Der
angebliche Beschäftigungsaufbau ist äußerst
prekär. 36 % der neu besetzten Stellen
sind unsichere oder Billiglohn-Jobs (meist befristet).
Mehr als die Hälfte aller neuen Jobs sind
Leiharbeitsstellen. Die Bundesagentur für
Arbeit: „Vor allem bei unternehmensnahen
Dienstleistungen gab es einen kräftigen
Anstieg (+5,6 % bzw. +203.000), der wiederum
zum größten Teil von Arbeitnehmerüberlassung
[Leiharbeit] getragen wird“. Seit 2003
sind 1,007 Mio. Stellen besetzt worden, davon
waren 523 000 Leiharbeitsstellen.
Attraktiv fürs Kapital
„Arbeitnehmerüberlassung“ ist
für die Entleihbetriebe besonders attraktiv,
denn die LeiharbeiterInnen können ohne
Aufwand wieder fortgeschickt werden, haben weniger
Rechte im Betrieb, sind in aller Regel deutlich
billiger als die Stammbelegschaft, erhalten
weniger Sozialleistungen, meist kein Weihnachtsgeld,
nur 24 Tage Urlaub (statt z. B. 30 Tage in fast
allen Industriebranchen), zählen im Entleihbetrieb
nicht mit bei der Berechnung der Betriebsratsmandate
usw.. Bekommt einE FacharbeiterIn in der Metall-
und Elektroindustrie je nach Entgeltgruppe und
Betrieb zwischen 16 und 20 €, so bekommen
die entsprechenden „Leiher“, wie
diese KollegInnen von der Stammbelegschaft oft
genannt werden, gerade mal zwischen 7,38 €
und 9,91 € (brutto!), selten mehr.
Die
Entleihfirma zahlt an die Verleihfirma pro Stunde
einen Betrag in der Größenordnung
von 18-23 €, was immerhin ca. 10 €
weniger sind, als sie einschließlich der
so genannten Lohnnebenkosten für die Stammbelegschaft
zahlt. Kein Wunder, dass dies nicht nur für
die Entleihfirma attraktiv ist. Verleihbetriebe
schießen wie Pilze aus dem Boden, schließlich
müssen sie außer einem kleinen Büro,
Telefon-, Fax- und Internetanschluss nichts
investieren. Verzweifelte Erwerbslose, die für
weniger als 900 € netto im Monat arbeiten
gehen müssen, gibt es ja genug, und für
jede íhrer Arbeitsstunden kassiert die
Verleihfirma mal locker 10 € für sich,
oft auch noch mehr. Laut Bundesanstalt für
Arbeit gibt es heute 21 200 Verleihbetriebe,
6 600 davon beschäftigen diese Menschen
selbst oder verleihen sie ständig.
Explosionsartige Zunahme
Dass gerade die Leiharbeit seit wenigen Jahren
so explosionsartig zunimmt (heute 260 % mehr
als vor 10 Jahren) hat vor allem mit den Gesetzesänderungen
seit Ende der 90er Jahre (Ausdehnung der Verleih-Fristen),
vor allem aber mit der Änderung vom Dezember
2002 zu tun. Deutsches Recht erlaubt das Unterlaufen
der EU-Richtlinie „equal pay and equal
treatment“. Als einziges EU-Land hat die
BRD, noch unter der Regierung Schröder,
festgelegt: Die Gleichbehandlung gilt nicht
in den ersten sechs Wochen einer Beschäftigung,
wenn ein bis dahin Arbeitsloser eingesetzt wird.
In diesem Fall ist es ausreichend, wenn ein
Arbeitsentgelt gezahlt wird, das der Höhe
des zuletzt gezahlten Arbeitslosengeldes entspricht.
Vor allem aber: Vom Gleichbehandlungsgrundsatz
kann durch Tarifvertrag abgewichen werden (s.
unten).
Um
das Maß voll zu machen, wurden auch das
Synchronisations- und das Wiedereinstellungsverbot
für die Verleihfirmen aufgehoben und das
Entleihverbot im Bauhauptgewerbe gelockert.
Seitdem ist für diese Firmen jegliches
„unternehmerische Risiko“ weggefallen:
Sie dürfen jemanden ausschließlich
für die Zeit einstellen, in der sie diese
Person verleihen können (also kein Synchronisationsverbot
mehr). Ist der Auftrag im Entleihbetrieb zu
Ende, kann einE LeiharbeiterIn auch wieder ohne
aufwendiges Verfahren nach Hause geschickt werden.
Und ein paar Monate später kann derselbe
Leiharbeiter auch wieder in derselben Leihfirma
eingestellt und verliehen werden (kein Wiedereinstellungsverbot),
ohne dass sich daraus ein Anspruch auf Festeinstellung
in der Verleihfirma ableitet. Dieses Tagelöhnersystem
ist das für das Kapital ideale Beschäftigungsverhältnis.
