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Italien am Vorabend neuer Klassenkämpfe

Sparprogramm der Regierung Berlusconi

Von Marianne Arens - 5. Juni 2010 - von wsws


Was die Gesamtverschuldung betrifft, kann sich Italien durchaus mit Griechenland messen. Die italienische Staatsverschuldung, die vor zwei Jahren bei 106 Prozent des Bruttoinlandsprodukts lag, ist Ende 2009 auf 118 Prozent geklettert, während die Steuereinnahmen durch die Krise ständig sinken.

Die rechte Regierung von Silvio Berlusconi hat jetzt ein drastisches Sparprogramm beschlossen, das am 7. Juni in Brüssel der EU vorgestellt werden soll. Den Plänen des Finanz- und Wirtschaftsministers Giulio Tremonti zufolge sollen bis zum Jahr 2012 fast 25 Milliarden Euro eingespart werden.

Im öffentlichen Dienst will die Regierung Berlusconi 400.000 Stellen streichen. Nur jede fünfte Stelle eines Staatsbeamten, der in Rente geht, soll wieder besetzt werden. Die Zahl von bisher 3,3 Millionen öffentlichen Bediensteten soll so auf 2,9 Millionen reduziert werden. Die Gehälter der Beamten werden teilweise abgesenkt und dürfen generell in den nächsten drei Jahren nicht steigen.

Für Städte, Kommunen und Regionen werden die Überweisungen aus Rom drastisch gekürzt. Viele sind in einer besonders prekären Lage. Wie kürzlich bekannt wurde, haben über 700 italienische Städte und Gemeinden versucht, ihre notleidenden Finanzen mit Hilfe riskanter Derivate aufzubessern, die sie nun infolge der Finanzkrise abschreiben müssen.

Die staatlichen Kürzungen betreffen auch das Rentensystem, das in Italien in Ermangelung vernünftiger Sozialleistungen besonders wichtig ist. Noch vor zehn Jahren war es möglich, nach 35 Versicherungsjahren im Alter von 57 in Rente zu gehen. Diese Regelung wurde jedoch schon unter der Regierung Prodi abgeschafft und das Mindestrentenalter auf 61 Jahre angehoben. Jetzt wird das Renteneintrittsalter nochmals um ein Jahr auf mindestens 62 Jahre und bis 2016 schrittweise auf 65 Jahre angehoben.

In Italien grassiert die Altersarmut. Jetzt schon sind zahlreiche Senioren gezwungen, mit einer Mindestrente von 500 Euro monatlich auszukommen. Auch Sozialhilfeempfänger werden es in Zukunft noch schwieriger haben, weil die Fürsorgestellen fusioniert und teilweise geschlossen werden.

Im Gesundheitswesen werden in den kommenden drei Jahren knapp 160.000 Arbeitsstellen gestrichen. 12.000 Ärzte mit befristeten Arbeitsverträgen sollen ihren Arbeitsplatz verlieren.

Auch die Schulen sind erneut betroffen. Nachdem vor zwei Jahren bereits über 80.000 Lehrerstellen gestrichen wurden, sollen nun noch einmal 41.000 Arbeitsplätze an den staatlichen Schulen wegfallen. Die Schulen müssen die Hilfslehrer und technischen und administrativen Hilfskräfte entlassen, die nur befristete Verträge haben.

Geplant ist auch eine Anhebung der Mehrwertsteuern, was besonders das Benzin verteuern wird. Dies wird alle Arbeiter, die auf ein Auto oder Mofa angewiesen sind, wie auch Händler und Gewerbetreibende empfindlich treffen.

Seit Ausbruch der globalen Finanzkrise 2008 ist die Arbeitslosigkeit von Monat zu Monat gestiegen. Sie bewegt sich heute auf dem höchsten Niveau seit 2001, wobei die Zahl der prekären Arbeitsstellen im Verhältnis stark wächst. Offiziell sind laut Statistikbehörde Istat neun Prozent der Arbeitnehmer ohne Arbeit, wobei das Nord-Süd-Gefälle starke regionale Unterschiede zeigt. Jugendliche unter 24 Jahren sind mit 29,5 Prozent Arbeitslosigkeit besonders stark betroffen, was bedeutet, dass praktisch jeder Dritte von ihnen keine Arbeit hat.

Der Kündigungsschutz wird unterhöhlt, das Streikrecht weiter eingeschränkt. Im März hat die Regierung Berlusconi einen Gesetzentwurf eingebracht, der den Kündigungsschutzartikel 18 des Arbeitsgesetzes noch einmal verschlechtert und es Arbeitern erschwert, ihre Ansprüche und Rechte vor einem Arbeitsgericht einzufordern. Sie müssen sich stattdessen zuerst an "Versöhnungs- und Schiedsstellen" wenden, die in erster Linie verpflichtet sind, den Arbeitsfrieden zu wahren.

