DAS
WIEDERERSTARKEN DER RECHTEN
Berlusconis Rückkehr an
die Regierung war begleitet von einer recht
inhaltsleeren Wahlkampagne, die v. a. auf die
Unglaubwürdigkeit und das Scheitern der
Regierung Prodi und seiner Bündnispartner
abzielte. Seinen Wahlsieg verdankt er überwiegend
der politischen Dürftigkeit von Unione
und PD-Führung, den politischen Abwegen
von Bertinotti und der PRCLeitung und der relativen
Schwäche der Massenbewegungen.
Zum Teil jedoch verdankt sich
der Wahlsieg Berlusconis eigener Stärke
und insofern – und weil sich die Rechte
dessen durchaus bewusst ist – steht uns
voraussichtlich eine lange Regentschaft der
Rechten ins Haus, die so stabil ist wie weiland
unter der alten DC. Das ungewohnte Auftreten
von Berlusconi – gemäßigt und
dialogbereit gegenüber der Opposition:
gleich nach der Vertrauensabstimmung im Parlament
traf sich Berlusconi mit Veltroni, dem Führer
der PD – erklärt sich auch aus dieser
Position der Stärke. Immerhin hat die Rechte
insgesamt eine Million Stimmen gegenüber
2006 hinzugewonnen. Diese Position nutzt Berlusconi,
um die ohnehin äußerst kooperative
Opposition ruhig zu stellen. Zudem geriert sich
der Regierungschef nicht mehr ausschließlich
als Haudrauf-Politiker, sondern versucht sich
als Staatsmann zu profilieren,
der in die Geschichte des Landes eingehen will.
Berlusconis
Stärke und Verdienst liegen darin, dass
er durch die Neubegründung des Mitte-Rechts-Bündnisses
eine neue und enge Beziehung zu einer sozialen
Basis geschaffen hat, die er noch weiter festigen
will. Die Allianz besteht aus Popolo della Libertà
(PdL) – einer neuen Partei aus dem Zusammenschluss
von Forza Italia und Alleanza Nazionale (Ex-Faschisten)
–, der Lega Bossis im Norden (8,3 % der
Stimmen) und Movimento per l’autonomia
im Süden, einer regionalen Formation, die
in Sizilien an der Regierung ist. Deren politische
Ziele sind eher diffus, zum Teil durchaus populär
und in der Abeiterschaft präsent, jedoch
mit einer reaktionären kulturellen und
mitunter fremdenfeindlichen Orientierung durchsetzt.
GEGEN
DIE GLOBALISIERUNG
Die
italienische Rechte profiliert sich in eine
Richtung, die man mit einem eher beunruhigenden
Wortspiel als „national-sozial“
bezeichnen könnte. Das Wirtschaftsprogramm,
das v. a. vom neuen Finanzminister Giulio Tremonti
ausgearbeitet wurde – dessen jüngstes
Buch: „Furcht und Hoffnung“ zum
Beststeller avanciert –, hat zur zentralen
Achse die Kritik an der „Kommerzialisierung“,
d. h. an dem unkontrollierten und gnadenlosen
Marktgeschehen. Dagegen setzt er auf staatliche
Intervention zur Verteidigung der einheimischen
Wirtschaft und Wahrung des Lebensstandards für
die Schwächsten. Tremontis Credo lautet:
„Es lebe der Markt, aber wenn es keinen
Markt gibt, muss der Staat einschreiten.“
Und daraus leitet er eine neue Rolle der Nationalstaaten
im Zeitalter der durchgängigen Globalisierung
ab. Diese Politik, die mitunter als neomerkantilistisch
gilt, appelliert ganz offen an die Ängste,
die die internationale Konkurrenz unter den
einzelnen Arbeitern und Kleinunternehmern hervorruft,
die durch die Flut billiger Importe aus China
in Schrecken versetzt werden und allmählich
die EU für Schwindel halten. Es war kein
Zufall, dass zur Präsentation des Wirtschaftsprogramms
während der Wahlkampagne die Alitalia-Affäre
in den Mittelpunkt gestellt wurde. Auf der einen
Seite war da Prodi, der die EU-Auflagen befolgen
und das Unternehmen an Air France verkaufen
wollte; auf der anderen Seite Berlusconi, gewillt,
die EU-Normen zu umgehen und die Luftfahrtgesellschaft
als „italienisches“ Erbe zu behaupten.
