Wenn
ausländische Unternehmen in Deutschland
nach den Gesetzen der Konkurrenz fusionieren,
produzieren und entlassen, gibt es regelmäßig
einen nationalen Aufstand - so geschehen bei
der Übernahme von Mannesmann durch Vodafone,
so jetzt wieder bei der Verlagerung von Nokia-Bochum
nach Ungarn und Rumänien. Wenn deutsche
Unternehmen - im Inland oder im Ausland -
Subventionen abzocken und Konkurrenten aus
dem Rennen werfen, beweist das nur, dass "wir"
die Tüchtigsten sind. Kann ein Wirtschaftsmodell,
das weltweit Gültigkeit beansprucht,
auf einem solchen doppelten Standard aufbauen?
Die Heuchelei ist unerträglich: Die Politiker,
die sich jetzt vor die Kameras schieben und
vor Betroffenheit und Mitgefühl nur so
triefen, sind dieselben, die die Verträge
mit Nokia unterschrieben haben, und die jedem
Konzern Millionen Subventionen hinterher werfen,
der auch nur eine kleine Produktionsstätte
in Deutschland aufbaut. Es waren Rüttgers
und Merkel und ihresgleichen, welche die Gesetze
gemacht haben, die es Unternehmen ermöglichen,
Subventionen zu kassieren und sich danach
aus dem Staub zu machen. Sie sind es, die
- im Verbund mit Sozialdemokraten - in den
vergangenen 15 Jahren ein EU-Vertragswerk
aufgebaut haben, das als oberste Priorität
für unsere Gesellschaft "den ungehinderten
Wettbewerb" und den "freien grenzenlosen
Kapitalverkehr" in einer erweiterten
EU vorschreibt - zuletzt wieder bekräftigt
im neuen EU-Vertrag, der dank Angela Merkel
an die Stelle der EU-Verfassung getreten ist.
Rüttgers
soll nichts gewusst haben?
Das soll man ihm nicht glauben.
Wie der Kölner Stadtanzeiger am 18.Januar
meldete, hat Nokia im März 2006 mit der
Bezirksverwaltung im rumäni schen Cluj
(Klausenburg) Verhandlungen über den Bau
eines eigenen Dorfes (Nokia-Village) aufgenommen,
in dem 5000 Beschäftigte Platz haben. Die
Verhandlungen seien am 27.März 2007 abgeschlossen
worden. Und Nokia soll die Landesregierung seitdem
nicht darüber informiert haben, dass Bochum
ein Jahr später geschlossen werden soll?
Nokia ist kein Newcomer, die Produktionsabläufe
werden lange im voraus geplant, und das Unternehmen
kann kein Interesse an einem schlechten Verhältnis
zur Politik haben.
Viel wahrscheinlicher ist, dass unser "Arbeiterführer"
sich bislang nicht getraut hat, der Öffentlichkeit
reinen Wein einzuschenken. Wut und Zorn lassen
sich ja auch besser managen, wenn wenig Zeit
bleibt, der Schnitt "kurz und schmerzhaft"
ist und die Politik darauf hoffen kann, dass
der Rauch sich bald wieder verzieht. Wäre
die Belegschaft bereits vor einem Jahr informiert
worden, hätte sie viel mehr Zeit gehabt,
eine Widerstandsstrategie zu entwickeln. Gut
möglich deshalb, dass Rüttgers im
Einvernehmen mit Nokia die Beschäftigten
und die Öffentlichkeit hinters Licht geführt
hat.
Die
freie Marktwirtschaft hat eine Bataille verloren,
Ruhe ist die erste Bürgerpflicht.
Wenn Rüttgers jetzt Nokia
als "unanständig" und als "Subventionsheuschrecke"
bezeichnet, dann tut er so, als habe er heute
vergessen, was er gestern noch gepredigt, in
Gesetz gegossen und unterschrieben hat. Das
aber steht fest: Er tut nur so. So dumm ist
selbst Rüttgers nicht, dass e r nicht wüsste,
er führt da gerade ein Schauspiel auf.
Das Schauspiel aber muss sein. Es dient einem
einzigen Sinn und Zweck: Dampf aus dem Kessel
zu lassen. Die ganzen Hinweise auf die "moralische
Verwerflichkeit" von Standortschließungen
sind nichts als der Zuckerguss, mit dem die
bittere Pille versüßt werden soll.
Wenn Rüttgers sich vor die Nokia-Beschäftigten
stellte und ihnen sagte: Tut mir leid, liebe
Leute, das sind halt die Regeln der freien Marktwirtschaft,
bliebe nicht nur von ihm nicht mehr viel übrig,
sondern auch vom Nokia-Werk nicht. Seine oberste
Pflicht als politischer Agent des Kapitals ist
dafür zu sorgen, dass auch diese Betriebsschließung
möglichst geräuschlos über die
Bühne geht, die Wogen zu glätten und
die Belegschaft zu beruhigen: Geht nach Hause,
wir sorgen für euch. Die freie Marktwirtschaft
hat eine Bataille verloren - Ruhe ist die erste
Bürgerpflicht.
Auf dem Weg zur Erkenntnis, dass gegen den Abzug
von Nokia nichts zu machen ist und die Arbeiter
deshalb in den sauren Apfel beißen müssen
- auf diesem Weg wollen Rüttgers und Schauerte
und Frau Merkel und natürlich auch die
Oppositionsparteien und die ganze versammelte
bürgerliche Medienlandschaft die Belegschaft
begleiten.
Natürlich lässt die Politik sie im
Stich. Das Ergebnis dieser Runde steht fest:
Nokia wird zugemacht, die Beschäftigten
dürfen sich bei den ARGEn melden, bestenfalls
wird der Sozialplan etwas aufgebessert. Soll
es das gewesen sein?
