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»Ein Werk zuviel«

Stärken und Schwächen des Arbeitskampfes bei Opel/General-Motors 2004.

Teil I: Die Spontaneität der Kämpfe in Bochum

Für manchen erscheint der Arbeitskampf bei Opel Bochum im Oktober 2004 bereits verblaßt und Vergangenheit zu sein; ein Aufbäumen im Verlauf der Krisenerscheinungen in der Autobranche im allgemeinen und bei Opel/GM im besonderen. Tatsächlich handelte es sich um mehr; es ist sinnvoll, diesen Streik zu bilanzieren und daraus Lehren zu ziehen.


Von Winfried Wolf

 


Solidaritätsaktion der BFS-Zürich vor dem Europa-Hauptsitz von General Motors (GM) in Zürich/Glattbrugg am 19.Oktober 2004

 

Mitte Oktober 2004 gab das Management von GM Europe bekannt, daß europaweit jährlich 500 Millionen Euro »eingespart« werden müßten. Rein zufällig ging es um die gleiche Summe, die ein paar Monate zuvor DaimlerChrysler als erforderliche Einsparsumme genannt hatte. Dieselbe Summe wurde zum gleichen Zeitpunkt bei Karstadt-Quelle als »notwendiger Sparbeitrag der Belegschaft« genannt. Die Originalität der Oberen bei den Erpressungsprojekten hält sich in Grenzen.

Um die halbe Milliarde Euro pro Jahr einzusparen, so das GM-Opel-Management, müßten 12000 Arbeitsplätze in den europäischen GM/Opel-Werken, davon rund 10000 Jobs in den vier deutschen Opel-Werken und davon wiederum 4086 in Bochum abgebaut werden. General Motors habe, so ließ das GM-Management durchsickern, in Europa »ein Werk zu viel«. Die massiven Stellenstreichungen, die in Deutschland und hier besonders für Opel Bochum angekündigt waren, ließen erkennen, worauf die Sache hinauslaufen würde: Das Bochumer Opel-Werk stand komplett zur Disposition. Die hier angepeilten massiven Stellenstreichungen – praktisch eine Halbierung der zu diesem Zeitpunkt noch bestehenden Belegschaft von 9600 Beschäftigten – würden einen Torso zurücklassen, dem im Rahmen der absehbaren nächsten Sparprogramme der Todesstoß versetzt würde. Hierfür wurde auch eine Jahreszahl genannt: »Nach Informationen aus Unternehmenskreisen soll die Autoproduktion in Bochum nach 2008 auslaufen«, schrieb die Wirtschaftspresse. Dabei war in der Öffentlichkeit bekannt, daß GM erst ein Vierteljahr zuvor die Kapazitätserweiterung im Werk Gliwice und die Verlagerung der »Zafira«-Produktion in diese polnische GM-Fabrik bekanntgegeben hatte. Offensichtlich ging es nicht primär um einen Abbau von Kapazitäten, sondern auch um eine Verlagerung der GM-Engagements.


Bochum blieb allein

Am Donnerstag, dem 14. Oktober 2004, legte die Mittagsschicht in allen drei Werkteilen von Opel Bochum spontan die Arbeit nieder. Die folgenden Schichten taten dasselbe. Sechs volle Tage lang wurden in den drei Bochumer Opel-Werken offiziell »Informationsveranstaltungen« (Wahrnehmung des Rechts auf Information nach Paragraph 39 Betriebsverfassungsgesetz) durchgeführt; faktisch gab es einen einwöchigen spontanen Streik.

Anfang der darauffolgenden Woche, am 18. und 19. Oktober, zeigte der Bochumer Streik aufgrund der engmaschigen internationalen Arbeitsteilung und der knappen Lagerhaltung Auswirkungen in anderen GM-Fertigungsstätten. So war die Produktion im GM-Werk in Antwerpen bedroht.

