Die
Organisationsform der Reinigungsbranche: Hochkonzentrierte
Zersplitterung
Die
Putzarbeit in Behörden, Schulen, Krankenhäusern
usw. wird mittlerweile von einigen großen
Firmen or-ganisiert, die teilweise schon als
Multis auftreten. Die Firma Klüh Service
Management GmbH ist eine von ihnen. In Deutschland
beschäftigt sie etwa 14000, weltweit über
40000 Menschen – mit besonders starker
Expansion in China und Indien. Auf europäischer
Ebene ist sie mit der britischen Firma Mitie
Group und der französischen Sin & Stes
zur Firma Service Management International (SMI)
zusammengeschlossen, die weltweit Aufträge
an Land zieht. Aber für die zum größten
Teil in Teilzeit und auf 400-Euro-Basis Beschäftigten
ist dieser Konzentrationsprozess nicht greifbar.
Sie arbeiten in kleinen Betrieben oder Kolonnen,
haben nur über Vorarbeiter oder Abteilungschefs
Kontakt zur Firma und keinerlei Kontakt zu den
KollegInnen an anderen Einsatzorten derselben
Firma. Betriebsräte sind in dieser Branche
ohnehin die Ausnahme, und von den wenigen, die
es gibt, verhalten sich die meisten als verlängerter
Arm der Personalabteilung. Insofern ist die
Klüh-Flugzeugreinigung in Düsseldorf
schon ein Sonderfall. Die 110 festangestellten
Putzkräfte arbeiten in Vollzeit, und auch
die befristet oder als Leiharbeiter Beschäftigten
haben garantierte monatliche Stundenzahlen.
Aber auch ihr Betriebsrat hat trotz vielfältiger
Bemühungen bisher keine Kontakte zu anderen
Klüh-Belegschaften herstellen können.
Putzen
– der tägliche Kleinkrieg gegen Chefs
und anderen Dreck
Wie
in der gesamten Branche sind auch bei der Firma
Klüh extreme Formen der Ausbeutung und
Schikanierung an der Tagesordnung. In die Schlagzeilen
geriet Klüh Ende letzten Jahres, weil Betriebsräte
im Untertürkheimer Daimler-Werk zusammen
mit dort eingesetzten Beschäftigten der
Firma Klüh diese Verhältnisse öffentlich
gemacht hatten: Mehrarbeit wurde nicht bezahlt,
es wurden unzumutbare Leistungsvorgaben gemacht
und dann Qualitätsmängel gerügt,
KollegInnen auf sexistische und rassistische
Weise beschimpft usw. Durch diese Veröffentlichungen
sah sich schließlich das Management von
Daimler so unter Druck gesetzt, dass es den
Vertrag mit der Firma Klüh nicht verlängerte.
Was die Methoden angeht, ist Klüh sicher
kein Einzelfall in dieser Branche – nur
dass diese Methoden hier endlich einmal zum
Politikum und Skandal gemacht wurden. Über
ein jüngstes Beispiel, wie Klüh mit
Beschäftigten umgeht, berichtete auch nur
die Lokalpresse: In Baden-Baden wurde eine Putzfrau
von Klüh gekündigt, weil sie während
ihrer Arbeit beim DRK-Blutspendedienst einen
Schluck aus einer herumstehenden Orangensaft-Flasche
genommen haben soll. Wohl unter dem Eindruck
der allgemeinen Skandalisierung von »Verdachtskündigungen«,
die vor allem mit dem Namen »Emmely«
und ihrer erfolgreichen Klage bis zum Bundesarbeitsgericht
verbunden sind, kündigte das DRK daraufhin
den Vertrag mit Klüh. Nun »bemüht«
sich die Putzfirma Klüh angeblich doch
um eine Weiterbeschäftigung, nachdem sie
zunächst beim Gütetermin noch zu keinem
Einlenken bereit war.[2] Den FlugzeugreinigerInnen
in Düsseldorf sind diese Methoden bekannt;
dort wurde auch schon – erfolglos –
versucht, Beschäftigte zu entlassen, weil
sie sich ein altes Brötchen im Flugzeug
eingesteckt haben sollen.
Flughafen
Düsseldorf – Putzen im Minutentakt
Flughäfen
sind im Grunde moderne Fabriken, und sie sind
moderne Formen von Arbeiterkonzentrationen,
die den dort Arbeitenden ein enormes Störpotenzial
in die Hand geben. Damit die Maschinen im Minutentakt
landen und starten können, muss eine Vielzahl
von Arbeitergruppen taktgenau zusammenarbeiten.
