25 Jahre nach dem Kampf für eine
unabhängige Gewerkschaft in Polen zeigt
Zbigniew M. Kowalewski, wie durch den Staatsstreich
des Generals Jaruzelski im Jahr 1981 klerikale
und antikommunistische Kräfte in der Solidarnosc
erst richtig Oberwasser bekamen.
Die
lärmigen Feiern rund um den Aufschwung
der Solidarnosc (Solidarität) sollen über
den wahren Charakter dieser Bewegung, die eine
Arbeiterrevolution im Namen der Verteidigung
wahrhaft sozialistischer Werte war, hinwegtäuschen.
„Eine Revolution kann auf zweierlei Weise
zugrunde gerichtet werden: durch Niederschlagung
und durch Verrat. Die Tragödie der polnischen
Revolution von 1980/81 liegt darin, dass sie
zwei Niederlagen erlitten hat: Sie wurde zuerst
niedergeschlagen und dann verraten. Verraten
von all jenen aus der heutigen politischen Führung,
die sich auf August 1980 und ihre ,solidarische‘
Vorgeschichte berufen. Durch Restauration des
Kapitalismus haben sie die in dieser Revolution
vertretenen sozialen Interessen verraten und
sich von all den Hoffnungen abgewandt.“
Das schrieb ich aus Anlass des 20. Jahrestags
des August 1980 in Robotnik Slaski. 1
„Im Rahmen einer generellen Fälschung
des Wesens und der Geschichte von August 1980
und der Ereignisse der 16 Folgemonate wird heute
versucht, sie in einen ‚antikommunistischen
Aufschwung‘ umzuinterpretieren, mit dem
sie nichts gemein hatten. Gleichzeitig werden
– glücklicherweise nicht immer erfolgreich
– alle irgendwie auslöschbaren Spuren
ausgelöscht, die darauf hinweisen, dass
es sich um eine typische, klassische proletarische
Revolution gehandelt hat. Seit der Durchsetzung
der kapitalistischen Herrschaft vor über
150 Jahren haben auf der ganzen Welt von Zeit
zu Zeit solche Revolutionen stattgefunden, in
denen ArbeiterInnen versuchten, ihre Rechte,
ihre Würde und die Interessen ihrer gesellschaftlichen
Klasse durchzusetzen.
Die Tatsache, dass diese Revolutionen gegen
den Kapitalismus gerichtet sind, während
sich die polnische Revolution von 1980/81 gegen
ein Regime gerichtet hat, das sich als sozialistisch
ausgab, ändert daran nichts. Der so genannte
‚real existierende Sozialismus‘
ist nach einem kombinierten Prozess aufgekommen,
in dem einerseits der Kapitalismus gestürzt
und andererseits die politische und wirtschaftliche
Macht, die auf die Arbeiterklasse hätte
übergehen sollen, von einer parasitären
Bürokratie in Beschlag genommen wurde.
Letztere dominierte die Arbeiterklasse und lebte
von der Ausbeutung ihrer Arbeit, obwohl im Gegensatz
zum kapitalistischen System die Ausbeutungsverhältnisse
ihre gesellschaftlichen Wurzeln nicht mehr in
den Produktionsverhältnissen hatten.“
2
Die Möglichkeit, die Diktatur der Bürokratie
zu stürzen und trotzdem die staatliche
Planwirtschaft beizubehalten und auf dieser
Grundlage die Arbeitermacht zu begründen
und einen selbstverwalteten, demokratischen
Sozialismus der ArbeiterInnen aufzubauen, war
durchaus gegeben. Diese Wahrheit versucht man
heute zu verbergen. Warum wird aber heute die
Unabhängige Selbstverwaltete Gewerkschaft
Solidarität (NSZZ Solidarnosc) mit der
Restauration des Kapitalismus in Verbindung
gebracht, die zehn Jahre nach August 1980 einsetzte?
