"Reformen"
in Deutschland
Interview
mit Mag Wompel
Mag
Wompel, Bochum, ist Industriesoziologin und
freie Journalistin. Sie arbeitet seit 1998 als
Redakteurin von LabourNet Germany. Das LabourNet
ist ein Treffpunkt der gewerkschaftlichen Linken
mit oder ohne Job, das nicht nur Gegeninformation
produziert und verbreitet, sondern auch Solidarität
und Aktionen mit organisiert – sei es
mit Beschäftigten in Gross- und Kleinbetrieben,
mit Arbeitslosen oder mit MigrantInnen.
Interview
Peter Streckeisen
PS:
1998 kam in Deutschland nach 16 Jahren konservativer
Regierung unter Helmut Kohl eine Koalition von
Sozialdemokratie (SPD) und Grünen an die
Macht. Diese Regierung wurde 2002 wieder gewählt,
und danach kündigte Kanzler Gerhard Schröder
mit der Agenda 2010 eine „Reform“
von Arbeitsmarkt und sozialer Sicherung an,
deren Kernelemente nun umgesetzt werden, insbesondere
die so genannten Hartz-Gesetze
(1). Welche Zwischenbilanz ziehst
du von der 2. Amtszeit der rot-grünen Regierung?
MW:
Hierauf ist beim besten Willen nur eine sehr
zynische Antwort möglich: Deutschland ist
wieder Export-Weltmeister geworden und dennoch
konnte das Gerede vom zu teuren Standort in
erneute Steuernachlässe für die Reichen
und Subventionen für die Wirtschaft umgesetzt
werden. Bezahlt wird dies von den immer mehr
verarmenden bzw. immer direkter von der Verarmung
bedrohten Massen der Bevölkerung und auf
Kosten der nächsten Generationen, denn
die für das Kapital geplünderten öffentlichen
Kassen lassen Kindergärten wie Schulen
verkommen und die öffentlichen Dienste
- Bildung wie Gesundheit - ausbluten.
PS:
Gerhard Schröder wurde auf Grund seiner
engen Kontakte zu Unternehmerkreisen –
zum Beispiel zum VW-Konzern, in dessen Aufsichtsrat
er als Ministerpräsident von Niedersachsen
sass - bereits vor der Wahl zum Kanzler als
"Genosse der Bosse" bezeichnet...
Wie hat sich denn das Verhältnis der Regierung
zur Industrie entwickelt?
MW:
Aus Genossenschaft wurde eine regelrechte Freundschaft,
denn aufgrund der oben geschilderten Geschenke
hat die Regierung von fast allen Vertretern
des Grosskapitals beste Noten bekommen. Da man
natürlich grundsätzlich nie satt wird
und sich immer Steigerungsmöglichkeiten
offen lassen muss, wird in der Öffentlichkeit
dieses Lob allerdings in die Floskeln des richtigen
Ansatzes, der Reformen in die richtige Richtung
verkleidet.
Da die breiten Massen allerdings vorsichtshalber
ruhig gestellt werden sollen, dienen alle Deregulierungen
und Geschenke an das Kapital offiziell natürlich
dem gemeinsamen hehren Ziel der Schaffung von
Arbeitsplätzen. Wird dieses Ziel moralisch
allzu laut eingeklagt, funktioniert bestens
die Arbeitsteilung, wonach das Kapital diese
Aufgabe weit von sich weist und die Politik
- in breiter Allianz - eine Höherdosierung
des Medikamentes „Lohnkostensenkung“
verspricht. Wer diese Therapie an sich in Frage
stellt, wird des Zynismus gegenüber den
armen Arbeitslosen beschuldigt.