Für Dienstag, 19. Oktober, hatten die IG Metall und andere Gewerkschaften zu einem Aktionstag in allen europäischen GM-Werken aufgerufen. Es kam europaweit zu zeitweiligen Arbeitsniederlegungen und Solidaritätsaktionen, an denen sich nach Gewerkschaftsangaben insgesamt 50000 Beschäftigte beteiligt haben. In Bochum demonstrierten an diesem Werktagvormittag rund 50000 Menschen in Solidarität mit dem Opel-Streik. Delegationen von anderen deutschen Autoherstellern nahmen an der Demonstration teil. Es kam jedoch nicht zu einer Ausweitung der Streiks auf andere GM-Opel-Werke; Bochum blieb allein.

Am 20. Oktober gab es eine Betriebsversammlung aller drei Werkteile, auf der über die Weiterführung oder ein Ende der »Informationsveranstaltungen« abgestimmt wurde. Rund zwei Drittel der Belegschaft stimmten für »Verhandlungen und Arbeitsaufnahme«. Nach sechs Tagen war dies das Ende des Streiks.



Ohne Betriebsrat Herr der Lage

Der Arbeitskampf bei Opel Bochum hatte eine Reihe positiver Elemente. So handelte es sich um einen spontanen Streik, der von einer großen Mehrheit der Belegschaft getragen wurde. Auch seine Beendigung wurde vor dem Hintergrund der ausbleibenden Solidarität in anderen europäischen GM-Werken von einer deutlichen Mehrheit beschlossen, also auch von vielen, die aktiv gestreikt hatten.

Im Bochumer Opel-Werk gibt es keine festgefügte Betriebsratshierarchie wie im Rüsselsheimer Stammwerk um den Betriebsratsvorsitzenden Klaus Franz. Jürgen Rosenthal, ein aktiver Kollege in Bochum, beschrieb die Situation so: »Der Betriebsrat hat bei einem 100-Meter-Lauf erst nach 60 Metern gemerkt, daß der Startschuß gefallen ist. Die Betriebsräte sind zwar immer wieder mal aufgetaucht, in der Öffentlichkeit aber überhaupt nicht aufgetreten. Die haben gar nicht damit gerechnet, daß die Belegschaft die Arbeit niederlegt. (...) Die ganze Aktion war für den Betriebsrat nicht steuerbar, sie ging ganz allein von der Belegschaft aus. Der Betriebsrat ist einfach nur hinterhergehinkt und war nie Herr der Lage.«

Die Kampfaktionen kamen gewissermaßen »aus dem Bauch« der Kollegen. Manfred Strobel, ein anderer Opel-Kollege, konkretisierte dies wie folgt: »Ohne großartige Abstimmungen wurden die Tore besetzt, um zu verhindern, daß LKW mit Ladung das Werk verließen – leer konnten sie fahren (...) In regelmäßigen Inforunden wurde der aktuelle Stand der Dinge bekanntgegeben und diskutiert. Das Mikro war offen für jeden und jede – mit einer Einschränkung: keine parteipolitische Agitation. Das und mehr klappte erstaunlicherweise gut (...) Die Belegschaft war sicherlich keine homogene Gemeinschaft, aber eine solidarische (...) Ich denke, daß viele den Eindruck hatten, dieses Ding kommt von uns und nicht von oben. Das war unsere Stärke und Kraft. Eben Selbstorganisierung – und das trotz IGM und Co-Managern.«


Das Werk faktisch besetzt

Während der einwöchigen »Informationsveranstaltung« waren die drei Bochumer Werkteile von GM-Opel faktisch besetzt: Die Kolleginnen und Kollegen der jeweiligen Schicht waren im Werk und überwiegend an ihren Arbeitsplätzen. Sie boten formal ihre Arbeitskraft an; nahmen jedoch fast alle an den »Informationsveranstaltungen« teil. Die Werktore waren in der Regel von Kollegen besetzt. PKW-Teile, die im Werk gelagert waren, konnten das Werk nicht verlassen. Selbst während der großen Demonstration in Bochum blieb eine ausreichend große Zahl der Kollegen im Werk. Durch die faktische Besetzung des Werkes war die öffentliche Wirkung enorm; es gab Tag für Tag Gespräche, Interviews und Diskussionen an den Werktoren. Die ARD-Tagesschau, ZDF-Heute und andere TV-Sendungen brachten fast täglich Bilder vom Streik, gelegentlich auch Berichte über die Diskussionen in der besetzten Fabrik. Das hatte eine erhebliche Ausstrahlung auf andere Belegschaften und in die Bevölkerung hinein.