Zur Zeit ist das Ende noch offen, aber sicherlich
ist es kein Zufall, dass der von Berlusconi
designierte EU-Kommissar Antonio Tajani vom
Justiz- ins Transportwesen versetzt worden ist.
Alles in Allem haben wir es mit einem gemäßigten
Neonationalismus zu tun, der einerseits den
Erfordernissen der EU Rechnung tragen will –
denn niemand aus der rechten Mitte will ernsthaft
mit Europa brechen – und der andererseits
an der Rolle der Nationalstaaten festhält
und daher auch von vielen ArbeiterInnen als
Schutzschild empfunden wird. Wohlgemerkt bestanden
die ersten Maßnahmen der neuen Regierung
darin, die Steuer auf den einfachen Immobilienbesitz
abzuschaffen, Überstunden nicht mehr zu
besteuern – was die Bedingungen für
die ArbeiterInnen verschlechtert, aber aktuell
als Mittel zur Mehrung der Kaufkraft wahrgenommen
wird – und zugleich zu verkünden,
dass dieSteuern für die „vergoldeten“
Bezüge der Spitzenmanager, die Banken und
die Erdölindustrie erhöht würden.
Ein wohlkalkulierter populistischer Schachzug,
der sich trefflich fügt in das zweite und
wichtigere Abliegen, das die Rechte umtreibt:
den Kampf gegen illegale Einwanderung und die
zentrale Rolle der inneren Sicherheit.
In
den vergangenen Tagen haben wir unvorstellbare
Bilder gesehen: italienische Bürger, die
Roma-Lager überfallen, Barrikaden anzünden
und Frauen und Kinder jagen. Diese Vorfälle
haben sich in Neapel ereignet und wurden großen
Teils von der Camorra angeheizt. Sie fanden
aber die schweigende Zustimmung der BürgerInnen,
und noch nicht einmal seitens der Regierung
kam ein Wort der Verurteilung. Auch die „demokratische“
Opposition hüllte sich in Schweigen, ebenso
der Vatikan. Dies wirft ein Schlaglicht auf
das herrschende Klima, das auf der Klaviatur
der durch die Wirtschaftskrise entfachten Ängste
spielt und den Identitätsverlust und die
innere Schwäche der Arbeiterbewegung ausnutzt,
welche wiederum sich einmal mehr von dem wohl
unausrottbaren Instinkt zum „Krieg unter
den Armen“ leiten lässt.
Auf
diese Art umgibt sich die Rechte mit einer breiten
Front, die von den Lohnabhängigen über
die KleinunternehmerInnen, die RentnerInnen,
die mittleren Angestellten – denen die
Furcht vor Kriminalität und Einwanderung
im Nacken sitzt, obwohl Italien eine konstante
Abnahme zu verzeichnen hat und die Städte,
namentlich Rom, im europäischen Vergleich
ausgesprochen sicher sind – bis hin zu
weiten Teilen der Jugend reicht, die die Nase
voll von der Linken jedweder Couleur haben.
DAS
DEBAKEL DER LINKEN
Es
gibt einen zweiten Faktor, der ebenso ausschlaggebend
für das Wahlergebnis war wie Berlusconis
Fähigkeit, die gesellschaftliche Dynamik
in Italien korrekt zu erfassen. Die italienische
Linke, zu der wir der Einfachheit halber auch
den Teil der ehemaligen PCI, der heute als PD
firmiert, mit der Linken aber nichts mehr gemein
hat, hinzurechnen, hat sich selbst auf dem Gewissen.