PS:
Welche Haltung nimmt die Regierung denn in Bezug
auf die gesetzlich garantierte Mitbestimmung
der Beschäftigten und Gewerkschaften ein?(2)
Von gewissen Industrievertretern und Ökonomen
wurde ja die Forderung laut, diese sei überholt
und müsse abgeschafft werden…
MW:
In dieser Frage spiegelt die Regierung fast
vollständig die ambivalente Haltung der
Kapitalvertreter wieder. Alle Forderungen des
Kapitals nach Deregulierung, Entrechtung und
staatlich unterstütztem Lohndumping - durch
Personalservice-Agenturen als staatliche Sklavenhändler
oder Arbeitszwang in so genannte 1-Euro-Jobs
für Langzeiterwerbslose zur langfristigen
Substitution regulärer Jobs durch Workfare
- wurden erfüllt.(3)
Das Selbstbewusstsein der Gewerkschaftsbürokratie
wurde durch öffentliche Brüskierung
gebrochen und der bisherige Sozialpartner strampelt
sich ab, um an den bisher gemeinsamen Tisch
geladen zu werden. Doch erweist sich der Flächentarif(4)
als zu flexibel und für die Grossunternehmen
als die billigere Lösung gegenüber
unberechenbaren betrieblichen Kämpfen,
um ihn über die laufende Durchlöcherung
hinaus gänzlich abschaffen zu wollen. Zudem
dienen - zumindest in Grossbetrieben - Betriebsräte
als Garant für "sozialverträglichen"
und damit leisen Personalabbau. Sie stellen
damit einen echten Wettbewerbsfaktor dar.
PS:
Seit einem Jahr haben sich direkte Angriffe
der Grossunternehmen gehäuft: Das Kapital
droht mit Delokalisierung oder Arbeitsplatzabbau,
wenn nicht die Löhne gesenkt und die Arbeitszeiten
verlängert und flexibilisiert werden. Diese
Angriffe sind auf einigen Widerstand gestossen.
Welche Lehren ziehst du aus den Kämpfen
bei Daimler, Opel oder VW im letzten Jahr?
MW:
Dass die Gewerkschaftsbürokratie es in
der Tat nicht wert ist, vollständig ausgeschaltet
zu werden - aus der Sicht des Kapitals natürlich.
Denn sie hat sich grosse Mühe gegeben,
diese aufkeimenden Widerstände - wie bei
Siemens oder VW - der Belegschaft und die tatsächlichen
Arbeitskämpfe grosser Teile der Beschäftigten
– wie bei Opel oder Daimler Untertürkheim
- zu stoppen und in sozialpartnerschaftliche
Verhandlungen zu kanalisieren. Und sie hat es
- wenn auch mit grosser Mühe und teilweise
der Aufbietung allen disziplinarischen Instrumentariums
- auch tatsächlich geschafft, autonome
Aktion in geheime Verhandlungen, erneute Verzichtserklärungen
und damit die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit
zu verwandeln.
Andererseits zeigen die autonomen Ansätze
der Basis und die Mühe der Gewerkschaftsbürokratie
damit, dass es ihnen immer schwerer fällt,
ihre Existenz und Macht und Verzichtspolitik
zu begründen. Der diesjährige Kongress
der Gewerkschaftslinken(5)
hat gezeigt, dass mittlerweile nicht nur die
Unterscheidung der Gewerkschaftsbasis und der
Gewerkschaftsbürokratie durchgängig
ist, sondern auch die Erkenntnis, dass letztere
keinesfalls zu wenig tut, sondern uns vielmehr
sehr aktiv in den Rücken fällt. Wenn
die Gewerkschaftsfunktionäre keine Solidarität
organisieren, keinen Streik wie in Bochum(6)
finanzieren und v.a. nichts für die Verbreitung
und Vernetzung dieser Kämpfe tun, sollten
wir es endlich selbst in die Hand nehmen - so
können die ersten ernsthaften Überlegungen
zusammen gefasst werden.
PS:
Welche Rolle spielen die Gewerkschaften denn
bei der Umsetzung der Agenda 2010 und der "Reform"
des Arbeitsmarkts? Thilo Knott schreibt in der
taz(7) vom 11.2.2005:
"Die Gewerkschaften könnten die Reformer
des Jahres
werden" … und entscheidend dazu beitragen,
dass die Regierung Schröder in den Bundestagswahlen
2006 noch einmal den Sieg davon trägt…
MW:
Ein nettes Zitat, es kann aber auch nur bedeuten,
dass die taz diese seit Jahren von den Linken
in den Gewerkschaften beklagte Ausrichtung jetzt
erst bemerkt - und im Übrigen begrüsst.
