Sektion Zürich
 
anklicken Antiglobalisierung
anklicken ArbeiterInnenbewegung
anklicken Bildungspolitik
anklicken Frauenbewegung
anklicken Geschichte
anklicken Imperialismus & Krieg
anklicken International
anklicken Kanton Zürich
anklicken Marxismus
anklicken Umweltpolitik

anklicken Startseite
anklicken Über uns
anklicken Agenda
anklicken Zeitung
anklicken Literatur
anklicken Links
anklicken Kontakt

Schwerpunke / Kampagnen
anklicken Bilaterale II



 

Sozialer Krieg in Italien

"Sparprogramm" beschlossen und Privatisierungsmassnahmen angekündigt

Lothar Moser - 15. Juli 2011


In Italien stiegen die Zinsen für Staatsanleihen auf das Rekordniveau von knapp 6 Prozent, sehr zur Freude der internationalen Gilde der Spekulanten. Sie rissen sich diese Woche jedenfalls regelrecht um die aktuelle Auflage von Staatsanleihen in Wert von 5 Milliarden Euro. Die Regierung Berlusconi verordnet ihrer Bevölkerung gleichzeitig ein "Spar"programm in der Höhe von 79 Milliarden Euro.

Am Dienstag (12. Juli 2011) schrieb die NZZ „In der europäischen Schuldenkrise geht es langsam ans Eingemachte. Nach den kleineren Peripherie-Ländern Griechenland, Irland und Portugal geraten die beiden Schwergewichte Italien und Spanien ins Visier der Finanzmärkte. Beide Staaten gelten als «Too big to fail» oder besser gesagt als «Too big to save». Marktteilnehmer verlieren immer mehr das Vertrauen in die zwei südeuropäischen Euro-Länder.“ Die Angst vor einer Ansteckung Italiens hatte die Aktienmärkte ganz schön auf Trab gehalten. Die europäischen Aktienindizes verloren stark, der Euro-Stoxx-50-Index sank vorübergehend auf ein Tagestief von 2608 Punkten (tiefster Stand seit Sommer 2010) Der DAX sackte bis auf 7000 Punkte ab. Der SMI sank weit unter 6000 Punkte auf ein Tagestief von 5899 Zählern und ging 0,6% leichter aus dem Tag. Hauptgrund für die Schwäche waren die Finanztitel, um die die Anleger am meisten fürchteten. Eine ausserordentliche Berg-und-Tal-Fahrt vollzogen die italienischen Bankaktien. Die Aktien der Unicredit verloren zu Handelsbeginn 8% und gingen schliesslich mit 5,9% aus dem Handel, die Titel von Intesa Sanpaolo verloren anfänglich über 7% und schlossen mit plus 3,3%.

 

Gleichentags schossen die Renditen von italienischen Staatsanleihen von knapp 5% auf fast 5,7% empor und jene von spanischen Government-Bonds von unter 5,5% auf über 6,0%. Die Risikoaufschläge gegenüber als sicher geltenden deutschen Staatsanleihen legten markant zu.

Gestern Donnerstag hat dann – getrieben vom Internationale Währungsfonds und den Finanzmärkten – der italienische Senat ein gigantisches „Spar“paket von 79 Milliarden Euro abgesegnet. Heute Freitag muss die Abgeordnetenkammer noch über die „Spar“maßnahmen entscheiden. Nur wenige Stunden vor der Abstimmung am Donnerstag besorgte sich Italien frisches Geld am Markt. Allerdings musste Italien bei der Auktion Rekordzinsen für langfristige Anleihen zahlen. Italien verkaufte Staatsanleihen im Wert von 4,96 Milliarden Euro, musste den Investoren für die Titel mit Laufzeiten zwischen fünf und 15 Jahren jedoch erheblich höhere Risikoaufschläge anbieten. Die Anleihen mit einer Laufzeit von fünf Jahren werden mit 5,9 Prozent verzinst, dem höchsten Satz seit Einführung des Euro. Bei der letzten Auktion dieser Papiere am 15. Juni lag die Rendite noch zwei Prozentpunkte niedriger. Die aktuellen Papiere wurden gut nachgefragt, knappe 6% Verzinsung ist ja auch für die internationale Gilde der Spekulanten und Couponabschneider nicht zu verachten.

