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Schülerbewegung in Frankreich

Eine neue Generation gegen die Regierungsmaßnahmen

von Antoine Larrache aus Inprekorr Nr. 404/405 Juli/August 2005

Antoine Larrache ist Leitungsmitglied der JCR, der mit der LCR,
der französischen Sektion
der IV. Internationale verbundenen Jugendorganisation

Übersetzung: Paul B. Kleiser

 

Seit Mitte Januar gibt es eine bis heute anhaltende Revolte von OberschülerInnen gegen die Fillon-Reform.1 An ihr beteiligen sich einige zehntausend SchülerInnen; einige hundert sind bereits seit über zwei Monaten nicht mehr zur Schule gegangen. Dies ist Ausdruck des Kampfes einer neuen Generation gegen die Regierung, die zugunsten der Stärkung der kapitalistischen Gesellschaft auch gar nichts auslässt.

Die Mobilisierungen erfolgten in einem bestimmten Kontext, nämlich dem der Niederlagen der Mobilisierungen der LohnempfängerInnen vom Mai/Juni 2003 (Rentenreform) und der der StudentInnen vom November 2003. In diesem Rahmen vertieft sich die Revolte gegen die Regierung, was zu Wahlniederlagen führt, oder auch zur Weigerung der Mehrheit der Beschäftigten, am Pfingstmontag zur Arbeit zu gehen, nachdem dieser Feiertag von der Regierung abgeschafft worden ist. Schließlich konkretisierte sich der Widerstand in der größer werden Popularität für ein Nein bei der Volksabstimmung über die EU-Verfassung, was es den Arbeitenden zu geringen Kosten ermöglicht, ihre Ablehnung der gegenwärtigen Politik zum Ausdruck zu bringen. Hinzu kommt die Zunahme von Streiks in zahlreichen Sektoren (medizinische Notaufnahme, Fischerei, Radio, Post, Eisenbahnen …). Die SchülerInnenbewegung ermutigt andere Bereiche der Gesellschaft und ruft sie zum Mitmachen auf (auf der Straße oder bei gemeinsamen Abendessen mit SchülerInnen und ihren Eltern).

BETRÄCHTLICHE HINDERNISSE

Das Fehlen von kämpferischen Traditionen macht sich bemerkbar: die örtlichen Strukturen waren insgesamt betrachtet sehr schwach, es gab wenig Vollversammlungen, wenig gewählte Streikkomitees und wenig finanzielle Autonomie. So genügten rassistische Angriffe (der Medien, der Leute mit Vorurteilen, der Polizei), dass die Spaltungen zwischen den Gymnasien der armen Viertel und den anderen wochenlang nicht überwunden werden konnten.

Der Verrat der Gewerkschaftsführungen war ganz offensichtlich. Nachdem sie unter dem Druck der Basis auf nationaler Ebene eine vorantreibende Rolle gespielt hatten, haben die Organisationen der OberschülerInnen FIDL und UNL 2 die Gewalttätigkeiten bei den Demonstrationen zum Anlass genommen, die Bewegung zu verlassen. Doch ihre Rolle wurde von den OberschülerInnen weitgehend begriffen, deren Koordination bei den Demonstrationen die Gewerkschaften alt aussehen ließ. Die Führung der größten LehrerInnen- Gewerkschaft SNES 3 hat ihrerseits alles getan, um die Mobilisierungen zu behindern.

Schließlich machte es die Entschlossenheit der Regierung den OberschülerInnen unmöglich, ihren Kampf allein zu gewinnen. Sie müssen also eine größere Bewegung gegen die Regierung aufbauen. Dies steht im Gegensatz zu den Vorstellungen, die von einem Teil von ihnen aus Verzweiflung entwickelt wurden: minoritäre Aktionen, die weder die OberschülerInnen, noch die Lohnabhängigen mitzuziehen vermochten. In der Konfrontation haben die OberschülerInnen ganz traditionelle Kampfformen wiederentdeckt: Vollversammlungen, Streikposten, Demonstrationen, sowie die Notwendigkeit eines Generalstreiks. Ein Problem stellt das zu schwache Verständnis für diese vier Punkte dar. Um diesen Schwierigkeiten zu begegnen, konnten die Oberschüle

rInnen nur auf ihre eigenen Kräfte und die schwache Hilfe der Revolutionäre vertrauen. Der Aufbau einer nationalen Koordination hat eine Schlüsselrolle gespielt. Sie ermöglichte eine Fortsetzung der Mobilisierungen auch nach dem Auszug von FIDL und UNL, indem sie Termine vorschlug, Blockaden arrangierte, Druck auf die Gewerkschaftsführungen ausübte und versuchte, die Bewegung zu vereinen. Aber die Koordination war bei weitem nicht ohne Schwächen: Mandate existierten kaum, die Unordnung entmutigte, die gewählte Führung war ziemlich ohnmächtig, ein Teil der SchülerInnen, die nicht mehr zur Schule gehen, spaltete sich ab. Diese Schwierigkeiten sind vor allem Resultat des schwachen Verständnisses der Notwendigkeit einer Organisierung auf nationaler Ebene.

