Mitte
Oktober 2004 gab das Management von GM Europe
bekannt, daß europaweit jährlich
500 Millionen Euro »eingespart«
werden müßten. Rein zufällig
ging es um die gleiche Summe, die ein paar Monate
zuvor DaimlerChrysler als erforderliche Einsparsumme
genannt hatte. Dieselbe Summe wurde zum gleichen
Zeitpunkt bei Karstadt-Quelle als »notwendiger
Sparbeitrag der Belegschaft« genannt.
Die Originalität der Oberen bei den Erpressungsprojekten
hält sich in Grenzen.
Um
die halbe Milliarde Euro pro Jahr einzusparen,
so das GM-Opel-Management, müßten
12000 Arbeitsplätze in den europäischen
GM/Opel-Werken, davon rund 10000 Jobs in den
vier deutschen Opel-Werken und davon wiederum
4086 in Bochum abgebaut werden. General Motors
habe, so ließ das GM-Management durchsickern,
in Europa »ein Werk zu viel«. Die
massiven Stellenstreichungen, die in Deutschland
und hier besonders für Opel Bochum angekündigt
waren, ließen erkennen, worauf die Sache
hinauslaufen würde: Das Bochumer Opel-Werk
stand komplett zur Disposition. Die hier angepeilten
massiven Stellenstreichungen – praktisch
eine Halbierung der zu diesem Zeitpunkt noch
bestehenden Belegschaft von 9600 Beschäftigten
– würden einen Torso zurücklassen,
dem im Rahmen der absehbaren nächsten Sparprogramme
der Todesstoß versetzt würde. Hierfür
wurde auch eine Jahreszahl genannt: »Nach
Informationen aus Unternehmenskreisen soll die
Autoproduktion in Bochum nach 2008 auslaufen«,
schrieb die Wirtschaftspresse. Dabei war in
der Öffentlichkeit bekannt, daß GM
erst ein Vierteljahr zuvor die Kapazitätserweiterung
im Werk Gliwice und die Verlagerung der »Zafira«-Produktion
in diese polnische GM-Fabrik bekanntgegeben
hatte. Offensichtlich ging es nicht primär
um einen Abbau von Kapazitäten, sondern
auch um eine Verlagerung der GM-Engagements.
Bochum blieb allein
Am
Donnerstag, dem 14. Oktober 2004, legte die
Mittagsschicht in allen drei Werkteilen von
Opel Bochum spontan die Arbeit nieder. Die folgenden
Schichten taten dasselbe. Sechs volle Tage lang
wurden in den drei Bochumer Opel-Werken offiziell
»Informationsveranstaltungen« (Wahrnehmung
des Rechts auf Information nach Paragraph 39
Betriebsverfassungsgesetz) durchgeführt;
faktisch gab es einen einwöchigen spontanen
Streik.
Anfang
der darauffolgenden Woche, am 18. und 19. Oktober,
zeigte der Bochumer Streik aufgrund der engmaschigen
internationalen Arbeitsteilung und der knappen
Lagerhaltung Auswirkungen in anderen GM-Fertigungsstätten.
So war die Produktion im GM-Werk in Antwerpen
bedroht.
Für
Dienstag, 19. Oktober, hatten die IG Metall
und andere Gewerkschaften zu einem Aktionstag
in allen europäischen GM-Werken aufgerufen.
Es kam europaweit zu zeitweiligen Arbeitsniederlegungen
und Solidaritätsaktionen, an denen sich
nach Gewerkschaftsangaben insgesamt 50000 Beschäftigte
beteiligt haben. In Bochum demonstrierten an
diesem Werktagvormittag rund 50000 Menschen
in Solidarität mit dem Opel-Streik. Delegationen
von anderen deutschen Autoherstellern nahmen
an der Demonstration teil. Es kam jedoch nicht
zu einer Ausweitung der Streiks auf andere GM-Opel-Werke;
Bochum blieb allein.
Am
20. Oktober gab es eine Betriebsversammlung
aller drei Werkteile, auf der über die
Weiterführung oder ein Ende der »Informationsveranstaltungen«
abgestimmt wurde. Rund zwei Drittel der Belegschaft
stimmten für »Verhandlungen und Arbeitsaufnahme«.
