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Streik in Frankreichs öffentlichen Diensten:
Erster massiver Erfolg gegen Angriff auf Rentenregelungen

Bernard Schmid, Paris, 18.10.2007 - von labournet.de

Originalton: „Kriegserklärung

Der große Häuptling im Elysée-Palast hat sich vergangene Woche sehr aufgeregt, bezüglich der Reform der ‚régimes spéciaux' (Sonder-Rentenregime) und den Streikvorhaben bei der (Eisenbahngesellschaft) SNCF und der (Pariser Verkehrsgesellschaft) RATP.

"Wenn die Gewerkschaften die Kraftprobe wollen, ich bin bereit", rief er aus. "Zwei Monate ohne Züge, eh bien!, dann wird es eben zwei Monate ohne Züge geben. Oder eher, zwei Monate ohne die Eisenbahner. Ich werde den 'Service minimum' (Mindest- oder Notfallbetrieb) durchsetzen, wenn es sein muss mit der Armee."

Kurzartikel aus der auf Investigation (und Satire) spezialisierten Wochenzeitung ‚Le Canard enchaîné', die über gewöhnlich gut unterrichtete Quellen im Inneren der Staats- und Politikapparate und auch in der Umgebung von Nicolas Sarkozy verfügt. Ausgabe vom 10. Oktober 2007, Seite 2.

 

Am heutigen Donnerstag früh hielt der Streik in den öffentlichen Transportmitteln Frankreichs, was er versprochen hatte.

Der Verkehr bei der Nationalen Eisenbahngesellschaft SNCF war „sehr stark gestört“ (laut Reuters-Meldung von 08.03 Uhr). Der geschäftsführende Generaldirektor der SNCF, Guillaume Papy, erklärte am Vormittag in der Tageszeitung ‚Le Parisien', im Vergleich zu einem normalen Tag verkehrten nur „5 Prozent der Züge“. Damit hatte der Arbeitskampf bei den französischen Eisenbahnern einen außerordentlich durchschlagenden Erfolg, auch im Vergleich zu vorangegangenen und vergleichbaren Streikbewegungen. Nur 46 von 700 Hochgeschwindigkeitszügen (TGV) verkehrten, während bei vergangenen Streikbewegungen bei der französischen Staatsbahn meist noch ein Verkehr von einem Viertel bis einem Drittel der TGV aufrecht erhalten werden konnte.

Ansonsten sollten am Donnerstag voraussichtlich frankreichweit nur insgesamt zehn (!) überregionale Züge – trains Corail, vergleichbar mit den deutschen Interregio- und Intercity-Zügen – verkehren. Auch die Regionalzüge TER, vergleichbar mit den deutschen Regionalexpress-Zügen, waren sehr stark beeinträchtigt; allerdings beabsichtigte die Bahngesellschaft, in diesem Fall Ersatztransporte per Bus bereit zu stellen. Hingegen funktionierten die besonders privilegierten Bahnlinien von Paris nach London (Eurostar) und von Paris über Brüssel nach Köln/Amsterdam (Thalys) fast normal: Acht Eurostar-Züge von zehn, und sechs Thalys von zehn können am Donnerstag voraussichtlich fahren. Aber dies entspricht weitgehend der Situation bei vorausgegangenen Streiks, bei denen der Eurostar- und Thalys-Transport ebenfalls weitgehend aufrecht erhalten blieb. Da diese Züge besonders von Führungskräften (der Wirtschaft, der Europäischen Union..) genutzt werden, wird „von oben her“ alles unternommen, um diese Verbindungen auch im Streikfall bis zuletzt aufrecht zu erhalten.

