Am
heutigen Donnerstag früh hielt der Streik
in den öffentlichen Transportmitteln
Frankreichs, was er versprochen hatte.
Der
Verkehr bei der Nationalen Eisenbahngesellschaft
SNCF war „sehr stark gestört“
(laut Reuters-Meldung von 08.03 Uhr). Der geschäftsführende
Generaldirektor der SNCF, Guillaume Papy, erklärte
am Vormittag in der Tageszeitung ‚Le Parisien',
im Vergleich zu einem normalen Tag verkehrten
nur „5 Prozent der Züge“. Damit
hatte der Arbeitskampf bei den französischen
Eisenbahnern einen außerordentlich durchschlagenden
Erfolg, auch im Vergleich zu vorangegangenen
und vergleichbaren Streikbewegungen. Nur 46
von 700 Hochgeschwindigkeitszügen (TGV)
verkehrten, während bei vergangenen Streikbewegungen
bei der französischen Staatsbahn meist
noch ein Verkehr von einem Viertel bis einem
Drittel der TGV aufrecht erhalten werden konnte.
Ansonsten
sollten am Donnerstag voraussichtlich frankreichweit
nur insgesamt zehn (!) überregionale Züge
– trains Corail, vergleichbar mit den
deutschen Interregio- und Intercity-Zügen
– verkehren. Auch die Regionalzüge
TER, vergleichbar mit den deutschen Regionalexpress-Zügen,
waren sehr stark beeinträchtigt; allerdings
beabsichtigte die Bahngesellschaft, in diesem
Fall Ersatztransporte per Bus bereit zu stellen.
Hingegen funktionierten die besonders privilegierten
Bahnlinien von Paris nach London (Eurostar)
und von Paris über Brüssel nach Köln/Amsterdam
(Thalys) fast normal: Acht Eurostar-Züge
von zehn, und sechs Thalys von zehn können
am Donnerstag voraussichtlich fahren. Aber dies
entspricht weitgehend der Situation bei vorausgegangenen
Streiks, bei denen der Eurostar- und Thalys-Transport
ebenfalls weitgehend aufrecht erhalten blieb.
Da diese Züge besonders von Führungskräften
(der Wirtschaft, der Europäischen Union..)
genutzt werden, wird „von oben her“
alles unternommen, um diese Verbindungen auch
im Streikfall bis zuletzt aufrecht zu erhalten.
Bei
den Pariser Verkehrsbetrieben der RATP (Régie
autonome des transports parisiens) war der Verkehr
ebenfalls „stark beeinträchtigt“
(Agentur Reuters um 8.38 Uhr). Nur auf vier
von insgesamt 14 Linien der Pariser Métro
war der Verkehr halbwegs normal, mit circa zwei
Drittel der Züge. Hingegen war auf allen
anderen zehn Linien nur maximal ein Fünftel
bis ein Sechstel des üblichen Verkehrs
gewährleistet. Die Leitung der RATP versuchte,
den Busverkehr im Großraum Paris „zu
rund 10 Prozent“ zu gewährleisten.
Keine einzige Straßenbahn und kein einziger
Zug der RER-Linien (vergleichbar mit den S-Bahn-Linien
in deutschen Großstädten) A und B,
die den Ballungsraum Paris in West-Ost- sowie
in Nord-Süd-Richtung durchqueeren, konnten
verkehren. Entsprechend riesig waren die Staus
auf den Autostraßen rund um die Hauptstadt
Paris und an den Stadtpforten, die den Eingang
zum Pariser Stadtgebiet markieren.
Neben
dem Pariser Raum waren 30 französische
Städte von Ausständen insbesondere
im Personennahverkehr betroffen.
