Am Dienstag (12. Juli 2011) schrieb die NZZ
„In der europäischen Schuldenkrise
geht es langsam ans Eingemachte. Nach den
kleineren Peripherie-Ländern Griechenland,
Irland und Portugal geraten die beiden Schwergewichte
Italien und Spanien ins Visier der Finanzmärkte.
Beide Staaten gelten als «Too big to
fail» oder besser gesagt als «Too
big to save». Marktteilnehmer verlieren
immer mehr das Vertrauen in die zwei südeuropäischen
Euro-Länder.“ Die Angst vor
einer Ansteckung Italiens hatte die Aktienmärkte
ganz schön auf Trab gehalten. Die europäischen
Aktienindizes verloren stark, der Euro-Stoxx-50-Index
sank vorübergehend auf ein Tagestief
von 2608 Punkten (tiefster Stand seit Sommer
2010) Der DAX sackte bis auf 7000 Punkte ab.
Der SMI sank weit unter 6000 Punkte auf ein
Tagestief von 5899 Zählern und ging 0,6%
leichter aus dem Tag. Hauptgrund für
die Schwäche waren die Finanztitel, um
die die Anleger am meisten fürchteten.
Eine ausserordentliche Berg-und-Tal-Fahrt
vollzogen die italienischen Bankaktien. Die
Aktien der Unicredit verloren zu Handelsbeginn
8% und gingen schliesslich mit 5,9% aus dem
Handel, die Titel von Intesa Sanpaolo verloren
anfänglich über 7% und schlossen
mit plus 3,3%.
Gleichentags
schossen die Renditen von italienischen Staatsanleihen
von knapp 5% auf fast 5,7% empor und jene
von spanischen Government-Bonds von unter
5,5% auf über 6,0%. Die Risikoaufschläge
gegenüber als sicher geltenden deutschen
Staatsanleihen legten markant zu.
Gestern Donnerstag hat dann – getrieben
vom Internationale Währungsfonds und
den Finanzmärkten – der italienische
Senat ein gigantisches „Spar“paket
von 79 Milliarden Euro abgesegnet. Heute Freitag
muss die Abgeordnetenkammer noch über
die „Spar“maßnahmen entscheiden.
Nur wenige Stunden vor der Abstimmung am Donnerstag
besorgte sich Italien frisches Geld am Markt.
Allerdings musste Italien bei der Auktion
Rekordzinsen für langfristige Anleihen
zahlen. Italien verkaufte Staatsanleihen im
Wert von 4,96 Milliarden Euro, musste den
Investoren für die Titel mit Laufzeiten
zwischen fünf und 15 Jahren jedoch erheblich
höhere Risikoaufschläge anbieten.
Die Anleihen mit einer Laufzeit von fünf
Jahren werden mit 5,9 Prozent verzinst, dem
höchsten Satz seit Einführung des
Euro. Bei der letzten Auktion dieser Papiere
am 15. Juni lag die Rendite noch zwei Prozentpunkte
niedriger. Die aktuellen Papiere wurden gut
nachgefragt, knappe 6% Verzinsung ist ja auch
für die internationale Gilde der Spekulanten
und Couponabschneider nicht zu verachten.
„Überraschend versprachen gemäss
Medienberichten die Oppositionsparteien, möglichst
wenige Einsprüche im Abgeordnetenhaus
vorzulegen, um das Paket bis zum Freitagabend
auch durch die zweite Kammer zu bringen.“
NZZ 12. Juli 2011. «Wir werden alles
dafür tun, um die Massnahmen bis Ende
der Woche zu verabschieden, auch wenn wir
nicht einverstanden sind», erklärte
Dario Franceschini, Fraktionsführer der
grössten Oppositionspartei PD im Abgeordnetenhaus.
NZZ 12. Juli 2011.
