Die rechte Regierung von Silvio
Berlusconi hat jetzt ein drastisches Sparprogramm
beschlossen, das am 7. Juni in Brüssel
der EU vorgestellt werden soll. Den Plänen
des Finanz- und Wirtschaftsministers Giulio
Tremonti zufolge sollen bis zum Jahr 2012 fast
25 Milliarden Euro eingespart werden.
Im öffentlichen Dienst
will die Regierung Berlusconi 400.000 Stellen
streichen. Nur jede fünfte Stelle eines
Staatsbeamten, der in Rente geht, soll wieder
besetzt werden. Die Zahl von bisher 3,3 Millionen
öffentlichen Bediensteten soll so auf 2,9
Millionen reduziert werden. Die Gehälter
der Beamten werden teilweise abgesenkt und dürfen
generell in den nächsten drei Jahren nicht
steigen.
Für Städte, Kommunen
und Regionen werden die Überweisungen aus
Rom drastisch gekürzt. Viele sind in einer
besonders prekären Lage. Wie kürzlich
bekannt wurde, haben über 700 italienische
Städte und Gemeinden versucht, ihre notleidenden
Finanzen mit Hilfe riskanter Derivate aufzubessern,
die sie nun infolge der Finanzkrise abschreiben
müssen.
Die staatlichen Kürzungen
betreffen auch das Rentensystem, das in Italien
in Ermangelung vernünftiger Sozialleistungen
besonders wichtig ist. Noch vor zehn Jahren
war es möglich, nach 35 Versicherungsjahren
im Alter von 57 in Rente zu gehen. Diese Regelung
wurde jedoch schon unter der Regierung Prodi
abgeschafft und das Mindestrentenalter auf 61
Jahre angehoben. Jetzt wird das Renteneintrittsalter
nochmals um ein Jahr auf mindestens 62 Jahre
und bis 2016 schrittweise auf 65 Jahre angehoben.
In Italien grassiert die Altersarmut.
Jetzt schon sind zahlreiche Senioren gezwungen,
mit einer Mindestrente von 500 Euro monatlich
auszukommen. Auch Sozialhilfeempfänger
werden es in Zukunft noch schwieriger haben,
weil die Fürsorgestellen fusioniert und
teilweise geschlossen werden.
Im Gesundheitswesen werden
in den kommenden drei Jahren knapp 160.000 Arbeitsstellen
gestrichen. 12.000 Ärzte mit befristeten
Arbeitsverträgen sollen ihren Arbeitsplatz
verlieren.
Auch die Schulen sind erneut
betroffen. Nachdem vor zwei Jahren bereits über
80.000 Lehrerstellen gestrichen wurden, sollen
nun noch einmal 41.000 Arbeitsplätze an
den staatlichen Schulen wegfallen. Die Schulen
müssen die Hilfslehrer und technischen
und administrativen Hilfskräfte entlassen,
die nur befristete Verträge haben.
Geplant ist auch eine Anhebung
der Mehrwertsteuern, was besonders das Benzin
verteuern wird. Dies wird alle Arbeiter, die
auf ein Auto oder Mofa angewiesen sind, wie
auch Händler und Gewerbetreibende empfindlich
treffen.
Seit Ausbruch der globalen
Finanzkrise 2008 ist die Arbeitslosigkeit von
Monat zu Monat gestiegen. Sie bewegt sich heute
auf dem höchsten Niveau seit 2001, wobei
die Zahl der prekären Arbeitsstellen im
Verhältnis stark wächst. Offiziell
sind laut Statistikbehörde Istat neun Prozent
der Arbeitnehmer ohne Arbeit, wobei das Nord-Süd-Gefälle
starke regionale Unterschiede zeigt. Jugendliche
unter 24 Jahren sind mit 29,5 Prozent Arbeitslosigkeit
besonders stark betroffen, was bedeutet, dass
praktisch jeder Dritte von ihnen keine Arbeit
hat.
Der Kündigungsschutz wird
unterhöhlt, das Streikrecht weiter eingeschränkt.
Im März hat die Regierung Berlusconi einen
Gesetzentwurf eingebracht, der den Kündigungsschutzartikel
18 des Arbeitsgesetzes noch einmal verschlechtert
und es Arbeitern erschwert, ihre Ansprüche
und Rechte vor einem Arbeitsgericht einzufordern.
Sie müssen sich stattdessen zuerst an "Versöhnungs-
und Schiedsstellen" wenden, die in erster
Linie verpflichtet sind, den Arbeitsfrieden
zu wahren.
Um den Widerstand gegen das
staatliche "Finanzmanöver" (manovra
finanziaria) so gering wie möglich zu halten,
behauptet die Regierung Berlusconi, die Kürzungen
würden "sozial ausgewogen" erfolgen.
So sollen zum Beispiel die Spitzengehälter
um fünf Prozent reduziert werden, wenn
sie über 90.000 Euro, und um zehn Prozent,
wenn sie über 150.000 Euro im Jahr betragen.
Auch hat die Regierung eine strengere Verfolgung
von Steuerhinterziehern versprochen.