Bei den Pariser Verkehrsbetrieben der RATP (Régie autonome des transports parisiens) war der Verkehr ebenfalls „stark beeinträchtigt“ (Agentur Reuters um 8.38 Uhr). Nur auf vier von insgesamt 14 Linien der Pariser Métro war der Verkehr halbwegs normal, mit circa zwei Drittel der Züge. Hingegen war auf allen anderen zehn Linien nur maximal ein Fünftel bis ein Sechstel des üblichen Verkehrs gewährleistet. Die Leitung der RATP versuchte, den Busverkehr im Großraum Paris „zu rund 10 Prozent“ zu gewährleisten. Keine einzige Straßenbahn und kein einziger Zug der RER-Linien (vergleichbar mit den S-Bahn-Linien in deutschen Großstädten) A und B, die den Ballungsraum Paris in West-Ost- sowie in Nord-Süd-Richtung durchqueeren, konnten verkehren. Entsprechend riesig waren die Staus auf den Autostraßen rund um die Hauptstadt Paris und an den Stadtpforten, die den Eingang zum Pariser Stadtgebiet markieren.

Neben dem Pariser Raum waren 30 französische Städte von Ausständen insbesondere im Personennahverkehr betroffen.

Strategische Kraftprobe gesucht

Auch die Regierung hatte im Vorfeld selbst angekündigt, dass der Streik vom Donnerstag voraussichtlich massiv ausfallen werden. „Sehr stark“ werde der Ausstand ausfallen, „fast kein Zug und keine Métro“ werde wohl verkehren, hatte Arbeits- und Sozialminister Xavier Bertrand persönlich zu Wochenbeginn angekündigt. Sei es nun, dass er resignierend feststellte, daran lasse sich nun eben nicht rütteln, oder sei es auch, dass er die Messlatte besonders noch anlegen wollte – um ggf. bei einem geringeren Streikerfolg sofort hinaus posaunen zu können, es sei doch weniger schlimm gewesen als erwartet, also eine Pleite geworden. In jeden Falle ist der Mann nun erst einmal bedient.

Aus Sicht der französischen Regierung unter Präsident Nicolas Sarkozy und seinem Premierminister François Fillon – Letzterer bleibt in Wirklichkeit ein blasser Handlanger, der nicht aus dem Schatten des Übervaters Sarkozy heraus zu treten vermochte – handelt es um eine strategische Kraftprobe von höchster Bedeutung, die sich anbahnt.

Nicolas Sarkozy hat sich geschworen, so schnell wie möglich das „heiße Eisen“ der so genannten ‚Reform' der Rentenregelungen in den öffentlichen Diensten anzupacken, nachdem seine Amtsvorgänger an dieser Aufgabe in den letzten Jahren schmählich gescheitert sind: Premier Alain Juppé (und, hinter ihm, Präsident Jacques Chirac) mussten im Winter 1995/96 ein entsprechendes Vorhaben ersatzlos zurückziehen, nachdem ein dreiwöchiger Streik in allen öffentlichen Diensten den Betrieb des Landes teilweise lahmgelegt hatte. Und Premierminister Jean-Pierre Raffarin (wiederum mit Chirac im Rücken) konnte zwar in den Monaten von April bis Juli 2003 eine „Reform“ der Renten im privaten Industrie- und Dienstleistungssektor sowie für die unmittelbar vom Staat angestellten öffentlich Bediensteten durchsetzen. Darauf, die Pensionsregelungen auch für die Lohn- und Gehaltsempfänger in bestimmten öffentlichen Unternehmen wie der SNCF und RATP – die nicht unmittelbar dem Staat unterstellt sind, sondern deren Arbeitsbedingungen und Rentenregelungen von einem besonderen „Personalstatut“ geregelt werden – zu „reformieren“, verzichtete Raffarin 2003 zunächst noch. Um sich nicht die Finger zu verbrennen, und um die Einsebahner/innen und RATP-Beschäftigten – deren Kampfkraft im Streikfalle besonders gefürchtet ist – aus der damaligen allgemeinen Streikfront herauszubrechen.