Strategische
Kraftprobe gesucht
Auch
die Regierung hatte im Vorfeld selbst angekündigt,
dass der Streik vom Donnerstag voraussichtlich
massiv ausfallen werden. „Sehr stark“
werde der Ausstand ausfallen, „fast kein
Zug und keine Métro“ werde wohl
verkehren, hatte Arbeits- und Sozialminister
Xavier Bertrand persönlich zu Wochenbeginn
angekündigt. Sei es nun, dass er resignierend
feststellte, daran lasse sich nun eben nicht
rütteln, oder sei es auch, dass er die
Messlatte besonders noch anlegen wollte –
um ggf. bei einem geringeren Streikerfolg sofort
hinaus posaunen zu können, es sei doch
weniger schlimm gewesen als erwartet, also eine
Pleite geworden. In jeden Falle ist der Mann
nun erst einmal bedient.
Aus
Sicht der französischen Regierung unter
Präsident Nicolas Sarkozy und seinem Premierminister
François Fillon – Letzterer bleibt
in Wirklichkeit ein blasser Handlanger, der
nicht aus dem Schatten des Übervaters Sarkozy
heraus zu treten vermochte – handelt es
um eine strategische Kraftprobe von höchster
Bedeutung, die sich anbahnt.
Nicolas
Sarkozy hat sich geschworen, so schnell wie
möglich das „heiße Eisen“
der so genannten ‚Reform' der Rentenregelungen
in den öffentlichen Diensten anzupacken,
nachdem seine Amtsvorgänger an dieser Aufgabe
in den letzten Jahren schmählich gescheitert
sind: Premier Alain Juppé (und, hinter
ihm, Präsident Jacques Chirac) mussten
im Winter 1995/96 ein entsprechendes Vorhaben
ersatzlos zurückziehen, nachdem ein dreiwöchiger
Streik in allen öffentlichen Diensten den
Betrieb des Landes teilweise lahmgelegt hatte.
Und Premierminister Jean-Pierre Raffarin (wiederum
mit Chirac im Rücken) konnte zwar in den
Monaten von April bis Juli 2003 eine „Reform“
der Renten im privaten Industrie- und Dienstleistungssektor
sowie für die unmittelbar vom Staat angestellten
öffentlich Bediensteten durchsetzen. Darauf,
die Pensionsregelungen auch für die Lohn-
und Gehaltsempfänger in bestimmten öffentlichen
Unternehmen wie der SNCF und RATP – die
nicht unmittelbar dem Staat unterstellt sind,
sondern deren Arbeitsbedingungen und Rentenregelungen
von einem besonderen „Personalstatut“
geregelt werden – zu „reformieren“,
verzichtete Raffarin 2003 zunächst noch.
Um sich nicht die Finger zu verbrennen, und
um die Einsebahner/innen und RATP-Beschäftigten
– deren Kampfkraft im Streikfalle besonders
gefürchtet ist – aus der damaligen
allgemeinen Streikfront herauszubrechen.
Tatsächlich
konnte die damalige Regierung die Transportbediensteten
zum Teil aus der damaligen Protestfront herauslösen:
Die SNCF- und RATP-Beschäftigten traten
zwar im Anschluss an die erste Großdemonstration
vom 13. Mai 2003 gegen die allgemeine „Rentenreform“
spontan in den (Solidaritäts-)Streik. Aber
die Regierungs- und Medienpropagada stellte
darauf ab, dieser Ausstand sei illegitim, da
doch diese Beschäftigten „gar nicht
von der Reform betroffen“ seien. Dies
war zwar fadenscheinig, da allen ehrlichen BetrachterInnen
klar sein musste, dass die „Reform“
für diese Beschäftigtengruppen nur
aufgeschoben, aber eben nicht aufgehoben sein
würde. Hellsichtige Beobachter sagten aber
bereits damals voraus, dass die Angelegenheit
natürlich einige Jahre später auch
für die Mitarbeiter der SNCF und RATP wieder
aufs Tapet gebracht werden würde, wenn
diese dann allein für ihre Interessen kämpften
müssten – isoliert von den übrigen
Lohn- und Gehaltsempfängern im Lande, deren
Rentenregelungen bereits Jahre zuvor verschlechtert
worden sein würden. Jedoch muss betont
werden, dass auch das zögerliche Herangehen
der Gewerkschaftsführung der „postkommunistischen“
CGT (und der straffe Rechtskurs des sozialliberalen
Gewerkschaftsverbands CFDT, dessen Apparat die
„Reform“ von 2003 offen unterstützte
und mittrug, obwohl er seitdem den Austritt
von circa 60.000 Mitgliedern oder zehn Prozent
der Mitgliedschaft hinnehmen musste) maßgeblich
für das Resultat von 2003 mit verantwortlich
ist. Denn der Ausstand in den Transportbetrieben
fing am 13./14. Mai 2003 ziemlich stark an und
hätte erfolgreich Druck entwickeln können.
