Seit
dem Schock der Präsidentschaftswahlen in
Frankreich versucht die herrschende Meinung,
die Position der radikalen Linken, die beim
ersten Wahlgang insgesamt über 11% der
Stimmen erhalten haben, zu diskreditieren und
als reine Protestbewegung mit Le Pen auf eine
Stufe zu stellen. Gegen solche Konstruktionen
muss sie sich verwahren und klar herausstellen,
dass eine andere Politik sehr wohl möglich
ist.
Das
bürgerliche Denken beruht auf der Grundannahme,
dass die Gesetze einer modernen Ökonomie
und zuvorderst ihre weltweite Durchsetzung jedwede
Al-ternative ausschließen. Wenn man sich
dieser Realität verschließt, dann
flüchtet man in eine ohnmächtige Protesthaltung,
in der sich die Extreme wieder berühren.
So lautet zumindest die Interpretation, die
Philip Gordon und Sophie Meunier, Ko-autoren
von "Nouveau Défi Francais"
(Frankreichs neue Herausforderung), in Le Monde
vom 16. April liefern. In ih-ren Augen "ist
die Integration der fran-zösischen Ökonomie
in den Globalisie-rungsprozess vorzüglich
gelungen", auch wenn hierbei "die
traditionellen politi-schen Lager neu formiert
werden muss-ten. In dieser Frage weisen die
politi-schen Extreme mehr Gemeinsamkeiten untereinander
als mit der Mitte auf. Wiederum stehen die Parteien
in der Regierungsverantwortung einander näher
als den jeweiligen Extremen. Chiracs Argumentation
einer "humanen Globalisierung" und
Jospins "reglementierte Globalisierung"
sind untereinander praktisch austauschbar, egal
was ihre Protagonisten dazu sagen mögen.
Dies erstaunt auch nicht ... können sie
doch schwerlich zugeben, dass sie wenig Einfluss
auf Märkte und weltwirtschaftliche Entwicklungen
haben."
Welche
Voraussetzungen braucht eine Alternative?
Angenommen,
unser Programm sei "un-ausgegoren",
wie Emmanuel Todd in Le Monde vom 24. April
behauptet, dann ist es jedoch keineswegs mit
Le Pens Vor-stellungen vergleichbar. Auch Todd
muss zugeben, dass unser Programm und unsere
Wähler die "Wiederentdeckung der Werte
der Gleichheit" bedeuten, wohingegen das
Programm des Front National "eine Korruption
der Arbeiter durch die Werte der Ungleichheit,
die die kapitalistische Gesellschaft entstellen",
zum Ausdruck bringt. Da genau dies die entscheidende
Frage ist, gilt es zu wissen, ob Spielraum für
eine andere Politik vorhanden ist. Spontan würde
man hierauf antworten, dass es einer Revolution
zur Änderung der Gesellschaft bedürfe;
dann würden auch die sogenannten Unausgegorenheiten
möglich werden.
Die
Grenzen einer solchen Argumen-tation liegen
auf der Hand und in gewis-ser Weise gäbe
man Jospin damit recht. Wenn nämlich die
Revolution die einzi-ge Alternative ist und
diese bekanntlich nicht auf der Tagesordnung
steht, dann bliebe Jospin gar keine andere Wahl,
als die notwendige "Modernisierung"
mit-zumachen. Diese Interpretation muss ka-tegorisch
zurückgewiesen werden, da an-dere Optionen
sehr wohl möglich waren. In vielen Bereichen
hat die Regierungs-linke diesen Trend nicht
nur nachvollzogen, sondern oft sogar vorweggenommen.
Rückblickend
erscheint Jospins Politik wie die eines "Fährmanns",
der die Linke aus der Position eines zaghaften
Reformismus hin zur vollständigen Übernahme
des Neoliberalismus geleitet hat. Aber die Linke
war nicht bereit zu diesem Paradigmenwandel
und das Unternehmen ist gescheitert: Die extreme
Linke hat zugelegt, die KP ist zurückgefallen
und ein "republikanischer Pol" ist
aufgetaucht, der hoffentlich bald wieder untergeht.