Des weiteren war die Solidarität in der Stadt Bochum, in der Region – insbesondere im Ruhrgebiet und teilweise auch bundesweit und international – ausgesprochen groß. Die Theaterleute am Ort, Händler, Kirchenvertreter, andere Belegschaften und Künstler solidarisierten sich. Auch einige Medienderichterstatter ergriffen Partei für die Streikenden. Es gab Dutzende Solidaritätsadressen von anderen Belegschaften aus dem In- und Ausland. Immer wieder wurde zum Ausdruck gebracht, daß der Kampf bei Opel Bochum stellvertretend für viele andere geführt werde. LabourNet.de hat die eindrucksvollen Manifestationen von Solidarität dokumentiert.

Ganz offensichtlich hielt die Mehrheit der Bevölkerung in der Region den Streik für gerechtfertigt und hatte für ihn Sympathien. Ein Grund dafür war natürlich, daß ein Aus für Opel in Bochum katastrophale Folgen für die Region haben würde. »Stirbt Opel, stirbt das Revier – GM wir danken dir!« stand auf einem Plakat am Pförtnerhaus eines Werktors. So sah das auch die Mannschaft des VfL Bochum, die sich während des Streiks und anläßlich eines Bundesligaspiels mit den Streikenden solidarisierte.


Nervensystem von GM getroffen

Schließlich ist es den Streikenden (fast) gelungen, das Nervensystem des General Motors-Konzerns in Europa zu treffen. Am 19. Oktober war es soweit – in Antwerpen und Rüsselsheim ging wegen ausbleibender Zulieferteile aus Bochum die Arbeit aus. Klaus Hemmerling, Europabetriebsrat und Betriebsrat in Bochum, äußerte am 18. Oktober, daß auch GM-Werke außerhalb Europas in Kürze »Schwierigkeiten« bekommen würden. Wenn die europäischen GM-Werke die Arbeit hätten einstellen müssen, wäre für GM pro Tag ein Schaden von 30 Millionen Euro entstanden – und das ist ein Betrag, der weh tut bzw. eine Sprache, die in Detroit am ehesten verstanden wird. Doch dazu kam es nicht. Just als der Bochumer Streik solche europaweite Wirkungen zeigte, wurde er beendet.



Kämpferische Tradition

Die positiven Elemente des Bochumer Arbeitskampfes sind zu einem Großteil auf die lange kämpferische Tradition des Bochumer Opel-Werks und seiner Belegschaft zurückzuführen. Bereits 1970, acht Jahre nach Gründung des Werks, gab es in Bochum den ersten Arbeitskampf. 1973 streikten die Bochumer Opel-Werker vier Wochen lang für Lohnerhöhungen, um die Inflation auszugleichen. Der Opel-Kollege Walter Krawutschke, der sich vor dem Arbeitsgericht wegen Rädelsführerschaft beim Opel-Streik 1973 verteidigen mußte, beschrieb in seiner Verteidigungsrede den damaligen Kampf: »Ich habe im Grunde gemacht, was jeder im Streik macht. Ich habe nicht gearbeitet und auch nicht Karten gespielt. Ich habe statt dessen mit den Kollegen diskutiert. Ebenfalls bin ich mit vielen Kollegen durch die Abteilungen gegangen, und wir haben dort mit anderen Kollegen diskutiert. Und wir waren alle der Meinung, wenn wir unsere Forderungen durchsetzen wollen, müssen wir hart bleiben.«

Die IG Metall hatte damals Walter Krawutschke und anderen wegen Rädelsführerschaft angeklagten Kollegen, allesamt IG Metall-Mitglieder, den Rechtsschutz verweigert. Auch bei dem 1973er Streik hatte es sich um einen »wilden«, nicht gewerkschaftsoffiziellen Streik gehandelt. Im Gegensatz zu 2004 war dieser allerdings in eine Streikwelle in mehr als einem Dutzend westdeutschen Betrieben eingebettet und dadurch erfolgreich.