Die Situation ist aber nicht zum Lachen, denn
die Gewerkschaftsspitzen haben finanziell und
aktiv dazu beigetragen, dass die vermeintliche
Notwendigkeit von Reformen (die immer nur mit
Deregulierung, Flexibilisierung und Sparzwängen
übersetzt werden) geradezu Hegemonialmacht
besitzt. Nicht nur wurde versäumt, den
Lügen des Kapitals und der Politik offensive
Forderungen entgegenzustellen, so z.B. zum Abbau
des repressiven Charakters des so genannten
Sozialstaats oder zur echten paritätischen
Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme,
geschweige ihrer vollständigen Finanzierung
durch ihre alleinigen Verursacher und Nutzniesser
zugleich. Diese "Versäumnisse"
können gut als politische Absicht interpretiert
werden, wenn man die tatsächliche Arbeit
der Funktionäre betrachtet. Einerseits
bezeichnet man sich als Interessenvertreter
der Erwerbslosen, um dann diese ungefragt in
der konsensorientierten Hartz-Kommission zu
"vertreten". Einerseits fordert man
mehr Kaufkraft zum Wirtschaftswachstum und dieses
zum Abbau der Massenarbeitslosigkeit (schlimm
genug!), um ungebeten durch die ZeitarbeiterInnen
mit Niedrigsttarifen den per EU-Gesetz vorgeschriebenen
"equal pay" der Sklavenhändler
zu verhindern oder um Niedrigstlöhne im
Dienstleistungsbereich in den Tarifverträgen
festzuschreiben und damit gutzuheissen, bzw.
um Verzichtserklärungen auf betrieblicher
Ebene zu organisieren. Einerseits fordert man
Arbeitszeitverkürzung und Abbau von Überstunden,
um gleichzeitig betrieblichen, unbezahlten Arbeitszeitverlängerungen
zum vermeintlichen "Standorterhalt"
zuzustimmen oder diese gar für Millionen
von Menschen mit dem Etikett „Flächentarif
zu veredeln“ – so geschehen zum
Beispiel bei der kürzlich durch Verdi ausgehandelten
„Reform“ des Beamtenrechts.(8)
Einerseits organisiert man Grossdemonstrationen
gegen den Sozialabbau, doch nur um andererseits
den Protest gegen selbst mitgetragenen "Reformen"
zu kanalisieren.
Diese Liste liesse sich beliebig fortsetzen
und jedes Mal geht es darum, sich als verantwortlicher
Sozialpartner von Politik und Kapital zu empfehlen,
denn die Betroffenen dieser Politik werden gar
nicht als die Zielgruppe der Gewerkschaftsarbeit
betrachtet.
PS:
Welche Formen von Widerstand gibt es gegen diese
Entwicklungen? Woraus besteht die Hauptaufgabe
von engagierten linken Kräften in Deutschland?
MW:
Als die grösste Klippe für wirksame
einheitliche Proteste und den Widerstand gegen
die Hartz-Gesetze hat sich die breite Akzeptanz
des Leistungsprinzips und der Lohnabhängigkeit
als einziger Quelle der Existenzsicherung erwiesen.
Dies gilt für die Gewerkschaftsbürokratie
gleichermassen wie für die meisten der
(noch) beschäftigten wie erwerbslosen Lohnabhängigen
selbst. Das Argument vieler halbherziger Hartz-Kritiker
schlägt uns nun mit voller Wucht zurück
ins Gesicht: "Hartz-Gesetze schaffen keine
Arbeitsplätze". Und ob sie Arbeitsplätze
schaffen! Erstens menschenunwürdige, repressive,
dafür aber "moderne" Arbeitsdienste
in Form von erzwungenen und entrechteten sowie
nur angeblich "zusätzlichen"
1-EUR-Jobs in rauen Mengen. Und zweitens schaffen
sie "reguläre" Arbeitsplätze
ab. Von den Arbeitsplätzen der Fallmanager,
Kontrolleure und Sozialschnüffler einmal
abgesehen... In der Summe können die „Reformer“
ein reines Beschäftigungswunder vorweisen.
