustrieren, was die beiden Arten von Regimes unterscheidet: Die „farbigen Revolutionen“ wären unter Diktaturen nicht möglich gewesen, da es dort keine Anschuldigungen des Wahlbetrugs als Auslöser der Proteste, keine von den Massen zu unterstützende Gegenkandidaten oder politische Organisationen und keine unkontrollierten Teile der Medien gegeben hätte, die hätten Wahlumfragen und Nachrichten über Proteste verbreiten können.

Kontinuität und Wandel

Wenn sich westliche Politiker und Presseorgane in jüngster Zeit besorgt hinsichtlich Russlands äußerten, so könnte der Eindruck entstehen, Russland sei unter Jelzin eine Demokratie gewesen.2 Tatsächlich bauten Putins autoritäre Maßnahmen direkt auf dem Erbe des Jelzin-Regimes auf. Russlands Demokratie endete im Herbst 1993, als Jelzin gewaltsam die bestehende verfassungsmäßige Ordnung unterdrückte, die demokratischen Normen vollständig entsprach.3 Der Putsch erfreute sich begeisterter Zustimmung der G7-Führer und der führenden westlichen Presse sowie der russischen Libera-len. Der Westen billigte auch das gefälschte offizielle Ergebnis des Referendums vom Dezember 1993 über Jelzins neue Verfassung, die dem Parlament seine Macht entzog. 1996 begrüßten die G7- Führer auch Jelzins Wahlsieg, obwohl er den nur durch massive illegale Mehrausgaben, völlig verzerrte Berichterstattung durch die von der Oligarchie kontrollierte Presse und durch Wahlbetrug errungen hatte. Präsident Clinton fand sogar Zeit für einen Abstecher nach Moskau um Jelzin den Rücken zu stärken. Er verglich ihn mit Abraham Lincoln, der es seinerzeit auch mit sezessionistischen Bewegungen zu tun hatte.4 Erst kurz vor diesen Lobpreisungen hatte Jelzin die tschetschenische Hauptstadt Grosny geschleift; die Zahl der Todesopfer dieses Krieges wird auf 100.000 geschätzt. Die unausgesprochene Aussetzung der Rechtsstaatlichkeit im Zusammenhang mit der Privatisierung in Russland hatte ebenfalls volle Unterstützung der G7-Führer, die Jelzin mit Weltbank- und IWF-Krediten wie auch mit bilateralen „Hilfen“ unterstützten. 5 Heute erlauben sich westliche Führer und Medien ein paar Krokodilstränen über Russlands Demokratie, da der durchgreifende militärische Niedergang des Landes und seine Integration in die kapitalistische Weltordnung als semi- peripheraler Exporteur von Naturschätzen gesichert erscheint. Die einzige Wolke am Himmel – und dies erklärt mehr als alles Andere die plötzliche Sorge um Demokratie – ist Putins Missachtung der Eigentumsrechte bei der Verfolgung politisch untergeordneter „Oligarchen“. (Es scheint keine Rolle zu spielen, dass das fragliche Eigentum – vom Staat unterstützt – mit kriminellen Mitteln erworben wurde.) Im Ganzen sind die USA und die anderen wohlhabenden Staaten jedoch recht zufrieden mit dem derzeitigen Regime, und die Äußerungen der Besorgnis über die Demokratie sollten nicht zu ernst genommen werden. Andererseits ist klar, dass Putin den „gelenkten“ Charakter der russischen „Demokratie“ beträchtlich verstärkt hat und dass sich diese Tendenz fortsetzen wird.

Wladimir Putin, der Lenker.

Unkontrollierte Exekutive

Es gibt keine wirkliche Gewaltenteilung im russischen Staat, kein Sicherungssystem, das die Macht der Zentraladministration, die alle Zweige und Ebenen der Regierung beherrscht, begrenzen würde. Der Präsident kann, wenn er möchte, jedem Staatsbeamten seinen Willen diktieren. Die Duma (benannt nach dem ähnlich machtlosen Parlament, das Zar Nikolaus II. inder Revolution von 1905 zugestanden hatte) wurde unter Jelzins neuer Verfassung eingerichtet, um den gestürzten Obersten Sowjet (wie auch die verbliebenen lokalen Sowjets) zu ersetzen, der zu einem größeren Hindernis für seine „Schocktherapie“ und eine ungezügelte öffentliche Korruption als integralen Bestandteil Russlands „ursprünglicher Akkumulation“ geworden war. Die Duma ist hauptsächlich ein Raum für Lobbyismus und eine Selbstbereicherungsmaschine der Abgeordneten. Sogar unter Jelzin, als die kommunistische Fraktion noch stärker war, hatte sie keinen nennenswerten Einfluss auf die Politik (vielleicht mit Ausnahme der wenigen Monate nach dem Finanzkollaps vom August 1998, als Jelzin zu taktischen Rückzügen gezwungen war). Heute wird die Mehrheit der Sitze in der Duma von der Partei „Ein Russland“ gehalten, die ihre Mehrheit der Unterstützung durch die Exekutive verdankt. Diese Unterstützung erfolgt in Form breiter Beachtung in den Medien, großzügiger Finanzierung und des Einsatzes anderer „administrativer Ressourcen“ wie Wahlbetrug, Erpressung und Bestechung.6 „Ein Russland“ wird durch ein einziges Prinzip geleitet: bedingungslose Unterstützung der Politik Putins. Wie um ihre eigene Bedeutungslosigkeit zu unterstreichen, hat die Duma kürzlich ein Gesetz zur Einführung einer „Öffentlichen Kammer“ beschlossen, die aus nicht gewählten „Vertretern der Zivilgesellschaft“ besteht und den Auftrag hat, die Gesetzgebung der Duma und die Arbeit der Exekutive zu überwachen.7 Auch die Judikative ist der Exekutive unterstellt. Putin versprach eine „Diktatur des Gesetzes“ und begann dann, das Gesetz selektiv anzuwenden, um einzelne Herausforderer zu bestrafen. Die bekanntesten Fälle sind die Verurteilungen der Oligarchen (Großkapitalisten) Gusinski, Beresowskij und Chodorkowski, die herausgegriffen wurden, weil sie ihren Reichtum zur Opposition gegen Putin eingesetzt hatten. Andere Oligarchen, deren Vermögen nicht weniger durch illegale Aktivitäten beschmutzt ist, blieben unbehelligt und genießen weiter privilegierten Zugang zum Kreml. Unabhängige Richter, die sich dem politischen Druck widersetzen, landen auf der Straße oder in der Rente. Erst kürzlich beschloss die Duma ein Gesetz zur weiteren Verschärfung der Kontrolle des Präsidenten über die obersten Richter.8 Wie auch in unpolitischen Fällen sind Käuflichkeit und Klassenparteilichkeit der Gerichte weit verbreitet. Dmitrij Kozak, enger Unterstützer des Präsidenten und einer der Architekten der Rechtsreform, gab sein Scheitern Anfang des Jahres zu: „Die Öffentlichkeit ist überzeugt, dass das System durch und durch korrupt ist […] Die Gerichte funktionieren heute wie Wirtschaftsunternehmen. Größere Gesellschaften versuchen sogar, das System zu infiltrieren und ihre Vertreter dort unterzubringen. Die Situation ist wirklich ernst.“9 Im Allgemeinen kann und wird die Verwaltung das Gesetz ignorieren, wenn es ihr notwenig erscheint. Ihre terroristische Politik in Tschetschenien, die sich auf Inguschetien und den Rest des russischen Kaukasus ausdehnt, ist nur der bekannteste Fall. Aber auch über die Südregion hinaus gibt es immer wieder Berichte illegaler Aktionen der Polizei und anderer Sicherheitskräfte. Gewöhnliche Russen meiden jeden Kontakt mit den „Ordnungskräften“, die sie fürchten und als korrupt ansehen. Die große Mehrheit ist überzeugt, dass sie von der Regierung gegen politische Gegner eingesetzt werden.10 In einem der berüchtigtsten Fälle politischer Rache ließen die Provinzbehörden von Baschkortostan, einer Region, die von ihrem Präsidenten Rachimow wie ein persönliches Lehen regiert wird, in der Stadt Blagoweschtschensk die Bereitschaftspolizei von der Kette, die unterschiedslos Hunderte unschuldiger Bürgerinnen und Bürger verprügelte, verhaftete und folterte.11 Auch wenn viel von dieser Gesetzlosigkeit örtlichen Ursprungs ist, decken doch die Zentralbehörden solche Untaten in der Regel gegen Forderungen nach öffentlichen Untersuchungen. Im Fall von Blagoweschtschensk, der landesweites Aufsehen erregte, wurde der stellvertretende Regionspolizeipräsident, der das Pogrom organisiert hatte, entfernt. Aber wie um die Immunität der Exekutive zu unterstreichen, tauchte er kurz danach wieder als Ombudsmann für Menschenrechte in Baschkortostan wieder auf.12 Nichts von alledem ist qualitativ neu gegenüber dem, was unter Jelzin geschah. Dies geht soweit, dass es früher größere politische Freiheiten gab, was zu großen Teilen eher auf die Schwäche und Tollpatschigkeit des Jelzin- Regimes als auf ein Eintreten für demokratische Prinzipien oder Rechtsstaatlichkeit zurückzuführen ist. Obwohl Putin die Schrauben angezogen hat, bleibt sein Regime eine „gelenkte Demokratie“, die einen bedeutenden Rest politischer Freiheit erlaubt. Es gab beispielsweise geringe Repression gegen die umfangreichen Rentnerdemonstrationen im Januar 2005 gegen das Gesetz 120, das Sozialleistungen „monetarisierte“ und gleichzeitig kürzte. Das Arbeitsgesetzbuch von 2001 machte es schwerer legal zu streiken und reduzierte die Rechte kleiner, unabhängiger Gewerkschaften, aber es gibt weiterhin Streiks (die schon vor Einführung des neuen Arbeitsgesetzbuches selten geworden waren und die unabhängigen Gewerkschaften kämpfen trotz ihrer Schwäche weiter. Die Verfolgung von Oligarchen ist hingegen ein neues Phänomen. Allerdings sah sich Jelzin auch keiner ernsthaften Herausforderung aus dieser Ecke gegenüber. Es war seine Administration, die die Oligarchen geschaffen hat, ohne sich selbst der Beteiligung an der Orgie der „ursprünglichen Akkumulation“ zu enthalten. Putin hingegen war ein wirklicher „Nobody“, den Jelzin an die Spitze des Staats gehievt hatte, um seine eigene Straflosigkeit zu sichern. Nicht alle Oligarchen meinten, ihm loyal sein zu müssen, während die neuen Leute, die er für die Administration ernannte, gierig auf ihren Anteil an der Beute waren. Dies war die Szene für den Wettstreit um die Frage, welche Seite dominierend ist – die Bourgeoisie oder die Exekutive. (Auf diese Frage, die zentral für unsere Analyse ist, kommen wir später zurück.) Ein anderes Gebiet, auf dem Putin versucht hat, die „Lenkbarkeit“ der „Demokratie“ auszubauen, waren die Beziehungen zwischen Bund und Regionen. Ende 2004 beschloss die Duma ein Gesetz, das dem Präsidenten erlaubt, die 89 regionalen Gouverneure zu ernennen, die in den letzten zehn Jahren gewählt werden konnten.13 Doch hatte Putin bereits im Jahr 2000 das Recht erkämpft, Gouverneure wegen Inkompetenz oder Korruption abzusetzen, kontrolliert nur durch die leicht beeinflussbaren Gerichte. Er hatte und nutzte auch die Möglichkeit, sie durch Einsatz „administrativer Mittel“ in Regionalwahlen zu entfernen, auch wenn das nicht immer klappte. Jedenfalls kann sich die örtliche Bevölkerung unter den gegenwärtigen Umständen in Russland auf gewählte Gouverneure nicht wirklich mehr verlassen als auf ernannte.