In den letzten Jahren fällt auf, wie der
anhaltende Boom der Fliegerei auch zu einer
zunehmenden Konfliktualität an den Flughäfen
führt. Aber noch wird das Ausspielen der
möglichen Arbeitermacht durch die rasanten
Umstrukturierungen, Auslagerungen und Firmenzer-splitterungen
ausgebremst. Denn der Boom des Fliegens ist
vor allem einer der Billigflieger, die nur mit
weiteren Kostensenkungen und Druck auf die ArbeiterInnen
profitabel sein können.
Ein
wesentlicher Faktor der Profite ist die Umschlagzeit
des fixen Kapitals, in diesem Fall der ununterbrochene
Einsatz der Flugzeuge. Um die Standzeiten auf
ein Minimum zu drücken, müssen die
Flieger in wenigen Minuten gereinigt, betankt,
mit Catering versorgt, gewartet werden usw.
Da kommt es zu einem ziemlichen Gerangel in
den ohnehin schon eng gebauten Maschinen –
und im Nacken ständig die Crew, die ihren
Flugplan einhalten will. Dabei sind Verspätungen
im Flugverkehr an der Tagesordnung, so dass
sich die Reinigungsarbeit nicht perfekt planen
lässt. Dann stehen auf einmal sechs Flugzeuge
gleichzeitig auf dem Rollfeld, die innerhalb
von zehn Minuten geputzt werden sollen, obwohl
nur zwei eingeplant waren. Der ganze Druck wird
letztlich auf die Beschäftigten abgewälzt,
die sehen sollen, wie sie damit zurechtkommen.
Um
die extremen saisonalen Schwankungen im Flugverkehr
besser abzufangen, arbeiten die Putz- und Cateringfirmen,
aber auch Gepäckabfertigung und Security
– ein Geschäft, in das Firmen wie
Klüh zunehmend mit einsteigen – mit
Arbeitszeitkonten, Arbeit auf Abruf und LeiharbeiterInnen
ohne garantierte monatliche Stundenzahlen. Für
die Beschäftigten bedeutet das die völlige
Unplanbarkeit der eigenen Zeit, ständig
herumkommandiert zu werden, Schichtplanänderungen
von heute auf morgen – und das alles ohne
einen garantierten Monatslohn. Das Besondere
bei der Flugzeugreinigung Klüh in Düsseldorf
besteht unter anderem darin, dass sich die ArbeiterInnen
solche Bedingungen – die selbst von der
Gewerkschaft schon als »branchenüblich«
hingenommen werden – nicht bieten lassen.
Darin besteht in den Augen der Firma ihre »Unbotmäßigkeit«,
für die sie jetzt mit dem Verlust ihres
Arbeitsplatzes bzw. dem Verzicht auf ihre bisher
verteidigten Bedingungen bestraft werden sollen.
Jahrelange
Konflikte – beachtliche Erfolge
2004
wollte Klüh am Düsseldorfer Flughafen
Jahresarbeitszeitkonten mit einem Spielraum
von 120 Plus- oder Minus-Stunden einführen.
Zunächst ging die Mehrheit des Betriebsrats
auf den Vorschlag der Firma ein, und auch die
zuständige Gewerkschaft IG BAU hatte keine
Einwände, da dies schließlich überall
»so üblich« sei. Aber zwei
Betriebsräte widersprachen und forderten,
die ArbeiterInnen auf Betriebsversammlungen
selbst darüber abstimmen zu lassen –
auch dies eine bei Klüh öfter praktizierte
Form der betrieblichen Demokratie, die keineswegs
selbstverständlich ist. Nachdem sich eine
klare Mehrheit gegen die Arbeitszeitkonten ausgesprochen
hatte, lehnte auch der Betriebsrat ab. Bis heute
wurde diese Flexibilisierung verhindert. Überstunden
werden monatlich ausbezahlt, und wem seine freie
Zeit wichtiger als das zusätzliche Geld
ist, der kann auch nicht unter Druck gesetzt
werden wie in anderen Betrieben.
Besonders
stolz sind die KollegInnen auf ihr 4-2-4-1-Modell
der jährlichen Arbeitszeitverteilung. Wurde
früher acht Tage oder mehr am Stück
gearbeitet – je nach betrieblicher Anordnung
und mit kurzfristiger Ankündigung, so setzten
sie einen festen Rhythmus von vier Arbeitstagen,
zwei Freitagen, vier Arbeitstagen und wieder
einem freien Tag durch, der ihr persönliches
Leben planbar macht und die Willkür der
Chefs einschränkt. Beliebtes Bestrafungs-
oder Belohnungsmittel war z.B. die Vergabe der
mit 75 Prozent Zuschlag bezahlten Sonntagsschichten.