DIE ROLLE DER JUNGEN REVOLUTIONÄRE

Bei der Strukturierung der Bewegung und der Herausarbeitung ihrer politischen Ziele haben die Revolutionäre, vor allem die von der LCR unterstütze JCR, eine entscheidende Rolle gespielt. Seit September haben wir versucht, die Leute hinsichtlich des angekündigten Gesetzes zu sensibilisieren, Koordinationen aufzubauen und erste Blockaden von Gymnasien durchzuführen und wir haben auch (ohne großen Erfolg) auf eine demokratische Strukturierung der Bewegung gedrängt.

Tausende von jungen Menschen haben entdeckt, dass sie ihre Interessen mit jenen verteidigen mussten, die in dieser Gesellschaft nichts zu verteidigen haben und die bereit waren, die Konfrontation bis zum Äußersten zu treiben. Weil die Regierung nicht nachgab, gab es nur zwei Möglichkeiten: entweder aufgeben, wie es die Gewerkschaftsführungen gemacht haben, oder versuchen, auf einen Generalstreik hinzuarbeiten.


Die Ausgang der Bewegung wird über das Selbstvertrauen einer
Generation entscheiden.

Der Ausgang der Bewegung wird Konsequenzen haben: Er wird über das Selbstvertrauen einer Generation in ihre eigenen Kräfte entscheiden. Eine Niederlage würde zwei Seiten stärken: die Illusionen in Wahlen und die Linksradikalen. Doch was immer der Ausgang der Bewegung sein wird, die großen Lehren drängen sich bereits auf. Die erste ist, dass man auf seine eigenen Kräfte vertrauen und bereit sein muss, zu kämpfen. Wir werden diese Generation in den kommenden Arbeitskämpfen oder denen an den Unis am Werk sehen. Die zweite, die nicht von allen geteilt wird, ist, dass man von dieser Gesellschaft nicht viel erwarten darf, die sich über die Forderungen der direkt Betroffenen lustig macht. Dies führte zu einer heilsamen Respektlosigkeit gegenüber den Institutionen (Polizei, Verwaltungen, Ministerien...) und bei einer Minderheit zur Organisierung bei den Revolutionären.

Wahrscheinlich werden sich einige hundert junge Leute organisieren, die meisten bei der JCR, weniger bei der libertären Alternative oder in der CNT. Dies zeigt, dass die beste Art und Weise, eine breitere politische Strömung als unsere eigene aufzubauen, ist, in den Mobilisierungen auf Vereinheitlichung zu drängen, aber gleichzeitig Opposition gegen diese Gesellschaft zu machen. Diese Rolle müssen wir uns für die kommenden Jahre vornehmen: Wir müssen die neue Generation über die aufeinander folgenden Erfahrungen lehren, dass diese kapitalistische Gesellschaft umgewälzt werden muss.

(1) Die Reform („Gesetz zur Orientierung undvProgrammierung“) schafft die kollektivenven Rechte ab und verstärkt die Bindungen zwischen Schule und Unternehmen hinsichtlichvdes Inhalts der Ausbildung und der Finanzierung
der Anstalten.

 

Der Ablauf der Bewegung in Kürze

Ende August 2004: vorläufiger Thélot-Bericht, die Grundzüge des Fillon-Gesetzes.

• September 2004: Erste Flugblätter zum Thélot-Bericht.

6. Januar 2005: Polizeikontrollen in 1800 Gymnasien, Protestversam-mlungen. Lokale Bewegungen gegen die Mangelverwaltung.

20. Januar: Es demonstrieren
300 000 Menschen der öffentlichen Ver-waltung. Auch einige Tausend Gymna-siastInnen. InNantes und Paris entstehen Koordinationen. Die Demonstrationen
werden häufiger.

• 5. Februar: Demos wegen der Ver-längerung der Arbeitszeit. 500 000 DemonstrantInnen. An der Koordination der Pariser Region beteiligen sich 43 Gymnasien.

• 10. Februar: 100 000 DemonstrantIn-nen.Beginn der Ferien (in Teilen Frankreichs), die Demos gehen weiter.

• 5. März: Es trifft sich erstmals die
nationale Koordination.

• 8. März: 165 000 DemonstrantInnen,
bei der Demo in Paris kommt es zu Ausschreitungen.

• 10. März: Demo verschiedener
Berufsgruppen. Beim Demo-Abschnitt
der OberschülerInnen kommt es zu Ausschreitungen gegen den Ordnungs-dienst und junge Leute. Die FIDL und die UNL ziehen sich nach und nach aus der
Bewegung zurück. Die Demos werden kleiner, dafür nehmen die Blockaden von Gymnasien zu.

• 31. März: 180 Gymnasien werden
blockiert (von insgesamt 2 600)

• 2. April: Demonstration der LehrerInnen
– 60 000 Beteiligte.

• 7. April: 480 Gymnasien werden
blockiert.

• 20. April: 140 OberschülerInnen
werden wegen der Besetzung eines
Gebäudes des Erziehungsministeriums
verhaftet. Einige Dutzend Anklagen.

• 12. Mai: Die nationale Koordination
ruft zu einer Demo aller LehrerInnen
und SchülerInnen auf.