Seit
Monaten betonte die Regierung Merkel, ein "umfassenden
Sparprogramm" sei unvermeidlich. Im vergangenen
Jahr hatte sie mit Rücksicht auf den Europawahlkampf
und die folgende Bundestagswahl drastische Sozialkürzungen
verschoben. Außerdem fürchtete sie,
dass der unmittelbare Zusammenhang zwischen
dem Bankenrettungspaket, das den Spekulanten
Steuergelder im Umfang von 500 Milliarden Euro
bereit stellte, und dem Sparprogramm, das die
Last der Wirtschaftskrise der Bevölkerung
aufbürdet, zu offensichtlich sei.
Nach
dem Wahlsieg von Schwarz-Gelb im vergangenen
Herbst drängten die Wirtschaftsverbände
erneut auf Einschnitte im Sozialbereich. Doch
die Regierung wollte die NRW-Wahl abwarten.
Angesichts der dramatischen Stimmenverluste,
die die Koalitionsparteien bei dieser Wahl im
bevölkerungsreichsten Bundesland Anfang
Mai hinnehmen mussten, wurde in den vergangenen
Wochen darüber debattiert, ob es nicht
ratsam sei, die SPD stärker in die Regierungsverantwortung
einzubinden, um den zu erwartenden Widerstand
gegen die Sozialkürzungen besser unter
Kontrolle zu halten.
Doch
angesichts der Verschärfung der Wirtschaftskrise
und dem rapiden Kursverfall des Euro entschied
sich die schwarz-gelbe Regierung in der vergangenen
Woche, nicht länger zu zögern und
in die Offensive zu gehen.
Nach
zweitägigen Beratungen traten Bundeskanzlerin
Angela Merkel (CDU) und ihr Stellvertreter,
Außenminister Guido Westerwelle (FDP),
vor die Bundespressekonferenz und verkündeten,
ein "einmaliger Kraftakt" sei gelungen.
Die Bundesregierung werde bis 2014 80 Milliarden
Euro einsparen, vor allem bei Sozialleistungen.
Nur bei Bildung und Forschung soll angeblich
nicht gespart werden.
Das
radikale Sparprogramm sei notwendig, um "die
großen Lücken im Finanzsystem zu
schließen", betonte Merkel. Nur durch
eine gewaltige Kraftanstrengung könne die
finanzielle Zukunft des Landes wieder auf "solide
Beine" gestellt werden.
In
seiner unnachahmbaren Arroganz erklärte
Westerwelle, jeder in Deutschland müsse
nun den Gürtel enger schallen. "Wir
haben in den letzten Jahren deutlich über
unsere Verhältnisse gelebt", sagte
der Chef der FDP, die sich vor einiger Zeit
noch als "Partei der Besserverdienenden"
bezeichnete.
Westerwelle
fügte hinzu, er und die Minister seiner
Partei hätten bei der Klausurtagung dafür
gesorgt, dass keine Steuererhöhungen beschlossen
wurden. Das sei eine gute Nachricht. Er erwähnte
allerdings nicht, dass sich seine Initiative
zur Verhinderung von Steuererhöhungen auf
die Unternehmensbesteuerung bezog, während
die Entscheidung über eine Erhöhung
der Mehrwertsteuer noch nicht abschließend
getroffenen wurde.
Westerwelle
lobte sich und die Regierung mit den Worten,
es sei gelungen, ein "ehrgeiziges, umfassendes
und solides" Sparpaket zu verabschieden.
Gleichzeitig seien die Einschnitte sozial ausgewogen
und gerecht.
Auch
Angela Merkel versuchte den Eindruck der sozialen
Ausgewogenheit zu erwecken. Sie betonte, dass
auch die Wirtschaft einen Sparbeitrag leisten
müsse. Sie nannte den Abbau von Subventionen
in der Wirtschaft, eine Luftverkehrsabgabe,
die nicht genauer spezifiziert wurde, und eine
Brennelementesteuer für Energiekonzerne.
"Wir haben damit eine beträchtliche
Beteiligung der Wirtschaft an der Sanierungsaufgabe",
sagte Merkel.
Doch
das ist reine Augenwischerei. Eine Luftverkehrsabgabe
wird die Flugpreise in die Höhe treiben,
und die Besteuerung von Brennelementen für
Atomkraftwerke kommt nur dann, wenn die Laufzeit
der Kraftwerke verlängert wird. Das aber
ist noch nicht entschieden. In der Bevölkerung
gibt es dagegen erheblichen Widerstand.
