Diese
Wahlergebnisse spiegeln das Ausmaß der
Krise dieser „Linken“ wider, sagen
aber wenig aus über deren Beschaffenheit
und Dynamik. Aussagefähiger war da schon
die Wahlkampagne der PD, die überwiegend
auf die Person ihres vorläufigen und wenig
charismatischen Führers Dario Franceschini
zuge-schnitten war, indem die ehemaligen KP-WählerInnen
wiederholt aufgerufen wurden, sich bei der Wahl
nicht zu enthalten. Tatsächlich war in
den Jahren zuvor die Zahl der NichtwählerInnen
immer mehr gestiegen, was hauptsächlich
zu Lasten der Linken gegangen war. Zum Teil
könnten diese sicherlich wieder gewonnen
werden, sofern eine Wahl in Zeiten einer starken
Polarisierung stattfindet oder eine Reaktion
auf die Regierungspolitik der Rechten darstellt.
Aber der andere Teil unter ihnen repräsentiert
ein für Italien relativ neues Phänomen,
nämlich dass ein großer Teil der
politisch aktiven Kräfte in der Gesellschaft
sich nicht nur mit keiner der politischen Parteien
mehr identifiziert, sondern Wahlen als nutzloses
und verzichtbares Ritual empfindet.
Ein
weiteres bezeichnendes Charakteristikum der
Wahlkampagne war das Bemühen, gegen das
Medienmonopol von Silvio Berlusconi anzukämpfen
und Zugang zum Wähler zu finden. Berlusconi
kontrolliert inzwischen fünf der sechs
großen Fernsehsender, die ihm teils gehören,
teils unter der Kontrolle seiner Regierung stehen.
Auch in dieser Hinsicht wurde der Wahlkampf
nach US-Manier geführt: der PD-Vorsitzende
begab sich persönlich ins Getümmel
verschiedener Städte, durchquerte sie inmitten
eines kleinen Pulks von Parteigängern in
Trikots mit dem Emblem der Partei und zeigte
Hände schüttelnd sein Grinsgesicht.
Abgesehen von der völligen Wirkungslosigkeit
einer solchen Kampagne hält sie auch keinem
Vergleich mit der Fähigkeit der Rechten
stand, die WählerInnen direkt an sich binden
zu können.
Die
PD – und darüber hinaus die gesamte
Linke – leidet unter dem schwerwiegenden
Problem, dass keine organische Verbindung zu
den gesellschaftlichen Kräften mehr vorhanden
ist. In dieser Hinsicht ist ihnen die Rechte
überlegen, dank der Medien und anderer
Anstalten zur Berieselung der Gesellschaft,
wie der katholischen Kirche und dem organisierten
Verbrechen. Das heißt natürlich nicht,
dass diese beiden sich mit der Rechten offen
vereinigen oder ihr zu Diensten stehen. Sie
tragen vielmehr auf ihre jeweilige Weise zu
dem „reaktionären Sumpf“ (Gramsci)
bei, der spezifisch für die konservativen
Kräfte der italienischen Gesellschaft ist.
Die organisatorische Krise der alten KPI lässt
sich in wenigen Zahlen wiedergeben. Im Jahr
1989, als die Partei Namen und Symbol wechselte,
zählte sie noch fast anderthalb Millionen
Mitglieder, wobei sie gegenüber dem Vorjahr
bereits 50 000 verloren hatte. Ein Jahr nach
der Wende waren weitere 200 000 ausgetreten
und 1992 hatte die Partei der Demokratischen
Linken (PDS), wie sie nunmehr hieß, bloß
noch 789 000 Mitglieder, also halb soviel wie
1989 und lediglich ein Drittel wie zu der Zeit
Enrico Berlin-guers.1 Als sich die
Partei 2002 nochmals in Linksdemokraten (DS)
umbenannte, waren es nur noch 534 000 und seit
der Umwandlung zur PD im Jahr 2007 gibt es gar
keine offiziellen Zahlen mehr. Es ist allgemein
bekannt, dass die Schätzungen hierüber
auf Grundlage der Bescheinigungen vorgenommen
wurden, die an die Teilnehmer der „Primärwahlen“
über die Spitzenkandidatur bei den Parlamentswahlen
2006 ausgestellt worden waren, an denen theoretisch
(und mitunter auch praktisch) gleichermaßen
Mitte-Rechts-WählerInnen teilnehmen konnten.