Diese Restau-ration hat der Arbeiterklasse eine
verschärfte, rücksichtslose Ausbeutung
gebracht, die von Neuem den Produktionsverhältnissen,
der absoluten Diktatur des Kapitals gehorcht
und sogar möglich macht, dass geleistete
Arbeit nicht bezahlt wird, bei der alle sozialen
Errungenschaften verloren gingen, Massenarbeitslosigkeit
und -verarmung eingekehrt sind und auf der Suche
nach Arbeit und Brot die Auswanderung erwogen
wird.
EINE
VERWANDELTE SOLIDARNOSC
Niemand
fragt sich, ob zwischen der Solidarnosc, die
im Zuge der Ereignisse von August 1980 entstanden
ist, und der heutigen gleichnamigen Gewerkschaft
eine Kontinuität besteht. Doch das ist
keineswegs so eindeutig. Es gibt eine Art von
Kontinuität, aber auch eine augenfällige
Diskontinuität. Die entscheidende Frage
ist, was überwiegt. Und das ist die Diskontinuität.
Deshalb beruft sich die heutige Solidarnosc
zwar auf ihre Wurzeln, ist aber völlig
unfähig, die wahre Solidarnosc - Geschichte
von 1980/81 darzulegen, weshalb diese verfälscht
wird.
Das ist auch der Grund, warum die Feiern zum
25. Jahrestag der August- Ereignisse, die von
den Medien so sehr inszeniert werden, mit so
wenigen TeilnehmerInnen begangen werden, die
überwältigende Mehrheit der damaligen
AktivistInnen der Solidarnosc nicht mitmacht
und sich die Arbeiterklasse nicht dafür
interessiert. Aus diesem Grund nehmen auch die
westeuropäischen VertreterInnen aus Gewerkschaften
und Solidaritätskomitees nicht teil, die
der Solidarnosc in der Zeit des Kriegsrechts
3
zu Hilfe gekommen waren und dafür ihre
eigene Sicherheit aufs Spiel setzten, weil sie
von klassenund internationalistischen Motiven
beseelt waren und nicht vom Antikommunismus.
Der durch das Kriegsrecht zerstörten Solidarnosc
gelang es nicht mehr, als autonome Massenbewegung
der Arbeiterdemokratie wiederzuerstehen.Was
ihr zugestoßen ist, lässt sich leicht
erklären. Während des stürmischen
Anschwellens von Arbeitskämpfen kann sich
eine solche Bewegung eine gewisse Zeit lang
aus sich selbst entwickeln. Um aber nach einer
Niederlage dauerhaft bestehen und sich wieder
aufbauen zu können – ganz zu schweigen
von einem entscheidenden Sieg, der nur durch
die Errichtung der Arbeitermacht möglich
ist – , braucht es unbedingt eine Partei,
die in der Lage ist, die politischen Errungenschaften
zu bewahren, die Klassenunabhängigkeit
zu gewährleisten und die Bewegung mit einem
entsprechenden Programm und einer effizienten
Kampfstrategie zu bewaffnen.
Der Entwurf für ein solches Programm der
antibürokratischen Arbeiterrevolution und
demokratischen Arbeiterräte entstand in
Polen 15 Jahre zuvor. Gemeint ist der „Offene
Brief an die Vereinigte Polnische Arbeiterpartei“
von Karol Modzelewski und Jacek Kuron. 4
Nach März 1968 5
verabschiedeten sich die beiden Autoren und
die um sie gruppierte Opposition diskret von
diesem Programm und mit ihm vom Marxismus.
Den AktivistInnen der Komitees zur Verteidigung
der Arbeiter (KOR) 6
war das Programm des „Offenen Briefs“
bereits nicht mehr bekannt, als sie unter den
ArbeiterInnen Einfluss gewannen. Im Herbst 1980
bereinigte Kuron die Angelegenheit, als er,
zum Marxismus befragt, feststellte, es handle
sich um „eine seit langem überholte
Philosophie der sozialen Bewegungen des 19.
Jahrhunderts“. Gegen Ende seines Lebens
bezeichnete er sich im Zusammenhang mit seiner
Kritik an der Restauration des Kapitalismus,
zu der er selbst beigetragen hatte, wieder als
Marxist. Am Rande der Sitzungen der Programmkommission
für den ersten Solidarnosc -Kongress bezeichnete
mich Kuron als „Naivling, der noch an
die Dummheiten glaubt, die Karol und ich in
unserem offenen Brief geschrieben haben“.