Staatspräsident Giorgio Napolitano, selber
ein ehemaliges Mitglied der Kommunistischen
Partei Italiens (KPI), hat alle Parteien zur
Unterstützung des Sparpakets und zu größtmöglicher
Einigkeit aufgefordert. Am Mittwoch erklärte
Napolitano, „mit großer Befriedigung“
habe er die Bereitschaft der Opposition zur
Zusammenarbeit zur Kenntnis genommen. Die
Oppositionsparteien wollen sich auf wenige
Abänderungsanträge beschränken,
die Verabschiedung des Sparhaushalts aber
nicht aufhalten. Gleichzeitig fordern sie
für die Zeit unmittelbar danach: –
Berlusconis Rücktritt. Sie sind der Auffassung,
dass sie aufgrund ihrer engen Beziehung zu
den Gewerkschaften besser als Berlusconi in
der Lage sind, derart drakonische Sparmaßnahmen
durchzusetzen.
Die italienische Regierung hat das ursprüngliche,
vor rund zwei Wochen vorgestellte Sparziel
von vierzig Milliarden Euro in letzter Minute
verdoppelt: In den kommenden dreieinhalb Jahren
soll der italienische Staat jetzt 79 Milliarden
einsparen (3 Milliarden im laufenden Jahr,
6 Milliarden 2012, 25 Milliarden 2013 und
45 Milliarden 2014). Berlusconi reagierte
mit der Ausweitung der Kürzungen wohl
auch auf Druck seines Zentralbankchefs und
künftigen Vorsitzenden der europäischen
Geldbehörde, Mario Draghi. Dieser hatte
tags zuvor zusätzliche Kürzungen
der öffentlichen Ausgaben gefordert,
um Steuererhöhungen zu vermeiden.
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Mit
einem landesweiten Streik protestieren
die ItalienerInnen gegen die Sparbeschlüsse
von 2010 der Regierung Berlusconi. |
Die Stoßrichtung des Sparprogramms ist
eindeutig. Die Last der Wirtschaftskrise und
Staatsverschuldung soll der Bevölkerung
auferlegt werden. Die Axt wird an den gesamten
öffentlichen Dienst gesetzt, mit drastischen
Folgen für Schulen und Universitäten,
Krankenhäuser und Altersheime, für
Theater, Konzerte, Kinos, Museen, archäologische
Stätten und vieles mehr. Im Gespräch
ist der Abbau von 265.000 Arbeitsplätzen
im öffentlichen Dienst, während
die Gehälter der noch verbliebenen Beschäftigten
vier Jahre lang eingefroren werden.
Im Zentrum der so genannten „Manovra“
(Massnahme) steht ein Generalangriff auf die
Renten. Unter dem Vorwand, sie müssten
an die höhere Lebenserwartung angepasst
werden, wird das Rentenalter schrittweise
auf 67 Jahre erhöht. Die staatliche Rente
war bisher in Italien die wichtigste Absicherung
gegen nackte soziale Not. Jetzt sollen längerfristig
bis zu fünfzig Milliarden durch Rentenkürzungen
eingespart werden.
Auch die Gesundheitsversorgung derer, die
keine privaten Rücklagen haben, wird
massiv abgebaut: Schon ab Montag werden die
Italiener für Arzneien und Dienstleistungen
im Gesundheitsbereich stärker zur Kasse
gebeten. So sollen sie 25 Euro zahlen, wenn
sie sich bei der Nothilfe der Krankenhäuser
in nicht akuten Fällen behandeln lassen.
Für Labordiagnosen könnte zukünftig
eine Gebühr von zehn Euro fällig
werden.
Nicht gespart wird dagegen an den milliardenteuren
Militäreinsätzen im Inland und im
Ausland (zum Beispiel in Libyen und in Afghanistan),
an den Privatschulen oder an Prestigeprojekten
der Regierung (wie der Schnelltrasse TAV durch
das Susatal oder der Meeresbrücke von
Messina). Auch von einer Steuererhöhung
für die Reichen und Superreichen ist
nicht die Rede. Dafür werden die Massensteuern
weiter erhöht; zum Beispiel wird das
Benzin noch stärker besteuert, was den
Benzinpreis in die Höhe treiben wird.
Ziel der Regierung ist es, das Haushaltsdefizit
bis 2014 auf 0,2 Prozent der Wirtschaftsleistung
zu reduzieren. Die drittgrößte
Volkswirtschaft der Euro-Zone hatte 2010 Schulden
in Höhe von 119 Prozent des Bruttoinlandsprodukts
– 1,843 Billionen Euro. In diesem Jahr
wird mit 120 Prozent gerechnet.