In
Wahrheit hat die Regierung unter dem Druck der
Wirtschaftskrise und auf Anweisung der führenden
Banken ein Kürzungsprogramm beschlossen,
das an sozialer Einseitigkeit und Aggressivität
gegenüber den Schwächsten in der Gesellschaft
nicht zu überbieten ist.
Im
Zentrum stehen die Kürzungen der Leistungen
für Arbeitslose. So werden die für
zwei Jahre gezahlten Zuschläge beim Übergang
vom Arbeitslosengeld I ins Arbeitslosengeld
II gestrichen. Bisher wurden Alleinstehenden
im ersten Jahr bis zu 160 Euro monatlich gezahlt,
im zweiten bis zu 80 Euro. Für Verheiratete
gab es maximal das Doppelte. Das fällt
nun weg.
Hartz-IV-Empfängern
wird auch das Elterngeld komplett gestrichen.
Ihr Grundbedarf sei bereits durch die Regelsätze
der staatlichen Hilfen und durch Zusatzleistungen
gesichert. Gleichzeitig wird der Heizkostenzuschuss
für Wohngeldempfänger gestrichen.
Auch
der aus Steuergeldern bezahlte Rentenversicherungsbeitrag
für Langzeitarbeitslose fällt weg.
Grundsätzlich will die Koalition Pflichtleistungen
in Ermessensleistungen umwandeln - etwa bei
Eingliederungshilfen für Jobsuchende.
Damit
wird der Druck auf Arbeitslose, jede Art von
Arbeit anzunehmen, drastisch erhöht. Die
Job-Center sollen dadurch bereits im laufenden
Jahr zwei Milliarden Euro einsparen. Im Jahr
2014 soll dieser Sparposten auf sechs Milliarden
Euro steigen. Außerdem soll die Arbeitslosenversicherung
künftig ohne Darlehen oder Zuschüsse
auskommen, was eine Erhöhung des Beitragssatzes
über die für 2011 festgelegten drei
Prozent bedeuten könnte.
500
Millionen Euro werden beim Elterngeld eingespart.
Die Bemessungsgrundlage zu dessen Berechnung
soll von derzeit 2.700 auf 1.800 Euro zurückgenommen
werden. Allerdings sollen Väter und Mütter
nur noch 65 Prozent statt wie bislang 67 Prozent
ihres letzten Nettogehalts beziehen.
Außerdem
plant die Regierung die Zahl der Bundesbeschäftigten
in den kommenden vier Jahren um bis zu 15.000
Stellen zu senken. Die für das kommende
Jahr geplante Besoldungserhöhung für
Bundesbeamte soll ausfallen. Laut dpa müssen
Bundesbeamte sogar mit einer Kürzung ihrer
Bezüge um 2,5 Prozent rechnen. Dies soll
durch den Verzicht auf die geplante Erhöhung
des Weihnachtsgeldes für Beamte im Jahr
2011 erreicht werden.
SPD
und DGB haben die Regierung vor den sozialen
Konsequenzen dieser Kürzungen gewarnt und
betont, dass der Sozialstaat ein wichtiges und
unverzichtbares Element des sozialen Frieden
sei.
Der
Parlamentarische Geschäftsführer der
SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, sagte
am Montag im Deutschlandfunk, er fürchte
um den sozialen Frieden in Deutschland. Die
Pläne gingen aus seiner Sicht zu stark
zu Lasten der Normalverdiener und der sozial
Schwachen. Es könne nicht sein, dass sie
die Kosten einer weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise
tragen sollten, die von Spekulanten und ungezügelten
Finanzmärkten verursacht worden sei, sagte
Oppermann. Eine Umsetzung der Sparpläne
könne dazu führen, "dass das
Vertrauen in die Demokratie bröckelt".
Auch
DGB-Chef Michael Sommer und der Vorsitzende
der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, Frank
Bsirske, warnten derart einseitigen Kürzungen
zu Lasten der sozial Schwachen und kündigten
Proteste an.
Doch
in Wirklichkeit ist das aggressive Sparprogramm
der schwarz-gelben Bundesregierung ein Ergebnis
der Tatsache, dass sich Merkel und Westerwelle
der Unterstützung von SPD und Gewerkschaften
bewusst sind. Erst vor wenigen Wochen sprach
die Kanzlerin auf dem Bundeskongress des DGB
und erhielt von den Gewerkschaftsfunktionären
viel Beifall.
Ungeachtet
der kritischen Worte aus dem Willy-Brandt-Haus
und der DGB-Zentrale gibt es eine Allparteienkoalition
gegen die Bevölkerung. SPD, DGB und Linkspartei
wollen die Kürzungen nur etwas anders dosieren,
um sie besser durchsetzen zu können.
|