Aber die Streikenden wurden namentlich durch
die CGT-Leitung zurückgepfiffen, und ihr
Ausstand wurde binnen einer Woche schmählich
angewürgt. Die Transportbeschäftigten
konnten anders als 1995 nicht die „Speerspitze“
des allgemeinen Ausstands bilden, an dessen
Spitze stattdessen 2003 die Lehrer/innen standen
– deren Arbeitskampf durch die Regierung
leichter „ausgesessen“ wurde, da
er keine unmittelbaren ökonomischen Verlust
für die Wirtschaft nach sich zog.
Nicolas
Sarkozy glaubt, es sei förderlich für
ihn, so schnell wie möglich zu handeln.
Einerseits gehört dies zu seiner Überrumpelungstaktik:
Seit dem Frühsommer 2007 hat er bereits
bius jetzt – durch das Kabinett und durch
die konservative Mehrheit im Parlament –
im Eildurchlauf eine größere Anzahl
von „Reformen“ auf unterschiedlichen
Gebieten (Erleichterung von Überstunden,
Steuergeschenke an Besser- und Bestverdiendende,
härtere Behandlung von Straftätern
und besonders von Rückfalltätern,
Verschärfung der Ausländergesetze
und Erschwerung der Familienzusammenführung)
verabschieden lassen. Dabei hat die regierende
Rechte zwar im Grunde einen Stapel von Vorlagen
und Gesetzesvorschlägen aus den Schubladen
gezogen, die keineswegs neu waren, sondern über
die Jahre hinweg ausgearbeitet worden waren.
Aber nun schien die Zeit reif dafür; und
die Strategie besteht darin, die potenziellen
Kritiker/innen und Gegner gar nicht erst zum
Atemschöpfen kommen zu lassen, sondern
sie unter der Fülle der geballten „Reformen“
binnen kürzester Zeit zu ersticken bzw.
den Überblick verlieren zu lassen. Deshalb
glaubt Nicolas Sarkozy, auch weiterhin keine
Zeit verlieren zu dürfen, sondern alle
Schandtaten so schnell wie möglich verabschieden
zu müssen.