Nach sechs Tagen war dies das Ende des Streiks.
Ohne Betriebsrat Herr
der Lage
Der
Arbeitskampf bei Opel Bochum hatte eine Reihe
positiver Elemente. So handelte es sich um einen
spontanen Streik, der von einer großen
Mehrheit der Belegschaft getragen wurde. Auch
seine Beendigung wurde vor dem Hintergrund der
ausbleibenden Solidarität in anderen europäischen
GM-Werken von einer deutlichen Mehrheit beschlossen,
also auch von vielen, die aktiv gestreikt hatten.
Im
Bochumer Opel-Werk gibt es keine festgefügte
Betriebsratshierarchie wie im Rüsselsheimer
Stammwerk um den Betriebsratsvorsitzenden Klaus
Franz. Jürgen Rosenthal, ein aktiver Kollege
in Bochum, beschrieb die Situation so: »Der
Betriebsrat hat bei einem 100-Meter-Lauf erst
nach 60 Metern gemerkt, daß der Startschuß
gefallen ist. Die Betriebsräte sind zwar
immer wieder mal aufgetaucht, in der Öffentlichkeit
aber überhaupt nicht aufgetreten. Die haben
gar nicht damit gerechnet, daß die Belegschaft
die Arbeit niederlegt. (...) Die ganze Aktion
war für den Betriebsrat nicht steuerbar,
sie ging ganz allein von der Belegschaft aus.
Der Betriebsrat ist einfach nur hinterhergehinkt
und war nie Herr der Lage.«
Die
Kampfaktionen kamen gewissermaßen »aus
dem Bauch« der Kollegen. Manfred Strobel,
ein anderer Opel-Kollege, konkretisierte dies
wie folgt: »Ohne großartige Abstimmungen
wurden die Tore besetzt, um zu verhindern, daß
LKW mit Ladung das Werk verließen –
leer konnten sie fahren (...) In regelmäßigen
Inforunden wurde der aktuelle Stand der Dinge
bekanntgegeben und diskutiert. Das Mikro war
offen für jeden und jede – mit einer
Einschränkung: keine parteipolitische Agitation.
Das und mehr klappte erstaunlicherweise gut
(...) Die Belegschaft war sicherlich keine homogene
Gemeinschaft, aber eine solidarische (...) Ich
denke, daß viele den Eindruck hatten,
dieses Ding kommt von uns und nicht von oben.
Das war unsere Stärke und Kraft. Eben Selbstorganisierung
– und das trotz IGM und Co-Managern.«
Das Werk faktisch besetzt
Während
der einwöchigen »Informationsveranstaltung«
waren die drei Bochumer Werkteile von GM-Opel
faktisch besetzt: Die Kolleginnen und Kollegen
der jeweiligen Schicht waren im Werk und überwiegend
an ihren Arbeitsplätzen. Sie boten formal
ihre Arbeitskraft an; nahmen jedoch fast alle
an den »Informationsveranstaltungen«
teil. Die Werktore waren in der Regel von Kollegen
besetzt. PKW-Teile, die im Werk gelagert waren,
konnten das Werk nicht verlassen. Selbst während
der großen Demonstration in Bochum blieb
eine ausreichend große Zahl der Kollegen
im Werk. Durch die faktische Besetzung des Werkes
war die öffentliche Wirkung enorm; es gab
Tag für Tag Gespräche, Interviews
und Diskussionen an den Werktoren. Die ARD-Tagesschau,
ZDF-Heute und andere TV-Sendungen brachten fast
täglich Bilder vom Streik, gelegentlich
auch Berichte über die Diskussionen in
der besetzten Fabrik. Das hatte eine erhebliche
Ausstrahlung auf andere Belegschaften und in
die Bevölkerung hinein.
Des
weiteren war die Solidarität in der Stadt
Bochum, in der Region – insbesondere im
Ruhrgebiet und teilweise auch bundesweit und
international – ausgesprochen groß.