Unterlaufen durch Tarifvertrag
Gäbe es keine speziellen „Arbeitnehmerüberlassungs“-Tarifverträge,
müsste die EU-Richtlinie angewandt werden
und die Leiharbeit wäre nicht mehr so attraktiv
(weder für die Verleihfirma noch für
die Entleihfirma). Am 22.7.2003 haben der DGB
und die Einzelgewerkschaften (außer Transnet)
mit den beiden Verbünden BZA und IGZ einen
entsprechenden Tarifvertrag abgeschlossen (es
gilt zurzeit der Änderungsvertrag vom 30.6.2006
mit seinen Zahlen bis einschließlich 2008).
Dort liegt die unterste Gruppe (M für Tätigkeiten,
die keine Anlernzeit benötigen) bei 7,31
€ (West) und 6,36 € (Ost). Die höchste
Entgeltgruppe (9) liegt bei 16,69, aber das
erreichen die wenigsten. Nur wenige kommen über
die Gruppe 4 (9,91) hinaus.
Begründet
wurde die radikale Abweichung von den sonstigen
Flächentarifverträgen der Gewerkschaften
mit den Abschlüssen, die die „Christlichen“
getätigt hatten (Dumpingverträge mit
Splittergruppen wie dem CGB oder dem DHV, so
der am 24.2.2003 abgeschlossene Tarifvertrag
mit der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften
(CGZP).
Nach
dieser Logik müssen die Gewerkschaften
alle Sauereien, die – egal in welchem
Umfang – irgendwo unter der Hand ablaufen,
mit ihrer Unterschrift nachträglich sanktionieren
und für legal erklären, Hauptsache
es findet sich die Unterschrift einer DGB-Gewerkschaft
darunter und mensch kann sagen: Die anderen
(hier die „Christlichen“) machen
es noch schlimmer, wir müssen die ungeregelten
Dinge „einfangen“.
Damit vergibt sich die DGB-Gewerkschaft jede
Möglichkeit, politisch und gewerkschaftlich
glaubwürdig gegen das Unterlaufen von EU-Recht
vorzugehen. Der Tarifvertrag von 2003 hat also
die Lage der LeiharbeiterInnen nicht verbessert
(über 90 % von ihnen haben Armutslöhne
und Anspruch auf ergänzendes ALG II, wenn
sie es denn wahrnehmen wollen), aber er hat
den Kampf gegen die Leiharbeit enorm erschwert.
Das spüren nicht nur die zahlreicher werdenden
LeiharbeiterInnen, die sonst ganz andere Chancen
auf eine Festeinstellung hätten. Das
spüren auch all die Belegschaften und Betriebsräte
in den Entleihbetrieben, die gegen die Leiharbeit
vorgehen und von ihren Geschäftsführungen
auf den Tarifvertrag der eigenen Gewerkschaft
und die zunehmende Zahl der LeiharbeiterInnen
in den anderen Betrieben hingewiesen werden.
Der Gipfel der Idiotie sind regional abgeschlossene
„Fairnessabkommen“, die die völlige
Sackgasse offenbaren. In dem am 11.4.08 für
den Bezirk Frankfurt (Hessen, Rheinland Pfalz,
Saarland und Thüringen) unterzeichneten
Abkommen heißt es: „… Um den
Beschäftigten einen angemessenen Anteil
bei der weiteren Entwicklung der Branche zu
sichern, setzen sich BZA, iGZ und IG Metall
für die Beachtung der folgenden Grundsätze
ein:
-
Die Einhaltung der BZA/iGZ/DGB-Tarifverträge
[also Billiglöhne, die noch nicht mal
die Pfändungsfreigrenze erreichen].
-
Die Bereitschaft, dreiseitige Vereinbarungen
zwischen Kundenunternehmen, Zeitarbeitsunternehmen
und IG Metall / Betriebsrat zu schließen,
die Zeitarbeitnehmer besser stellen als im
Flächentarifvertrag der Zeitarbeitsbranche
geregelt ist. [Um dies zu erreichen würde
schon 10 Cent mehr in der Stunde reichen;
das Dumme ist: bisher hat noch kein einziger
Betrieb eine solche dreiseitige Vereinbarung
abgeschlossen].
-
[...]
-
Die IG Metall anerkennt den eigenständigen
Charakter und Wert der Zeitarbeitsbranche...
[unsere Hervorhebung]“
Wie will die Gewerkschaft jetzt noch die Leiharbeit
bekämpfen? Sie hat damit nur den Betriebsräten,
die hier die größten Handlungsmöglichkeiten
haben, die Arbeit politisch verdammt schwer
gemacht. Nur die wenigsten nehmen diesen Kampf
konsequent auf.