Fünfzehn Jahre nach der Auflösung
der PCI und zweimaliger zwischenzeitlicher Regierungsbeteiligung
ist es ihr nicht gelungen, ihre Strategie umzusetzen.
Sie hat sich politisch isoliert und ihren Einfluss
auf wesentliche Teile der Arbeiterbewegung verloren,
die durch die jahrzehntelange Politik zugunsten
der UnternehmerInnen und des herrschenden Kapitals
verraten und verkauft worden sind.
Die
strategische Öffnung gegenüber der
„Mitte“ und die neoliberale Wende,
die die italienische DS unter Umgehung der sozialdemokratischen
Zwischenphase in direkte Richtung auf den „Dritten
Weg“ nach dem Vorbild von Blair und Clinton
vollzogen hat, mündete schlussendlich in
eine Partei – die PD – die nur noch
33 % der Wähler hinter sich bringt, obwohl
sie das Gros der ehemaligen PCI und DC mitgenommen
haben. Allen glaubwürdigen Untersuchungen
zufolge ist die Anhängerschaft der „Mitte“
noch weiter nach rechts gerückt –
direkt zu Berlusconis PdL oder Casinis UDC,
der mit Berlusconi ehemals verbündeten
und mit 5,9 % aktuell zweitstärksten Oppositionspartei,
während von links gerade 2–3 % zur
PD gewandert sind. Mit der Entscheidung, den
krisengeschüttelten italienischen Kapitalismus,
der sich auf die traditionell eher rechten Mittel-
und Kleinunternehmer stützt, direkt umhegen
und repräsentieren zu wollen, hat sie den
Rechten Vorschub geleistet, die ja letztlich
die Interessen der italienischen Bourgeoisie
glaubwürdiger vertreten. Die PD hat sich
dadurch gegenüber potentiellen Verbündeten
isoliert und um jede Chance bei der Wahl gebracht.
Wieder einmal steht den Nachfolgern der PCI
eine Durststrecke bevor, obwohl ein Teil der
italienischen Bourgeoisie ihnen massive Schützenhilfe
geleistet hat.
Die
strategische Hinwendung der PD zum Neoliberalismus
hat mehr der Rechten geholfen, indem diese sich
zum Vertreter von Volkes Stimme aufschwingen
und dessen – sicherlich auch rückschrittliche
– Interessen artikulieren konnte, während
der PD die undankbare Rolle zukam, die Bankenkrise
auszubaden (alle italienischen Banker von Rang
sind in irgendeiner Weise mit der PD verbandelt),
sich offen für Fiat und den Unternehmerverband
stark zu machen und die Öffentlichen Dienste
abzubauen. Diese Politik und die Verflechtung
mit den italienischen Konzernen führen
zwangsläufig dazu, dass das einfache Volk
bei den Wahlen nach rechts rückt, wie die
Erfolge der Lega zeigen, zumal die Mitte-Links-Regierung
davor keinerlei taktische Fehltritte ausgelassen
hat. Von ihr ging keine Maßnahme oder
auch nur symbolische Reform zur Sanierung der
prekären sozialen Verhältnisse aus;
Veltroni leistete Berlusconi noch Schützenhilfe,
als dieser politisch in der Bredouille steckte;
interne Grabenkämpfe ohne Rücksicht
auf Verluste; Ignoranz gegenüber brisanten
Themen von großem öffentlichen Interesse:
Privilegien der Parlamentarier, „vergoldete“
Bezüge und Verschwendung öffentlicher
Gelder.
Die
linke Mitte hat lediglich versucht, sich als
Bollwerk gegen die Rechte zu profilieren, ohne
dabei sozialen Rückhalt zu suchen oder
Ideale zu vermitteln. Damit hat sie letztlich
der Rechten den Boden bereitet.