Die
einzelnen Schritte bei diesem Wechsel der Grundorientierung
der Re-gierungslinken waren jeweils verpasste
Gelegenheiten, auf die Bedürfnisse der
ArbeiterInnen einzugehen. Jospin hätte
die Forderung der Arbeitslosenbewegung aufgreifen
und die Verfügungsmasse in seinem Haushalt
dafür nutzen können, die sozialen
Mindestleistungen zu erhöhen, statt die
Einkommenssteuer zu senken, was anderen Gesellschaftsschichten
zugute kam. Vielleicht wären deswegen ein
paar Nachwuchsbanker bis zur nächsten Rezession
nach London ausgewandert, aber die Wirtschaft
wäre durch die Steigerung der Kaufkraft
angekurbelt worden. Jospin hätte auch -
wie von mehreren Gewerkschaften gefordert -
die Unternehmerbeiträge zur Rentenversicherung
erhöhen können, statt Lohneinsparungen
dafür hinzunehmen und so der Einführung
von Pensionsfonds den Weg zu ebnen. Die UnternehmerInnen
hätten protestiert, aber der inzwischen
so breit angekündigten Krise der Rentenversicherung
nach dem Umlageverfahren wäre effektiv
vorgebeugt worden. Die 35h-Woche hätte
zu restriktiveren Bedingungen für die Unternehmer
eingeführt werden können, statt zu
Lasten der Beschäftigten und deren Arbeitsbedingungen
sowie Löhnen zu gehen. Mehr Arbeitsplätze
hätten geschaffen werden können und
die Regierung hätte sich somit eine soziale
Basis geschaffen. Stattdessen ist Jo-spin die
Großtat gelungen, aus der 35h-Woche eine
Maßnahme zum Nachteil der ArbeiterInnen
zu machen. Zu guter Letzt hätte Jospin
gegen Entlassungen intervenieren können,
statt den ArbeiterInnen bei Michelin oder Danone
zu erzählen, dass er nichts dagegen tun
könne. Auf diese Art hätte er ihnen
Gründe an die Hand gegeben, für ihn
zu stimmen.
Zu
diesem Zweck hätte man die Ein-kommensverteilung
zugunsten der abhängig Beschäftigten
umverteilen müs-sen. Was ist daran unmöglich
oder unausgegoren? Nach herrschender Meinung
heißt es immer, dass dies wegen der Wettbewerbsfähigkeit
nicht machbar sei, wobei man sich regelmäßig
auf die Globalisierung beruft. Aber dieses Argument
greift nicht: Unser Programm sieht vor, Lohnsteigerungen
durch eine Senkung der Kapitaleinkünfte
zu finanzieren und es ist nicht einsehbar, warum
die Aus-schüttung von Dividenden ökonomisch
vernünftig, Lohnerhöhungen hingegen
unausgegoren sein sollen. Man sagt uns weiter,
dass dann das Kapital und die Kapitalbesitzer
außer Landes gehen wür-den. Aber
dies Argument ist strengge-nommen kein wirtschaftswissenschaftli-ches,
sondern bedeutet letzten Endes nur, dass sich
die Besitzenden nicht ohne weiteres enteignen
lassen und mit den ihnen zur Verfügung
stehenden Mitteln Widerstand leisten werden.
Das ist zweifellos richtig, aber dies tun gewissermaßen
auch die Wähler von Le Pen, die auf diese
Weise ihren Widerwillen ausdrücken, dass
sie nicht an einer gleichmäßigen
Verteilung der Reichtümer teilhaben können.