Spätestens seit dem Streik 1973 gab es bei Opel Bochum eine fast durchgängige Tradition klassenkämpferischer Gewerkschaftspolitik, zu einem erheblichen Teil getragen von der Gruppe Oppositionelle Gewerkschafter (GOG), die später als »Standorte«-Gruppe agierte und inzwischen als »Gegenwehr ohne Grenzen – GoG« aktiv ist. Eine größere Zahl der kämpferischen Kolleginnen und Kollegen dieser Gruppen wurden aus der IG Metall ausgeschlossen, die meisten wurden später wieder aufgenommen. Die linke Strömung in der Opel-Bochum-Belegschaft hat sich auch um die Analyse des Weltkonzerns General Motor und um den Aufbau konzernweiter Kommunikations- und Verteidigungsstrukturen der Belegschaften verdient gemacht. Ein Zeugnis dafür ist die 1996 erschienene Broschüre »General Motors – ›Wir sind keine Wohlfahrtseinrichtung‹ – Der größte Konzern der Welt unter der Lupe«.

Ein jüngerer Arbeitskampf hat für die gegenwärtige Auseinandersetzung eine wichtige Rolle gespielt. Im Jahr 2000 verkündete das GM-Management eine weitreichende Zusammenarbeit zwischen General Motors und Fiat. Teile von Opel und Fiat sollten bei deren jeweiligen Muttergesellschaften ausgegliedert und in eine neue Gesellschaft – ein GM-Fiat-Joint venture mit Namen »Powertrain« – eingebracht werden. In Bochum waren davon 1000 Opel-Beschäftigte betroffen. Die Belegschaftsvertreter hatten bereits zugestimmt und das Zugeständnis erhalten, daß die Ausgegliederten bei Powertrain (nicht aber Neueingestellte) für die Dauer von fünf Jahren den gleichen Lohn und das gleiche Gehalt wie bisher bei Opel erhalten sollten.

Das war der Belegschaft nicht genug. Unter der Losung »Wir sind eine Belegschaft« kam es in Bochum zum Streik. In fünf aufeinanderfolgenden Schichten standen die Bänder still. Bald stockte wegen der fehlenden Zulieferungen aus Bochum die Produktion in 17 europäischen GM-Werken. Damals gab es noch eine Hochkonjunktur in der Autobranche, so daß die arbeitsteilige Kette früher riß als 2004.

Die GM-Zentrale gab klein bei; die ausgegliederten Kollegen in Bochum und anderen GM-Werken blieben zu geltenden Tarifbedingungen Teil der Opel-Belegschaft. Auf den Zusammenhang der Arbeitskämpfe von 2004 und 2000 verweist Opel-Kollege Manfred Strobel. Im Juni 2004 habe GM angekündigt, zum Oktober die »Betriebsvereinbarung 180/Prämienlohn«, die im Jahr 2000 erkämpft wurde, kündigen zu wollen. Strobel: »Der Unmut über diese Frechheit der Konzernleitung lenkte die Erinnerung der Bochumer Belegschaft in Richtung 2000.«


Klassenpolitische Dimension

Vor diesem Hintergrund war klar, daß die »Sparmaßnahmen« des GM-Konzerns nicht allein ökonomisch begründet waren, sondern eine klassenpolitische Dimension hatten: Es ging darum, eine kampfstarke Belegschaft auszuschalten. Während des Arbeitskampfes widmete das Handelsblatt der klassenkämpferischen Tradition von Opel Bochum eine ganze Seite. »Das Werk war schon immer unberechenbar, weil es ein Hort für Linksbewegte war«, heißt es dort. Und: »Die Bochumer Opel-Belegschaft gehört zu den streikfreudigsten Deutschlands.« Das Blatt zitiert dann den Soziologen Professor Ludger Pries, der eben in dieser Kampfbereitschaft einen »Standortnachteil« erkennt.