„Statt um eine flexible Partei –
um einen Slogan von 1989 aufzugreifen –
geht es nunmehr um eine nebulöse Partei“,
schreibt Luca Telese in seiner Analyse über
die Mitgliederentwicklung. 2
Bei
der Kampagne zu den Europawahlen 2009 schließlich
erschien die Identität der Nachfolgerin
der KPI zur Unkenntlichkeit verblasst. Die Rechte
war auf den ersten Blick zu erkennen, zunächst
wegen ihrer Propaganda gegen die Einwanderer
und in zweiter Linie über die Person ihres
Führers, der den faschistischen Mythos
vom „Mann der Vorsehung“ wiedergab
und sich als Macher darstellte, der die Geschicke
des Landes mit dem gleichen Geschick lenkt,
wie er als Unternehmer seine Geschäfte
erfolgreich geführt hat. Hingegen würde
sich jemand, der nicht aufmerksam die Tagespresse
verfolgt hat, schwer getan haben, etwas über
die Positionen der PD zu sagen. Ebenso über
deren Absichten, zumal die Partei sich anscheinend
selbst nicht darüber im Klaren ist. Ist
sie eine Partei der Mitte, vergleichbar mit
einer weniger korrupten und klerikalen Christdemokratie?
Oder eine Sozialde-mokratie, d. h. eine Organisation,
die sich trotz der unzähligen Anpassungsmanöver
weiterhin auf die Lohnabhängigen bezieht?
Oder die italienische Variante der Partei von
Kennedy und Obama, wie der neue Name nahelegt?
Damit ist nicht gemeint, dass solche Überlegungen
ausdrücklich angestellt würden oder
Ausdruck bestimmter Strömungen wären.
Dieses Identitätsproblem ist objektiv vorhanden
und die Diskussionen innerhalb der Parteiführung
thematisieren dies mehr oder minder klar, bspw.
anhand der Mitgliedschaft in der Sozialdemokratischen
Partei Europas, die bei einem Teil der Partei
auf Widerstand stieß. Die Gründung
der Progressiven Allianz der Sozialisten und
Demokraten als Gruppe im Europaparlament hat
nur ein aktuelles Problem beseitigt aber nicht
das viel komplexere der Identität der PD.
Wenn
ihr noch immer eine beträchtliche Wahlunterstützung
zuteil wird, dann nur, weil der Führer
der Rechten bei einem Teil der Wähler Abscheu
provoziert und nicht weil diese die politische
Theorie und Praxis der PD teilen oder auch nur
kennen würden. Gleichwohl geht in den Führungskreisen
und innerhalb der Linken im Allgemeinen die
Furcht vor einer „strukturellen Schwäche“
der Partei um, zumal die anderen politischen
Formationen nicht fähig scheinen, sie aktuell
zu ersetzen. Allein, dass die Führung der
PD das schlechte Ergebnis der Europawahlen eher
erleichtert hingenommen hat, spricht Bände
und zeigt, dass ihnen das Ausmaß der Krise
bewusst ist.
METAMORPHOSE
UND IDENTITÄTSKRISE
Um
die Gründe für den Zerfall der größten
kommunistischen Partei der westlichen Welt,
die als die „nebulöse“ Partei
von Dario Franceschini gestrandet ist, zu benennen,
müsste man auf die Geschichte Europas und
der kommunistischen Bewegung zurückgehen,
was hier zu weit führt. Daher beschränken
wir uns darauf, die jüngere Entwicklung
zu umreißen, die diese Partei um ihr organisatorisches
Netzwerk gebracht und ihrer Identität und
Selbstsicherheit beraubt hat, sodass sie jetzt
um ihr eigenes Überleben bangen muss.
