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Polen vor 25 Jahren:
Aufstieg und Fall einer Gewerkschaft
 

von René Henze, Rostock

aus Solidarität Nr. 37, vom 20.06.2005


Zehn Millionen ArbeiterInnen organisierten sich in der Gewerkschaft Solidarnosc

Als am 14. August 1980 auf der Gdansker Lenin-Werft die Kranführerin Anna Walentynowicz wegen ihres Einsatzes für bessere Arbeitsbedingungen, gleiche Bezahlung für Frauen und Männer und freie Gewerkschaften entlassen wurde, legten 17.000 Werftarbeiter die Arbeit nieder und besetzten die Werft. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich der „Strajk“; innerhalb von drei Tagen griff er auf das ganze Land über.

Dieser Streik kam keineswegs aus dem Nichts. Gerade unter der Arbeiterschaft gärte es. Immer wieder hatte die Regierung die Arbeitsnormen erhöht und gleichzeitig die Preise für Lebensmittel raufgesetzt.

Stalinismus

In Polen bestand das gleiche Regime wie im gesamten Ostblock. Eine Schicht von Partei- und Staatsfunktionären herrschte über einer verstaatlichten Wirtschaft. Trotz angeblicher „Entstalinisierung“ nach dem Tode des sowjetischen Diktators Stalin existierten in den Satelliten-Staaten wie Polen oder der DDR weiter dieselben Machtstrukturen. Eine privilegierte Bürokratie thronte über der verstaatlichten Wirtschaft und niemand kontrollierte sie. Die DDR war für diese Funktionärsschicht – in Worten – ein „Arbeiter- und Bauernstaat“, Polen eine „Volksdemokratie“... Doch wehe, wenn „die Arbeiter“ oder „das Volk“ mal gegen die herrschende Funktionärsschicht aufbegehrten. Dann wurde mit Polizei und Panzern dem Volk und im speziellen den ArbeiterInnen aufs Haupt geschlagen. So zum Beispiel 1953 in der DDR, 1956 in Ungarn und Polen und 1970 in Polen.

Das „überbetriebliche Streikkomitee“

Schon einen Monat vor der August-Erhebung gab es eine erfolgreiche Streikwelle gegen Preiserhöhungen. Damit wurde das Selbstbewusstsein der ArbeiterInnen gestärkt. Gleichzeitig kam in verschiedenen Großbetrieben die Forderung nach einer koordinierenden Organisation, einer nicht vom Staat kontrollierten Gewerkschaft, auf.

Als nun am 14. August auf der Lenin-Werft gestreikt wurde, bildete sich ein Streikkomitee. Der Elektriker Lech Walesa wurde zu einem der Sprecher ernannt. Da dieser Streik auf die ganze Stadt übergriff, wurde aus der Streikleitung ein „überbetriebliches Streikkomitee“.

Bereits drei Tage später, am 17. August, war dieses „überbetriebliche Streikkomitee“ aus Gdansk das Sprachrohr der überall im Lande streikenden Belegschaften. Das Streikkomitee formulierte seine „21 Forderungen von Gdansk“, worin sie die Abschaffung der Parteiprivilegien, die Freilassung der politischen Gefangenen, Pressefreiheit, Streikrecht, freie Gewerkschaften und offene Diskussionen über die Wirtschaftskrise forderten.

Die landesweite Streikwelle hatte mit dem Streikkomitee aus Gdansk plötzlich eine landesweite Koordination. Lech Walesa – und die Streikleitung der Lenin-Werft – wurden plötzlich zur Führung der gesamten polnischen Arbeiterschaft. Noch im August folgten Streiks im ganzen Land. Das „überbetriebliche Streikkomitee“ wurde beauftragt, die Forderungen der Arbeiterschaft der Regierung gegenüber zu vertreten.

Regierung unter Druck

Mit dieser koordinierten Aktion der Mehrheit der polnischen Arbeiterschaft konnte die Regierung sich nicht messen. Ein Einsatz von Armee und Polizei hätte zu diesem Zeitpunkt eher ihren eigenen Sturz nach sich gezogen. Der spätere Putschist, General Jaruzelski, warnte deshalb im August 1980 die Regierung Gierek vor dem Einsatz der Armee.
Um zu überleben, musste die Regierung nachgeben. Der stellvertretende Ministerpräsident Jagielski musste am 31. August 1980 die „Vereinbarung von Gdansk“ unterschreiben. Darin gewährte die Regierung das Recht auf unabhängige Gewerkschaften mit Streikrecht und Zugang zu den Massenmedien. Das war die Geburtsstunde der Solidarnosc. Innerhalb weniger Wochen wurde die Solidarnosc zum Zentrum der Bewegung. Davon angespornt, entstand auch unter der Bauernschaft eine „Bauern-Solidarnosc“. Und auch Student-Innen und Intellektuelle gründen ihre Solidarnosc. Im November 1980 traten von den 16 Millionen Beschäftigten rund zehn Millionen der neuen Gewerkschaft bei. Und auch die herrschende Partei, die PVAP, verlor über eine Million Mitglieder an Solidarnosc.
Unter diesem Eindruck beschloss sogar der Zentralrat der offiziellen Gewerkschaft, CRZZ, seine Selbstauflösung. Am 5. September trat die Regierung unter Gierek zurück. Nun war die Krise für alle offensichtlich. Ein Machtvakuum tat sich auf.