„Überraschend versprachen gemäss Medienberichten die Oppositionsparteien, möglichst wenige Einsprüche im Abgeordnetenhaus vorzulegen, um das Paket bis zum Freitagabend auch durch die zweite Kammer zu bringen.“ NZZ 12. Juli 2011. «Wir werden alles dafür tun, um die Massnahmen bis Ende der Woche zu verabschieden, auch wenn wir nicht einverstanden sind», erklärte Dario Franceschini, Fraktionsführer der grössten Oppositionspartei PD im Abgeordnetenhaus. NZZ 12. Juli 2011.

Staatspräsident Giorgio Napolitano, selber ein ehemaliges Mitglied der Kommunistischen Partei Italiens (KPI), hat alle Parteien zur Unterstützung des Sparpakets und zu größtmöglicher Einigkeit aufgefordert. Am Mittwoch erklärte Napolitano, „mit großer Befriedigung“ habe er die Bereitschaft der Opposition zur Zusammenarbeit zur Kenntnis genommen. Die Oppositionsparteien wollen sich auf wenige Abänderungsanträge beschränken, die Verabschiedung des Sparhaushalts aber nicht aufhalten. Gleichzeitig fordern sie für die Zeit unmittelbar danach: – Berlusconis Rücktritt. Sie sind der Auffassung, dass sie aufgrund ihrer engen Beziehung zu den Gewerkschaften besser als Berlusconi in der Lage sind, derart drakonische Sparmaßnahmen durchzusetzen.

Die italienische Regierung hat das ursprüngliche, vor rund zwei Wochen vorgestellte Sparziel von vierzig Milliarden Euro in letzter Minute verdoppelt: In den kommenden dreieinhalb Jahren soll der italienische Staat jetzt 79 Milliarden einsparen (3 Milliarden im laufenden Jahr, 6 Milliarden 2012, 25 Milliarden 2013 und 45 Milliarden 2014). Berlusconi reagierte mit der Ausweitung der Kürzungen wohl auch auf Druck seines Zentralbankchefs und künftigen Vorsitzenden der europäischen Geldbehörde, Mario Draghi. Dieser hatte tags zuvor zusätzliche Kürzungen der öffentlichen Ausgaben gefordert, um Steuererhöhungen zu vermeiden.

Mit einem landesweiten Streik protestieren die ItalienerInnen gegen die Sparbeschlüsse von 2010 der Regierung Berlusconi.

Die Stoßrichtung des Sparprogramms ist eindeutig. Die Last der Wirtschaftskrise und Staatsverschuldung soll der Bevölkerung auferlegt werden. Die Axt wird an den gesamten öffentlichen Dienst gesetzt, mit drastischen Folgen für Schulen und Universitäten, Krankenhäuser und Altersheime, für Theater, Konzerte, Kinos, Museen, archäologische Stätten und vieles mehr. Im Gespräch ist der Abbau von 265.000 Arbeitsplätzen im öffentlichen Dienst, während die Gehälter der noch verbliebenen Beschäftigten vier Jahre lang eingefroren werden.

Im Zentrum der so genannten „Manovra“ (Massnahme) steht ein Generalangriff auf die Renten. Unter dem Vorwand, sie müssten an die höhere Lebenserwartung angepasst werden, wird das Rentenalter schrittweise auf 67 Jahre erhöht. Die staatliche Rente war bisher in Italien die wichtigste Absicherung gegen nackte soziale Not. Jetzt sollen längerfristig bis zu fünfzig Milliarden durch Rentenkürzungen eingespart werden.

Auch die Gesundheitsversorgung derer, die keine privaten Rücklagen haben, wird massiv abgebaut: Schon ab Montag werden die Italiener für Arzneien und Dienstleistungen im Gesundheitsbereich stärker zur Kasse gebeten. So sollen sie 25 Euro zahlen, wenn sie sich bei der Nothilfe der Krankenhäuser in nicht akuten Fällen behandeln lassen. Für Labordiagnosen könnte zukünftig eine Gebühr von zehn Euro fällig werden.

Nicht gespart wird dagegen an den milliardenteuren Militäreinsätzen im Inland und im Ausland (zum Beispiel in Libyen und in Afghanistan), an den Privatschulen oder an Prestigeprojekten der Regierung (wie der Schnelltrasse TAV durch das Susatal oder der Meeresbrücke von Messina). Auch von einer Steuererhöhung für die Reichen und Superreichen ist nicht die Rede. Dafür werden die Massensteuern weiter erhöht; zum Beispiel wird das Benzin noch stärker besteuert, was den Benzinpreis in die Höhe treiben wird.