Es
war am 12. November 1989, als der damalige Generalsekretär
der KPI, Achille Occhetto in der bolognesischen
Sektion kundtat, dass die Partei ihren Namen
ändern müsste. Diese Ankündigung
rief einen Aufstand der Basis hervor, auch wenn
diese zuvor alle Hiobsbotschaften geschluckt
und die Konterkarierung der kommunistischen
Attribute hingenommen hatte. Am deutlichsten
spürbar waren die Auswirkungen in der Austrittswelle
aus der Partei: gleich 200 000 Austritte im
Jahr danach mit einem anhaltenden Aderlass in
der Folgezeit, wie oben geschildert. „Die
Wende“ – wie sie allgemein bezeichnet
wurde – wurde seither in verschiedener
und auch widersprüchlicher Weise in Biographien,
Autobiographien, Zeitungsartikeln und Interviews
thematisiert. Aber ungeachtet der persönlichen
Färbung der Darstellung liefern die damaligen
Ereignisse einen deutlichen Einblick in die
Motive dieser Entscheidung.
Die
Berliner Mauer war gerade gefallen, und einige
Monate zuvor hatte das Massaker am Tian’anmen-
Platz Anfang Juni den Kommunismus von seiner
abstoßendsten Seite gezeigt. In Italien
herrschte damals die „Fünfparteien-Regierung“3,
die auf einem Bündnis zwischen Christdemokratie
und der PSI von Bettino Craxi, dem Paten und
Gönner des Unternehmers Silvio Berlusconi,
gründete. Die Ereignisse in China und Osteuropa
lieferten einen ausgezeichneten Vorwand, sich
auf die KPI einzuschießen, die schon seit
langem unter dem Druck der intellektuellen und
liberalen SympathisantInnen stand, Namen und
Emblem zu ändern. Zugleich war dies eine
Gelegenheit, sich mit guten Argumenten von dem
gescheiterten Experiment zu distanzieren und
laut zu beanspruchen, nicht damit in einen Topf
geworfen zu werden. Es mangelte noch nicht einmal
an einschlägigen Leninzitaten, und hatte
nicht der Führer der Oktoberrevolution
selbst umstandslos den Namen seiner Partei aus
viel geringeren Gründen als den Schandtaten
von Stalin, Pol Pot oder Ceausescu gewechselt?
|
Von
der KPI zur Demokratischen Partei |
In
der 1991 gegründeten PDS tobten Grabenkämpfe,
ob sie sich als sozialdemokratisch, „Kennedylike“
oder einfach als „neu“ verstehen
sollte. Durch den Zusammenschluss mit Splittern
– hauptsächlich – der ehemaligen
Christdemokratie und PSI entstand 1998 die DS.
Und 2007 wurde daraus durch die Fusion mit einer
Partei der Mitte – der Margherita von
Romano Prodi – die PD, als deren Vorsitzender
Walter Veltroni aus Primärwahlen hervorging.
Bei dieser Gelegenheit schlossen sich weitere
Grüppchen und Einzelpersonen aus der vormals
christdemokratischen Seilschaft an, um Mandatspöstchen
zu ergattern und wieder einer „richtigen“
Partei anzugehören. Aber mit diesen Wandlungen
allein und dem Beitritt einzelner Fragmente
oder auch ganzer Parteien der Mitte lässt
sich die Identitätskrise nicht vollständig
erklären. Die Identität einer Partei
beruht vielmehr auf ihrer politischen Praxis
… und genau darin liegt der Schwachpunkt
der PD.
Im
Jahr 1996 gelang die Bildung einer Mitte-Links-Regierung,
da sie als Hüter des Sozialstaats auftreten
konnte, der in der ersten Amtszeit Berlusconis
ab 1994 bereits unter Beschuss geraten war.