Betrachtet man die Entwicklung der „demokratischen
Opposition“ aus historischer Perspektive,
ist man erstaunt über ihr instrumentelles
Verhältnis zur Arbeiterklasse, das sehr
an die Haltung Pilsudskis 7
und seiner AnhängerInnen erinnert. Kazimierz
Kelles-Krauz, der in der Sozialistischen Partei
Polens (PPS) die Vorstellung vertreten hatte,
die „Unabhängigkeit Polens komme
dem Proletariat zugute“, warnte vor jenen,
die de fakto „das Proletariat als Instrument
der Unabhängigkeit“ betrachteten.
Sie wollten es als schlagkräftige Armee
einsetzen, um mit seiner Hilfe den Weg für
den Aufbau eines bürgerlichen Staates zu
bahnen. Daher auch der viel zitierte Ausstieg
der Pilsudskisten aus der roten Tram. Die „Schatten
der berühmten Vorfahren“, auf die
sich Adam Michnik berief, waren ein inspirierendes
Beispiel. 8
KAPITALISMUSEXPERTEN
Das
von Kuro´n und den ihn umgebenden Oppositionellenkreisen
aufgege-bene Programm wurde von keiner politischen
Organisation oder Gruppe aufgegriffen. Das ist
ein Paradox. Die bedeutenden Klassenkämpfe
haben normalerweise einen belebenden programmatischen
und politischen Einfluss auf linke Kreise. Sie
führen zum Aufschwung bestehender revolutionärer
Organisationen, zur Entstehung neuer solcher
Organisationen, wo es sie noch nicht gibt, und
zur Radikalisierung der linken Flügel in
den reformistischen Parteien. Im Dezember 1970
gab es ein solches Aufrütteln, das, auch
wenn der neue Vorsitzende der Vereinigten Polnischen
Arbeiterpartei (PZPR) Edward Gierek die Spannung
abbauen konnte – wenn auch nur relativ,
wie der Streik in Lódz zeigte –,
zumindest zur Entstehung einer radikalen linken
Opposition, wenn nicht zu einer neuen revolutionären
Partei hätte führen sollen.
Doch nichts dergleichen geschah. Auch nicht
nach Juni 1976, der als Vorbote eines heftigen
Sturms hätte interpretiert werden sollen.
Ja nicht einmal der August 1980 brachte in dieser
Hinsicht eine Veränderung.
Zwar wurde die linke Opposition von der politischen
Polizei streng überwacht und von einer
scharfen Repression getroffen. Der Prozess von
Kuron und Modzelewski und der „Prozess
der drei Trotzkisten“ wie auch die Unterdrückung
der BefürworterInnen des Bruchs zwischen
China und Albanien in den 60er Jahren sind eindeutig.
Das ging so bis zum Schluss, wie der 1987 im
polnischen Innenministerium verfasste und in
den Archiven der ostdeutschen Stasi aufbewahrte
Bericht zeigt, aus dem hervorgeht, dass die
Mittel und Kräfte, die zur Verfolgung der
TrotzkistInnen eingesetzt wurden, in keinem
Verhältnis zu deren Zahl und Einfluss standen
und dass ihnen sogar eine Konferenz der Spezialdienste
der „Bruderländer“ in Moskau
gewidmet war.
Doch wesentlich wichtiger war etwas anderes:
Die „marxistisch-leninistische Ideologie“
des Regimes, die in Polen von fast allen mit
Marxismus gleichgesetzt wurde, entbehrte jeglichen
Klasseninhalts. Sie war völlig unbrauchbar
für die Entwicklung eines Programms mit
unmittelbaren oder Übergangsforderungen,
die für eine echte autonome Arbeiterbewegung
von Nutzen gewesen wäre, wie auch für
strategische oder taktische Überlegungen.
Mit dieser Ideologie musste man folglich brechen
und den Marxismus neu entdecken – als
Theorie der Bedingungen, Formen und Folgen des
Klassenkampfs und als politisches Programm.