Andererseits
glaubt die Sarkozy-Mannschaft aber auch, ein
erfolgreiches Durchsetzen der „Reform“
für die Rentenregelungen der Beschäftigten
öffentlicher Unternehmen und ihres spezifischen
„Personalstatuts“ dazu nutzen zu
können, um in anderen sozialen Milieus
an Popularität zu gewinnen. Denn zur Offensive
gegen die ‚régimes spéciaux'
(Sonderregelungen für die Rente in bestimmten
öffentlichen Unternehmen und bei bestimmten
Berufsgruppen) gehört auch der massive
Einsatz eines Sozialneid-Diskurses, der die
betroffenen Beschäftigtengruppen als „Priviligierte“
- die ungerechtfertigte Vorzüge genießen
können – darzustellen sucht. Tatsächlïch
hat diese Strategie angesichts der Ausstände
in den öffentlichen Diensten vom Mai/Juni
2003 erstmals zum Teil funktioniert: Aufgegangen
ist sie damals insofern, als es (in Ansätzen)
erstmals eine Gegenmobilisierung gegen die Streikbewegung
auf den Straßen gab. Im November/Dezember
1995 waren die gegen den Streik mobilisierbaren
Aktivbürger auf der Pariser Place du Châtelet
noch mit 100 bis höchstens 200 Personen
unter sich geblieben. Hingegen konnte die „Stop
la grève“ (Stopp den Streik-)Bewegung,
mit jungen wirtschaftsliberalen HochschulabsolventInnen
wie Sabine Hérold als Gallionsfiguren,
am 15. Juni 2003 immerhin (laut eigener Zählung
des Verfassers) 17.000 bis 18.000 Demonstranten
am selben Ort mobilisieren. In der Umgebung
Nicolas Sarkozys glaubt man, sofern man den
Sozialneid-Diskurs gegen die „Privilegierten“
innerhalb der Klasse der Lohn- und Gehaltsempfänger/innen
nur ordentlich weiter anheize, könne man
sich alsbald „total easy“ durchsetzen.
Ferner
hat die Sarkozy-Mannschaft und die Führung
der Regierungspartei UMP auch fest im Blick,
dass im März 2008 frankreichweit die nächsten
Kommunalwahlen anstehen. Im Hinblick auf diese
kommenden wichtigen Wahlen, die schon in sechs
Monaten auf dem Kalender stehen, möchte
Sarkozy seine Durchsetzungsfähigkeit an
einem wichtigen strategischen Punkt bis dahin
bewiesen haben. Er glaubt, dass ihm –
mittels Einsatz dieses Hebels – gelingen
könne, das globale Kräfteverhältnis
zwischen den Klassen entscheidend in eine ihm
günstige Richtung kippen zu lassen. Ähnlich,
wie die damalige britische Premierminister Margaret
Thatcher in den Jahren 1984/85 nach der Niederlage
des englischen Bergarbeiterstreiks auf vielen
anderen Feldern „freie Bahn“ für
ihre Vorhaben hatte.
Dahinter
steht jedoch noch ein anderes, längerfristiges
strategisches Projekt: Die politische Rechte
und die Repräsentanten des Kapitals möchten
den „historischen Kompromiss“ von
1945, der infolge der Befreiung Frankreichs
vom Faschismus angenommen wurde, aus den Angeln
heben. Zu den wesentlichen Eckpunkten dieses
Kompromisses zwischen den Klassen -- der zwar
bereits weitgehend ausgehebelt ist, von dem
aber noch bestimmte Restbestände übrig
sind -- gehörten die Außerkraftsetzung
der Marktgesetze in bestimmten Sektoren (Energieversorgung,
Transportwesen u.a.), ihre Organisierung als
öffentliche Diente und die Annahme eines
spezifischen, vorteilhaften „Personalstatuts“.
In brutaler Offenheit und Deutlichkeit hat jüngst
der Chefideologe des Kapitalistenverbands MEDEF,
Denis Kessler (ehemaliger Vizepräsident
des MEDEF, früher Student und Doktorand
bei Michel Foucault) dieses Vorhaben der Abkehr
von den letzten Restbeständen des antifaschistischen
Kompromisses von 1944/45 benannt. In einem Artikel
für die farblos-langweilige wirtschaftsliberale
Wochenzeitschrift ‚Challenges' vom 4.