Staatsherrschaft über die Gesellschaft

Die Großzügigkeit des Regimes bei politischen Rechten beruht weitgehend darauf, dass die Bevölkerung darauf verzichtet, sie einsetzt um Interessen zu bedrohen, die das Regime als wichtig betrachtet. Man muss nicht weiter als nach Tschetschenien blicken, um sich von den Grenzen dieser Großzügigkeit zu überzeugen. Eine schwache Zivilgesellschaft ist eine notwendige Voraussetzung einer „gelenkten Demokratie“: Die russische Arbeiterklasse ist zu schwach, um einen demokratischen Wandel zu erzwingen, und die russische Bourgeoisie ist zu unsicher und zu direkt von der Staatsadministration abhängig, um einen solchen Wandel zu unterstützen. Gleichzeitig bedrohen die Volkskräfte die Elite nicht stark genug, um sie zur Einführung einer Diktatur zu provozieren. 14 Die Kommunistische Partei ist die wichtigste organisierte politische Opposition und die einzige politische Massenorganisation, die nicht von oben als Basis für ein paar Persönlichkeiten, oder um einen bestimmten Auftrag des Regimes auszuführen, gebildet wurde. Nach Akzeptieren der vom Putsch von 1993 gesetzten Regeln blieb die Kommunistische Partei eine loyale parlamentarische Opposition. Außerparlamentarische Aktionen, die als einzige härtere Reaktionen des Regimes auslösen könnten, hat sie nicht nennenswert organisiert oder sich daran beteiligt.15 L. Schestowa zufolge, einem Forscher ohne besondere Sympathien für die Kommunisten, hat sich die Partei „zu einem Inventarstück des russischen Systems entwickelt, das geholfen hat, seine Stabilität zu bewahren. Die Kommunisten hielten die Proteststimmen von Überreaktionen ab. In entscheidenden Situationen kamen sie mit dem Kreml- Team zu Kompromissen. [Die Partei…] akzeptierte die vom Herrschaftsteam gesetzten Regeln und bekräftigte so, dass sie nicht länger an einem ernsthaften Kampf um den Kreml interessiert war und sich mit der Rolle der ewigen Opposition begnügen wolle. […] Mit der Kommunistischen Partei als Hauptopposition konnten die Behörden behaupten, eine liberale Demokratie zu betreiben.16 Die in der Union der Rechten Kräfte (SPS) organisierte neoliberale Rechte ist an den Interessen des Großkapitals ausgerichtet und im Ganzen glücklich mit der Wirtschaftspolitik der Regierung, auch wenn sie mehr „Reformen“ einfordern. Da die Interessen der Oligarchie denen der breiten Bevölkerung direkt entgegengesetzt sind, ist das Bekenntnis der SPS zur Demokratie notwendigerweise eher symbolisch. Viele Parteiführer, von denen A. Tschubais und E. Gaidar am bekanntesten sind, haben enge Beziehungen zur Regierung, doch kritisieren auch einige die autoritären Züge der Regierung. 17 Jabloko, die andere liberale Partei, ist wesentlich glaubwürdiger, wenn sie für demokratische Rechte eintritt. Und anders als die SPS war sie von Anfang an gegen Putins Krieg in Tschetschenien. Ihre sozio-ökonomische Politik hat sich langsam in eine sozialdemokratische Richtung verschoben. Nichtsdestotrotz haben einige ihrer Führer Regierungsposten unter Putin angenommen und von Zeit zu Zeit gab es misslungene Gespräche über einen Zusammenschluss mit der SPS. Jabloko hat ihre Wähler hauptsächlich unter jungen Leuten und Kleinunternehmern, wobei die Stimmenzahlen unter Putin zurückgegangen sind. Wie die SPS ist sie bei der letzten Duma-Wahl 2003 an der 5%-Hürde gescheitert. Der Zustand der Parteipolitik in Russland spiegelt die generelle Schwäche der Zivilgesellschaft wider. Neben den politischen Parteien sind die größten, politisch orientierten Interessengruppen die Menschenrechtsorganisationen und „alternativen“ Gewerkschaften. Aber keine von ihnen hatte irgendeinen merklichen Einfluss auf die Regierung. Die ersteren sind fast vollständig vom Ausland finanziert und die „alternativen“ Gewerkschaften vertreten kaum mehr als einige wenige Prozent der organisierten Arbeiterschaft und haben große Schwierigkeiten, überhaupt einheitliche Aktionen zu entwickeln. Zwar ist der gewerkschaftliche Organisationsgrad immer noch hoch in Russland, doch gehört die überwältigende Mehrheit zum Verband der russischen Gewerkschaften, der sich der „Sozialpartnerschaft“ verschrieben hat, was in der Praxis Unterordnung unter Management und Regierung bedeutet. Der politische Arm des Verbands gehört zur regierungsnahen Partei „Ein Russland“, trotz der arbeiterfeindlichen Politik der Regierung. 18 Die Verhaftung von Michail Chodorkowski, des reichsten Oligarchen und Mehrheitseigentümers der Ölgesellschaft Jukos, im Jahre 2003 ließ keinen Zweifel mehr an der politischen Unterordnung der Bourgeoisie unter die Exekutive. Chodorkowski wurde angeklagt wegen Steuerhinterziehung, Betrug und Leitung einer kriminellen Gruppe und muss eine Strafe von zehn Jahren Gefängnis befürchten. Was auch immer seine Verbrechen – und es waren zweifellos viele und ernste – waren, so steht der völlig willkürliche Charakter der Verfolgung über jeden Zweifel und wurde sogar vom Präsidentenberater I. Schuwalow bei einem Treffen mit US-Geschäftsleuten versehentlich zugegeben.19 Die Lehre ist natürlich, dass der Staat jeden Kapitalisten, egal wie reich er ist, seines Vermö-gens und seiner Freiheit berauben kann. Das anfängliche gedämpfte Murren aus Wirtschaftskreisen und -presse ist schnell verstummt. Nur kurz nach Chodorkowskis Verhaftung empfing Putin auf dem Kongress des Industrie- und Wirtschaftsverbands standing ovations.20

Juri Luschkow, ein Opfer verdeckter PR-Kampagnen
der staatlichen Medien.