Das konnte sogar gegen den Betriebsrat ausgespielt
werden, denn wenn der eine gerechtere Verteilung
anmahnte, konnten die Chefs diejenigen, die
dadurch weniger Sonntagsschichten bekamen, gegen
den Betriebsrat aufstacheln. Mit dem festen
und auf ein Jahr festgelegten Schichtrhythmus
können solche Konflikte gar nicht erst
aufkommen. Um aber die Möglichkeiten einer
selbstbestimmten Flexibilität nicht einzuschränken,
wurde per Betriebsvereinbarung festgeschrieben,
dass die Beschäftigten auch kurzfristig
ein oder zwei Tage Urlaub nehmen können.
Um
zu verhindern, dass damit der gesamte Flexibilisierungsdruck
auf Teilzeitbeschäftigte und Leiharbeiter
abgewälzt wird, wurden auch für sie
feste Stundenzahlen (120 Monatsstunden für
Leiharbeiter) und Ankündigungszeiträume
vereinbart. 2008 gelang es dann auch, die maximale
Zahl der LeiharbeiterInnen auf 50 zu begrenzen,
wodurch die Firma gezwungen werden konnte, einige
LeiharbeiterInnen zu übernehmen.
Vor
dem Hintergrund all dieser Beispiele wundert
einen auch die für hiesige Verhältnisse
fast unglaubliche Geschichte nicht mehr, dass
die Frauen zum 8. März diesen Jahres, dem
internationalen Frauentag, bezahlte Freistellungen
für ihre Aktionen während der Arbeitszeit
durchsetzten.
Eine
rebellische Belegschaft, ein unbestechlicher
Betriebsrat
Immer
wieder hat die Geschäftsleitung in den
letzten Jahren versucht, den Betriebsrat auf
ihre Seite zu ziehen. Dem Betriebsratsvorsitzenden,
der aus der Türkei stammt, wurden Angebote
gemacht wie eine Freistellung, auf die kein
rechtlicher Anspruch besteht. »Nein Danke«,
sagte der, und verlangte seinen Schichtplan.
Als die wiederholten Angebote, die prägend
für die deutsche Betriebsratskultur sind,
nicht fruchteten, hat man es mit Druck versucht:
Es hagelte Abmahnungen und sogar Kündigungen
gegen Betriebsratsmitglieder – die in
schöner Regelmäßigkeit in endlosen
Arbeitsgerichtsprozessen wieder fallengelassen
werden mussten. Statt den Betriebsrat gefügig
zu machen, wurde dieser in den letzten Jahren
noch stärker und geschlossener. Nach den
Betriebsratswahlen von 2002 befand sich die
Fraktion der konsequenten Interessensvertreter
mit vier von neun Sitzen noch in der Minderheit.
Bei den Wahlen von 2006 kam sie auf fünf
von sieben Sitzen und 2010 schließlich
auf sieben von sieben Sitzen (122 von 140 abgegebenen
Stimmen). Versuche der rassistischen Spaltung
– vor allem zwischen den ArbeiterInnen
aus der Türkei (etwa die Hälfte) und
den aus afrikanischen Ländern stammenden
(etwa ein Drittel) – gingen nicht auf.
Von den sieben Betriebsratsmitgliedern kommen
vier aus der Türkei und drei aus Afrika,
und sie wehren sich gemeinsam gegen den Druck
der Unternehmensleitung. Unterrepräsentiert
sind allerdings die Frauen, die drei Viertel
der Belegschaft ausmachen, aber mit nur zwei
Sitzen im Betriebsratsgremium vertreten sind.
Gemeinsames
Spiel von Air Berlin und Klüh
Wer
diesen ganzen Hintergrund kennt, durchschaut
leicht das abgekartete Spiel von Klüh und
Air Berlin, die mit ca. 70 Prozent der zu putzenden
Flugzeuge Hauptkunde der Klüh Flugzeugreinigung
in Düsseldorf ist. Da die Air Berlin, mittlerweile
zweitgrößte Airline in Deutschland,
selber mit allen Mitteln versucht, Gewerkschaften
aus dem Betrieb zu halten und Betriebsräte
erst gar nicht entstehen zu lassen, dürfte
sie Verständnis für die Sorgen von
Klüh gehabt haben. Ende 2009 kündigte
sie an, die Kosten für diesen Auftrag müssten
um 20 Prozent gesenkt werden. Klüh reagierte
darauf, indem sie sich nicht mehr an der Ausschreibung
beteiligte. Auch Vorschläge des Betriebsrats
zu möglichen Kosteneinsparungen änderten
nichts an dieser Haltung. Es ist klar, dass
Klüh nicht generell seine Geschäftsbeziehungen
zur Air Berlin einstellen will – am Frankfurter
Flughafen putzt sie, mit einer wesentlich gefügigeren
Belegschaft, nach wie vor deren Maschinen.