In
diesem Zusammenhang erwiesen sich die Entscheidungen
der klassenkämpferischen Linken, namentlich
Rifondazione, als desaströs. Die Wahlen
bedeuten für die PRC das unmissverständliche
Aus, das wir von Sinistra Critica übrigens
bereits im Vorjahr prognostiziert haben, als
wir unseren Austritt aus der Partei und die
Gründung unserer eigenen politischen Bewegung
erklärten. Verschiedene Umstände sind
für dieses Scheitern bezeichnend: das Unvermögen,
die historische Aufgabe der PRC, nämlich
eine kommunistische und klassenkämpferische
Alternative zur PD zu begründen, konsequent
zu betreiben; eine verkrustete und auf die Teilhabe
an politischen Ämtern fixierte Führungsschicht,
was zu Karrierismus und Machtstreben geführt
hat; Arroganz und Narzissmus der Leitungsriege
mit Bertinotti an der Spitze, die nur noch nach
der Macht schielt. Letztlich war aber auch hier
ein strategischer Irrtum ausschlaggebend, nämlich
die Idee, dass man eine kommunistische und klassenkämpferische
Kraft im Bündnis mit dem italienischen
Kapitalismus aufbauen könne. Bertinotti
nannte diese Option „Dynamischen Kompromiss“,
eine pittoreske Variante des „historischen
Kompromisses“, der ebenfalls à
la longue an der Zersetzung der involvierten
Parteien zugrunde gegangen ist.
Rifondazione
hat während ihrer Regierungsbeteiligung
alles falsch gemacht: für den Krieg votiert;
erst eine Großkundgebung gegen Prekarität
organisiert, um dann eine Regierungsmaßnahme
abzusegnen, gegen die sie gerade auf die Straße
gegangen war; Turigliatto ausgeschlossen, um
zu beweisen, dass sie noch päpstlicher
als der Papst ist; den Parlamentsvorsitz übernommen,
um staatsmännische Verantwortung zu zeigen
und mehr Verantwortung auf sich zu nehmen –
Dinge also, die eine linke Wählerschaft
mit einem Klassenstandpunkt ihr nicht nachsehen
kann. Vor allem aber hat sie irrigerweise geglaubt,
dass die Regierungsbeteiligung eine ernsthafte
Strategie wäre, dass die linke Mitte Italiens
empfänglich für die Anliegen der sozialen
Bewegungen wäre und dass sie strukturell
zu einer „Gesamtreform“ in der Lage
wäre. Wer, wie wir, die Kräfteverhältnisse
zwischen den Klassen richtig interpretiert und
verstanden hat, dass das Abflauen der Kämpfe
in den Betrieben die Realität hinlänglich
widerspiegelt – wie die Tarifabschlüsse
gezeigt haben –, der konnte rechtzeitig
auf diese Fehler aufmerksam werden.
Rifondaziones
Abgesang wurde von der Illusion begleitet, zwei
Gegensätze – Regierung und Opposition
– auf einen Nenner bringen zu können.
Es war illusorisch oder gar demagogisch, in
dieser Frage einen Kompromiss finden und den
Wiederaufbau einer kommunistischen Organisation
im Gewand der Sozialdemokratie angehen zu wollen.
Wahlerfolge mussten als Ersatz für fehlende
soziale Verankerung herhalten, die in den vergangenen
15 Jahren von der Partei hinten angestellt worden
war zugunsten irgendwelcher Wahlpöstchen.
Insofern
stehen wir heute vor einer Situation, die von
allgemeiner Demoralisierung und erheblich geschwundenem
Engagement der Aktiven gekennzeichnet ist. Bezeichnend
sind auch die unmittelbaren Reaktionen der Hauptverantwortlichen
für diese Misere. Für den kommenden
Parteikongress steht Rifondazione ein Kräftemessen
ins Haus zwischen den Anhängern Bertinottis,
die Rifondazione ad acta legen wollen und eine
„Regenbogenlinke“ als potentiellen
Bündnispartner für die PD anstreben,
und den aus der früheren Democrazia Proletaria
und dem Lager Cossuttas stammenden Mitgliedern,
die die PRC als Organisation beibehalten wollen,
ohne freilich über eine strategische Perspektive
zu verfügen. Folgerichtig geht es in dem
Rechenschafts-bericht der Parteiführung
auch um Emblem und Kasse der Partei.