Stärkung der „Lenkungskomponente“

Ungeachtet des Grads der Demoralisierung und Schwäche der Zivilgesellschaft sind „gelenkte Demokratien“ aus sich heraus instabil. Es ist keineswegs sicher, dass die Zivilgesellschaften in Georgien, der Ukraine oder in Kirgisien am Vorabend ihrer „farbigen Revolutionen“ robuster gewesen wären als gegenwärtig in Russland. Trotz der Welle verbreiteter Unzufriedenheit war der wichtigste Bestandteil dieser „Revolutionen“ eine organisierte Opposition, die sich selbst glaubwürdig als Alternative zum bestehenden Regime anbieten und so zum Anziehungspol für die Unzufriedenheit werden konnte. Putins Versuche, die „Lenkungskomponente“ von Russlands „Demokratie“ zu stärken, haben daher zum Ziel, das Entstehen jedweder glaubwürdigen Alternative zu verhindern und die allgemeine Unzufriedenheit von seiner Person abzulenken. Viel Anstrengung wurde darauf verwandt, potenzielle Rivalen auszuschalten. Eine gut abgestimmte, verdeckte PR-Kampagne in den staatlichen Medien (einschließlich ernster krimineller Anschuldigungen) setzte zusammen mit Druck auf seine Unterstützer und Bestechung den präsidialen Hoffnungen des Moskauer Bürgermeisters Juri Luschkow ein frühes Ende, der seine Partei (Otechestwo – Vaterland) dann in den „Ein Russland“-Block führte. Damit war für Putin sicher, das sein Hauptgegner bei den Präsidentschaftswahlen 2000 der KP-Führer Gennadi Sjuganow war, der keine Chance hatte, gegen ihn zu gewinnen. 21 Doch trotz ihrer Nützlichkeit bei Wahlen und ihrer Ablehnung außerparlamentarischer Aktionen, traut der Kreml der Kommunistischen Partei ganz offensichtlich nicht, weil er sie nicht direkt kontrolliert. Entsprechend hat er versucht, sie durch Fördern von Spaltungen und Unterstützung der Bildung von Rodina (Mutterland), eines alternativen, „patriotischen“ (d.h. großrussisch-chauvinistischen) Mitte-Links-Blocks, der bei den Duma-Wahlen 2003 erfolgreich Stimmen von den Kommunisten abzog, zu schwächen.22 Neben Jabloko war sie Hauptzielscheibe von Putins neuem Wahlgesetz, das die Anforderungen für die Zulassung von Parteien verschärfte und die Sperrgrenze für den Einzug in die Duma von fünf auf sieben Prozent erhöhte. („Ein Russland“ trat sogar für die Anhebung auf 12,5 Prozent ein, aber das ging anscheinend sogar Putin zu weit.)23 Die Kontrolle der Massenmedien, vor allem des Fernsehens, der wichtigsten Informationsquelle über das öffentliche Leben für die meisten Russen, ist ein weiteres wichtiges Mittel, potenzielle Alternativen auszuschließen. Der Kreml entscheidet, über welche Parteien und Persönlichkeiten berichtet wird und in welchem Licht sie dargestellt werden. Die Verfolgung des Oligarchen Wladimir Gusinski war hauptsächlich vom Ziel des Kremls motiviert, Kontrolle über sein Medienimperium, vor allem den Fernsehsender NTW, der dem Regime und vor allem Tschetschenien sehr kritisch gegenüber stand, zu erlangen. Gusinski wurde ohne Prozess aus dem Gefängnis entlassen, nachdem er zugestimmt hatte, seinen Besitz (der hauptsächlich ein Geschenk des Jelzin- Regimes für geleistete Dienste war) aufzugeben.24 Die gedruckte Presse, die überwiegend in Privatbesitz, also in den Händen der Oligarchie ist, unterliegt keiner engen Staatskontrolle. Trotzdem versuchen die auflagenstärksten Publikationen in den Grenzen zu bleiben, die für das Regime akzeptabel sind. Die Iswestija übertrat diese Grenze offenbar mit ihrer zu detailreichen Berichterstattung über die Geiselnahme von Beslan im September 2004, die in einem Blutbad mit 330 Toten, zur Hälfte Schulkinder, endete. Nach den zornigen Reaktionen des Kremls zwang der Herausgeber, Metall-Magnat Wladimir Potanin, den Redakteur zum Rücktritt.25 Trotzdem sind Artikel, die sich kritisch gegenüber der Regierung oder gar dem Präsidenten äußern, nicht selten, vor allem in kleineren Publikationen. Andererseits haben ökonomische Zwänge viele von ihnen zur Aufgabe gezwungen, da Menschen mit Geld um dort zu investieren (einige werden von Oligarchen aus dem Exil finanziert) die Regierung nicht provozieren wollen. Dieselbe Furcht begrenzt die Finanzhilfen für Oppositionsparteien. Chodorkowskis Anwalt meinte, sein Klient werde verfolgt, weil er solche Parteien finanziell unterstützt habe.26 Abgesehen davon, das Entstehen einer glaubwürdigen Alternative zu verhindern, ist der Kreml auch besorgt, die Unzufriedenheit des Volkes von sich selbst abzulenken und Unterstützung für den Präsidenten aufzubauen. Dies ist umso wichtiger, als in den Augen des Volkes Putins wirklich im Gegensatz zur symbolischen Bilanz alles andere als glänzend ist. Die materielle Situation der Massen hat sich unter seiner Präsidentschaft nur wenig verbessert, trotz hoher Ölpreise undsechs Jahren stetigen BIPWachstums (abgesehen von einer tiefen Depression). Die Hauptverantwortung dafür liegt bei der regressiven Sozial- und Arbeitspolitik der Regierung. 27