Was die BR tun können
Nach § 99 Betriebsverfassungsgesetz kann
der Betriebsrat jede Einstellung ablehnen (und
damit verhindern), die „gegen ein Gesetz,
Verordnung,[…] verstößt“
oder „wenn der betroffene Arbeitnehmer
durch die personelle Maßnahme benachteiligt
wird, ohne dass dies aus betrieblichen oder
in der Person des Arbeitnehmers liegenden Gründen
gerechtfertigt ist.“ Die Begründung
für den Betriebsrat muss dann sein, dass
für ihn die EU-Richtlinie „Gleiche
Arbeit, gleiches Geld“ (equal pay and
equal treatment) ein höherwertiges Rechtsgut
ist als das deutsche Arbeitnehmerüberlassungsgesetz,
das die Abweichung von diesem Grundsatz erlaubt.
Zwar kann das Unternehmen nach § 100 eine
„vorläufige personelle Maßnahme“
durchführen und sich die fehlende Zustimmung
des Betriebsrats von Gericht ersetzen lassen,
aber das Spannende ist dann die Frage: Wie wird
das Gericht entscheiden? Dort, wo Betriebsräte
bisher so vorgegangen sind (es sind bisher nur
sehr wenige Betriebe bekannt, wo dies geschehen
ist), hat es die Gegenseite bisher noch nicht
darauf ankommen lassen und das Gericht entscheiden
lassen. Entweder weil ihr der Aufwand zu groß
war, oder weil die Sache alles andere als für
das Kapital klar ist (eventuell zieht sich das
dann über drei Instanzen hin, bis es dann
vor den europäischen Gerichtshof kommt).
Innerbetrieblich
sollten die Betriebsräte das Vorgehen mit
einer Vorlage für eine Betriebsvereinbarung
verbinden. Darin sollte formuliert sein, dass
LeiharbeiterInnen nur dann eingestellt
werden sollen, wenn ihnen (über die Vorlage
einer zweiten Lohnsteuerkarte) vom Entleihbetrieb
der Ausgleich der Lohndifferenz zur Stammbelegschaft
gezahlt wird. Dies deshalb, weil vor Gericht
der Status des Leiharbeiters kein Ablehnungsgrund
ist, wohl aber die Lohndifferenz und weil mit
einer solchen Regelung die Begründung der
besonderen Dringlichkeit (für den Vertretungsfall
usw.) nicht mehr greift. Letztlich entscheidend
ist die Ablehnung des Leiharbeiterstatus durch
eine aufgeklärte Stammbelegschaft. Und
genau hier hilft das Material und die Politik
der Gewerkschaften überhaupt nicht. Umso
mehr kommt es auf die Kräfte im Betrieb
an, d. h. vor allem die Betriebsräte.
Forderungen
der Basis zur Tarifrunde Metall |
Die
Vertrauenskörperleitung des
Mercedes-Benz-Werkes Untertürkheim
empfiehlt eine Entgeltforderung
von 9,5 %.
-
Die Vertrauensleutevollversammlung
der Daimler Zentrale Stuttgart
hat am 17. Juli mehrheitlich beschlossen,
eine Entgeltforderung von 9,5
% zu fordern. Teil der Forderung
soll als Sozialkomponente ein
Sockelbetrag sein, um die unteren
Entgeltgruppen überdurchschnittlich
anzuheben, da sie am meisten von
den höheren Lebenshaltungskosten
betroffen sind. Die Höhe
des Sockelbetrags wurde nicht
beschlossen. In den Diskussionen
wurden Beträge zwischen 200
und 300 € genannt.
- „Die
Delegiertenversammlung der IG
Metall Ludwigsburg plädiert
für deutlich höhere
Entgelte in der Metall- und Elektroindustrie.
Die Gewerkschafts-Vertreter aus
dem Kreis Ludwigsburg wollen im
Herbst neun Prozent mehr Entgelt
und eine Einmalzahlung von 1 000
€ durchsetzten. Das haben
sie am Donnerstag, dem 3. Juli,
im Bürgerhaus Möglingen
einstimmig beschlossen. Die Einmalzahlung
von 1 000 € für die
Monate November, Dezember und
Januar wirkt sich am stärksten
für die unteren Entgeltgruppen
aus (Strukturkomponente)…“
(Text
aus der Presseerklärung zur
Tarifforderung der IG Metall Ludwigsburg
vom 4.7.08).
-
Der IGM-Vertrauenskörper
der GKN-Aerospace GmbH, München,
fordert:
1. 13,5 % mehr Entgelt,
2. keine Kompensationsgeschäfte
mit irgendwelchen Forderungen
seitens der Unternehmer, insbesondere
nicht mit der Forderung nach einer
neuen ATZ-Regelung,
3. eine 12-monatige Laufzeit des
Tarifvertrages.
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