Gleichzeitig
kommt aus den Reihen der PDCI, der von Cossutta
nach Bertinottis Ausstieg aus der ersten Regierung
gegründeten und inzwischen von Diliberto
geführten Formation, der gleichlautende
Vorschlag: „Einheit aller Kommunisten!“.
Auch hier beschränkt sich die politische
Strategie auf das Schwenken der Roten Fahne
und das Hochhalten der Embleme. Und immer wieder
tritt die gleiche alte Riege auf, die die Parteigeschichte
der vergangenen 15 Jahre und das heutige Schlamassel
zu verantworten haben. Die parteiinterne Opposition
gegen Bertinotti wird ausgerechnet vom einzigen
Regierungsminister von Rifondazione geführt,
der sich jetzt zum Widersacher Bertinottis aufschwingt.
Mitverantwortlich
für den Niedergang ist auch das Abflauen
der sozialen Kämpfe – mit Ausnahme
der Umweltbewegung – und das rasche Einschwenken
der großen Gewerkschaften (CGIL, CISL
und UIL) auf den Sozialpartnerschaftskurs der
PD. Die Gewerkschaften haben den sozialen Kompromiss
derart verinnerlicht, dass sie auch vor der
neuen Regierung nicht haltmachen und jedem Konflikt
aus dem Weg gehen. Damit zeichnet sich erneut
eine konzertierte Aktion zwischen Regierung,
Gewerkschaften und Unternehmerverband zu Lasten
eines Flächentarifvertrags und zugunsten
einzelbetrieblicher Vereinbarungen ab, was eine
Ankoppelung der Lohnerhöhungen an die Produktivitätssteigerung
zur Folge hat. Durch diese bisher den Mitte-Links-Regierungen
vorbehaltene Herangehensweise wird die Regierung
Berlusconi dauerhaft aufgewertet – waren
ihr in der Vergangenheit doch immer harte Auseinandersetzungen
mit der Arbeiterschaft beschieden.
Allerdings
lehnt sich die wichtigste Einzelgewerkschaft
– der Metallerverband FIOM – gegen
diesen Kurs auf. Zugleich streben die Basisgewerkschaften
erstmals in ihrer Geschichte eine Einheitsplattform
und ein gemeinsames Vorgehen an.
DIE
ALTERNATIVE LINKE
Auf
derlei Ansätze zur Gegenwehr stützt
sich die klassenkämpferische und antikapitalistische
Linke.
Sinistra
Critica ist zu den Wahlen angetreten, obwohl
sie erst seit drei Monaten als selbstständige
Formation existiert. Der Austritt aus Rifondazione
war das Ergebnis einer einjährigen Grundsatzdiskussion
auf breiter Ebene. Die Entscheidung zur Kandidatur
fiel erst 50 Tage vor den Wahlen, und zwei Tage
danach wurde am 19. Februar das Wahlprogramm
vorgestellt. Dieses zügige Vorgehen war
nurmöglich, weil der breite Führungskader
der Organisation untereinander einig war und
alle Mitglieder an einem Strang zogen. Das vorrangige
Ziel war nicht, aus dem Stegreif eine Alternative
zu der für uns schon vor den Wahlen erkennbaren
Krise von Rifondazione und der Regierungslinken
aus dem Hut zu zaubern, als vielmehr zu zeigen,
dass es eine lebensfähige Alternative gibt,
die über feste Prinzipien und einen aufgeschlossenen
Führungskader verfügt. Unsere Mitglieder
sind in diversen Städten und den wichtigsten
Konfliktschauplätzen aktiv, und unter allen
Organisationen der italienischen radikalen Linken
verfügen wir über das größte
Potential in der Jugend. Unser Wahlziel haben
wir erreicht und können daher mit den 0,5
%, d. h. 170 000 Wählern zufrieden sein.