Putin mit Soldaten: „Wie tapfer er doch ist.“

Hinzu rechnen kann man das Anhalten der allgegenwärtigen politischen Korruption, die ausgeprägte und sich weiter vertiefende wirtschaftliche Ungleichheit, den verheerenden Krieg in Tschetschenien, das Ausbreiten des Terrorismus ins russische Kernland hinein, die allgemeine Inkompetenz der Regierung und Rücksichtslosigkeit gegenüber Menschenleben in der Geiselkrise, den anhaltenden Zerfall der Armee, den Rückgang des russischen Einflusses in der Region und den Zusammenbruch der physischen Infrastruktur. Das Fernsehen ist natürlich das wichtigste Medium der „gesteuerten Liebe“ für Putin. In einer weitgehend atomisierten, passiven „Massengesellschaft“ kann es ein immens wichtiges Instrument der Manipulation sein. Die Abendnachrichten beginnen üblicherweise, bei allen Sendern, mit einem Treffen zwischen Putin und irgendeinem Minister, Duma-Abgeordneten oder einer anderen wichtigen Person. Der Präsident hört konzentriert zu, stellt einige präzise Fragen, macht ein paar gescheite Vorschläge oder gibt strenge Anweisungen. Außer seiner Reklamefunktion für Putin ist dieser Block, der zehn Minuten oder länger dauern kann, von keinerlei öffentlichem Interesse. Die meisten Berichte über den Präsidenten haben diesen PRCharakter. Jelzins früherer Pressesprecher beschrieb es mit seinen Worten: „Hier ist ein Fernsehclip mit Putin, wie er nach Tschetschenien fliegt. Das kollektive Unterbewusstsein reagiert: "Wie tapfer er ist!" Hier sehen wir Putin, wie er einen neuen Wagen an eine alte Dame ausliefert, die Weltkriegsveteranin ist. Das kollektive Unterbewusstsein notiert: ? Er ehrt Veteranen des Krieges und der Arbeit!‘ Hier trinkt Putin Tee mit einem Paar, das gerade eine neue Wohnung als Ersatz für die alte, von einer Naturkatastrophe zerstörte Unterkunft bezieht: 'Er versteht die einfachen Menschen!‘ Hier rauscht Putin herein und gratuliert einer berühmten Schauspielerin zum Geburtstag: 'Er ist aufmerksam den Menschen gegenüber und kultiviert!‘ Und wenn Putin von Emotionen überwältigt sogar die Heldenmedaille auf der Brust eines Veteranen küsst, dann bricht das kollektive Unterbewusstsein unter dem Überangebot an Informationen fast zusammen… Alle diese Aktionen sind Show, denn immer ist ein Auge auf die dane-ben stehende Fernsehkamera gerichtet.“28 Ein anderes PR-Werkzeug ist die häufige Veröffentlichung – einem Beobachter zufolge fünfmal häufiger als unter Jelzin – von Meinungsumfragen, die den anhaltend hohen Grad von Zustimmung und Vertrauen für den Präsidenten zeigen (selbst wenn andere Befragungen verbreiteten Pessimismus über die Entwicklung des Landes ergeben). 29 Die meisten dieser Umfragen sind vom Kreml selbst bestellt, der auch die Ergebnisse freigeben muss. Ziel ist natürlich, den Eindruck zu erwecken, dass jemand, der mit dem Präsidenten unzufrieden ist, eine abseitige Einzelposition vertritt. Es gibt sogar einen kleinen Personenkult um Putin: Seine Portraits tauchen massiv wieder in den Regierungsbüros auf (ein Brauch, der unter Jelzin unerwünscht war), in der Öffentlichkeit wird er mit Lobreden überschüttet, Straßen werden nach ihm benannt und Bücher über ihn veröffentlicht. In seiner Heimatstadt St. Petersburg enthält ein Schulbuch ein Kapitel über die Kindheit des kleinen Wladimirs. Es gibt Putin-Buttons und -T-Shirts, Rundgänge zu „Putin-Orten“ usw. Obwohl der Kreml bei dem meisten wahrscheinlich nicht der Urheber ist, hat er aber auch nichts getan, das zu bremsen. Doch trotz alledem fühlt sich der Kreml anscheinend immer noch nicht sicher. So schwach die Zivilgesellschaft auch ist, hat der Kreml doch versucht, sie unter seiner eigenen Schirmherrschaft zu organisieren. Einige dieser Bemühungen waren recht bizarr, so wie die vom Kreml finanzierte Jugendbewegung „Gemeinsam gehen“ (Iduschchie wmeste). Wie der Name schon andeutet, ist es das zentrale Ziel dieser Organisation, mit Putin „gemeinsam zu gehen“. Teenagern in Putin-T-Shirts, die zu pro-Putin-Demonstrationen gebracht worden sind, fällt es oft schwer zu erklären, warum sie dort sind. Es gab Gerüchte, Studentinnen und Studenten seien mit Sanktionsdrohungen ihrer Universitäten zur Teilnahme genötigt worden. Der Führer der Bewegung, W. Jakemenko, der bisher für die Kreml-Aministration arbeitete, sprach von Jabloko als einem der „Hauptfeinde Russlands“. Doch anscheinend blieb die Entwicklung der Bewegung hinter den Erwartungen zurück (sie hat sogar eine kleine Gegenbewegung sprießen lassen: „Ohne Putin gehen“), denn der Kreml bereitet jetzt den Start einer neuen vor, die passenderweise „Unsere“ heißen soll. Jakemenko meint, sie werde es schaffen, „die orangene Revolution und das Eindringen der Amerikaner zu stoppen“.30 In einigen Regionen hat die Partei „Ein Russland“ sogar Schulkinder in einer Organisation „Kleine Bären von Russland“ (der Bär ist das Symbol der Partei) organisiert, was eindeutig illegal ist.31 Es hat auch Versuche gegeben, bestehende Nichtregierungsorganisationen (NGOs) in ein von der Regierung dominiertes Netzwerk einzupferchen, um staatliche Kontrolle zu ermöglichen. So zumindest wurde das „Bürgerforum“, eine von der Regierung finanzierte Initiative, die im Herbst 2003 Vertreter eines breiten Spektrums von NGOs zusammenbrachte, von Menschenrechtsgruppen wahrgenommen. Letztere widersetzten sich erfolgreich jedem Versuch, das Forum zu benutzen, um eine staatsfinanzierte Dachorganisation zu schaffen, und die Sache schien damit erledigt zu sein. Aber viele sehen in der neuen „Öffentlichen Kammer“ einen erneuten Versuch, Organisationen der Zivilgesellschaft in die „Vertikale der Macht“ einzubinden. Der Leiter der Moskauer Helsinki-Gruppe sagte dazu: „Eine verrückte Idee. Sobald man die Zivilgesellschaft in einer ‚Vertikale der Macht‘ organisiert, hört sie auf, eine Zivilgesellschaft zu sein. Sie wird ein klägliches Anhängsel der Regierung. Und sie wird zerstört.“32 Dass der Kreml Probleme mit Menschenrechtsorganisationen hat, sogar mit schwachen, wurde klar, als Putin in Bezug auf nicht benannte NGOs warnte, dass „Freiheit verantwortungsbewusst sein sollte“ und dass manche zu interessiert an ausländischen Geldern seien. 33 Das war eine Botschaft an die „Ordnungskräfte“, diese Leute im Auge zu behalten. In diesem Zusammenhang muss man auch die Kultivierung einer gewissen „Festungsmentalität“ als einer Möglichkeit, die Unterstützung im Volk zu festigen, erwähnen. Man wird sich erinnern, dass Putin seine Popularität anfangs seinen harten Sprüchen über Tschetschenien verdankte. („Wir werden sie in den Klos versenken.“) In jüngerer Zeit haben er und seine Berater offen angedeutet, Russland sei im Visier feindlicher westlicher Kräfte. (Diese Behauptung hat eine gewisse Berechtigung, aber sicher nicht als Rechtfertigung für Putins Politik.) Gleichzeitig ist der Kreml recht lässig gegenüber nationalistischen Persönlichkeiten und Bewegungen – wobei „nationalistisch“ in Russland allzu oft „rassistisch“ gegenüber ethnischen Minderheiten bedeutet – und erlaubt ihnen sogar, ihre Ansichten zur besten Sendezeit im Fernsehen zu verbreiten. Die Polizei bestreitet meist das rassistische Element bei ethnischen Verbrechen und bezeichnet sie als „Hooliganismus“.34 Es wäre falsch zu behaupten, das Regime selbst sei rassistisch oder fremdenfeindlich, obwohl es zweifellos solche Elemente im Regierungsapparat gibt. Aber das Spiel mit solchen Stimmungen findet ein Echo bei bedeutenden Teilen der Bevölkerung. Schließlich inspirierte der Kreml die Gründung von Rodina, um die „patriotischen“ Stimmen von den Kommunisten abzuziehen. Fünfzehn Duma-Abgeordnete von Rodina unterzeichneten eine Petition an den Generalstaatsanwalt und verlangten am Vorabend des sechzigsten Jahrestags der Befreiung von Auschwitz das Verbot aller religiösen und ethnischen jüdischen Organisationen. Um sich gegen die Beschuldigung der Verbreitung von Rassenhass zu verteidigen, schrieben sie: „Wir möchten Ihnen, Herr Generalstaatsanwalt, versichern, dass es eine große Zahl gut belegter Fakten gibt, die zu einer unbestreitbaren Schlussfolgerung führen: Die negative Einstellung russischer Patrioten gegenüber typisch jüdischen Eigenschaften und Handlungen gegenüber Nicht-Juden basiert auf wahren Tatsachen; mehr noch sind diese Handlungen nicht zufällig, sondern vom Judaismus diktiert und Praxis seit 2000 Jahren. Daher sind Erklärungen und Publikationen gegen Juden Selbstverteidigung, die stilistisch nicht korrekt sein mag, im Kern aber berechtigt ist.“35 Es mag sein, dass der Kreml die Kontrolle über sein Geschöpf verloren hat, aber andererseits stellt er sich auch nicht dagegen. Solche „patriotischen“ Ansichten gewinnen Respektabilität und die seltenen Verurteilungen des Kremls klingen hohl in diesem Zusammenhang.

2003: Jelzins Staatsstreich beendete ein kurzes
demokratisches Zwischenspiel.

WARUM „GELENKTE DEMOKRATIE“

Eine schwache Arbeiterklasse ist eine notwendige Vorbedingung der „gelenkten Demokratie“, aber alleine nicht ausreichend. In Bezug auf Argentinien wurde glaubwürdig argumentiert, dass die Schwächung der Arbeiterklasse und der linken Bewegungen (unter repressiven Diktaturen, als Ergebnis neoliberaler Umstrukturierungen und als Konsequenz des Zusammenbruchs des sowjetischen Lagers) die „Welle der Demokratisierung“ ermöglichte, die jüngst die Region überspülte. Die Bourgeoisie versöhnte sich mit der mit der Demokratie notwendigerweise verbundenen Unsicherheit hinsichtlich ihrer nachrangigen Interessen, da sie sich jetzt sicher fühlt, dass die von ihr als entscheidend betrachteten Interessen nicht bedroht werden.36 Russland hingegen hat sich von einer, wenn auch kurzlebigen, Demokratie zu einer „gelenkten Demokratie“ bewegt. Um diese Frage zu beleuchten, ist es erforderlich, die Beziehungen zwischen der Exekutivmacht und der neu gebildeten Bourgeoisie zu untersuchen.

Interessen der Exekutive

Wie bereits erwähnt verfolgte Jelzins Staatstreich vom Oktober 1993, der das kurze demokratische Zwischenspiel beendete, zwei miteinander verknüpfte Ziele. Das eine war es, weiter die Umsetzung der Schocktherapie zu erlauben. Das andere war es, die Staatsbürokratie und ihr Umfeld von allen Beschränkungen beim großen Raub des nationalen Wohlstands zu befreien. 37 Das erste Ziel wurde weitgehend erreicht. Es zeichnet sich keine politische Kraft ab, die daran interessiert wäre, die Volksmassen zum Wechsel der Wirtschaftspolitik hin zu einer national orientierten Entwicklung zu mobilisieren. (Das Chávez-System in Venezuela kann trotz seines derzeitigen Übergangscharakters als Beispiel für einen solchen Wechsel dienen.) Dies wurde durch das kurze Zwischenspiel der Primakow- Regierung im Herbst und Winter 1998/99 klar. Obwohl Primakow einen Ruf als „staatsorientierter“ Führer (gosudarstwennik) hatte und einige Versuche machte, gegen Korruption vorzugehen, betrieb er doch dieselbe Sparpolitik wie seine Vorgänger, bei der Kürzung öffentlicher Ausgaben und Kontrolle der Inflation höchste Priorität hatten. Tatsächlich brachte er mit Unterstützung der Kommunistischen Partei den liberalsten Haushalt in der Geschichte des neuen russischen Staats durch.38 Seine Regierung hatte keinerlei Versuche gemacht, Unterstützung im Volk zu mobilisieren und so gab es keine Proteste, als Jelzin ihn brüsk hinauswarf, sobald die Wirtschaft sich zu erholen begann. Auch für Luschkows abgewürgte Präsidentschaftskandidatur gegen Putin war Wirtschaftspolitik kein besonderes Thema, obwohl Luschkow sich gerne als Unterstützer des „nationalen Kapitals“ zur Schau stellte und – als Multimillionär – in Arbeitermütze herumstolzierte. Seine Kandidatur löste bei der Bourgeoisie keinen erkennbaren Alarm aus. Aber Luschkow besaß eine eigene Machtbasis, und das machte ihn für Jelzins „Familie“, den herrschenden Oligarchieclan, der nach dem Abtritt des Patriarchen nach stärkeren Sicherheitsgarantieren strebte, inakzeptabel. Auch nach Erreichen des ersten Ziels des Putschs von 1993 behält das zweite – freie Bahn für die Exekutive und ihre Freunde zur Plünderung der Reichtümer der Nation – seine Bedeutung, um Festigung und Stärkung der „gelenkten Demokratie“ zu erklären. Jelzin entschied sich für Putin, weil er meinte, sich auf seine Loyalität verlassen zu können. Dies zum einen, weil Putin, der aus dem politischen Nichts kam, über keine unabhängige Machtbasis verfügte. (Über irgendwelche speziellen Hebel, mit denen die Jelzin-„ Familie“ Putin vielleicht kontrolliert, kann man nur spekulieren.) Aber es ist nur natürlich, dass Präsident Putin seine Macht durch Ernennung vertrauenswürdiger Personen für Schlüsselpositionen konsolidieren wollte. Diese kamen hauptsächlich aus zwei Quellen: frühere Kollegen und Bekannte aus St. Petersburg und Beamte aus verschiedenen „Machtstrukturen“ (FSB, Militär und andere Apparate der Staatsmacht): Obwohl Nachzügler, waren sie doch flink dabei, ihre Positionen auszunutzen, um sich einen Anteil vom Reichtum zu sichern. Unabhängig von ihren ideologischen Neigungen lässt dieses Hauptinteresse sie von der Durchsetzung der Rechtsstaatlichkeit und der Respektierung des Eigentums abrücken, obwohl Putin und sein Kreis auf anderer Ebene erkannt haben, dass solche Dinge erforderlich sind, um Investitionen anzulocken. Aus ähnlichen Gründen wehren sie sich gegen eine echte Demokratie, die ihr Verbleiben im Amt und damit den Schlüssel zur Selbstbereicherung bedrohen würde. Ein Beobachter bemerkte: „Die Gro-ßen der Macht und des Besitzes sind in Putins Russland so eng verbandelt, dass ein Wechsel der Spitzen der Macht zugleich eine neue Runde der Umverteilung des Besitzes eröffnen würde, die dem inneren Kreis des Kremls und seinen Schützlingen das Errungene wieder abnehmen würde. Das Beispiel des früheren ukrainischen Präsidenten Leonid Kutschma bietet schreckliche Aussichten für Russlands regierende Elite.39