Doppelherrschaft

Das ganze Land wendete sich der Solidarnosc zu. Walesa und Co. suchten die Verhandlung mit der Regierung. Dadurch wurde die Aktivität der Massen auf ermüdende Verhandlungsrunden an „Runden Tischen“ und Fernseh-Debatten gelenkt. Fast eineinhalb Jahre zog sich das hin.
Hier eine neue Macht – mit über zehn Millionen organisierten ArbeiterInnen, die faktisch die Kontrolle über die Produktion ausübten – und da eine verhasste Regierung, die kaum eine Stütze in der Gesellschaft hatte.
Wenn die Solidarnosc-Führung um Walesa zu diesem Zeitpunkt gewollt hätte – ein entschlossener Generalstreik hätte die Regierung zu Fall gebracht. Doch Walesa sah sich immer wieder als „Feuerwehrmann“, der den Brand zu löschen versuchte. Die Solidarnosc-Führer beschwichtigten die Arbeiter, „um die Verhandlungen nicht zu gefährden“.

Militärputsch

Die Unentschlossenheit der Führung gab der Regierung – und besonders den Hardlinern im Militärapparat um General Jaruselzki – Zeit. Das Militär zog Kampfverbände zusammen, legte Lebensmitteldepots an. Die Anzeichen mehrten sich, dass die Regierung „was plant“ – doch die Solidarnosc-Führung unternahm nichts. Im Gegenteil, sie verhandelte weiter. Die Preise stiegen unaufhörlich, die Löhne kamen nicht hinterher, das stundenlange Schlangestehen vor den Geschäften und oben-drein eine Führung, die immer noch verhandelte – das alles lähmte.
Anfang Dezember wurde eine besetzte Feuerwehrhochschule in Warschau geräumt. Die Basis von Solidarnosc sah die Gefahr eines Schlages der Regierung und forderte die Arbeiterbewaffnung. Walesa stimmte dem zu – doch anstatt sofort zu reagieren, wurde der Termin für einen Generalstreik für eine Woche später angesetzt. Schlimmer noch, obwohl offensichtlich wurde, dass die Regierung wieder Mut gefasst hatte, ging die Führung von Solidarnosc weiterhin zu den Verhandlungen.
Am 13. Dezember 1981 war es dann so-weit. Am Abend entmachtete der militärische Apparat die Regierung und verhängte das Kriegsrecht. Blitzschnell schlug das Militär zu: Überall wurden noch in der Nacht zum 14. Dezember Solidarnosc-Führer, ArbeiteraktivistInnen und Intellektuelle verhaftet. Die Büros der Gewerkschaft wurden besetzt und Unterlagen sowie Kassen beschlagnahmt. Jede gewerkschaftliche Tätigkeit wurde unter Strafe gestellt. Auf den Straßen errichteten Militär und Polizei Straßensperren, Betriebe wurden unter Militärverwaltung gestellt. Wer Streikaufrufen folgte, konnte wegen „Arbeitverweigerung“ bis zu fünf Jahre eingesperrt werden...

Lech Walesa

In einem ARTE-Interview vom 15. Mai 2005 berichtete Walesa über sein Konzept vor 25 Jahren als Vorsitzender der Solidarnosc und seine Ziele als Regierungschef von 1989 bis 95.
„Als ich das Konzept erwogen hatte, waren das drei Kapitel: Mein erstes Kapitel war, ein Monopol aufzubauen. Wir wollten so viel Leute wie möglich haben. (...) Der Sieg über den Kommunismus beendete das erste Kapitel.
Dann kam das zweite Kapitel, das nicht besonders schön war: Das Monopol wieder aufgliedern. Es sollte sich wieder auflösen in Parteien, Gewerkschaften oder andere Organisationen. Davor hatte ich eigentlich Angst, aber wir mussten uns aufteilen, um den Kapitalismus aufzubauen. Der Kommunismus war besiegt, den dritten Weg gab es nicht und vor mir riesige Massen an Proletariern. Die Betriebe sollten aufgelöst, die Menschen entlassen werden. Aber wie sollte ich damit fertig werden? Ich hatte solche Angst vor diesem neuen Kapitel, denn diejenigen, die mich auf den Schultern getragen haben, hätten mich mit Steinen beworfen. Dadurch, dass die Leute zerstritten waren, haben wir die Betriebe doch schließen können. Wären sie nicht zerstritten gewesen, hätten wir das nicht geschafft. Das war das zweite Kapitel, das aus Streit und Teilung bestand.
Ich weiß nicht, ob ich es gut gemacht habe. Aber ich weiß, dass ich diese Operation präzise gemacht habe.“
(www.arte-tv)

Tradition wieder aufnehmen

Walesas „drittes Kapitel“ heißt: „Wir organisieren uns jetzt“.
Das ist wirklich nötig – aber anders als dieser Zyniker sich das denkt!
Denn die Folgen der Einführung des Kapitalismus in Polen haben unter der Arbeiterklasse große Wut entstehen lassen. Waren früher auf der Gdansker Werft über 17.000 beschäftigt, so sind es heute nicht mal mehr 5.000. Die arbeitenden Menschen Polens kamen mit dem Zusammenbruch des Stalinismus vor 15 Jahren vom Regen in die Traufe. Bewies der Militärputsch vom Dezember 1981, dass die Arbeiter-Innen in diesen „Arbeiterstaaten“ nichts zu melden hatten, so beweist der Kapitalismus heute, dass sie nichts zu sagen haben und auf die Straße geworfen werden...
Heute gilt es, sich der Traditionen von 1980/81 zu besinnen und für eine wirkliche Arbeiterdemokratie zu kämpfen.