Das Ziel, das klassenkämpferische Potential auszuschalten, hatte nicht nur die GM-Zentrale in Detroit und das GM-Europe-Management in Zürich. Auch die Politik mischte sich in diesem Sinn gegen die Streikenden ein. Das sah selbst ein bürgerliches Wirtschaftsblatt wie die Financial Times Deutschland so. Dort hieß es inmitten des Streiks: »NRW-Ministerpräsident Peer Steinbrück hat schon am Donnerstag die Opel-Arbeiter in Bochum zum Bravsein aufgefordert (...) Seht euch vor, mahnte der Landesvater, die ganz großen Bosse im fernen Detroit hätten ein feines Gespür dafür, welcher ihrer Arbeiter brav und welcher aufmüpfig sei. Es könne sein, daß der letztere seinen Arbeitsplatz zuerst verlieren werde.«


Fehlende Streikführung

Neben den positiven Aspekten des Arbeitskampfes bei Opel Bochum gab es eine Reihe negativer Momente, die letztlich zum Abbruch des Streiks und zur Niederlage der GM-Opel-Beschäftigten führten.

Der Aspekt, daß es sich um einen »spontanen« Streik handelte, hat auch eine problematische Seite. Diese Art Spontaneität hatte offensichtlich einen Doppelcharakter. Es gab bei der Opel-Belegschaft in Bochum keine anerkannte Streikführung, nicht einmal eine eindeutig tonangebende Gruppe. Der Betriebsrat ist politisch stark segmentiert. Die alte Kontinuität und Autorität von linken Strömungen, vor allem diejenige der GOG/Standorte-Gruppe, ist nicht mehr in dem Maß gegeben wie vor fünf oder zehn Jahren.

So scheint die siebentägige Arbeitsniederlegung im Oktober 2004 im guten und im schlechten Sinne eine »spontane« gewesen zu sein: Sie kam »von unten« und war weitgehend basisdemokratisch geprägt. Aber es gab keine mittelfristige Planung und Koordination. Der Kontakt zwischen den Streikenden bei Opel-Bochum und anderen linken Gruppen in deutschen Autowerken war äußerst dürftig; Kontakte zu anderen GM-Werken in Europa bestanden – sieht man einmal von Solidaritätserklärungen ab – so gut wie gar nicht. Auf die Frage des Interviewers »Wie und über wen hat die Belegschaft (in Bochum) mitbekommen, was in anderen Werken lief«, antwortete der Kollege Manfred Strobel: »Im wesentlichen durch die Medien. Teilweise durch den Betriebsratsvorsitzenden und seinen Stellvertreter, die einige Male zwischen Rüsselsheim und Bochum pendelten.« Damit wird gesagt, daß es Infos über die Situation in anderen Betrieben entweder über die (bürgerlichen) Medien gab – die zumindest unvollständig berichteten und oft auch die Lage verfälscht darstellten. Oder daß zwei Top-Betriebsräte, die derselbe Kollege an anderer Stelle als »Co-Manager« bezeichnet, also eher der Seite des Kapitals zurechnet, per »Pendeldiplomatie« informierten – oder eben auch desinformierten.

Aufgrund des Fehlens einer aktiven Streikführung gab es nach außen auch keine »Stimme des Streiks«; diejenigen, die einen schnellen Streikabbruch wollten, hatten leichtes Spiel, die Streikenden bei der großen Bochumer Demo (auf der es keine Redner pro Streik gab) oder bei der manipulativen Abstimmungsformel (siehe Teil II) auszubooten. Wohlgemerkt: »Streikführung« meint nicht, selbsternannte Führung oder informelle Führung. Zumindest auf europäischer Ebene gab es in jüngerer Vergangenheit eine Reihe Streiks mit demokratisch gewählten und transparent agierenden Streikkomitees.