Um den Widerstand gegen das staatliche "Finanzmanöver" (manovra finanziaria) so gering wie möglich zu halten, behauptet die Regierung Berlusconi, die Kürzungen würden "sozial ausgewogen" erfolgen. So sollen zum Beispiel die Spitzengehälter um fünf Prozent reduziert werden, wenn sie über 90.000 Euro, und um zehn Prozent, wenn sie über 150.000 Euro im Jahr betragen. Auch hat die Regierung eine strengere Verfolgung von Steuerhinterziehern versprochen.

Solche Ankündigungen sind durchsichtige Manöver, um die öffentliche Empörung zu beschwichtigen. Sie sollen signalisieren, dass hier auch Reiche und Spekulanten, die die Krise verschuldet haben, zur Kasse gebeten würden. In Wirklichkeit greift die italienische Regierung die Arbeiterklasse in der gleichen drakonischen Weise an wie in Griechenland, Irland oder Spanien. Um die Profite der Banken und Spekulanten zu verteidigen, wird bei der arbeitenden Bevölkerung gekürzt.

Wachsende soziale Proteste

Seit die Sparpläne der Regierung auf dem Tisch sind, kommt es zu empörten Protesten. Schon am 28. Mai, als das neue Sparprogramm bekannt wurde, gab im ganzen Land Proteste vor den Toren der Präfekturen, der Bank von Italien und regionaler Bankfilialen.

Am 1. Juni beschlossen die Richter des Rechnungshofes einstimmig, in den Streik zu treten. Sie protestieren gegen die finanziellen Einschnitte im Justizsystem, die vor allem die Gehälter der jüngeren Justizbeamten betreffen. Die Ärzte wollen ebenfalls streiken und sich dagegen wehren, dass auf ihre Kosten schon beschlossene Vertragserhöhungen in Höhe von 1,7 Milliarden Euro wieder gestrichen werden.

Auch die Lehrer und technischen Hilfskräfte an den Schulen sind kampfbereit. Am 3. und 4. Juni haben Schüler, Studenten, Lehrer und Eltern lokale Büros der Schulbehörde in allen Landesteilen symbolisch besetzt, um gegen das Sparpaket zu protestieren und die Weiterbeschäftigung der befristeten Lehrkräfte zu fordern. Vor zwei Jahren legte ein Generalstreik gegen die Bildungsreform der Ministerin Gelmini das Schulsystem wochenlang lahm.

Am 12. Juni soll eine nationale Demonstration der größten Gewerkschaft CGIL, die fünf Millionen Mitglieder zählt, in Rom einen vorläufigen Höhepunkt bilden. Die alternativen Gewerkschaften COBAS rufen schon für diesen Samstag, den 5. Juni, zu einer nationalen Kundgebung in Rom auf.

Die Gewerkschaften sind offensichtlich bemüht, die Proteste in Einzelaktionen aufzusplittern, um sie unter Kontrolle zu halten. Einen vierstündigen Generalstreik hat die CGIL erst für den 25. Juni angesetzt. Er soll laut Gewerkschaftschef Guglielmo Epifani "Druck auf die Regierung ausüben, damit dieses ungerechte Sparprogramm geändert wird".

Auf dem nationalen CGIL-Kongress Anfang Mai hielt Epifani eine Rede über die "Tragödie von Griechenland" und den "Angriff auf den Euro", in der er den europäischen Politikern Vorschläge machte, wie sie die Krise besser handhaben könnten. Zur Rettung des Euro schlug er zum Beispiel einen europäischen Währungsfonds und eine eigene europäische Rating-Agentur vor.

Bruch mit den Gewerkschaften

Ein konsequenter Kampf gegen das Spardiktat erfordert einen radikalen Bruch mit den Gewerkschaften und all ihren kleinbürgerlichen Verteidigern unter den Ex-Linken. Allen Parteien, die sich zur "Linken" oder zur "äußeren Linken" zählen, sind zwei wesentliche Charakterzüge gemeinsam, die sie zu nützlichen Hilfstruppen der Bourgeoisie stempeln.

Erstens verlangen sie alle, dass der soziale Kampf von den Gewerkschaften geführt werden müsse - gerade in dem Moment, in dem die Arbeiter beginnen, sich von den alten bürokratischen Apparaten zu lösen. Zweitens konzentrieren sie ihr Feuer ausschließlich auf die verhasste Berlusconi-Regierung und sind, um diese loszuwerden, auch bereit, dem "Mitte-Links"-Lager zu einer neuen Regierungsmehrheit zu verhelfen.

Nun ist zwar Berlusconi ein besonders verkommener und korrupter bürgerlicher Regierungschef, der noch dazu in gefährlicher Weise nationale Gegensätze und Rassismus schürt, um von den sozialen Spannungen abzulenken.

Doch selbst wenn Berlusconi von einer neuen Regierung unter Führung der Demokratischen Partei (DP) abgelöst würde, wäre dies keineswegs das Ende des sozialen Kahlschlags - im Gegenteil. Das hat in Italien die Regierung Prodi bewiesen, die mit ihrer Sparpolitik Berlusconi den Weg zurück an die Macht bahnte. Und heute beweisen es die sozialdemokratischen Regierungen von Papandreou in Griechenland, Zapatero in Spanien oder Sókrates in Portugal, die in ihrem Land eine brutale Sparorgie durchsetzen.