Tatsächlich konnte die damalige Regierung die Transportbediensteten zum Teil aus der damaligen Protestfront herauslösen: Die SNCF- und RATP-Beschäftigten traten zwar im Anschluss an die erste Großdemonstration vom 13. Mai 2003 gegen die allgemeine „Rentenreform“ spontan in den (Solidaritäts-)Streik. Aber die Regierungs- und Medienpropagada stellte darauf ab, dieser Ausstand sei illegitim, da doch diese Beschäftigten „gar nicht von der Reform betroffen“ seien. Dies war zwar fadenscheinig, da allen ehrlichen BetrachterInnen klar sein musste, dass die „Reform“ für diese Beschäftigtengruppen nur aufgeschoben, aber eben nicht aufgehoben sein würde. Hellsichtige Beobachter sagten aber bereits damals voraus, dass die Angelegenheit natürlich einige Jahre später auch für die Mitarbeiter der SNCF und RATP wieder aufs Tapet gebracht werden würde, wenn diese dann allein für ihre Interessen kämpften müssten – isoliert von den übrigen Lohn- und Gehaltsempfängern im Lande, deren Rentenregelungen bereits Jahre zuvor verschlechtert worden sein würden. Jedoch muss betont werden, dass auch das zögerliche Herangehen der Gewerkschaftsführung der „postkommunistischen“ CGT (und der straffe Rechtskurs des sozialliberalen Gewerkschaftsverbands CFDT, dessen Apparat die „Reform“ von 2003 offen unterstützte und mittrug, obwohl er seitdem den Austritt von circa 60.000 Mitgliedern oder zehn Prozent der Mitgliedschaft hinnehmen musste) maßgeblich für das Resultat von 2003 mit verantwortlich ist. Denn der Ausstand in den Transportbetrieben fing am 13./14. Mai 2003 ziemlich stark an und hätte erfolgreich Druck entwickeln können. Aber die Streikenden wurden namentlich durch die CGT-Leitung zurückgepfiffen, und ihr Ausstand wurde binnen einer Woche schmählich angewürgt. Die Transportbeschäftigten konnten anders als 1995 nicht die „Speerspitze“ des allgemeinen Ausstands bilden, an dessen Spitze stattdessen 2003 die Lehrer/innen standen – deren Arbeitskampf durch die Regierung leichter „ausgesessen“ wurde, da er keine unmittelbaren ökonomischen Verlust für die Wirtschaft nach sich zog.

Nicolas Sarkozy glaubt, es sei förderlich für ihn, so schnell wie möglich zu handeln. Einerseits gehört dies zu seiner Überrumpelungstaktik: Seit dem Frühsommer 2007 hat er bereits bius jetzt – durch das Kabinett und durch die konservative Mehrheit im Parlament – im Eildurchlauf eine größere Anzahl von „Reformen“ auf unterschiedlichen Gebieten (Erleichterung von Überstunden, Steuergeschenke an Besser- und Bestverdiendende, härtere Behandlung von Straftätern und besonders von Rückfalltätern, Verschärfung der Ausländergesetze und Erschwerung der Familienzusammenführung) verabschieden lassen. Dabei hat die regierende Rechte zwar im Grunde einen Stapel von Vorlagen und Gesetzesvorschlägen aus den Schubladen gezogen, die keineswegs neu waren, sondern über die Jahre hinweg ausgearbeitet worden waren. Aber nun schien die Zeit reif dafür; und die Strategie besteht darin, die potenziellen Kritiker/innen und Gegner gar nicht erst zum Atemschöpfen kommen zu lassen, sondern sie unter der Fülle der geballten „Reformen“ binnen kürzester Zeit zu ersticken bzw. den Überblick verlieren zu lassen. Deshalb glaubt Nicolas Sarkozy, auch weiterhin keine Zeit verlieren zu dürfen, sondern alle Schandtaten so schnell wie möglich verabschieden zu müssen.