Ziel der Regierung ist es, das Haushaltsdefizit bis 2014 auf 0,2 Prozent der Wirtschaftsleistung zu reduzieren. Die drittgrößte Volkswirtschaft der Euro-Zone hatte 2010 Schulden in Höhe von 119 Prozent des Bruttoinlandsprodukts – 1,843 Billionen Euro. In diesem Jahr wird mit 120 Prozent gerechnet.

Finanzminister Giuglio Tremonti verkündete am Mittwoch, er garantiere persönlich, dass Italien bis zum Jahr 2014 sein Defizit auf Null drücken werde. Auf einer Konferenz der Bankenvereinigung ABI (Associazione bancaria italiana) in Rom erklärte Tremonti: „Das Haushaltsdekret wird für die kommenden vier Jahre verstärkt und wird bis Freitag verabschiedet sein.“ Dann versprach er den anwesenden Bankiers und Industrieellen ein umfassendes Privatisierungsprogramm: „Wenn die Krise vorbei ist, müssen wir sicherlich einen Privatisierungsprozess einleiten.“ Man werde die Gemeinden dazu bringen, „ihr Vermögen zu verkaufen“, zu welchem Zweck der Stabilitätspakt „einen Mechanismus von Anreizen“ schaffen werde. „Natürlich braucht es jemanden, der kauft; man kann schließlich nicht unabhängig vom Markt privatisieren.“ Nach Angaben der römischen Zeitung La Republica ist geplant, Beteiligungen am Öl- und Gaskonern Eni, dem Energieunternehmen Enel sowie dem Rüstungskonzern Finmeccanica zu verkaufen. Der italienische Staat ist Haupteigner der drei Firmen. Und gestützt auf die von der Opposition versprochene Zusammenarbeit verkündete Tremonti den versammelten Bankenvertretern: „Wir geben den Märkten ein starkes Signal. Und wissen Sie, worin das besteht? In der Tatsache, dass die Manovra (Massnahme) hieb- und stichfest gemacht wird und vom Parlament innerhalb einer Woche bestätigt wird. Das hat es in der Geschichte Italiens noch niemals gegeben.“

Die italienischen Industriellen begrüßen Tremontis Pläne. „Die Märkte werden begreifen, daß wir nicht Griechenland sind und daß wir unsere Bilanzen ernsthaft in Ordnung bringen wollen“, kommentierte die Präsidentin des Industriellenverbandes Confindustria, Emma Marcegaglia die Tochter einer italienischen Stahlbaronfamilie und mit Blick auf Opposition und Gewerkschaften: „Wir müssen die Manovra beschließen, und dazu brauchen wir einen großen, politischen und sozialen Zusammenhalt.“

Vor zwei Wochen haben sich alle drei großen Gewerkschaften – CGIL, CISL und UIL – mit dem Unternehmerverband getroffen, um jeglichen Zwist zwischen Unternehmern und Gewerkschaften beizulegen. Am 28. Juni unterzeichneten sie in Rom einen nationalen Pakt für Arbeit, der einen Streikverzicht beinhaltet.

Das Modell zu dem Vertrag lieferten die jüngsten Hausverträge bei Fiat. Sie setzen den nationalen Arbeitsvertrag außer Kraft, beinhalten massive Mehrarbeit und hebeln grundlegende Rechte wie das Streikrecht aus, sowie auch das Recht der Arbeiter, die eigenen Vertreter zu wählen. Dies sollen also künftig die Bedingungen für alle Arbeiter in der Privatwirtschaft sein, und der öffentliche Dienst wird sicher auch bald nachziehen.

Auch die CGIL, die größte Gewerkschaft, die früher als KPI-nahe galt, hat den Burgfrieden-Pakt unterschrieben. Am Abend der Unterzeichnung eilte Wirtschaftsminister Tremonti hinzu und bedankte sich ausdrücklich bei den Gewerkschaftsführern: „Danke Raffaele Bonanni [CISL-Vorsitzender], Luigi Angeletti [UIL-Vorsitzender], Susanna Camusso und Emma Marcegaglia. Danke für das, was ihr im Interesse unseres Landes zustande gebracht habt.“ CGIL-Chefin Susanna Camusso kommentierte: „Mit diesem Vertrag beginnt eine neue Periode.“