Und dieselbe Leistungsorientierung verhindert
breite Bündnisse für ein bedingungsloses
Grundeinkommen für alle, das den Erwerbslosen
aus den entwürdigenden Schikanen und den
(noch) Erwerbstätigen aus der erduldeten
Erpressung gegen vermeintliche Arbeitsplatzsicherheit
helfen könnte.
Die Mischung aus der angeblichen Alternativlosigkeit
der Lohnabhängigkeit und der Angst vor
Hartz IV lässt die Belegschaften weitere
Verzichte an Lohn wie Arbeitsbedingungen hinnehmen,
anstatt die erkämpften Standards zugunsten
aller Lohnabhängigen hochzuhalten. Und
es steht zu befürchten, dass die meisten
Erwerbstätigen sich nicht gegen den Zwang
zum Lohndumping durch 1-EURO-Jobs wehren werden,
aus der Hoffnung heraus, in einen festeren Job
übernommen zu werden. Es ist daher schwierig,
die dringend notwendige aktive Solidarität
aller Lohnabhängigen zu erreichen. Denn
das zweite, mit der angeblichen Alternativlosigkeit
der Lohnabhängigkeit zusammenhängende
Hemmnis für einen wirkungsvollen, einheitlichen
Widerstand ist die Angst, die sich in der Bevölkerung
ausbreitet. Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren
oder Angst, keinen Arbeitsplatz zu finden. Immer
öfter blanke Existenzangst.
Dabei standen und stehen die Chancen für
einen breiten sozialen Widerstand auf den ersten
Blick gar nicht so schlecht. Positiv wirkt sich
erstens die um sich greifende Desillusionierung
über Stellvertreterpolitik aus, bezogen
auf sozialpartnerschaftliche Lösungen sowie
die Möglichkeiten zur Delegation unserer
Interessen an Parteien oder Gewerkschaften und
Betriebsräte. Ob Löhne, Arbeitsbedingungen,
Erwerbslosigkeit, Rente oder Gesundheit: Wir
können unsere Interessenvertretung an niemanden
zuverlässig delegieren. Kein Stellvertreter
weit und breit, der das für uns, zu unserer
Zufriedenheit regeln kann. Für uns folgt
daraus, dass wir uns auf einen langen und schwierigen
Kampf einzustellen haben, der mit keiner noch
so grossen Demonstration allein ausgefochten
und keiner Interessensvertretung überlassen
werden kann. Daraus folgte für mich und
viele andere aus der bundesweiten Koordinierung
der Anti-Hartz-Grupppen, weiterhin auf dezentrale
aber bundesweit abgesprochene Aktionstage zu
setzen.
Die bisher bereits stattgefundenen Aktionstage
haben mehrere Vorteile aufgezeigt. Erstens trugen
sie zur Bildung regionaler Strukturen bei, die
für langfristige Aktivitäten unabdingbar
sind, ob sie sich Anti-Hartz-Gruppe, AG Soziale
Grundrechte oder Sozialforum nennen. Zweitens
sind sie eher geeignet, Gruppen der Bevölkerung
zu erreichen und aufzuklären, die bisher
die geplanten Gesetze unterschätzt haben
oder wütend, aber passiv blieben. Und drittens
ermöglichen dezentrale Aktionstage am ehesten
einen Aktionsmix, der es allen Interessierten
erlaubt, ohne grossen Aufwand dort zu protestieren,
wo sie alltäglich betroffen sind (am Arbeitsplatz
, in der Schule/Uni und in den Behoerden) und
wie es ihrem Organisierungsgrad und Mut entgegen
kommt. Denn wir brauchen keine kurzfristigen
Proteste, sondern Alltagswiderstand und -verweigerung.
Dies stand auch am Anfang der Überlegungen
zur „Aktion Agenturschluss“, die
beim Prekarisierungskongress von LabourNet im
Juni 2004 vorgeschlagen und dann entwickelt
wurde. Neben der Notwendigkeit dezentraler solidarischer
Zusammenhänge lag der Fokus darauf, dass
allen aufwändigen Grossdemonstrationen
zum Trotz die Gesetze Hartz I, II und III bereits
klammheimlich und reibungslos umgesetzt wurden.