Andererseits glaubt die Sarkozy-Mannschaft aber auch, ein erfolgreiches Durchsetzen der „Reform“ für die Rentenregelungen der Beschäftigten öffentlicher Unternehmen und ihres spezifischen „Personalstatuts“ dazu nutzen zu können, um in anderen sozialen Milieus an Popularität zu gewinnen. Denn zur Offensive gegen die ‚régimes spéciaux' (Sonderregelungen für die Rente in bestimmten öffentlichen Unternehmen und bei bestimmten Berufsgruppen) gehört auch der massive Einsatz eines Sozialneid-Diskurses, der die betroffenen Beschäftigtengruppen als „Priviligierte“ - die ungerechtfertigte Vorzüge genießen können – darzustellen sucht. Tatsächlïch hat diese Strategie angesichts der Ausstände in den öffentlichen Diensten vom Mai/Juni 2003 erstmals zum Teil funktioniert: Aufgegangen ist sie damals insofern, als es (in Ansätzen) erstmals eine Gegenmobilisierung gegen die Streikbewegung auf den Straßen gab. Im November/Dezember 1995 waren die gegen den Streik mobilisierbaren Aktivbürger auf der Pariser Place du Châtelet noch mit 100 bis höchstens 200 Personen unter sich geblieben. Hingegen konnte die „Stop la grève“ (Stopp den Streik-)Bewegung, mit jungen wirtschaftsliberalen HochschulabsolventInnen wie Sabine Hérold als Gallionsfiguren, am 15. Juni 2003 immerhin (laut eigener Zählung des Verfassers) 17.000 bis 18.000 Demonstranten am selben Ort mobilisieren. In der Umgebung Nicolas Sarkozys glaubt man, sofern man den Sozialneid-Diskurs gegen die „Privilegierten“ innerhalb der Klasse der Lohn- und Gehaltsempfänger/innen nur ordentlich weiter anheize, könne man sich alsbald „total easy“ durchsetzen.

Ferner hat die Sarkozy-Mannschaft und die Führung der Regierungspartei UMP auch fest im Blick, dass im März 2008 frankreichweit die nächsten Kommunalwahlen anstehen. Im Hinblick auf diese kommenden wichtigen Wahlen, die schon in sechs Monaten auf dem Kalender stehen, möchte Sarkozy seine Durchsetzungsfähigkeit an einem wichtigen strategischen Punkt bis dahin bewiesen haben. Er glaubt, dass ihm – mittels Einsatz dieses Hebels – gelingen könne, das globale Kräfteverhältnis zwischen den Klassen entscheidend in eine ihm günstige Richtung kippen zu lassen. Ähnlich, wie die damalige britische Premierminister Margaret Thatcher in den Jahren 1984/85 nach der Niederlage des englischen Bergarbeiterstreiks auf vielen anderen Feldern „freie Bahn“ für ihre Vorhaben hatte.

Dahinter steht jedoch noch ein anderes, längerfristiges strategisches Projekt: Die politische Rechte und die Repräsentanten des Kapitals möchten den „historischen Kompromiss“ von 1945, der infolge der Befreiung Frankreichs vom Faschismus angenommen wurde, aus den Angeln heben. Zu den wesentlichen Eckpunkten dieses Kompromisses zwischen den Klassen -- der zwar bereits weitgehend ausgehebelt ist, von dem aber noch bestimmte Restbestände übrig sind -- gehörten die Außerkraftsetzung der Marktgesetze in bestimmten Sektoren (Energieversorgung, Transportwesen u.a.), ihre Organisierung als öffentliche Diente und die Annahme eines spezifischen, vorteilhaften „Personalstatuts“. In brutaler Offenheit und Deutlichkeit hat jüngst der Chefideologe des Kapitalistenverbands MEDEF, Denis Kessler (ehemaliger Vizepräsident des MEDEF, früher Student und Doktorand bei Michel Foucault) dieses Vorhaben der Abkehr von den letzten Restbeständen des antifaschistischen Kompromisses von 1944/45 benannt. In einem Artikel für die farblos-langweilige wirtschaftsliberale Wochenzeitschrift ‚Challenges' vom 4. Oktober 2007 schrieb er wörtlich: „Das französische Sozialdemodell ist die reine Hervorbringung (le pur produit) des Conseil national de la Résistance (des partei- und tendenziell klassenübergreifenden Führungsgremiums der vereinigten Résistance ab 1943, mit starker Präsenz der französischen KP, Anm. BhS). Ein Kompromiss zwischen Gaullisten und Kommunisten. Es ist höchste Zeit, ihn zu reformieren, und die Regierung macht sich daran.“ Mit anderen Worten, es geht darum, ein definitives Ende der Nachkriegszeit und der letzten Reste des damaligen Klassenkompromisses einzuläuten. (Vgl. im Original externer Link)