Dieses Image ging durch die politische Praxis
der zweimaligen Mitte-Links-Regierung (1996–2001
und 2006–2008) über Bord. Die PD
gilt noch nicht einmal als eine liberale Partei,
die die bürgerlichen Rechte garantiert:
Die im Verlauf der Metamorphose absorbierten
katholischen Gruppierun-gen konnten verhindern,
dass in der zweiten Amtszeit Prodi die Rechte
der Homo- und Transsexuellen anerkannt wurden,
und sogar ein harmloses Gesetz gegen Homophobie
erfolgreich blockieren. Die PD war aber nicht
nur an der Regierung wenig erfolgreich, auch
als Oppositionspartei tut sie sich schwer. Sie
kann nicht die Rechte auf deren ureigenen Terrain
ausstechen, auch wenn es an derlei Versuchen
nicht gefehlt hat. Der Rassismus und das Spiel
mit den Ängsten seitens der italienischen
Rechten überschreiten in der Tat für
gemäßigte Kräfte die Grenzen
des Hinnehmbaren und selbst die katholische
Amtskirche hat mehrere Male interveniert und
zu Gemeinsinn und Mäßigung aufgerufen.
Die PD kann die politische Ausein-andersetzung
auch nicht einfach umbiegen und sich zum Sachwalter
der Rechte der Lohnabhängigen machen, da
sich sämtliche Parteiflügel einschließlich
der Ex-KPI für die „wirtschaftliche
Entwicklung“ und die Interessen der „produktiven
Schichten“ (wie in der PD die Klein- und
Großunternehmer genannt werden) stark
machen.
Außerdem
kommt angesichts der Wirtschaftskrise ein Selbstverständnis,
das auf Maßhalten und Geduld (das Wort
„geduldig“ ist das von Veltroni
meist gebrauchte) setzt, schlecht an beim Volk,
das zu Recht in Wallung ist, aber von der Rechten
gegen die ImmigrantInnen als Sündenbock
aufgewiegelt wird.
DER
TIEFGREIFENDE WANDEL DER ITALIENISCHEN GESELLSCHAFT
Die
damalige KP und ihre Nachfolger haben die Umbrüche
und Transformationsprozesse der Gesellschaftsstruktur
mitgemacht, ohne recht zu verstehen, was vor
sich ging. In ihren Augen war das Ende des dreißigjährigen
Wirtschaftswachstums (1945–1975) eine
Konjunkturkrise. Den Prozess der Globalisierung
und Finanzialisierung (Kasino-Kapitalismus)
haben sie als Bestätigung der unbeugsamen
Vitalität des Kapitalismus begriffen und
überhaupt nicht wahrgenommen, welche Destruktivkraft
in der Offensive des Kapitals gegen die Lohnabhängigen
steckt. Natürlich ging es nicht in erster
Linie um die mangelnde Auffassungsgabe, sondern
KPI, PDS,DS und PD haben nacheinander genau
die Rolle gespielt wie die Sozialdemokratie
im übrigen Europa und aktiv an der Niederlage
der Lohnabhängigen mitgewirkt.
Im Lauf der letzten Jahrzehnte sind die Bindungen
der Partei an die unteren Schichten, die sich
bereits während der 80er Jahre gelockert
hatten, völlig zerrissen. Wie überall
haben in Italien die Niederlagen, die Prekarisierung,
das Outsourcing etc. dazu beigetragen, das Terrain
zu destabilisieren, in dem die KPI verwurzelt
war. Aber mehr als sonstwo hat in Italien die
Krise der Großfabriken die Reorganisierung
der Lohnabhängigen in jeder Form erschwert.