Manche werten Chodorkowskis Verurteilung als Zeichen der
Entschlossenheit des Kremls, Rechtsstaatlichkeit durchzusetzen.

Putin hat die Spitzen des staatseigenen Energiesektors mit führenden Kreml-Leuten besetzt. Er erklärt, dass er die Staatskontrolle dieser Firmen stärken und die Korruption bekämpfen wolle. Aber I. Lebedew, Duma-Abgeordneter von Putins Partei „Ein Russland“, sagte dazu: „Nennt mir nur einen Vertreter eines Staatsunternehmens, der kein Multimillionär ist.“ Geschäftsleute pflichten dem bei: „Das erinnert mich sehr an das, was Anfang der 1990er Jahre geschah. Für eine Reihe von Menschen, die für den Staat arbeiten, sind alle Grenzen gefallen. Diese Menschen bemühen sich, die Finanzflüsse zu ihren Gunsten umzuleiten, und versuchen, die Hebel des Staats zu ihrem eigenen Vorteil einzusetzen. Dies ist der Osten. Da gibt es einen neuen Clan, und diesem Clan ist alles vergeben.“40 Putin hat einen Großteil der Spitzenkräfte von Gasprom und dessen Tochtergesellschaften ausgetauscht und durch Leute aus St. Petersburg ersetzt. Gasprom ist mit 27 Mrd. US- $ eins der größten Unternehmen der Welt und wichtigste Quelle für Auslandseinkünfte. Doch nach allem, was man hört, ist seine Funktionsweise nicht viel transparenter geworden. Dem Hermitage Capital Management zufolge, einem großen russischen Vermögensfonds, der Gasprom- Aktien hält, gehen jährlich fast 800 Mio. $ Einnahmen aus dem Transport von Erdgas durch eigene Pipelines aus Turkmenistan über die Ukraine weiter nach Westen an eine mysteriöse Zwischenfirma mit Sitz in Ungarn, die Menschen verschiedener Nationalität gehört, hinter denen aller Wahrscheinlichkeit nach Mitglieder des Kreml-Clans stehen. 41 Neben dem Abschöpfen des Vermögens der Staatsunternehmen und der Annahme von Bestechungen für lukrative Lieferaufträge, bereichern sich die Mitglieder der Administration durch Einziehen von Tributen verschiedenster Form für diverse „geleistete Dienste“ bis hin zu offen mafiösen „Schutzgeldern“.42 Ein Geschäftsmann drückte es so aus: „Die Bürokraten machen, was sie wollen. Wer nicht ‚geschützt‘ ist, kann sein Geschäft verlieren.“ Als besten Weg, den ganzen Ärger mit Gesetzen und Vorschriften zu vermeiden, empfahl er, örtliche Amtsträger als Partner aufzunehmen. Ohne so recht einen Schuldigen zu wissen, fiel ihm auf, dass in Russland alles „oben beginnt und sich nach unten bewegt“.43 Kreml- Insider Gleb Pawlowsky betonte, dass Korruption ein qualitativ neues Niveau erreicht hat: „Sie ist nicht länger ein Phänomen, sondern alltäglich.“ Züge von Korruption durchziehen die Staatsbürokratie von oben bis unten. „Das ist eine bedeutende Schicht, Millionen von Menschen. 44 Man schätzt, dass gewöhnliche Bürger insgesamt mindestens 37 Milliarden Dollar jährlich aufwenden, um verschiedene Amtsinhaber zu bestechen, während Unternehmen etwa 33,5 Milliarden zahlen. Die korruptesten Beamten sind die, die für Exportlizenzen und -quoten, Subventionen, Steuerbescheide, Führung von Staatsbankkonten, Überwachung von Regionsschulden und Privatisierungen zuständig sind. Die üblichen Provisionsraten der Bürokraten liegen bei zehn bis dreißig Prozent, und sie steigen. Die letzte Ausgabe des Jahresbands Corruption Perceptions Index von Transparency International aus dem Oktober 2004 platzierte Russland auf Platz 90 seiner Weltliste der „Unbestechlichkeit“ – zusammen mit Gambia.45 Manche werten Chodorkowskis Verurteilung als Zeichen der Entschlossenheit des Kremls, Rechtsstaatlichkeit durchzusetzen. Aber diese Ansicht wird durch die groben Ungesetzlichkeiten Lügen gestraft, von denen die Aktionen des Staates gekennzeichnet waren, angefangen mit der selektiven Verurteilung dieses einen Oligarchen für Verbrechen, die der ganzen Gruppe gemein sind, bis hin zum Zwangsverkauf der Jukos- Tochter Juganskneftegas an die staatseigene Rosneft in einer manipulierten Auktion und über einen windigen Zwischenhändler. Ein Beobachter bemerkte dazu: „Das Regime wählte die Gesetze der Unterwelt um die Herrschaft des Gesetzes durchzusetzen.“46 Wahrscheinlich waren im Fall Chodorkowski verschiedene Motive im Spiel, darunter der Wunsch des Kremls, die Oligarchen zu erschrecken, damit sie mehr Steuern bezahlen. Aber im Kern war es, wie ein anderer Beobachter es so treffend ausdrückte, „eine Revolte der Dollar-Millionäre [derStaatsadministration] gegen die Dollar-Millionäre [die Oligarchen]“.47 Chodorkowski war Russlands wohlhabendster Oligarch und saß auf einem riesigen Ölimperium. Anscheinend war er der Meinung, dass er genug mit Unterstützung des Staates gestohlen habe und dass er nun groß genug sei, es alleine zu machen, oder allgemeiner, dass für Unternehmen die Zeit gekommen sei, aus dem Schatten in einen auf Gesetze gestützten Rahmen zu treten, der ihre Sicherheit gegen willkürliche Eingriffe des Staats garantieren könnte. Er führte transparente, westliche Rechnungslegungsmethoden in seinen Unternehmen ein, stellte Spitzenverwaltungskräfte aus dem Westen ein, pflegte internationale Beziehungen und sprach mit Exxon-Mobile über den Verkauf von Anteilen an seinen Holdings. All dies als Absicherung gegen den Staat, der ihm nachstellte. Seine Unterstützung oppositioneller Parteien sollte ebenfalls als Versuch des Aufbaus einer unabhängigen Machtbasis gesehen werden. Es versteht sich von selbst, dass dies Putins Funktionäre, die kurz davor standen, ihrer Quelle der Selbstbereicherung beraubt zu werden, rasend machte. Die Oligarchie musste daran erinnert werden, wer Herr im Hause ist. Es ist dieses Interesse der Staatsadministration, Putins hauptsächlicher Machtbasis, das ihn daran hindert, den Rechtsstaat einzuführen, selbst wenn dies dem Staat als solchem durch Förderung von Investitionen, Begünstigung wirtschaftlicher Umstrukturierungen und Wachstum nützen und die Unterstützung im Volk stärken würde.

Die Oligarchen errangen ihr Kapital durch den staats-
gestützten Diebstahl des Reichtums der Nation.