Die Ereignisse von März 1968 9
zeitigten langfristig eine ausgesprochen große
Wirkung, die im Allgemeinen unbemerkt bleibt.
In der gesamten Nachkriegsphase verfügte
die nationalistisch- klerikale Rechte, gestützt
auf das Abkommen zwischen Piasecki und General
Serow 10
, über eine legale institutionelle und
organisatorische Basis. Mit der Kampagne von
General Moczar im März 1968 konnte sie
wieder aktiv werden und ihren Einfluss ausweiten.
In dem damals geschaffenen ideologischen Klima
breitete sich diese Rechte auch in der Opposition
aus, ohne im Übrigen ihre unzähligen
Verbindungen mit RegimevertreterInnen aufzugeben.
Die erneute tiefe Krise des „real existierenden
Sozialismus“ im Jahr 1980 verstärkte
die Restaurationstendenzen innerhalb der Bürokratie,
insbesondere des Wirtschaftssektors, und bei
Teilen der Intelligenz. Viele restaurationsfreudige
Intellektuelle schwankten zwischen Bürokratie
und Solidarnosc hin und her und empfahlen beiden
eine marktwirtschaftliche Reform. Sie nahmen
Einfluss auf die nationale Führung insbesondere
des Apparats und seiner Ableger, die sich der
demokratischen Kontrolle der ArbeiterInnen wesentlich
besser entziehen konnten als die Betriebskommissionen
oder die regionalen Führungen. Auf dieser
Ebene missbrauchten die BeraterInnen und ExpertInnen
auf gravierende Weise ihre Funktion, um die
Solidarnosc -Politik zu bestimmen.
DIE
UNTERDRÜCKTE DEMOKRATIE
Die
ungestüme Entwicklung der Selbst organisation
und der unabhängigen Ar-beitertätigkeit,
die zunehmenden Erfahrungen im Bereich der Arbeiterdemokratie
und des Klassenkampfs, die Bewusstseinsentwicklung,
der immer drängendere Wunsch der ArbeiterInnen,
die Betriebe zu kontrollieren, die Arbeiterselbstverwaltung
und die demokratische Planung waren eine Seite
der Medaille. Die andere Seite, die im Lauf
der Zeit immer mehr in eine Sackgasse zu münden
drohte, war das Fehlen einer politischen Arbeiterpartei.
Auf dieser Ebene verträgt es keine Leerstelle,
und sie wird durch politische Strömungen
aufgefüllt, die andere soziale Interessen
vertreten. Am nationalen Solidarnosc-Kongress
fand im Untergrund ein nur vereinzelt und kurz
offen aufbrechender Kampf zwischen der KOR-Strömung,
der nationalistischen Rechten und den weit zahlreicheren,
aber isolierten Kräften, die sich nach
ihrem Gewissen oder sogar ihrem Klassenbewusstsein
richteten, zwischen der radikalen Strömung
der Bewegung für Unternehmensselbstverwaltung
und Kräften, die nicht nur versöhnlicher
gegenüber der Regierung waren, sondern
auch mehr oder weniger deutlich ausgeprägte,
wenn auch verdeckte Restaurationstendenzen vertraten,
zwischen den AnhängerInnen und den GegnerInnen
der Arbeiterdemokratie, der Unabhängigkeit
von der katholischen Kirche und des Kampfs für
die Arbeitermacht statt.
In wesentlichen Fragen obsiegte im Allgemeinen
die Klassenlinie. Doch wenn die Angelegenheiten
aus den Händen einer demokratischen Versammlung
wie dem Delegiertenkongress auf den nationalen
Apparat übergingen, war das Schlimmste
zu befürchten. Die schärfste Auseinandersetzung
gab es an diesem Kongress zweifellos in der
Frage der vom Parlament verabschiedeten Gesetze
über die Selbstverwaltung der Betriebe
und über die Staatsbetriebe. In Missbilligung
des Kompromisses, den Lech Walesa hinter dem
Rücken der Gewerkschaft mit dem Parlament
geschlossen hatte, beschloss der Kongress, „die
Abschnitte der beiden Gesetze, die in flagranter
Weise gegen die Haltung des Gewerkschaft verstoßen
und damit die Selbstverwaltung bedrohen, einem
Referendum in den Betrieben zu unterstellen“.