Oktober 2007 schrieb er wörtlich: „Das
französische Sozialdemodell ist die reine
Hervorbringung (le pur produit) des Conseil
national de la Résistance (des partei-
und tendenziell klassenübergreifenden Führungsgremiums
der vereinigten Résistance ab 1943, mit
starker Präsenz der französischen
KP, Anm. BhS). Ein Kompromiss zwischen Gaullisten
und Kommunisten. Es ist höchste Zeit, ihn
zu reformieren, und die Regierung macht sich
daran.“ Mit anderen Worten, es geht darum,
ein definitives Ende der Nachkriegszeit und
der letzten Reste des damaligen Klassenkompromisses
einzuläuten. (Vgl. im Original externer
Link)
Anfachen
des Sozialneids (innerhalb der Lohnabhängigenklasse)
Ob
und inwiefern dieses Vorhaben und die konkreten
Pläne für die Aushebelung der „Sonderregelungen“
in den öffentlichen Diensten - insbesondere
mit Hinblick auf die Auswirkungen auf die öffentliche
Meinung - von Erfolg gekrönt sein wird,
bleibt im Moment noch abzuwarten. Die Umfragen
zeichnen im Augenblick ein widersprüchliches
Bild, was die Haltung der französischen
Öffentlichkeit zu den Streiks ab dem heutigen
Donnerstag betrifft.
Am
10. Oktober ergab eine Telefonumfrage eines
Meinungsforschungsinstituts im Auftrag der KP-nahen
Tageszeitung ‚L'Huamnité', dass
54 Prozent der befragten Französinnen und
Franzosen den Ausstand vom Donnertag unterstützten.
26 Prozent stünden ihm demnach ablehnend
gegenüber, und 17 Prozent neutral bzw.
indifferent. Demgegenüber veröffentlichte
die (jeden Morgen kostenlos an den Eingängen
zu den öffentlichen Transportmitteln verteilte)
Gratis-Tageszeitung ‚Métro' am
gestrigen Mittwoch triumphierend ein anderes
Ergebnis. Demnach stünden 61 Prozent der
in ihrem Auftrag Befragten der Streikbewegung
„ungünstig“ gegenüber,
38 Prozent „günstig“. Zuvor
hatten die Umfragemacher in einigen dürren
Sätzen die „Reform“ vorgeblich
dargestellt und die Meinungen dazu eingeholt.
Das Ergebnis: 77 Prozent stünden ihr positiv
gegenüber. Ein Radiosender kommentierte
diese kontrastierenden Umfrageergebnisse am
Mittwoch früh richtigerweise mit den Worten:
„Es kommt eben ganz darauf an, wie man
die Frage stellt“ (bzw. das Thema präsentiert).
Die Gratis-Tageszeitung präsentierte das
Gesamtergebnis triumphierend auf ihrer Titelseite
unter der Schlagzeile: „IFOP-Umfrage zu
den Renten: Die Reform, Ja – Den Streik,
Nein.“ Dieselbe Zeitung ‚Métro'
(die für die Information das darstellt,
was McDonalds für das Essen bedeutet) hatte
sich bereits angesichts der Streikwellen von
2003 und 2006 durch ihre massive Wichspropanganda
(pardon) zugunsten der „Anti-Streik-Bewegung“
ausgezeichnet.
Zur
Zeit kursieren eine Unmenge an Fehlinformationen
über die angeblichen Privilegien der öffentlich
Bediensteten, die bisher von den ‚régimes
spéciaux' oder Sonderregelungen zu den
Renten betroffen sind. (Ein Dokument, das einige
besonders verbreiteten Lügen dazu enthält
– die im Anschluss in Rotschrift von KommentatorInnen
korrigiert worden sind – ist nebenstehend
pdf-Dateiaufzurufen.) So wird behauptet, „der
Steuerzahler“ finanziere alljährlich
die günstigeren Rentenregelungen etwa der
Eisenbahner/innen mit mehreren Milliarden Euro.