Sicherlich repräsentieren wir damit keine
ausreichende Alternative zur PRC, aber es verleiht
uns eine Existenzberechtigung und trägt
zur Stärkung und zum Aufbau einer neuen
klassenkämpferischen und antikapitalistischen
Linken bei.1 Während des Wahlkampfs konnten
wir die Zahl unserer aktiven Ortsgruppen fast
verdoppeln, und die Wahlanalyse zeigt, dass
überall, wo Sinistra Critica mit einer
organisierten Aktivität vor Ort vertreten
ist, mehr als 1 % (und bis zu 3 %) erzielt werden
konnten.
Das
Gesamtergebnis der antikapitalistischen und
klassenkämpferischen Linken liegt noch
höher, wenn man die Stimmen der PCL von
Marco Ferrando dazu zählt. Die heutige
PCL zählte schon in der PRC zur Opposition,
bis sie sich dann ein Jahr vor Sinistra Critica
als Partei gründete. Ihr Schwerpunkt liegt
auf der Propagandaarbeit, v. a. im Fernsehen,
und ihr Wahlergebnis (0,6 % oder 200 000 Stimmen)
verdankt sich auch dem ausdrücklichen Bezug
auf den „Kommunismus“. Dieser Anspruch
spiegelt sowohl ihre Stärken als auch ihre
Grenzen wider. Sie verfügt über eine
sehr geschlossene Struktur, neigt zur Selbstdarstellung
und hält sich faktisch von den Alltagskonflikten
fern. Es ist auch kein Zufall, dass sie den
Vorschlag von Sinistra Critica für ein
Wahlabkommen abgelehnt und es statt dessen vorgezogen
hat, sich als unabhängige Kraft 1 Siehe
hierzu auch den Beitrag „Elf Punkte für
eine neue antikapitalistische Klassenlinke „
in dieser Ausgabe der Inprekorr aufzubauen und
im Wahlkampf eine „männliche, erwachsene
Arbeiterklientel“ zu bedienen, die von
den historischen Parteien der Linken frustriert
ist und ihren Protest in irgendeiner –
auch symbolischen oder ohnmächtigen –
Weise zum Ausdruck bringen will. Bezeichnend
ist daher auch der relative Wahlerfolg in einstigen
PCIund später PRC- oder PDCI-Hochburgen.
La Repubblica hat in einer Wahlanalyse die Wählerwanderungen
von Sinistra Critica und PCL aufgeschlüsselt.
Danach kommen die Stimmen der PCL vorwiegend
von ehemaligen PDCI-Wählern und nur zum
geringen Teil von der PRC oder den Grünen.
Die Stimmen von Sinistra Critica hingegen stammen
v. a. von ehemaligen Wähler der PRC, aber
auch der PDCI und der Grünen. Das Gros
ihrer Wähler ist weiblich und jung und
ist an exponierter Stelle in den Gewerkschaften
oder Bewegungen aktiv. Es sind AktivistInnen,
die – statt zu resignieren – demonstrativ
an ihrem Engagement auf Seiten der Linken festhalten
und gegen den Anpassungskurs der beiden an der
Regierung beteiligten kommunistischen Organisationen
protestieren wollen.
DIE
OPPOSITIONELLEN SOZIAL FOREN
Woran können wir also anknüpfen, wenn
wir eine neue Organisation aufbauen wollen?
Starre Organisationsschemata helfen dabei nicht
weiter, die erlittene Niederlage zu überwinden.
Der Aufbau einer neuen klassenkämpferischen
Linken muss von Grund auf und ohne die alten
Führungscliquen erfolgen. Wir brauchen
eine konkrete Praxis, um eine breite und wirkliche
soziale Opposition aufbauen zu können,
die sich nicht auf oberflächliche Propaganda
beschränkt, sondern langfristig und tiefenwirksam
angelegt ist. Natürlich sind dabei auch
Protestkundgebungen gegen die in Italien aufkommenden
obskurantistischen und fremdenfeindlichen Tendenzen
nützlich. Aber in erster Linie müssen
wir eine solide gesellschaftliche Verankerung
herstellen und ein politisches Programm entwickeln,
das auf die umfassende Krise der westlichen
kapitalistischen Gesellschaften eine angemessene
Antwort liefert.