Die Theaterleute am Ort, Händler, Kirchenvertreter,
andere Belegschaften und Künstler solidarisierten
sich. Auch einige Medienderichterstatter ergriffen
Partei für die Streikenden. Es gab Dutzende
Solidaritätsadressen von anderen Belegschaften
aus dem In- und Ausland. Immer wieder wurde
zum Ausdruck gebracht, daß der Kampf bei
Opel Bochum stellvertretend für viele andere
geführt werde. LabourNet.de hat die eindrucksvollen
Manifestationen von Solidarität dokumentiert.
Ganz
offensichtlich hielt die Mehrheit der Bevölkerung
in der Region den Streik für gerechtfertigt
und hatte für ihn Sympathien. Ein Grund
dafür war natürlich, daß ein
Aus für Opel in Bochum katastrophale Folgen
für die Region haben würde. »Stirbt
Opel, stirbt das Revier – GM wir danken
dir!« stand auf einem Plakat am Pförtnerhaus
eines Werktors. So sah das auch die Mannschaft
des VfL Bochum, die sich während des Streiks
und anläßlich eines Bundesligaspiels
mit den Streikenden solidarisierte.
Nervensystem von GM getroffen
Schließlich
ist es den Streikenden (fast) gelungen, das
Nervensystem des General Motors-Konzerns in
Europa zu treffen. Am 19. Oktober war es soweit
– in Antwerpen und Rüsselsheim ging
wegen ausbleibender Zulieferteile aus Bochum
die Arbeit aus. Klaus Hemmerling, Europabetriebsrat
und Betriebsrat in Bochum, äußerte
am 18. Oktober, daß auch GM-Werke außerhalb
Europas in Kürze »Schwierigkeiten«
bekommen würden. Wenn die europäischen
GM-Werke die Arbeit hätten einstellen müssen,
wäre für GM pro Tag ein Schaden von
30 Millionen Euro entstanden – und das
ist ein Betrag, der weh tut bzw. eine Sprache,
die in Detroit am ehesten verstanden wird. Doch
dazu kam es nicht. Just als der Bochumer Streik
solche europaweite Wirkungen zeigte, wurde er
beendet.
Kämpferische Tradition
Die
positiven Elemente des Bochumer Arbeitskampfes
sind zu einem Großteil auf die lange kämpferische
Tradition des Bochumer Opel-Werks und seiner
Belegschaft zurückzuführen. Bereits
1970, acht Jahre nach Gründung des Werks,
gab es in Bochum den ersten Arbeitskampf. 1973
streikten die Bochumer Opel-Werker vier Wochen
lang für Lohnerhöhungen, um die Inflation
auszugleichen. Der Opel-Kollege Walter Krawutschke,
der sich vor dem Arbeitsgericht wegen Rädelsführerschaft
beim Opel-Streik 1973 verteidigen mußte,
beschrieb in seiner Verteidigungsrede den damaligen
Kampf: »Ich habe im Grunde gemacht, was
jeder im Streik macht. Ich habe nicht gearbeitet
und auch nicht Karten gespielt. Ich habe statt
dessen mit den Kollegen diskutiert. Ebenfalls
bin ich mit vielen Kollegen durch die Abteilungen
gegangen, und wir haben dort mit anderen Kollegen
diskutiert. Und wir waren alle der Meinung,
wenn wir unsere Forderungen durchsetzen wollen,
müssen wir hart bleiben.«
Die
IG Metall hatte damals Walter Krawutschke und
anderen wegen Rädelsführerschaft angeklagten
Kollegen, allesamt IG Metall-Mitglieder, den
Rechtsschutz verweigert. Auch bei dem 1973er
Streik hatte es sich um einen »wilden«,
nicht gewerkschaftsoffiziellen Streik gehandelt.
Im Gegensatz zu 2004 war dieser allerdings in
eine Streikwelle in mehr als einem Dutzend westdeutschen
Betrieben eingebettet und dadurch erfolgreich.