Betriebsrat als Co-Manager

Sodann wirkte auf den Bochumer Arbeitskampf die Tatsache extrem destruktiv, daß der Opel-Gesamtbetriebsrat wie ein klassisches »Betriebsratsfürstentum« funktioniert. Der Gesamtbetriebsratsvorsitzende von Opel, Klaus Franz, ist gleichzeitig Chef des Europäischen General Motors Arbeitnehmerforums und – seit Januar 2003 – stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender von Opel. Franz hat den Kampf in Bochum nicht nur nicht unterstützt, er hat den Arbeitskampf torpediert. Selbst als in Rüsselsheim die Arbeit – wegen des Bochumer Streiks – ausging, gab es am Opel-Stammsitz, zugleich die Bastion von Klaus Franz, keine ernsthaften Solidaritätsaktionen mit den Kolleginnen und Kollegen von Bochum. Franz war maßgeblich daran beteiligt, in der Öffentlichkeit und gegenüber den Opel-Belegschaften alles auf Managementfehler in Detroit zu reduzieren. Anstatt die Interessen der Kolleginnen und Kollegen – Arbeitszeiten, Arbeitsbedingungen, Beschäftigtenzahlen, Lohnhöhe – zu verteidigen, trat er als der »bessere Manager« auf.

In einem Interview mit der Frankfurter Rundschau, das mit der Schlagzeile »Wir sind grundsätzlich zu Einsparungen bereit« veröffentlicht wurde, waren folgende Äußerungen des Gesamtbetriebsratsvorsitzenden zu lesen: »Wir müssen die komplette Herstellung des Automobils analysieren (...) Das Unternehmen General Motors ist viel zu komplex, es gibt mehr als 100 Einzelunternehmen. Deshalb schlagen wir vor, eine europäische Aktiengesellschaft mit einer flachen Organisation zu gründen. Dadurch können alle diese Doppelarbeiten (...) verringert werden und die Organisation wäre erheblich schlagkräftiger.« Auf die Frage des Interviewers »Bei Fusion fällt einem zuerst Stellenabbau ein. Wie viele Arbeitsplätze würde denn solch ein Zusammenschluß kosten?« antwortete Franz: »Das wird ein Ergebnis von Verhandlungen sein. Aber eine Fusion bedeutet in erster Linie Stellenabbau und Einsparungen bei den oberen Führungskräften und bei Managementfunktionen. (...) Insgesamt entstünde ein Unternehmensmodell, das General Motors unglaublich schlagkräftig machen würde.«

Der Begriff »Co-Manager« trifft da den Nagel auf den Kopf. Das »schlagkräftige Unternehmensmodell GM«, von dem Klaus Franz schwadroniert, würde den Prozeß von Rationalisierung, Produktivkraftsteigerung, Abbau von Beschäftigten und Reduktion der Masseneinkommen noch verschärfen und sich – nun im Wortsinne »schlagkräftig« – gegen die Belegschaft von anderen Autokonzernen und letzten Endes auch gegen die GM-Opel-Belegschaft richten.


Von IG Metall im Stich gelassen

Außerdem wirkte im Opel-Bochum-Arbeitskampf die Tatsache negativ, daß die IG Metall den Arbeitskampf nicht mittrug und die Kolleginnen und Kollegen in Bochum ins offene Messer der GM-Bosse laufen ließ. Während der gesamten Streikwoche in Bochum gab es keine einzige offensive Unterstützung für die Streikenden durch die IG-Metall-Zentrale. Ganz im Gegenteil. Der stellvertretende Vorsitzende der IG Metall Berthold Huber sagte mit Blick auf Bochum: »Nur kämpfen reicht nicht aus, und nur verhandeln auch nicht.« Von der IG-Metall-Spitze wurde der Streik als »nicht zielführend« bezeichnet. Weder der IG-Metall-Vorsitzende Jürgen Peters noch sein Stellvertreter Huber, noch der Gesamtbetriebsratsvorsitzende Klaus Franz ließen sich während des Streiks in Bochum blicken. Das ist grotesk: Da kündigt der größte Konzern der Welt Massenentlassungen in den deutschen GM-Opel-Betrieben an, eine wichtige Belegschaft tritt gegen die Drohung in einen Streik – und die maßgeblichen Gewerkschaftsfunktionäre gehen unter Deck und kungeln dort mit Politik und Management.

Siehe auch: Der isolierte Streik