Als es Ende der 60er Jahre einen starken Anstieg
der Arbeiterkämpfe gab, verfügte Italien
über ein Netz von Industriekomplexen, das
zu den größten in Europa zählte
und bis Mitte der 80er Jahre zum Ausgangspunkt
der sozialen Kämpfe wurde. Aber um diese
großen Fabriken herum siedeln sich kleine
und kleinste Unternehmen an, die oft unter dem
Druck stehen, sich an Fiskus, gesetzlichen Auflagen
und Konflikten mit den Gewerkschaften vorbei
zu lavieren. Nachdem die großen Fabriken
geschlossen worden sind, ist das ganze Gefüge
auseinander gebrochen und zerfallen, wodurch
die Konsequenzen dieser ansonsten universalen
Entwicklung für Italien besonders schwerwiegend
waren.
Wie
überall hat in Italien der systematische
Abbau der tariflichen Arbeitsplätze die
Gewerkschaften geschwächt, auch wenn die
CGIL in gewissem Maß weiterhin handlungsfähig
ist und über sie die PD noch über
indirekten Zugang zu den unteren Schichten verfügt.
Stärker als in anderen Ländern hat
die Krise der italienischen Gewerkschaften irreparable
Schäden hinterlassen. Nach 1969 waren die
Gewerkschaften knapp zwanzig Jahre lang in Form
von Räten, die von den ArbeiterInnen gewählt
wurden, organisiert und diese Räte waren
von fundamentaler Bedeutung in den Zeiten der
großen Kämpfe und Widerstandsaktionen.
Der Niedergang und das schließliche Ende
des „Rätesyndikalismus“ waren
nicht nur die Folge sondern zugleich die Ursache
der Zersetzung der sozialen Strukturen. Die
Arbeiterklasse in den großen Fabriken
(Fiat, Alfa Romeo, Italsider etc.) erlitt eine
entscheidende Niederlage gegen die Unternehmer,
weil eben die Räte die Kraftprobe mit der
Gewerkschaftsbürokratie verloren haben.
Wie sehr sich die Bürokratie – und
leider sie allein – der Bedeutung dieses
Konflikts voll bewusst war, davon zeugt die
Lektüre der damaligen Gewerkschaftspresse.
DER
STRUKTURELLE WANDEL DES PARTEIMODELLS
Die
Aufspaltung und Streuung der Lohnabhängigen
erschweren deren Reorganisierung in jeder Hinsicht.
Aber jenseits dieser objektiven Schwierigkeiten
stellt sich die PD gar nicht erst den Problemen,
zu deren Lösung sie strukturell unfähig
ist. Und dieser Umstand verdammt die linken
Kräfte innerhalb der Organisation zu ewigem
Verlieren. Sie waren sich zwar oft darüber
im Klaren, welcher Voraussetzungen es bedurfte,
um den Verfall der sozialen Kräfteverhältnisse
aufzuhalten, aber sie richteten sich damit an
eine Partei, die weder fähig noch willens
war, sich damit aufzuhalten.
Seit
1997 ist die Bildung von Strömungen innerhalb
der Partei erlaubt. Aber da gibt es Überschneidungen
und Vermischungen mit anderen Interessenssphären,
wo es um Macht geht. Die vormals monolithische
Partei hat einen zunehmenden Balkanisierungsprozess
durch-gemacht, in dem führende Mitglieder
eine Entourage von Zeitungen, Magazinen, Stiftungen,
Verbänden etc. schaffen, um Karriere zu
machen. Dieser Mechanismus erinnert an die „Notabeln“
in der früheren Christdemokratie, in der
bestimmte Personen die Mitgliedschaften und
die Klientel kontrollierten. Allerdings verhält
es sich nicht so, dass für diese Zustände
in der PD v. a. die ehemaligen Christ-demokraten
verantwortlich wären. Überwiegend
handelt es sich dabei um einen substantiellen
Umwandlungsprozess innerhalb der Bürokratie
der KPI, der in gewisser Weise mit dem der ehemaligen
Nomenklatura in Osteuropa vergleichbar ist.