Spätestens
seit dem Streik 1973 gab es bei Opel Bochum
eine fast durchgängige Tradition klassenkämpferischer
Gewerkschaftspolitik, zu einem erheblichen Teil
getragen von der Gruppe Oppositionelle Gewerkschafter
(GOG), die später als »Standorte«-Gruppe
agierte und inzwischen als »Gegenwehr
ohne Grenzen – GoG« aktiv ist. Eine
größere Zahl der kämpferischen
Kolleginnen und Kollegen dieser Gruppen wurden
aus der IG Metall ausgeschlossen, die meisten
wurden später wieder aufgenommen. Die linke
Strömung in der Opel-Bochum-Belegschaft
hat sich auch um die Analyse des Weltkonzerns
General Motor und um den Aufbau konzernweiter
Kommunikations- und Verteidigungsstrukturen
der Belegschaften verdient gemacht. Ein Zeugnis
dafür ist die 1996 erschienene Broschüre
»General Motors – ›Wir sind
keine Wohlfahrtseinrichtung‹ – Der
größte Konzern der Welt unter der
Lupe«.
Ein
jüngerer Arbeitskampf hat für die
gegenwärtige Auseinandersetzung eine wichtige
Rolle gespielt. Im Jahr 2000 verkündete
das GM-Management eine weitreichende Zusammenarbeit
zwischen General Motors und Fiat. Teile von
Opel und Fiat sollten bei deren jeweiligen Muttergesellschaften
ausgegliedert und in eine neue Gesellschaft
– ein GM-Fiat-Joint venture mit Namen
»Powertrain« – eingebracht
werden. In Bochum waren davon 1000 Opel-Beschäftigte
betroffen. Die Belegschaftsvertreter hatten
bereits zugestimmt und das Zugeständnis
erhalten, daß die Ausgegliederten bei
Powertrain (nicht aber Neueingestellte) für
die Dauer von fünf Jahren den gleichen
Lohn und das gleiche Gehalt wie bisher bei Opel
erhalten sollten.
Das
war der Belegschaft nicht genug. Unter der Losung
»Wir sind eine Belegschaft« kam
es in Bochum zum Streik. In fünf aufeinanderfolgenden
Schichten standen die Bänder still. Bald
stockte wegen der fehlenden Zulieferungen aus
Bochum die Produktion in 17 europäischen
GM-Werken. Damals gab es noch eine Hochkonjunktur
in der Autobranche, so daß die arbeitsteilige
Kette früher riß als 2004.
Die
GM-Zentrale gab klein bei; die ausgegliederten
Kollegen in Bochum und anderen GM-Werken blieben
zu geltenden Tarifbedingungen Teil der Opel-Belegschaft.
Auf den Zusammenhang der Arbeitskämpfe
von 2004 und 2000 verweist Opel-Kollege Manfred
Strobel. Im Juni 2004 habe GM angekündigt,
zum Oktober die »Betriebsvereinbarung
180/Prämienlohn«, die im Jahr 2000
erkämpft wurde, kündigen zu wollen.
Strobel: »Der Unmut über diese Frechheit
der Konzernleitung lenkte die Erinnerung der
Bochumer Belegschaft in Richtung 2000.«
Klassenpolitische Dimension
Vor
diesem Hintergrund war klar, daß die »Sparmaßnahmen«
des GM-Konzerns nicht allein ökonomisch
begründet waren, sondern eine klassenpolitische
Dimension hatten: Es ging darum, eine kampfstarke
Belegschaft auszuschalten. Während des
Arbeitskampfes widmete das Handelsblatt der
klassenkämpferischen Tradition von Opel
Bochum eine ganze Seite. »Das Werk war
schon immer unberechenbar, weil es ein Hort
für Linksbewegte war«, heißt
es dort. Und: »Die Bochumer Opel-Belegschaft
gehört zu den streikfreudigsten Deutschlands.«
Das Blatt zitiert dann den Soziologen Professor
Ludger Pries, der eben in dieser Kampfbereitschaft
einen »Standortnachteil« erkennt.
Das
Ziel, das klassenkämpferische Potential
auszuschalten, hatte nicht nur die GM-Zentrale
in Detroit und das GM-Europe-Management in Zürich.