Finanzminister Giuglio Tremonti verkündete
am Mittwoch, er garantiere persönlich,
dass Italien bis zum Jahr 2014 sein Defizit
auf Null drücken werde. Auf einer Konferenz
der Bankenvereinigung ABI (Associazione bancaria
italiana) in Rom erklärte Tremonti: „Das
Haushaltsdekret wird für die kommenden
vier Jahre verstärkt und wird bis Freitag
verabschiedet sein.“ Dann versprach
er den anwesenden Bankiers und Industrieellen
ein umfassendes Privatisierungsprogramm: „Wenn
die Krise vorbei ist, müssen wir sicherlich
einen Privatisierungsprozess einleiten.“
Man werde die Gemeinden dazu bringen, „ihr
Vermögen zu verkaufen“, zu
welchem Zweck der Stabilitätspakt „einen
Mechanismus von Anreizen“ schaffen
werde. „Natürlich braucht es
jemanden, der kauft; man kann schließlich
nicht unabhängig vom Markt privatisieren.“
Nach Angaben der römischen Zeitung
La Republica ist geplant, Beteiligungen am
Öl- und Gaskonern Eni, dem Energieunternehmen
Enel sowie dem Rüstungskonzern Finmeccanica
zu verkaufen. Der italienische Staat ist Haupteigner
der drei Firmen. Und gestützt auf die
von der Opposition versprochene Zusammenarbeit
verkündete Tremonti den versammelten
Bankenvertretern: „Wir geben den
Märkten ein starkes Signal. Und wissen
Sie, worin das besteht? In der Tatsache, dass
die Manovra (Massnahme) hieb- und stichfest
gemacht wird und vom Parlament innerhalb einer
Woche bestätigt wird. Das hat es in der
Geschichte Italiens noch niemals gegeben.“
Die italienischen Industriellen begrüßen
Tremontis Pläne. „Die Märkte
werden begreifen, daß wir nicht Griechenland
sind und daß wir unsere Bilanzen ernsthaft
in Ordnung bringen wollen“, kommentierte
die Präsidentin des Industriellenverbandes
Confindustria, Emma Marcegaglia die Tochter
einer italienischen Stahlbaronfamilie und
mit Blick auf Opposition und Gewerkschaften:
„Wir müssen die Manovra beschließen,
und dazu brauchen wir einen großen,
politischen und sozialen Zusammenhalt.“
Vor zwei Wochen haben sich alle drei großen
Gewerkschaften – CGIL, CISL und UIL
– mit dem Unternehmerverband getroffen,
um jeglichen Zwist zwischen Unternehmern und
Gewerkschaften beizulegen. Am 28. Juni unterzeichneten
sie in Rom einen nationalen Pakt für
Arbeit, der einen Streikverzicht beinhaltet.
Das Modell zu dem Vertrag lieferten die jüngsten
Hausverträge bei Fiat. Sie setzen den
nationalen Arbeitsvertrag außer Kraft,
beinhalten massive Mehrarbeit und hebeln grundlegende
Rechte wie das Streikrecht aus, sowie auch
das Recht der Arbeiter, die eigenen Vertreter
zu wählen. Dies sollen also künftig
die Bedingungen für alle Arbeiter in
der Privatwirtschaft sein, und der öffentliche
Dienst wird sicher auch bald nachziehen.
Auch die CGIL, die größte Gewerkschaft,
die früher als KPI-nahe galt, hat den
Burgfrieden-Pakt unterschrieben. Am Abend
der Unterzeichnung eilte Wirtschaftsminister
Tremonti hinzu und bedankte sich ausdrücklich
bei den Gewerkschaftsführern: „Danke
Raffaele Bonanni [CISL-Vorsitzender],
Luigi Angeletti [UIL-Vorsitzender],
Susanna Camusso und Emma Marcegaglia.
Danke für das, was ihr im Interesse unseres
Landes zustande gebracht habt.“
CGIL-Chefin Susanna Camusso kommentierte:
„Mit diesem Vertrag beginnt eine
neue Periode.“