Solche Ankündigungen sind
durchsichtige Manöver, um die öffentliche
Empörung zu beschwichtigen. Sie sollen
signalisieren, dass hier auch Reiche und Spekulanten,
die die Krise verschuldet haben, zur Kasse gebeten
würden. In Wirklichkeit greift die italienische
Regierung die Arbeiterklasse in der gleichen
drakonischen Weise an wie in Griechenland, Irland
oder Spanien. Um die Profite der Banken und
Spekulanten zu verteidigen, wird bei der arbeitenden
Bevölkerung gekürzt.
Wachsende
soziale Proteste
Seit die Sparpläne der
Regierung auf dem Tisch sind, kommt es zu empörten
Protesten. Schon am 28. Mai, als das neue Sparprogramm
bekannt wurde, gab im ganzen Land Proteste vor
den Toren der Präfekturen, der Bank von
Italien und regionaler Bankfilialen.
Am 1. Juni beschlossen die
Richter des Rechnungshofes einstimmig, in den
Streik zu treten. Sie protestieren gegen die
finanziellen Einschnitte im Justizsystem, die
vor allem die Gehälter der jüngeren
Justizbeamten betreffen. Die Ärzte wollen
ebenfalls streiken und sich dagegen wehren,
dass auf ihre Kosten schon beschlossene Vertragserhöhungen
in Höhe von 1,7 Milliarden Euro wieder
gestrichen werden.
Auch die Lehrer und technischen
Hilfskräfte an den Schulen sind kampfbereit.
Am 3. und 4. Juni haben Schüler, Studenten,
Lehrer und Eltern lokale Büros der Schulbehörde
in allen Landesteilen symbolisch besetzt, um
gegen das Sparpaket zu protestieren und die
Weiterbeschäftigung der befristeten Lehrkräfte
zu fordern. Vor zwei Jahren legte ein Generalstreik
gegen die Bildungsreform der Ministerin Gelmini
das Schulsystem wochenlang lahm.
Am 12. Juni soll eine nationale
Demonstration der größten Gewerkschaft
CGIL, die fünf Millionen Mitglieder zählt,
in Rom einen vorläufigen Höhepunkt
bilden. Die alternativen Gewerkschaften COBAS
rufen schon für diesen Samstag, den 5.
Juni, zu einer nationalen Kundgebung in Rom
auf.
Die Gewerkschaften sind offensichtlich
bemüht, die Proteste in Einzelaktionen
aufzusplittern, um sie unter Kontrolle zu halten.
Einen vierstündigen Generalstreik hat die
CGIL erst für den 25. Juni angesetzt. Er
soll laut Gewerkschaftschef Guglielmo Epifani
"Druck auf die Regierung ausüben,
damit dieses ungerechte Sparprogramm geändert
wird".
Auf dem nationalen CGIL-Kongress
Anfang Mai hielt Epifani eine Rede über
die "Tragödie von Griechenland"
und den "Angriff auf den Euro", in
der er den europäischen Politikern Vorschläge
machte, wie sie die Krise besser handhaben könnten.
Zur Rettung des Euro schlug er zum Beispiel
einen europäischen Währungsfonds und
eine eigene europäische Rating-Agentur
vor.
Bruch
mit den Gewerkschaften
Ein konsequenter Kampf gegen
das Spardiktat erfordert einen radikalen Bruch
mit den Gewerkschaften und all ihren kleinbürgerlichen
Verteidigern unter den Ex-Linken. Allen Parteien,
die sich zur "Linken" oder zur "äußeren
Linken" zählen, sind zwei wesentliche
Charakterzüge gemeinsam, die sie zu nützlichen
Hilfstruppen der Bourgeoisie stempeln.
Erstens verlangen sie alle,
dass der soziale Kampf von den Gewerkschaften
geführt werden müsse - gerade in dem
Moment, in dem die Arbeiter beginnen, sich von
den alten bürokratischen Apparaten zu lösen.
Zweitens konzentrieren sie ihr Feuer ausschließlich
auf die verhasste Berlusconi-Regierung und sind,
um diese loszuwerden, auch bereit, dem "Mitte-Links"-Lager
zu einer neuen Regierungsmehrheit zu verhelfen.
Nun ist zwar Berlusconi ein
besonders verkommener und korrupter bürgerlicher
Regierungschef, der noch dazu in gefährlicher
Weise nationale Gegensätze und Rassismus
schürt, um von den sozialen Spannungen
abzulenken.
Doch selbst wenn Berlusconi
von einer neuen Regierung unter Führung
der Demokratischen Partei (DP) abgelöst
würde, wäre dies keineswegs das Ende
des sozialen Kahlschlags - im Gegenteil. Das
hat in Italien die Regierung Prodi bewiesen,
die mit ihrer Sparpolitik Berlusconi den Weg
zurück an die Macht bahnte. Und heute beweisen
es die sozialdemokratischen Regierungen von
Papandreou in Griechenland, Zapatero in Spanien
oder Sókrates in Portugal, die in ihrem
Land eine brutale Sparorgie durchsetzen.