Derselbe Kongress beschloss, dass die Gewerkschaft
„in ihrem Kampf für Arbeiterselbstverwaltung
und vergesellschaftete Betriebe weiter in Übereinstimmung
mit dem Wunsch der Beschäftigten handeln
wird“, und rief zur „Bildung von
wahren Arbeiterräten nach den Grundsätzen
auf, die mit der Haltung der Gewerkschaft übereinstimmen“
und nicht mit den erwähnten Gesetzen. Nach
der Abstimmung, die von den meisten Delegierten
mit Beifall bedacht wurde, sagte mir Jacek Merkel,
einer der wichtigsten Walesa-Anhänger im
Präsidium der nationalen Kommission und
später einer der liberalen Führer
von Danzig: „Ihr habt gewonnen, na und?
Nach dem Kongress werden wir dieses Referendum
sowieso begraben.“ So war es auch, und
der Kompromiss wurde verteidigt. Trotz der Kongressabstimmung
wäre ein weiterer interner Kampf erforderlich
gewesen. Hätte es nicht das Kriegsrecht
gegeben, wären die Chancen gut gestanden,
diesen Kampf zu gewinnen. Denn in der Solidarnosc
war es nicht so einfach möglich, sich über
die ArbeiterInnen der Großbetriebe hinwegzusetzen.
Wer ihren Rückhalt genoss, konnte leicht
gewinnen, auch gegen Walesa.
GEGEN
DIE ARBEITERINTERESSEN
Nachdem
mit Hilfe des Kriegsrechts die Massenbewegung
der ArbeiterInnen zerschlagen worden war, änderte
sich alles. Schon bald wurde das, was die ArbeiterInnen
wollten, nicht mehr berücksichtigt und
war nicht mehr entscheidend. Solidarnosc erfuhr
einen tiefgreifenden Wandel. Eine Massenorganisation
machte kleinen Gruppen und Strukturen Platz,
die sich weitgehend in Richtung Kirchen drängen
ließen und von rechten, konservativen,
nationalistisch-klerikalen und liberalen Gruppen
überflutet wurden. Ihr gemeinsames Programm
war der Antikommunismus, das Bündnis mit
dem Imperialismus und die Restauration des Kapitalismus.
Die auf dieser Grundlage wieder aufgebaute Solidarnosc
verlor ihre Klassenunabhängigkeit. In arbeiterfeindlichen
Interessen verfangen, konnte sie nur noch vortäuschen,
die Interessen der ArbeiterInnen zu vertreten,
die sie in Wirklichkeit ausverkaufte. Damit
spielte sie die schändliche Rolle eines
gewerkschaftlichen Feigenblatts für die
neoliberale, kapitalistische Transformation.
Kein Wunder also, dass sie nicht mehr die Organisation
der Mehrheit der Arbeiterklasse ist und nur
noch eine kleine Minderheit organisiert.
1
Die im Juli 1980 infolge einer Preiserhöhung
losgelöste Streikwelle hielt den ganzen
Sommer
an und weitete sich aus, als die Danziger
Lenin-Werft am 14. August 1980 in den Streik
trat und die Werft besetzte. Dieser Streik,
der
sich auf alle Betriebe der Region ausweitete,
zwang die Bürokratie zu Verhandlungen vor
der Vollversammlung der Delegierten der
Streikkomitees. Am 31. August musste Vizepremier
M. Jagielski ein Abkommen unterzeichnen,
das den Streikkomitees das Recht
einräumte, „neue unabhängige,
selbstverwaltete
Gewerkschaften“ zu bilden. Am 4. September
setzte das Streikkomitee der vor allem auf
die Grube „Manifest Lipcowy“ in
Jastrzebie
konzentrierten oberschlesischen Bergarbeiter
ein ähnliches Abkommen durch. Vgl.
Inprekorr JULI/SEPTEMBER 1980.
2
Robotnik Slaski., August 2000.