Die immerwährende Anpassung an das bestehende
politische und soziale Umfeld und die Auswahlkriterien
für den Führungsnachwuchs haben eine
Politikerkaste herangezüchtet, die von
primitiven materiellen Motiven und starken Partikularinteressen
umgetrieben wird. Diese Führer, die in
erster Linie um Posten in Partei und Institutionen
schachern, haben absolut kein Interesse, sich
mit der undankbaren und ungewissen Aufgabe zu
befassen, die Arbeiterbewegung wieder aufzubauen.
Indem das traditionelle Modell des Parteikaders
quasi ausgestorben ist, ist auch das unerlässliche
Bindeglied zwischen Parteiapparat und Gesellschaft
verschwunden. Zwar verfügt die PD noch
immer über Sektionen, aber die fungieren
als Wahlkomitees und sind weit weniger effizient
als in der Vergangenheit.
Dennoch
bleibt es der PD unbenommen, dass sie noch immer
in der Lage ist, Massen zu vereinen, Primärwahlen
mit hunderttausenden von Teilnehmern durchzuführen
und zu Massenkundgebungen aufzurufen. Aber dies
sind Ausnahmeereignisse und das teilnehmende
undifferenzierte „Volk“ aus Mitgliedern
und SympathisantInnen bleibt bis zur nächsten
Veranstaltung passiv.
EINE
ANDERE GESCHICHTE
Um
den Abgesang der KPI wirklich zu verstehen,
müsste auch auf diejenigen eingegangen
werden, die die „Wende“ abgelehnt
und die Partei der Kommunistischen Wiedergründung
(PRC) gegründet haben. Dieses Thema hätte
eine lange Serie von Spaltungen, Ausschlüssen
und Brüchen zum Inhalt.
Das
Erbe der KPI teilen sich gegenwärtig diejenigen,
die den Namen der PRC beibehalten haben, und
diejenigen, die dem ehemaligen Parteivorsitzenden
Fausto Bertinotti gefolgt sind und die Sinistra
ecologia e Libertà (SeL) gegründet
haben. Auch wenn sich deren Geschichte von der
der PD unterscheidet, ähneln sich die Ergebnisse
ziemlich: Misserfolge bei den Wahlen (weder
PRC noch SeL konnten Sitze im italienischen
oder europäischen Parlament erringen),
ambivalente Haltung gegenüber den Interessen
der Arbeiterklasse, Hammer und Sichel –
ja oder nein, mangelnde soziale Verankerung,
innere Zersplitterung, Aufweichung der Kaderstrukturen,
interne Machtkämpfe, Pöstchenjägerei.
*Lidia
Cirillo, Mitglied der nationalen Koordination
von Sinistra Critica und Redakteurin der Zeitschrift
ERRE. Mitglied der IV. Internationale seit 1966,
Mitbegründerin des Weltfrauenmarsches in
Italien und Gründerin der feministischen
Zeitschrift QUADERNI VIOLA. Verfasserin zahlreicher
Werke.
Übersetzung:
MiWe
1
Enrico Berlinguer war von 1972 bis zu
seinem Tod 1984 Generalsekretär der KPI.
Er löste die KPI aus der Kuratel der UdSSR
und war federführend bei der Entstehung
des
„Eurokommunismus“. Unter seiner
Führung
erzielte die KPI im Juni 1976 ihr bestes
Wahlergebnis (33,4 % im Parlament und
33,8 % im Senat).
2 Luca Telese: Qualcuno era comunista,
Sperling&Kupfer, 2009, S. 90
3
Dieser Ausdruck bezeichnet die
Regierungskoalition in Italien 1980–1992,
die
aus fünf Parteien bestand: der Christdemokratie
(DC), der Sozialistischen Partei Italiens (PSI),
der Italienischen Sozialdemokratischen Partei
(PSDI), der Italienischen Republikanischen
Partei (PRI) und der Italienischen Liberalen
Partei (PLI)
|