Auch die Politik mischte sich in diesem Sinn
gegen die Streikenden ein. Das sah selbst ein
bürgerliches Wirtschaftsblatt wie die Financial
Times Deutschland so. Dort hieß es inmitten
des Streiks: »NRW-Ministerpräsident
Peer Steinbrück hat schon am Donnerstag
die Opel-Arbeiter in Bochum zum Bravsein aufgefordert
(...) Seht euch vor, mahnte der Landesvater,
die ganz großen Bosse im fernen Detroit
hätten ein feines Gespür dafür,
welcher ihrer Arbeiter brav und welcher aufmüpfig
sei. Es könne sein, daß der letztere
seinen Arbeitsplatz zuerst verlieren werde.«
Fehlende Streikführung
Neben
den positiven Aspekten des Arbeitskampfes bei
Opel Bochum gab es eine Reihe negativer Momente,
die letztlich zum Abbruch des Streiks und zur
Niederlage der GM-Opel-Beschäftigten führten.
Der
Aspekt, daß es sich um einen »spontanen«
Streik handelte, hat auch eine problematische
Seite. Diese Art Spontaneität hatte offensichtlich
einen Doppelcharakter. Es gab bei der Opel-Belegschaft
in Bochum keine anerkannte Streikführung,
nicht einmal eine eindeutig tonangebende Gruppe.
Der Betriebsrat ist politisch stark segmentiert.
Die alte Kontinuität und Autorität
von linken Strömungen, vor allem diejenige
der GOG/Standorte-Gruppe, ist nicht mehr in
dem Maß gegeben wie vor fünf oder
zehn Jahren.
So
scheint die siebentägige Arbeitsniederlegung
im Oktober 2004 im guten und im schlechten Sinne
eine »spontane« gewesen zu sein:
Sie kam »von unten« und war weitgehend
basisdemokratisch geprägt. Aber es gab
keine mittelfristige Planung und Koordination.
Der Kontakt zwischen den Streikenden bei Opel-Bochum
und anderen linken Gruppen in deutschen Autowerken
war äußerst dürftig; Kontakte
zu anderen GM-Werken in Europa bestanden –
sieht man einmal von Solidaritätserklärungen
ab – so gut wie gar nicht. Auf die Frage
des Interviewers »Wie und über wen
hat die Belegschaft (in Bochum) mitbekommen,
was in anderen Werken lief«, antwortete
der Kollege Manfred Strobel: »Im wesentlichen
durch die Medien. Teilweise durch den Betriebsratsvorsitzenden
und seinen Stellvertreter, die einige Male zwischen
Rüsselsheim und Bochum pendelten.«
Damit wird gesagt, daß es Infos über
die Situation in anderen Betrieben entweder
über die (bürgerlichen) Medien gab
– die zumindest unvollständig berichteten
und oft auch die Lage verfälscht darstellten.
Oder daß zwei Top-Betriebsräte, die
derselbe Kollege an anderer Stelle als »Co-Manager«
bezeichnet, also eher der Seite des Kapitals
zurechnet, per »Pendeldiplomatie«
informierten – oder eben auch desinformierten.
Aufgrund
des Fehlens einer aktiven Streikführung
gab es nach außen auch keine »Stimme
des Streiks«; diejenigen, die einen schnellen
Streikabbruch wollten, hatten leichtes Spiel,
die Streikenden bei der großen Bochumer
Demo (auf der es keine Redner pro Streik gab)
oder bei der manipulativen Abstimmungsformel
(siehe Teil II) auszubooten. Wohlgemerkt: »Streikführung«
meint nicht, selbsternannte Führung oder
informelle Führung. Zumindest auf europäischer
Ebene gab es in jüngerer Vergangenheit
eine Reihe Streiks mit demokratisch gewählten
und transparent agierenden Streikkomitees.
Betriebsrat als Co-Manager
Sodann
wirkte auf den Bochumer Arbeitskampf die Tatsache
extrem destruktiv, daß der Opel-Gesamtbetriebsrat
wie ein klassisches »Betriebsratsfürstentum«
funktioniert. Der Gesamtbetriebsratsvorsitzende
von Opel, Klaus Franz, ist gleichzeitig Chef
des Europäischen General Motors Arbeitnehmerforums
und – seit Januar 2003 – stellvertretender
Aufsichtsratsvorsitzender von Opel. Franz hat
den Kampf in Bochum nicht nur nicht unterstützt,
er hat den Arbeitskampf torpediert. Selbst als
in Rüsselsheim die Arbeit – wegen
des Bochumer Streiks – ausging, gab es
am Opel-Stammsitz, zugleich die Bastion von
Klaus Franz, keine ernsthaften Solidaritätsaktionen
mit den Kolleginnen und Kollegen von Bochum.