Wenn er nur ein klein wenig reformistisch gewesen
wäre, hätte Jospin etwas in dieser
Richtung unternehmen können. Dass er das
nicht getan hat, lag nicht an fehlenden Alternativen,
sondern vielmehr an seiner bewussten politischen
Option, die das Höchstmaß an zulässiger
Konfrontation mit den Unternehmern festlegte
und die auf eine privilegierte Allianz mit den
Mittelschichten abzielte. Seither ringt sich
der PS auf ihre Art zu der Erkenntnis durch,
dass eine andere Orientierung wünschenswert
und machbar sei. In Windeseile wurde ein neues
Programm gestrickt, in dem endlich von Kaufkraft
und Recht auf Arbeit die Rede ist. Man muss
den Enthusiasmus eines frisch Bekehrten begrüßen,
ohne deswegen jedoch in naive Gutgläubigkeit
zu verfallen. Dieses Programm ist tatsächlich
einstimmig angenommen worden, das heißt
auch von Fabius, dem größten Verfechter
der Steuersenkungen, und von Strauss-Kahn, dem
König der Privatisierungen und stock-options.
Die Heuchelei geht weiter.
Unsere
Kohärenz
Unser
Programm ist in sich völlig schlüssig.
Diese Kohärenz ergibt sich jedoch nicht
aus der Akzeptanz der Gesetzmäßigkeiten
des neoliberalen Kapitalismus. Sie beruht vielmehr
auf einem radikalen Bruch mit diesen Prinzipien.
Radikal sein heißt, an die Wurzel des
Übels zu gehen und die Ursachen für
Arbeitslosigkeit und soziale Unsicherheit im
Verhältnis von Kapital und Arbeit zu suchen.
Zu diesem Zweck muss man die beiden großen
Ta-bus infrage stellen, das heißt die
aktuel-le Verteilung der Einkommen und das kapitalistische
Eigentumsrecht. Wir treten für die Erhöhung
der Löhne und Sozialeinkommen zu Lasten
der Kapitaleinkünfte ein. Wir sind für
das Verbot von Entlassungen zum Nachteil der
freien Verfügungsgewalt der UnternehmerInnen.
Und wir sind für den Übergang zur
32h-Woche unter Kontrolle der Arbeiter und gegen
Arbeitsintensivierung und prekäre Beschäftigungsverhältnisse.
Wenn die Regierung wirksame Maßnahmen
in diesem Sinne ergriffen hätte, statt
beim geringsten Stirnrunzeln der Unternehmer
und bei der leisesten Erschütterung des
Marktes einen Rückzieher zu machen, dann
hätte sie eine Wählerbasis in der
Bevölkerung gefunden, weil diese dann ihre
Interessen wahrgenommen gesehen hätte.
Vorstöße in diese Richtung hätten
dem Europa in der reaktionären Ausle-gung
von Maastricht und Amsterdam die Legitimation
entzogen und die Errichtung eines anderen Europa
ermöglicht, das auf der Befriedigung der
sozialen Bedürfnisse beruht. Der reaktionäre
Umschwung hin zu einem Nationalverständnis
nach dem Vorbild von Vichy hätte jede Glaubwürdigkeit
verloren, was den Widerstand gegen Sozialabbau
anbetrifft.
Auf
einer solch kohärenten Haltung muss die
Neuzusammensetzung der radikalen Linken basieren.
Über Oliviers Kampagne hinaus manifestieren
sich die sozialen Kämpfe der letzten Jahre
in diesem Programm, das einen Bruch mit dem
System markiert. Man muss nur dafür sor-gen,
dass es auch Früchte trägt und noch
besser verankert wird. Hierbei gilt es zwei
Sackgassen zu vermeiden: Es darf zum einen nicht
dadurch verpfuscht werden, indem man auf die
Annäherungsversuche der sozialdemokratischen
Etiketten-schwindler hereinfällt. Zum anderen
darf es nicht in den Glasschrein gestellt wer-den,
nur um die revolutionäre Reinheit zu bewahren.
Das Programm muss bei Wah-len und Kämpfen
zum Bezugspunkt und Sprachrohr derjenigen werden,
die diese Gesellschaft wirklich verändern
wollen, so wie sie es verdient. (Übersetzung:
MiWe) |