Anfachen des Sozialneids (innerhalb der Lohnabhängigenklasse)

Ob und inwiefern dieses Vorhaben und die konkreten Pläne für die Aushebelung der „Sonderregelungen“ in den öffentlichen Diensten - insbesondere mit Hinblick auf die Auswirkungen auf die öffentliche Meinung - von Erfolg gekrönt sein wird, bleibt im Moment noch abzuwarten. Die Umfragen zeichnen im Augenblick ein widersprüchliches Bild, was die Haltung der französischen Öffentlichkeit zu den Streiks ab dem heutigen Donnerstag betrifft.

Am 10. Oktober ergab eine Telefonumfrage eines Meinungsforschungsinstituts im Auftrag der KP-nahen Tageszeitung ‚L'Huamnité', dass 54 Prozent der befragten Französinnen und Franzosen den Ausstand vom Donnertag unterstützten. 26 Prozent stünden ihm demnach ablehnend gegenüber, und 17 Prozent neutral bzw. indifferent. Demgegenüber veröffentlichte die (jeden Morgen kostenlos an den Eingängen zu den öffentlichen Transportmitteln verteilte) Gratis-Tageszeitung ‚Métro' am gestrigen Mittwoch triumphierend ein anderes Ergebnis. Demnach stünden 61 Prozent der in ihrem Auftrag Befragten der Streikbewegung „ungünstig“ gegenüber, 38 Prozent „günstig“. Zuvor hatten die Umfragemacher in einigen dürren Sätzen die „Reform“ vorgeblich dargestellt und die Meinungen dazu eingeholt. Das Ergebnis: 77 Prozent stünden ihr positiv gegenüber. Ein Radiosender kommentierte diese kontrastierenden Umfrageergebnisse am Mittwoch früh richtigerweise mit den Worten: „Es kommt eben ganz darauf an, wie man die Frage stellt“ (bzw. das Thema präsentiert). Die Gratis-Tageszeitung präsentierte das Gesamtergebnis triumphierend auf ihrer Titelseite unter der Schlagzeile: „IFOP-Umfrage zu den Renten: Die Reform, Ja – Den Streik, Nein.“ Dieselbe Zeitung ‚Métro' (die für die Information das darstellt, was McDonalds für das Essen bedeutet) hatte sich bereits angesichts der Streikwellen von 2003 und 2006 durch ihre massive Wichspropanganda (pardon) zugunsten der „Anti-Streik-Bewegung“ ausgezeichnet.