3
In der Nacht vom 12. zum 13. Dezember 1981
führte General Jaruzelski, Premierminister
und
Generalsekretär der PZPR, einen Staatsstreich
durch und rief das Kriegsrecht aus. Tausende
von GewerkschaftsaktivistInnen wurden festgenommen,
Kommunikationsmittel eingestellt,
eine Ausgangssperre verhängt und der
Generalstreik von einem Betrieb zum anderen
durch die Armee niedergeschlagen (in der Wujek-
Grube in Schlesien, wo die ArbeiterInnen
zur Selbstverteidigung griffen, setzte die Armee
Schusswaffen ein und tötete mehrere Personen).
Die Gewerkschaft organisierte sich
rasch wieder im Untergrund, doch die wirksame
Repression (Verhaftungen und vor allem
wiederholte Entlassungen) schnitt die Gewerkschaftsstrukturen
letztlich von ihren Wurzeln
in den Betrieben ab. Die Gewerkschaftsführung
im Untergrund erwies sich als unfähig,
im
spontanen Aufstand am 31. August 1982, der
mehrere Tausend DemonstrantInnen auf die
Straßen brachte, die Führung zu übernehmen.
Nach diesem Misserfolg flutete die Massenbewegung
zurück.
4 Offener
Brief an die Vereinigte Polnische Arbeiterpartei,
Isp-Verlag, Frankfurt/M. 1968.
5 Im
März 1968 demonstrierte die polnische Opposition
gegen die Zensur eines Theaterstücks.
In Reaktion auf die Repression gegen diese
Demonstration traten die Studierenden der
meisten polnischen Städte in den Streik.
Diese
Bewegung wurde hart unterdrückt, und das
Regime
brach auf Betreiben von Innenminister
M. Moczar eine antisemitische Kampagne vom
Zaum, um die kommunistische Linke zu liquidieren.
Dieser Repression folgte eine Auswanderungswelle.
6
Die Komitees zur Verteidigung der Arbeiter
wurden nach der Niederschlagung der Streiks
von Juni 1976 von Oppositionellen gegründet.
7 Der
Anfang des Jahrhunderts für den Militärapparat
der Polnischen Sozialistischen Partei
(PPS, der unabhängige Flügel der polnischen
Arbeiterbewegung) zuständige Józef
Pilsudski
brach nach dem Scheitern der Russischen Revolution
1905 mit seinem Sektor. Er organisierte
im Ersten Weltkrieg die polnische Legion
in der österreichischen Armee und übernahm
am 11. November 1918 in Warschau die
Macht, indem er die Unabhängigkeit des
Landes
verkündete und sich öffentlich vom
sozialistischen
Gedankengut lossprach (daher der
Ausdruck „an der Haltestelle 'Unabhängigkeit‘
aus der roten Tram aussteigen“). 1926
führte er mit Unterstützung der Gewerkschaften,
die durch einen Streik die loyalen Sektoren
der Armee am Eingreifen hinderten (!), einen
Staatsstreich durch und richtete ein autoritäres
Regime ein, das die Arbeiterbewegung –
einschließlich
der PPS – unterdrückte, aber
gleichzeitig ein Scheinparlament aufrecht erhielt.
8
Ende der 70er-Jahre verbreitete Adam Michnik,
der 1966 mit der Gründung des Studentenclubs
der „Widerspruchssucher“ seine oppositionelle
Tätigkeit aufnahm und eine der tragenden
Figuren der Studentenbewegung des Jahres
1968 war, einen Essay mit dem gleichlautenden
Titel, in dem er die Traditionen der nationalistischen
polnischen Rechten rehabilitierte.
9
Siehe Fußnote 5.
10
Piasecki, ein Führer des faschistischen
Flügels
des polnischen Widerstands, wurden 1945 von
der Sowjetarmee festgenommen und schloss
ein Abkommen mit dem stalinistischen General
und Gouverneur von Warschau, Serow, in
dem er sich verpflichtete, die klerikale polnische
Rechte an das neue Regime heranzuführen.
Dafür verfügte er bis zu seinem Tod
über
ein Verlagshaus und institutionellen Rückhalt
und versuchte sogar zeitweise, der katholischen
Hierarchie Konkurrenz zu machen.
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