Die Oligarchen

Gemessen an ihrer schwachen politischen Reaktion scheint die breite Mehrheit der Oligarchen Chodorkowskis Ambitionen nicht zu teilen, obwohl sie von den Aktionen des Kremls zweifellos erschüttert waren: Die Kapitalflucht verdreifachte sich 2004 auf nahezu 8 Milliarden Dollar und der Anteil der Anlageinvestitionen fiel von 12,9 auf 10 Prozent.48 Aber der schwache politische Protest der Oligarchen war nicht nur durch ihre Angst vor dem Kreml motiviert; er hatte tiefere Wurzeln. Denn viel mehr noch als die Willkür der Exekutivgewalt fürchten die Oligarchen die Gesellschaft. Sie errangen ihr Kapital durch den staatsgestützten Diebstahl des Reichtums der Nation, der 1991 zum größten Teil in öffentlicher Hand war. Viel zu wenig Zeit ist vergangen, um die Erinnerung an diese Erbsünde auszulöschen. Umfragen zeigen, dass die breite Mehrheit aller Russen (bis zu 80 Prozent) alles Großkapital als unehrenhaft zusammengerafft betrachtet. Eine stabile Mehrheit fordert die Revision der Privatisierung von 1990 und würde die strafrechtliche Verfolgung der Oligarchen befürworten. Ohne Zweifel verschaffte Putin die Verhaftung Chodorkowskis einen mächtigen Popularitätsschub.49 Der (sehr liberale) Autor einer größeren Studie über die russische Privatisierung drückte es so aus: „Den neuen Besitzern fehlt stets die Legitimität, die für ein stabiles politisches Klima und dauerhafte Investitionen und Wirtschaftswachstum erforderlich sind. Nach Errichten eines fehlerhaften Fundaments müssen die Baumeister damit leben, dass ihr Gebäude der Privatisierung sich immer wieder setzt, Risse bekommt und vielleicht sogar einstürzt. Selbst mit einem System von Beschränkungen, das die juristischen Möglichkeiten von Rückabwicklungen begrenzt, leben die Besitzer privatisierter russischer Unternehmen in ständiger Ungewissheit und wissen, dass sie früher oder später für den Einsatz illegaler Methoden beim Erlangen der Kontrolle über ihre Unternehmen zur Rechenschaft gezogen werden können.“50 Auf einem Treffen mit Oligarchen versuchte Putin sie vor kurzem zu beruhigen, dass ihnen keine Verfolgung wegen der Verbrechen bei der Aneignung ihrer Vermögen drohe, aber einer der Teilnehmer sagte hinterher: „Niemand wird uns je eine ultimative Garantie in der Frage der Privatisierungen geben.“51 Der kriminelle Ursprung ihrer Reichtümer würde auf den Oligarchen nicht so schwer lasten, wenn sie nicht grundsätzlich eine parasitäre Klasse wären. Forbes zufolge hat Russland 27 Milliardäre, eine Zahl, die nur von den USA übertroffen wird, deren Wirtschaft aber auch 31-mal stärker ist. Die Oligarchen stehen für fast ein Drittel der gesamten persönlichen Einkommen in einem Land, in dem einer von fünf Bewohnern unter der offiziellen Armutsgrenze von 38 Dollar pro Monat lebt. Praktisch all ihr Reichtum entstammt, wie bereits erwähnt, der Besitzübernahme vom Staat. Sie haben wenig Neues aufgebaut. Sie halten soviel ihres Vermögens wie möglich im Ausland, investieren relativ wenig in Russland und haben der Masse der arbeitenden Bevölkerung, deren Realeinkommen trotz rasanten Wirtschaftswachstums stagnieren oder fallen, wenig Nutzen gebracht. (Kürzlich erklärten in einer Meinungsumfrage 36%, sie würden zur Zeit „vor 1985“ (also vor Gorbatschow und Perestroika) zurückkehren, wenn dies möglich wäre, 28% sagten, dass das Leben damals wie heute gleich schlecht war und nur 27% bevorzugen die Gegenwart. 52) Dazu der britische Historiker A. Lieven: „Ihr Wohlstand tröpfelt herunter, aber nicht in Russland, was den extrem hässlichen, ungerechten und vor allem nutzlosen Charakter der russischen Oligarchen widerspiegelt.“53


36% würden zur Zeit „vor 1985“ (also vor Gorbatschow und Perestroika) zurückkehren, 28% sagten, dass das Leben damals wie heute gleich schlecht war….

Gramsci analysierte, dass die Hegemonie der Bourgeoisie einen Kompromiss mit den untergeordneten Klassen erfordert, deren wirtschaftliche Interessen berücksichtigt werden müssen, natürlich ohne die sozio-ökonomische Dominanz der Bourgeoisie völlig zu unterhöhlen.54 Es muss die Auffassung herrschen, dass die Bourgeoisie mit ihrem normalen Wirtschaften und ihrem Aneignen des Mehrwerts eine gesamtgesellschaftliche Funktion ausübt, dass nämlich die Profite reinvestiert werden, um die Produktion zu steigern, und auch die anderen Klassen ihren Nutzen haben. Dies scheint die Minimalbasis für die Arbeiterklasse zu sein, in einer kapitalistischen Demokratie ihre demokratischen Rechte nicht zu nutzen, um die Herrschaft der Bourgeoisie in Frage zu stellen. Eine solche Basis fehlt in Russland vollständig. Nicht dass die Bourgeoisie Aufstände fürchtet, die heute sehr unwahrscheinlich scheinen – obwohl das Vertrauen in Putins Fähigkeit, die Klassen des Volkes zu kontrollieren, von der Rentnerrevolte im letzten Januar schwer erschüttert wurde. Aber für einen Oppositionsführer, wenn er sich herausbilden würde, wäre es sehr verlockend, die bestehende negative Stimmung im Volk gegen die Oligarchen zu schüren. Selbst westlich orientierte russische Intellektuelle, die sich als Befürworter der Demokratie sehen, warnen potenzielle demokratische Führer vor „wildem Populismus“, der den Markt zerstören würde, wenn er zu bolschewistischen Mitteln greift und zum Ausgleich von Ungerechtigkeiten von den Reichen nimmt.“55 Putin war natürlich auch nicht immun gegen „populistische“ Versuchungen, aber seine liberale Politik, die auch von seiner Basis in der Administration einschließlich der „Machtstrukturen“ (frühere KGB-ler sind eifrig dabei, eigene Geschäftsimperien mit Unterstützung des Kremls aufzubauen) im Allgemeinen unterstützt wird und gewaltige Wirtschaftsmacht in den Händen des Privatkapitals belässt, setzt klare Grenzen, wie weit dieser „Populismus“ gehen kann. Obwohl die Willkür der Exekutive (im Moment hauptsächlich seitens der Steuerbehörden) eine Quelle der Unsicherheit für die Bourgeoisie ist, ist sie doch für die Oligarchen weit weniger bedrohlich als die Unsicherheit, die von der Aussicht auf Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ausgeht. Die schwachen sozialen und ideologischen Wurzeln der russischen Bourgeoisie zwingen sie, sich an einen „starken“ Staat als Hauptverteidigungslinie zu klammern. Sie hat keine zuverlässige zweite Verteidigungslinie in der Zivilgesellschaft, etwas, was Gramsci schon über die russische Gesellschaft vor der Revolution von 1917 in seiner Diskussion von Revolutionsstrategien ausführte: „Im Osten war der Staat alles, die Zivilgesellschaft war in ihren Anfängen und gallertenhaft. Im Westen bestand zwischen Staat und Zivilgesellschaft ein richtiges Verhältnis, und beim Wanken des Staates gewahrte man sogleich eine robuste Struktur der Zivilgesellschaft. Der Staat war nur ein vorgeschobener Schützengraben, hinter welchem sich eine robuste Kette von Festungen und Kasematten befand"56 (Die schwachen sozialen und ideologischen Wurzeln der Sowjetbürokratie als herrschender „sozialer Schicht“ waren auch zentral für Trotzkis Erklärung des entstandenen gewaltigen totalitären Überbaus.57) Es ist eher diese Schwäche als die Furcht vor der Exekutivmacht, die das Fehlen politischer Reaktionen im Fall Chodorkowski erklärt. „Was als erfolgreiche und notwendige politische Kampagne Putins gegen Chodorkowski begann, hat sich in eine fragwürdige wirtschaftliche Transaktion verwandelt“, bemerkte ein russischer Beobachter. „Die Oligarchen freuen sich wie die Schneekönige. Sie waren besorgt, dass sich die Spielregeln ändern könnten, aber stattdessen hat Putin nur eine persönliche Rechnung mit einem extrem umtriebigen politischen Hooligan beglichen. Und das bedeutet, so seltsam es klingt, dass Chodorkowski einen moralischen Sieg errungen hat.“58 Aber abgesehen davon würde die Einführung stabiler „Spielregeln“ und wirklich chancengleicher Wahlen die „speziellen“ und sehr lukrativen Beziehungen bedrohen, die die Oligarchen mit verschiedenen Teilen der Exekutivmacht, einschließlich Putin selbst trotz seiner anfänglichen Versicherungen, alle Oligarchen auf gleichem Abstand vom Kreml zu halten und ihnen keine Vorrechte gegenüber kleinen und mittleren Geschäftsleuten zu gewähren, aufgebaut haben. Dank solcher spezieller Beziehungen gelang es kürzlich dem Top- Management der Stahlwerke Magnitogorsk, Russlands berühmtesten Stahlproduzenten, die restlichen Staatsanteile an dem Unternehmen auf einer manipulierten Auktion zu Schleuderpreisen zu erwerben. 59 Ähnlich wurde der Steuerbescheid der Telekommunikationsfirma Vimpelkom vom 157 Millionen Dollar auf 17,6 Millionen Dollar reduziert – nach einer persönlichen Intervention des Ministers für Finanzen und wirtschaftliche Entwicklung. Mehrheitseigentümer von Vimpelkom ist der bekannte Oligarch Michail Fridman von der Alpha-Gruppe.60 Ein Vergleich der Behandlung von Vimpelkom mit der von Jukos, wo es aufgrund von Steuerforderungen praktisch zu einer Enteignung kam, spricht für sich selbst. Wenn Chodorkowski meinte, er wäre so weit, sich vom Paternalismus des Staats zu befreien und sogar selbst dem Staat die Bedingungen zu diktieren, so scheint die Mehrheit der Oligarchen mit dem jetzigen System ganz zufrieden zu sein. Kleinunternehmer sehen die Dinge vielleicht anders. Aber deren ökonomisches und politisches Gewicht ist vernachlässigbar.