Franz war maßgeblich daran beteiligt,
in der Öffentlichkeit und gegenüber
den Opel-Belegschaften alles auf Managementfehler
in Detroit zu reduzieren. Anstatt die Interessen
der Kolleginnen und Kollegen – Arbeitszeiten,
Arbeitsbedingungen, Beschäftigtenzahlen,
Lohnhöhe – zu verteidigen, trat er
als der »bessere Manager« auf.
In
einem Interview mit der Frankfurter Rundschau,
das mit der Schlagzeile »Wir sind grundsätzlich
zu Einsparungen bereit« veröffentlicht
wurde, waren folgende Äußerungen
des Gesamtbetriebsratsvorsitzenden zu lesen:
»Wir müssen die komplette Herstellung
des Automobils analysieren (...) Das Unternehmen
General Motors ist viel zu komplex, es gibt
mehr als 100 Einzelunternehmen. Deshalb schlagen
wir vor, eine europäische Aktiengesellschaft
mit einer flachen Organisation zu gründen.
Dadurch können alle diese Doppelarbeiten
(...) verringert werden und die Organisation
wäre erheblich schlagkräftiger.«
Auf die Frage des Interviewers »Bei Fusion
fällt einem zuerst Stellenabbau ein. Wie
viele Arbeitsplätze würde denn solch
ein Zusammenschluß kosten?« antwortete
Franz: »Das wird ein Ergebnis von Verhandlungen
sein. Aber eine Fusion bedeutet in erster Linie
Stellenabbau und Einsparungen bei den oberen
Führungskräften und bei Managementfunktionen.
(...) Insgesamt entstünde ein Unternehmensmodell,
das General Motors unglaublich schlagkräftig
machen würde.«
Der
Begriff »Co-Manager« trifft da den
Nagel auf den Kopf. Das »schlagkräftige
Unternehmensmodell GM«, von dem Klaus
Franz schwadroniert, würde den Prozeß
von Rationalisierung, Produktivkraftsteigerung,
Abbau von Beschäftigten und Reduktion der
Masseneinkommen noch verschärfen und sich
– nun im Wortsinne »schlagkräftig«
– gegen die Belegschaft von anderen Autokonzernen
und letzten Endes auch gegen die GM-Opel-Belegschaft
richten.
Von IG Metall im Stich
gelassen
Außerdem
wirkte im Opel-Bochum-Arbeitskampf die Tatsache
negativ, daß die IG Metall den Arbeitskampf
nicht mittrug und die Kolleginnen und Kollegen
in Bochum ins offene Messer der GM-Bosse laufen
ließ. Während der gesamten Streikwoche
in Bochum gab es keine einzige offensive Unterstützung
für die Streikenden durch die IG-Metall-Zentrale.
Ganz im Gegenteil. Der stellvertretende Vorsitzende
der IG Metall Berthold Huber sagte mit Blick
auf Bochum: »Nur kämpfen reicht nicht
aus, und nur verhandeln auch nicht.« Von
der IG-Metall-Spitze wurde der Streik als »nicht
zielführend« bezeichnet. Weder der
IG-Metall-Vorsitzende Jürgen Peters noch
sein Stellvertreter Huber, noch der Gesamtbetriebsratsvorsitzende
Klaus Franz ließen sich während des
Streiks in Bochum blicken. Das ist grotesk:
Da kündigt der größte Konzern
der Welt Massenentlassungen in den deutschen
GM-Opel-Betrieben an, eine wichtige Belegschaft
tritt gegen die Drohung in einen Streik –
und die maßgeblichen Gewerkschaftsfunktionäre
gehen unter Deck und kungeln dort mit Politik
und Management.
Siehe
auch: Der isolierte Streik |