Die
Lösung des Problems kann nicht nach einem
altbekannten politischen Muster oder durch übereilte
organisatorische Zusammen-schlüsse erfolgen.
Die von uns als Sinistra Critica vorgeschlagene
Vorgehensweise richtet sich an zwei Koordinaten
aus. Einerseits wollen wir an der Umsetzung
unserer politischen Vorstellungen und somit
am Aufbau unserer Organisation festhalten, ohne
uns deswegen als die Partei schlechthin auszurufen
oder einen weiteren konstituierenden Prozess
zu propagieren. Wir müssen uns eine Zentrale
zulegen und ein angemessenes Leitungsbüro,
das nicht von Berufsfunktionären, sondern
von wechselnden Teilzeitkräften geleitet
wird. Für Anfang Juli ist unser erstes
landesweites Fest in Rom geplant. Zugleich wollen
wir eine Vorkonferenzdebatte eröffnen,
um Anfang 2009 unseren ersten ordentlichen Kongress
durchzuführen, der auch Auftakt für
die Europa-wahlkampagne sein soll. Insofern
stehen wir zu unserem Engagement in der EAL
und wollen zu ihrer organisatorischen Stärkung
beitragen.
Die zweite Achse ist sogar noch wichtiger. Es
geht um den Aufbau einer „Einheitsfront“
gegenüber dem Vormarsch der Rechten. Damit
soll eine angemessene soziale Opposition geschaffen
und die soziale Verankerung v. a. in den Betrieben
erzielt werden, um Stützpunkte für
den sozialen Widerstand zu schaffen. Insofern
ist eine neue klassen-kämpferische Gewerkschaft
von entscheidender Bedeutung. Daher müssen
wir an die Kräfte anknüpfen, die in
den letzten Jahren als entschiedene Opposition
auch während der Mitte-Links-Regierung
aufgetreten sind – wie etwa die OrganisatorInnen
der Anti-Bush-Demo am 9. Juni 2007 – und
sich entschlossen auf die Seite des modernen
Proletariats und dessen Bedürfnisse und
Anliegen gestellt haben. Die Inhalte werden
hierbei von der kapitalistischen Offensive in
Europa vorgegeben: Widerstand der ArbeiterInnen,
Verteidigung der Öffentlichen Dienstleistungen,
Antirassismus, Ökologie. Diese Themen müssen
europaweit angegangen werden, und vielleicht
wird dann zu einer Zeit, in der die soziale
Lage in Italien düster und bedrohlich erscheint,
auch manchen EuroskeptikerInnen klar, dass eine
klassenkämpferische Bewegung nur über
die Landesgrenzen hinaus wirksam sein kann.
Daher
treten wir für die Bildung von oppositionellen
Sozialforen ein, die sich untereinander über
Inhalte und Strategie einer antikapitalistischen
Linken verständigen, wobei es einen gemeinsamen
Eckpfeiler geben muss: keine Beteiligung an
einer kapitalistischen Regierung, sondern Sturz
des Kapitalismus. Dafür steht uns eine
langwierige und geduldige, aber hartnäckige
und entschlossene Arbeit bevor. Die Gründung
von Sinistra Critica erfolgt zum Zeitpunkt einer
historischen Niederlage und kann sich anrechnen,
die Energien einiger Tausend AktivistInnen aufgefangen
und für die vor uns liegende Zeit nutzbar
gemacht zu haben. Die Umstände unserer
Entstehung haben wir uns nicht ausgesucht. Aber
jetzt, wo wir da sind, stellen wir uns entschlossen
den anstehenden Aufgaben.
Übersetzung
aus dem Italienischen: MiWe |