Bisher ist keine politische Alternative entstanden, die die Unzufriedenheit kanalisieren könnte.

 

Perspektiven

Das wahrscheinlichste Szenario für die unmittelbare Zukunft ist eher wie gehabt, also eine „gelenkte Demokratie“ mit der Betonung auf „gelenkt“. Administration und Regierung scheinen um diese Option und um die Person Putin vereint; das könnte sich ändern, wenn Putin nicht mehr als Garant der Stabilität gesehen wird. Die Präsidentschaftswahlen 2008 werden sicher ein kritischer Moment sein, da die derzeitige Verfassung Putin nicht erlaubt, ein drittes Mal zu kandidieren. Es gibt viel Spekulation über seine Pläne und einige meinen, er werde nicht abtreten. Die Alternative wäre, dem Beispiel Jelzin zu folgen: einen geeigneten Nachfolger zu suchen und ihm im Volk ein Image aufzubauen. Ein Wechsel zu einer offenen Diktatur scheint nicht sehr wahrscheinlich, zumindest unter den gegenwärtigen Umständen. Eine Diktatur wäre für westliche Führer, die Putin auch als Garant der Stabilität sehen, zu Hause schwer zu verkaufen. Sie wäre auch schwierig für den Kreml, der erfolglos nach einer „nationalen Idee“ – schwierig in einem Land, in dem den politischen und ökonomischen Eliten jegliche Ziviltugenden fehlen – zur Rechtfertigung innerhalb Russlands gesucht hat. Der Kreml und die Bourgeoisie waren in letzter Zeit sichtbar beunruhigt durch die „farbigen Revolutionen“ und die Rentnerproteste. Diese Proteste zeigten, dass auch in Russland die Klassen des Volks eine Mobilisierungskraft haben (trotz des Fehlens einer organisierten Arbeiterbewegung, die aber auch in der „orangenen Revolution“ der Ukraine fehlte). Aber bisher ist keine politische Alternative entstanden, um die Unzufriedenheit des Volkes zu kanalisieren. Und der Kreml unternimmt alles, damit das so bleibt. Aber man kann für das Regime erwarten, dass sich der autoritäre Trend fortsetzt. Das ist nur teilweise eine nervöse Reaktion auf die „farbigen Revolutionen“. Die zunehmende Kontrolle der Gesellschaft ist auch eine typische, wenn auch letztlich nutzlose Reaktion auf die eigene Schwäche des Regimes, im Sinne seiner begrenzten Fähigkeit, seine gesetzten Ziele zu erreichen, sei es die „Befriedung“ Tschetscheniens und das Verhindern des Übergreifens des Konflikts auf das russische Kernland, oder die Umstrukturierung der Wirtschaft und das Anlocken ausländischer Investitionen, der Stopp des militärischen und geopolitischen Abstiegs Russlands, das Durchführen einer Justizreform, das Zurückdrängen von Korruption und Gewaltverbrechen, das Streichen von Sozialleistungen ohne Auslösen von Massenprotesten und Chaos oder das Finden einer Integrationsideologie für die Gesellschaft, und die Liste könnte leicht fortgesetzt werden. Dies sind die wichtigeren politischen Misserfolge eines Regimes, das das Glück hatte, in Zeiten rekordhoher Ölpreise im Öl zu schwimmen. Dies, zusammen mit der inhärent instabilen Natur der „gelenkten Demokratie“, sollte uns daran erinnern, dass Russland nicht immun gegen „farbige Revolutionen“ ist. Welchen wirklichen Wandel diese „Revolutionen“ beim Fehlen einer organisierten Volksalternative mit eigenem Programm tatsächlich bringen, ist natürlich eine andere Frage.

 

 