Eine glatte Unwahrheit: Zwar zahlt der französische
Staat der SNCF alljährlich 2,4 Milliarden
an Zuschüssen für die Renten –
worauf diese Behauptung gründet. Doch stimmt
es schlichtweg nicht, dass dadurch die günstigeren
Verrentungsregeln (Rentenmöglichkeit ab
55 Jahren für SNCF-Beschäftigte, ab
50 für die Lokführer/innen) finanziert
werden. Diese werden vielmehr ausschließlich
über die Beitragszahlungen der Eisenbahner/innen
selbst finanziert; deren Beitragssatz liegt
entsprechend wesentlich höher als jener
der übrigen Beschäftigten (40 Prozent
bemessen am Durchschnittsgehalt, gegenüber
26 % für sonstige Beschäftigte). Und
die Höhe der Renten gemessen am letzten
Lohn/Gehalt liegt wesentlich niedriger –
62 Prozent gegenüber derzeit noch rund
75 Prozent für andere Beschäftigtengruppen,
für die freilich ebenfalls eine Absenkung
für die nächsten Jahre abzusehen ist.
Die Zahlungen des Staates dienen einem vollkommen
anderen Zweck, denn darüber wird der durch
die Personalabbaupolitik der letzten Jahre (und
Jahrzehnte) bedingte „Rentnerüberschuss“
gegenüber der Zahl der aktiven Beschäftigten
aufgefangen. Nach dem Zweiten Weltkrieg arbeiteten
zeitweise 400.000 Eisenbahner/innen im aktiven
Dienst, heute sind es noch 150.000. Der französische
Staat plant zur Zeit den weiteren Abbau von
7.000 Stellen im Gütertransport (höchst
umweltfreundlich!). Kein Wunder, dass dadurch
in der Statistik ein „Rentnerberg“
entsteht.
Ob
diese Lügen beim Publikum verfangen, wird
sich in den nächsten Tagen (und eventuell
Wochen) erweisen müssen, wenn die Stimmung
im Land im Falle einer Fortsetzung des Streiks
auf der Kippe stehen dürfte. Bemerkenswert
ist übrigns, mit welcher Frechheit die
Regierung sich zwar erlaubt, die rund 1,1 Millionen
von den „Sonderregelungen“ betroffenen
öffentlich Bediensteten (die sich 5 Milliarden
Euro Rentengelder teilen dürfen) als „Privilegierte“
hinzustellen – aber kein Wort über
bestimmte Gruppen von tatsächlich Privilegierten
zu verlieren, die ebenfalls über „Sonderregelungen“
verfügen, von denen jedoch derzeit keine
Rede ist im Zusammenhang mit der geplanten „Reform“.
Es handelt sich um die Militärs (513.000
Personen, die sich 8,2 Milliarden spezifisch
eingeplanter Rentengelder teilen) sowie um die
Abgeordneten.
Aussicht
& Perspektiven
Derzeit
ist die wichtigste Frage, ob es zu einer Fortsetzung
(reconduction) des Ausstands über den zunächst
geplanten 24stündigen Streiktag hinaus
kommen wird. Drei der acht bei der SNCF verankerten
Gewerkschaften (die linke Basisgewerkschaft
SUD Rail, die populistische FO und die berufsgruppenspezifische
Lokführergewerkschaft FGAAC) sprechen sich
für eine solche ‚Reconduction' aus.
Im letzteren Falle könnte es zur Auslösung
eines unbefristeten Streiks, über dessen
Fortführung alle 24 Stunden in Vollversammlungen
der Streikteilnehmer/innen beschlossen wird,
entschieden. Ein solche ‚grève
reconductible' ist bei den Betriebsführungen
und der Politik besonders gefürchtet, da
seine Dynamik sich – vorläufig –
nur schwer eindämmen lässt. Die anderen
5 Gewerkschaften bei der Bahngesellschaft SNCF,
und in anderen Bereichen der öffentlichen
Dienste, hingegen sprechen sich für eine
vorläufige Beendigung des Streiks am Freitag
Vormittag, und die Festsetzung eines neuen Streiktermins
aus – im Gespräch ist der kommende
Montag, 22. Oktober. (Das Gesetz über den
‚Service minimum' vom August dieses Jahres
steht dem bisher noch nicht im Wege, da es erst
zum 1. August 2008 in Kraft tritt und zur konkreten
Umsetzung zudem Verhandlungen auf Ebene der
betroffenen Unternehmen erfordert.) |