Das beinhaltet, dass viele Aspekte der Verfolgungsbetreuung
und Strafsperren teilweise bereitwillig von
den Fallmanagern umgesetzt werden. So ging es
darum, die Beschäftigten der Arbeitsämter
in der Umsetzung der repressiven Gesetze an
ihre Verantwortung zu erinnern, so wie aktuell
die Personal- und Betriebsräte bei den
Trägern der 1-Euro-Jobs an ihre Verantwortung
erinnert werden sollen.
Letztendlich geht es vor allem darum, jedes
einzelne Individuum einerseits in dessen von
Verwertungskriterien unabhängigen Rechten
zu bestärken und andererseits an die gesellschaftliche
Verantwortung im Alltag zu erinnern, um dezentrale
aber kollektive Formen des Alltagswiderstands
und der Alltagssolidarität - in breiten
Bündnissen aus Gewerkschaftslinken, sozialen
und Friedensbewegungen, Erwerblosen-Selbstorganisierung
etc. - aufzubauen.
PS:
Nun wurde ja in den letzten Monaten aus Protest
gegen die Politik der Regierung Schröder
einen neue Partei gegründet, die Wahlalternative
Arbeit & Soziale Gerechtigkeit (WASG), die
sich der Wählerschaft als linke Alternative
zu den etablierten Parteien anbieten will. Was
hältst du davon?
MW:
Ich halte nichts von Parteien im Sinne des Stellvertretungsmodells,
weil ich auf direkte Beteiligung aller Betroffenen
setze. Das sehen allerdings nicht alle AktivistInnen
der Gewerkschaftslinken so, und viele von ihnen
sind in der WASG organisiert, so wie sie es
früher in der SPD oder PDS waren. Diese
KollegInnen setzen auf die Notwendigkeit einer
parlamentarischen Alternative und Opposition.
Doch gerade in dieser Hinsicht bin ich skeptisch,
denn das Programm einer "besseren, programmatisch
treuen SPD" stellt in meinen Augen keine
wirkliche Alternative zu der bisherigen breiten
Koalition des Sozialabbaus dar. Dies haben auch
die Erfahrungen mit den bisherigen Regierungsbeteiligungen
der PDS gezeigt... Und auch wenn bei vielen
WählerInnen jenseits der SPD die Forderung
nach "Arbeit für alle" grossen
Anklang finden dürfte, setzt der dabei
geforderte Neo-Keynesianismus auf eine nicht
wieder herstellbare ökonomische und politische
Gemengelage. Programmatisch stelle ich deshalb
der WASG keine politische Zukunftsfähigkeit
aus, und strategisch werden sich die beiden
pseudo-linken Parteien WASG und PDS gegenseitig
die Stimmen derjenigen Menschen teilen, die
zwar die Zumutungen des Neoliberalismus schwächen,
aber nicht über den Kapitalismus hinausweisen
wollen.
PS:
Welche Bedeutung misst du der EU-Verfassung
bei? Siehst du hier konkrete Möglichkeiten
einer "Vereinigung der europäischen
Linken"?
MW:
Die EU-Verfassung ist in meinen Augen der Beweis,
dass das Projekt EU ein Konzept der militärischen,
sozialen und wirtschaftlichen Kriege des Kapitals
darstellt, dessen Mittel Abschottung, Konkurrenz,
Entrechtung und Verarmung sind. Leider spielt
die EU-Verfassung bei der deutschen Linken eine
untergeordnete Rolle, sei es aus Nichtwissen,
sei es aus Ignoranz gegenüber Gesetzen.
Und dort, wo der Widerstand gefordert und organisiert
wird, wird leider zu häufig die nationale
Orientierung durch eine europäische ersetzt.
Wollen wir aber wirtschaftliche Standortkämpfe
und Konkurrenzen auf betrieblicher, regionaler
oder nationaler Ebene nicht durch solche Europas
gegen den Rest der Welt ersetzen, müssen
wir unbedingt globalisierte Menschenrechte und
eine globalisierte Linke anstreben.