Die
Belegschaft von Nokia hat noch andere Mittel,
sich zur Wehr zu setzen.
Sie kann beispielsweise verhindern,
dass die Maschinen abtransportiert werden. Das
muss rechtzeitig geplant werden, denn Nokia-Village
in Rumänien ist fast fertig, die Testversuche
mit der Handyproduktion laufen schon und das
Management wird sich beim Betriebsrat nicht
die Erlaubnis zum Abtransport der Maschinen
holen.
Eine Werksbesetzung kann nicht unbedingt bewirken,
dass der Standort Nokia-Bochum bleibt. Aber
es ist eine Aktivität, die die Belegschaft
zusammen halten kann, die Aufsehen erregt und
das Thema "Arbeitsplätze" in
der öffentlichen Debatte hält, unabhängig
von den Entscheidungen Nokias.
Denn
warum sollte es undenkbar sein, die Arbeitsplätze
unabhängig von Nokia zu erhalten?
NRW hat zwischen 1995 und 1999
41 Mio. Euro Subventionen an Nokia gezahlt,
der Bund 28 Mio. Euro - dafür dass 2856
Beschäftigte sieben Jahre lang Arbeit hatten.
Darin sind Ausgaben für die Bereitstellung
von Infrastruktur noch nicht enthalten. Diese
Millionen wären an anderer Stelle besser
und Arbeitsplatz sichernder angelegt gewesen.
Warum erhalten große Konzerne überhaupt
Subventionen? Weil um sie gebuhlt wird, Länder
und Gemeinden sich gegenseitig ausstechen, wer
am meisten Geld bereitstellt, und damit ihre
Haushaltskasse ruinieren. Solche Subventionen
sind hinausgeworfenes Geld.
Die Ultraliberalen sehen nun die Gunst der Stunde
gekommen und fordern die komplette Streichung
öffentlicher Subvention en. Der Wettbewerb
zwischen den Standorten soll nur noch über
die Qualität der Infrastruktur sowie über
Qualität und Preis der Arbeitskraft ausgetragen
werden. Konkurrenz um die billigsten Löhne
macht Standorte aber auch nicht sicher und ruiniert
obendrein die Haushaltskasse der Beschäftigten
und ihrer Familien.
Die Frage ist nicht: Subventionen ja oder nein?
Die Frage ist: Was wird subventioniert und zu
welchem Zweck? Die Subventionierung kleiner
Unternehmen, die an die Region gebunden sind
und die versuchen neue, umweltschonende Technologien
zu entwickeln, oder der Ausbau öffentlicher
Dienstleistungen sind in aller Regel billiger
und schaffen mehr Arbeitsplätze als die
Unterstützung von Großkonzernen,
die von einer Subventionsblume zur anderen hoppen.
Was würde die NRW-Landesregierung Nokia
denn dafür bezahlen, dass der Standort
bleibt? 40 Mio. Euro - oder mehr? Dann soll
sie dieses Geld doch der Belegschaft geben,
damit diese zusammen mit einem findigen Ingenieurbüro
eine lokale Produktion ankurbeln kann.
Die
EU windet sich ebenfalls elegant aus der Affäre.
Subventionen aus dem Strukturfonds
der EU habe es für Nokia nicht gegeben.
Mag sein. In den Industriepark aber, in dem
Nokia sein neues Werk ansiedelt, sind 3,5 Mio.
Euro EU-Mittel aus der Regionalförderung
geflossen. Nokia sagt, nur der erste Bauabschnitt
habe diese Fördermittel erhalten, der Bauabschnitt
Tetarom II, in dem Nokia sich ansiedeln will,
habe keine solche Mittel mehr erhalten.
EU-Mittel waren sicher aber auch an anderer
Stelle willkommen, die ausschlaggebend war für
Nokias Entscheidung, einen Teil der Produktion
nach Rumänien zu verlagern: etwa für
die Modernisierung des Flughafens, oder für
den Ausbau und die wirtschaftsfreundliche Zurichtung
der örtlichen Universität.
Und dass die EU Tetarom II nicht gefördert
hat, heißt nicht, dass keine Subventionen
geflossen sind: Der rumänische Staat und
die Bezirksregierung haben für die Erschließung
dieses Teils des Gewerbeparks 29 Mio. Euro hingelegt.
Wetten, dass da auch was für Nokia hängen
geblieben ist?
Hier wird aus Steuermitteln ein Infrastrukturwettbewerb
finanziert, der nur global operierenden Konzernen
zugute kommt, aber nicht der Regionalwirtschaft
vor Ort. Übrigens auch in Rumänien
nicht. Marktforscher unken, Nokia werde höchstens
zehn Jahre in Rumänien bleiben; in absehbarer
Zeit werde die komplette Handyproduktion nach
Asien verlegt sein (heute: 70%) - spekuliert
wird über eine Verlagerung von Forschung
und Entwicklung nach Indien und von Produktionsstätten
nach Vietnam, das noch billiger ist als China.
Ist man in Düsseldorf und Berlin dagegen
jetzt machtlos? Nein. Rüttgers und Merkel
und all die anderen heulen nur über eine
Politik, die sie selber beschlossen und zu verantworten
haben. Sie könnten sie auch ändern
- wenn sie wollten.
Die Beschäftigten von Nokia - und mit ihnen
die Beschäftigten aus vielen anderen Unternehmen
- sollten den Abgeordneten im Bundestag einen
zornigen Besuch abstatten, wenn diese mal wieder
die Hand heben für den neuen EU-Vertrag.
Da steht nämlich all das drin, wogegen
man in Bochum derzeit protestiert.