Dass
es sich um eine gezielt eingefädelte Strategie
handelt, deutet noch ein anderes Detail an:
Für die Verhandlungen mit dem Betriebsrat
und der Gewerkschaft hat Klüh den Düsseldorfer
Rechtsanwalt Helmut Naujoks eingeschaltet. Naujoks
ist kein unbeschriebenes Blatt, sondern gilt
als einer der aggressivsten und rüdesten
Anwälte, wenn es darum geht, Betriebsräte
loszuwerden. In seinem Buch »Kündigung
von ›Unkündbaren‹« und
auf »Fachseminaren« erklärt
er Unternehmern, mit welchen Schikanen sie missliebige
Betriebsräte loswerden können –
Methoden, die von Günter Wallraff in seinem
Buch »Aus der schönen neuen Welt«
angeprangert wurden. Aber Naujoks mit seiner
repräsentativen Kanzlei an der Düsseldorfer
Nobeladresse Cecilienallee ist nicht billig;
wer ihn beauftragt, lässt es sich was kosten,
ein besonderes Problem zu lösen, z.B. einen
unliebsamen und unbestechlichen Betriebsrat
loszuwerden.
Kämpferische
Belegschaft, zögerliche Gewerkschaft
Mit
einer Reihe von Aktionen haben die Putzkräfte
versucht, öffentliche Aufmerksamkeit und
Solidarität zu bekommen. Aber bisher teilen
sie das Schicksal vieler kleiner Konflikte im
Kontext von Krise und weiterer Prekarisierung.
Presse und Fernsehen zeigen sich desinteressiert
und wollen lieber über den kommenden Aufschwung
berichten, die Linke ist mit sich selbst beschäftigt
und diskutiert über die große Parteifrage
oder lamentiert darüber, dass die Krise
zu keinen Kämpfen führt, und die Gewerkschaften
versuchen solche Konflikte möglichst schnell
und reibungslos über die Bühne zu
bringen, machen den ArbeiterInnen fragwürdige
Sozialpläne schmackhaft – und für
die Restwut, die bleibt, gibt’s mal ab
und zu einen Protesttag mit der großmäuligen
Behauptung, man werde nicht für ihre Krise
bezahlen. Vor Ort geht es aber nur um die geräuschlose
Ausgestaltung dieses Bezahlens, das als unabänderliches
Naturgesetz schon längst verinnerlicht
ist.
Trotz
Protestversammlungen am Flughafentor, trotz
so pfiffiger Aktionen wie 24-stündigen
Betriebsversammlungen, gelang es den KollegInnen
nicht einmal, in die Lokalpresse zu kommen.
Vielleicht bremst hier auch das lokale Image
des Firmeninhabers Josef Klüh, der den
Düsseldorfern besser als langjähriger
Präsident ihres geliebten Eishockey-Clubs
DEG bekannt ist, denn als erfolgreicher Ausbeuter
im Putzsektor. Innerhalb der türkischstämmigen
oder migrantischen Arbeiterszene der Region
kursieren Informationen über Konflikte
wie bei Klüh, aber sie bleiben in dieser
proletarischen »Parallelgesellschaft«
gefangen. Zu dieser hat auch die deutsche Linke
kaum Kontakte, oder allenfalls über die
institutionalisierten gewerkschaftlichen Vertreter
dieser Schicht, die es im völlig unreflektierten
Interesse ihres eigenen störungsfreien
Betriebsablaufs vermeiden, etwas hochzuspielen,
was für sie ganz normaler Kapitalismus
ist – Tagesgeschäft, das wegen der
schwindenden eigenen Ressourcen mit möglichst
geringem Aufwand zu erledigen ist. Selbst wenn
der Kampf dieser Belegschaft um ihren Zusammenhalt
und ihre Bedingungen vielleicht letzten Endes
nicht gewonnen wird, gehört er doch zu
den vielen Geschichten aus dem heutigen Klassenkampf
in der Krise, die hartnäckig ignoriert
werden. Dabei könnten sie anderen Mut zum
Kämpfen machen und ein anderes Bild der
bundesdeutschen Klassenrealität zeigen.
*
Christian Frings lebt und arbeitet in Köln
Erschienen
im express, Zeitung für sozialistische
Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 8/10 |