(1) Der Mittelasienexpertin Martha Brill Olcott zufolge wurde das Akajew- Regime trotz Autoritarismus und Korruption als „Insel der Demokratie“ in er von Diktaturen dominierten Region betrachtet. Le devoir (Montreal) 3.4.2005, S. A-10.
(2) US-Außenministerin Rice sagte zum Bratislawa-Gipfel im Februar 2005 zwischen Bush und Putin: „Washingtons Botschaft an Moskau war herzlich aber bestimmt hinsichtlich der Furcht vor einem wachsenden Autoritarismus unter Putin.“ (Reuters, 28.2.2005, nach Johnson‘s Russia List Archiv (http:/ /www.cdi.org/russia/johnson). Einige Monate zuvor hatten hundert politische und intellektuelle Persönlichkeiten aus Westeuropa und Nordamerika einen „Offenen Brief an die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union und der NATO“ veröffentlicht, in dem sie Putin wegen der Bedrohung der Demokratie in Russland verurteilen. (E. Kraus, „Return to Sender“, Moscow Times, 6.10.2004.)
(3) Siehe M. Roche, La démocratie confisquée, Paris, l‘Harmattan, 2000.
(4) D.Seppo, „Comment Eltsine a volé l‘élection“, Inprecor, Sept. 1996, S. 24-27 – deutsch in Inprekorr Nr. 300, S. 13 (1996).
(5) Der frühere Chefökonom der Weltbank Stiglitz, der wegen seines Infragestellens des „Washingtoner Konsenses“ ganz unfeierlich entlassen wurde, sagte in einem Interview, dass die von der Weltbank geförderte Privatisierung besser „Bestechisierung“ genannt werden könnte: Nationale Führer berufen sich auf die von den internationalen Finanzinstitutionen gesetzten Bedingungen, um den Verkauf öffentlicher Unternehmen zu rechtfertigen, während sie einen strammen Prozentsatz abschöpfen, der auf Schweizer Bankkonten deponiert wird. Als eins der skandalösesten Beispiele führte er das „Loans for shares“-Abkommen (Kredite für Aktien) in Russland an, eine Riesenausschüttung öffentlicher Unternehmen im Tausch für Provisionen, die Jelzins Wiederwahl 1996 finanzierten. Dazu sagte Stiglitz: „Die Sicht des USFinanzministeriums war, dass dies hervorragend war, weil wir die Wiederwahl Jelzins wollten. Uns war egal, ob es eine korrupte Wahl war. Wir wollten, dass das Geld bei Jelzin ankam.“ (G. Palast, The Best Democracy Money Can Buy, London: Robinson, 2003, S. 152.)
(6) Für ein Beispiel dieser Methoden in den jüngsten Regionalwahlen siehe: A. Yagodkin, „Edinaya Rossiya i vybory v Voronezhskoi oblasti“, Novaya gazeta, Nr. 21, 2005. Zum Wahlbetrug bei Putins zweitem Präsidentschaftswahlkampf siehe: R. Colson, „TsIK Moves to Cut off Discussion of the Presidential Election“, RFE/RL Russian Political Weekly, Bd. 4, Nr. 13, 7.4.2004.
(7) J. Bransten, „Public Chamber Criticized as ,Smokescreen‘“, RFE/RL Russian Political Weekly, Bd. 5, Nr. 13, 1.4.2005.
(8) J. Page, „Judges Take Stand against Putin“, The Times (UK), 19.3.2005; P. Finn, „Putin Close to Winning New Power Over Judiciary“, Washington Post, 2.10.2004.
(9) L. Nikitina, Yu. Kolesov, „Yuridicheskaya ugroza,“ Vremya Novostei, 28.1.2005. Der Vorsitzende des Obersten Gerichts, V. Zorkin, sagte: „Das Ergebnis der Justizreform hat dazu geführt, dass Richter nun noch korrupter und noch abhängiger von der Regierung sind.“ (V.Gryaznevich „Subjugated Court System Stifles Battle With Corruption“, St. Petersburg Times, 28.12.2004.)
(10) „Two-thirds of Russians don't trust police - survey“, Reuters, 1.3.2005 (aus Johnson‘s Russia List Archiv: http://www.cdi.org/russia/johnson). Über Gesetzlosigkeit und Brutalität der Polizei siehe: Yu. Latynina, „Zvonok Putinu“, Novaya gaezta, Nr. 57, 2004.
(11) M. Khairullin, „Izbityi gorod“, Novaya gazeta, Nr. 1, 2005.
(12) A. Pavlova, „Mezhdu vlast‘yu i obshchestvom“, Literaturnaya gazeta, Nr. 12-13, 30.3.2005.
(13) P. Rutland, „Russia: Democracy Dismantled“, Jamestown Foundation Eurasia Daily Monitor, 10.1.2005. Die Ernennungen bedürfen der Bestätigung durch die lokalen Legislativen. Der Präsident hat jedoch das Recht, die Volksvertretungen auszulösen, wenn sie sich dreimal weigern, seinen Vorschlag zu bestätigen.
(14) Für eine Erklärung der Schwäche der Arbeiterklasse siehe: D. Mandel, Labour After Communism, Montreal, Black Rose Press, 2004, Kap. 1-3.
(15) Für ihre Rolle beim Untergraben der letzten großen Mobilisierung der Arbeiterklasse im Sommer 1998 siehe: Mandel, Labour After Communism, S. 112-21.
(16) L. Shevstova, Putin‘s Russia, Washington D.C., Carnegie Endowment for International Peace, 2003, S. 190-91.
(17) M. Shakina, „Vladimir Putin: the Agony of Right-Wingers“, RIA Novosti, 24.3.2004, (von Johnson‘s Russia List, http://www.cdi.org/russia/ johnson/8134-4.cfm). Siehe auch: Shevstova, Putin‘s Russia, S. 50-52, 183.
(18) Siehe: Mandel, Labour After Communism, Kap. 3-5.
(19) Auf einer von der Amerikanischen Handelskammer in Russland veranstalteten Konferenz sagte Schuwalow: „Wenn es nicht Jukos gewesen wäre, hätte man eine andere Gesellschaft wegen Steuerhinterziehung vor Gericht gestellt. Unser Hauptziel war, die Unternehmen zu lehren, ihre Steuern zu bezahlen.“ (Izvestia, 31.3.2005.)
(20) „Kampaniya ,Svobodu Khodorkovskomu‘ zavershena“, Izvestiya, 29.11.2003.
(21) Shevstova, Putin‘s Russia, S. 40-1.
(22) O. Dzhemal‘, „Voina klonov“, Novaya gazeta, Nr. 68, 2004.
(23) P. Walsh „Kremlin to restrict small political parties“, The Guardian (UK), 15.10.2004.
(24) Shevstova, Putin‘ s Russia, S. 104-09.
(25) „The Last Stand for Russia's Free Press“, The Guardian (UK), 11.4.2005.
(26) Journal, 26.10.2004. In einem Interview beklagte sich Gorbatschow, dass „einige Geschäftsleute helfen wollten, aber aus dem Kreml wurden diese Versuche aus der Wirtschaft, unsere Partei zu unterstützen, durchkreuzt.“ (Nezavisimaya gazeta, 18.2.2005)
(27) Unter anderem sollte man die Einführung einer 11-prozentigen „flachen“ Einkommenssteuer erwähnen, die in der Praxis die Steuerbelastung der meisten Arbeiter erhöhte, die Reform des Arbeitsgesetzbuches, die die verbreitete Unterordnung der Gewerkschaften unter das Management festigte, den Mindestlohn, der nur ein Bruchteil des Existenzminimums ist, weiter bestehende Lohnrückstände, den allmählichen Abbau von Subventionen für kommunale und andere öffentliche Dienste, den Zusammenbruch des öffentlichen Gesundheitssystems und die damit verbundene demographische Gesundheitskrise, die Bildungsreform, die die Zahl der freien Plätze in der höheren Bildung drastisch reduziert, und vieles mehr.
(28) P.Voshchanov, „Virtual‘nyi prezident“, Novaya gazeta, Nr. 23, 2005. Für eine Analyse der Fernsehberichterstattung über die Proteste gegen das Gesetz Nr. 120 siehe: I. Petrovskaya, „The Regime and State TV Tangled in PR Trap“, Moscow Times, 26.1.2005.
(29) „Sozdanie Prezidenta“, Ogonek, Nr. 12, 2005.
(30) R. Shleinov, „Kto oplachivaet lyubov‘ k prezidentu?“, Novaya gazeta, Nr. 92, 2004; A.Osborn, „Putin Sets Up Youth Group to Stop ,Orange Revolution‘ in Moscow“, The Independent (UK), 1.3.2005.
(31) N. Andreeva, „Ucheniki charodeev“, Novaya gaezta, Nr. 5, 2005, S. 10–11.
(32) J. Bransten, „Public Chamber Criticized as ,Smokescreen‘“, RFE/RL Russian Political Weekly, 1.4.2005.
(33) V. Shlyapentokh, „The Short Time Horizon in the Russian Mind“, Johnson‘s Russia List, Nr. 8338, 21.8.2004.
(34) M. Lipman, „Russian Politics, Playing With Fuhrer,“ Washington Post, 29.3.2005. Siehe auch: G. Bovt, „Xenophobia Is All the Rage“, Moscow Times, 10.2.2005.
(35) A.Ostrovsky, „Russian MPs Seek Ban on Jewish Groups“, Financial Times (UK), 25.1.2005.
(36) J. Markoff, „Really Existing Democracy: Learning from Latin America in the Late 1990s“, New Left Review, Nr. 223, 1997, S. 59–66.
(37) Laut Transparency International lag die UdSSR 1980–85 in einer Liste von 54 Staaten etwa in der Mitte und war sauberer als Italien, Griechenland, Portugal, Südkorea und alle Entwicklungsländer, aber korrupter als andere entwickelte Länder. 1996 war Russland in derselben Liste von 54 Staaten auf Platz 48 gefallen, zwischen Indien und Venezuela. (V. Popov, „The State in the New Russia (1992–2004): From Collapse to Gradual Revival?“ PONARS Policy Memo. Nr. 342, Nov. 2004.) A. Tschubais, der für die Privatisierung zuständig war, sagte zu einem Journalisten, dass die neuen Wirtschaftsführer „stehlen und stehlen … Sie stehlen wirklich alles … Aber lasst sie stehlen und Besitz ergreifen. Dann werden sie Eigentümer und anständige Verwalter ihres Besitzes werden.“ (C. Freeland, J. Thornhill und A. Gowers, „Moscow‘s Group of Seven“, Financial Times, 1.11.1996).
(38) Shevstova, Putin‘s Russia, S. 21.
(39) Lipman, „Russian Politics, Playing With Fuhrer.“
(40) C. Belton, „Putin Facing a Backlash From Business“, Moscow Times, 11.4.2005.
(41) J. Bush, „Murky Deals at Gazprom“, Business Week, 21.6.2004, S. 58-9. Siehe auch: P.Voshchanov, „Vlast‘ obeshchala poryadok, i stala na poryadok bogache“, Novaya Gazeta, Nr. 21, S. 6.
(42) Für ein bezeichnendes Beispiel dieser Praktiken direkt unter der Nase des Kremls siehe: V. Izamilov, „Ego sdadut chtoby sokhranit‘ sebya“, Novaya gazeta, Nr. 75, 2004.
(43) F. Weir, „‘Climate of Fear‘ Puts Brakes on Russian Economy“, Christian Science Monitor, 3.2.2005.
(44) „Political Forecasts – August in Russia: a Midsummer Night‘s Dream of Politics“, WPS Observer WPS Monitoring Agency (http:// www.wps.ru/e_index.html), 18.8.2004. (Das Interview erschien in Nezavisimaya gazeta.)
(45) B. Nemstov and V. Pribylovskii, „Prezident prostoi i lozhnyi“, Novaya gazeta, Nr. 10, 2005.
(46) „Kak delo Khodorkovskogo izmenilo Rossiyu?“ Izvestia,26.10.2004
(47) A. Piontkovskii, „Tovarisch prezident.“ Diese Meinung wird auch von E. Jasin, Minister für wirtschaftliche Entwicklung unter Jelzin und Ideologe der SPS, geteilt. (E. Yasin, „Demokraty na vykhod“, Moskovskie novosti, Nr. 44, 2003.
(48) C. Belton, „Putin Facing a Backlash From Business“, Moscow Times, 11.4.2005.
(49) A. Ostrovsky and S. Wagstyl, „The Crackdown on Mikhail Khodorkovsky Has Many Causes, Not Least Kremlin Intrigue and Public Anger at the Wealth of the Oligarchs“, Financial Times, 31.7.2003.
(50) M. Goldaman „Render Unto Caesar“, Current History, Okt. 2003, S. 326. Siehe auch vom selben Autor: The Piratization of Russia“, N.Y., Routeledge, 2003.
(51) A. Nikolaeva, O. Proskurnina, and T. Yegorova.“Proshchenie za privatizatisyu“, Vedomosti, 25.3.2005.
(52) V. Dzaguto, „Nazad v SSSR“, Vremya Novostei, 11.3.2005.
(53) A. Badkhen, „Dark Story Behind Russia‘s Billionaires“, San Francisco Chronicle, 21.3.2005.
(54) A. Gramsci, Selections from the Prison Notebooks, N.Y., International Publishers, 1971, S. 161. – Auf Deutsch: Gramsci, Antonio (1991ff): Gefängnishefte. Gesamtausgabe, herausgegeben von Wolfgang F. Haug, Hamburg.
(55) Shevstova, Putin‘s Russia, S. 272.
(56) Gramsci, Selections, S. 238.
(57) L. Trotsky, The Revolution Betrayed, N.Y., Pathfinder, 1972, especially pp. 248-52. – Auf Deutsch: Leo Trotzki, Schriften 1, Sowjetgesellschaft und stalinistische Diktatur, Bd.1.2, Hamburg, Rasch und Röhring, 1988 (Vertrieb heute: Neuer ISP-Verlag, Karlsruhe), S.687-1011 (http://www.marxists. org/deutsch/archiv/trotzki/ 1936/verrev/)
(58) S. Belkovsky, „Khodorkovsky Has Scored a Moral Victory,“ Moscow Times, 12.8.2004.
(59) J. Helmer „The Hero of Our Time Defends Corruption,“ The Russia Journal, 12.1.2005.
(60) R. Voilov, „Dobrye Al‘fy,“ Novaya gazeta, Nr. 10, 2003.