(1)
Es handelt sich um vier Gesetze, die auf
eine Flexi-bilisierung des Arbeitsmarkts
und eine Verschärfung des Drucks
auf die Arbeitslosen abzielen. Diese Gesetze
tragen den Namen von VW-Personalchef Peter
Hartz, den Kanzler Schröder im Wahlkampf
2002 mit der Leitung einer Kommission
beauftragt hatte, die Vorschläge
zur „Reform“ des deut-schen
Arbeitsmarkts präsentieren sollte.
Hartz IV schränkt den Anspruch auf
Arbeitslosengeld ein und senkt die Beiträge
für Langzeitarbeitslose auf das Niveau
der Sozialhilfe. Dagegen hat sich im letzten
Jahr eine breite Welle des Protests entwickelt.
Dennoch wurde das Gesetz am 1. 1. 2005
in Kraft gesetzt. (Red.) |
(2)
In Deutschland gibt es eine gesetzliche
garantierte Mitbestim-mung, auf Grund
derer in jedem grösseren Unternehmen
ein Betriebsrat gebildet werden muss.
Zudem steht dem Personal und den Gewerkschaften
in den Aufsichtsräten der Grosskonzerne
die Hälfte der Sitze zu, wobei allerdings
der Vorsitzende des Aufsichtsrats durch
die Eigen-tümerseite bestimmt wird.
(Red.) |
(3)
Die Hartz-Gesetze sehen vor, dass die
staatlichen Arbeitsämter zunehmend
in Agenturen umge-wandelt werden, die
Temporär- und Leiharbeit für
Arbeitslose organisieren und vermitteln.
Dabei können Arbeitslose gezwungen
werden, einen so genannten Ein-Euro-Job
bei einer gemeinnützigen Institution
anzunehmen: Sie er-halten dann 1 oder
2 Euro pro Stunde zusätzlich zu ihrem
Arbeitslosengeld. Wer einen solchen Job
ablehnt, nimmt eine Kürzung oder
Streichung des Arbeitslosengeldes in Kauf.
(Red.) |
(4)
Tarifvertrag ist der deutsche Begriff
für Gesamtarbeitsvertrag. Flächentarif
heisst, dass die Regeln des Tarifvertrags
flächendeckend, d.h. für eine
ganze Branche gelten. (Red.) |
(5)
Es gibt in Deutschland eine Initiative
zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken
(IVG), an deren Jahreskongress im Januar
2005 etwa 350 AktivistInnen aus unterschiedlichen
Gewerkschaften teilgenommen haben –
so viele wie noch nie zuvor. (Red.) |
(6)
Die Belegschaft des Opel-Werks in Bochum
führte im Oktober 2004 einen spontanen
Streik gegen die Pläne von General
Motors durch, in Europa etwa 12'000 Arbeitsplätze
zu streichen, davon 10'000 bei Opel. Dieser
Streik wurde von der IG Metall nur dem
Schein nach unterstützt und so schnell
wie möglich abgebrochen. So war es
auch nicht möglich, eine schlagkräftige
koordinierte Aktion mit den Belegschaften
der anderen Opel/GM-Werke, insbesondere
am Opel-Hauptsitz in Rüsselsheim,
durchzuführen. (Red.) |
(7)
Die taz ist eine in Berlin herausgegebene
Tageszeitung mit „progressiv-modernem“
Selbst-verständnis, die der rot-grünen
Regierung nahe steht. (Red.) |
(8)
Von dieser „Reform“ sind in
Deutschland etwa 2.5 bis 3 Millionen Beschäftigte
von Bund, Ländern und Kommunen betroffen.
Verdi hat dem Verzicht auf Lohnerhöhungen,
der Einführung eines Niedriglohnbereichs
im öffentlichen Sektor, Arbeitszeit-verlängerungen
und einer Flexibili-sierung der Anstellungsverhältnisse
und der Lohnbestimmungen kampflos zugestimmt.
(Red.) |
|