Zur Zeit kursieren eine Unmenge an Fehlinformationen über die angeblichen Privilegien der öffentlich Bediensteten, die bisher von den ‚régimes spéciaux' oder Sonderregelungen zu den Renten betroffen sind. (Ein Dokument, das einige besonders verbreiteten Lügen dazu enthält – die im Anschluss in Rotschrift von KommentatorInnen korrigiert worden sind – ist nebenstehend pdf-Dateiaufzurufen.) So wird behauptet, „der Steuerzahler“ finanziere alljährlich die günstigeren Rentenregelungen etwa der Eisenbahner/innen mit mehreren Milliarden Euro. Eine glatte Unwahrheit: Zwar zahlt der französische Staat der SNCF alljährlich 2,4 Milliarden an Zuschüssen für die Renten – worauf diese Behauptung gründet. Doch stimmt es schlichtweg nicht, dass dadurch die günstigeren Verrentungsregeln (Rentenmöglichkeit ab 55 Jahren für SNCF-Beschäftigte, ab 50 für die Lokführer/innen) finanziert werden. Diese werden vielmehr ausschließlich über die Beitragszahlungen der Eisenbahner/innen selbst finanziert; deren Beitragssatz liegt entsprechend wesentlich höher als jener der übrigen Beschäftigten (40 Prozent bemessen am Durchschnittsgehalt, gegenüber 26 % für sonstige Beschäftigte). Und die Höhe der Renten gemessen am letzten Lohn/Gehalt liegt wesentlich niedriger – 62 Prozent gegenüber derzeit noch rund 75 Prozent für andere Beschäftigtengruppen, für die freilich ebenfalls eine Absenkung für die nächsten Jahre abzusehen ist. Die Zahlungen des Staates dienen einem vollkommen anderen Zweck, denn darüber wird der durch die Personalabbaupolitik der letzten Jahre (und Jahrzehnte) bedingte „Rentnerüberschuss“ gegenüber der Zahl der aktiven Beschäftigten aufgefangen. Nach dem Zweiten Weltkrieg arbeiteten zeitweise 400.000 Eisenbahner/innen im aktiven Dienst, heute sind es noch 150.000. Der französische Staat plant zur Zeit den weiteren Abbau von 7.000 Stellen im Gütertransport (höchst umweltfreundlich!). Kein Wunder, dass dadurch in der Statistik ein „Rentnerberg“ entsteht.

Ob diese Lügen beim Publikum verfangen, wird sich in den nächsten Tagen (und eventuell Wochen) erweisen müssen, wenn die Stimmung im Land im Falle einer Fortsetzung des Streiks auf der Kippe stehen dürfte. Bemerkenswert ist übrigns, mit welcher Frechheit die Regierung sich zwar erlaubt, die rund 1,1 Millionen von den „Sonderregelungen“ betroffenen öffentlich Bediensteten (die sich 5 Milliarden Euro Rentengelder teilen dürfen) als „Privilegierte“ hinzustellen – aber kein Wort über bestimmte Gruppen von tatsächlich Privilegierten zu verlieren, die ebenfalls über „Sonderregelungen“ verfügen, von denen jedoch derzeit keine Rede ist im Zusammenhang mit der geplanten „Reform“. Es handelt sich um die Militärs (513.000 Personen, die sich 8,2 Milliarden spezifisch eingeplanter Rentengelder teilen) sowie um die Abgeordneten.

Aussicht & Perspektiven

Derzeit ist die wichtigste Frage, ob es zu einer Fortsetzung (reconduction) des Ausstands über den zunächst geplanten 24stündigen Streiktag hinaus kommen wird. Drei der acht bei der SNCF verankerten Gewerkschaften (die linke Basisgewerkschaft SUD Rail, die populistische FO und die berufsgruppenspezifische Lokführergewerkschaft FGAAC) sprechen sich für eine solche ‚Reconduction' aus. Im letzteren Falle könnte es zur Auslösung eines unbefristeten Streiks, über dessen Fortführung alle 24 Stunden in Vollversammlungen der Streikteilnehmer/innen beschlossen wird, entschieden. Ein solche ‚grève reconductible' ist bei den Betriebsführungen und der Politik besonders gefürchtet, da seine Dynamik sich – vorläufig – nur schwer eindämmen lässt. Die anderen 5 Gewerkschaften bei der Bahngesellschaft SNCF, und in anderen Bereichen der öffentlichen Dienste, hingegen sprechen sich für eine vorläufige Beendigung des Streiks am Freitag Vormittag, und die Festsetzung eines neuen Streiktermins aus – im Gespräch ist der kommende Montag, 22. Oktober. (Das Gesetz über den ‚Service minimum' vom August dieses Jahres steht dem bisher noch nicht im Wege, da es erst zum 1. August 2008 in Kraft tritt und zur konkreten Umsetzung zudem Verhandlungen auf Ebene der betroffenen Unternehmen erfordert.)