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Das neue deutsche Wirtschaftswunder

Miese Jobs und Hungerlöhne

von Angela Klein - aus Soz Februar 2011


So schlank sind wir noch durch keine Krise gekommen, schon gar nicht durch eine Weltwirtschaftskrise. Die Zahl der Erwerbslosen ist ein bisschen gestiegen, die der Erwerbstätigen ein bisschen gesunken. Und schon geht es wieder aufwärts.

Regierung und Wirtschaft können sich in ihrer Orientierung auf den Export bestätigt fühlen. Die spektakulären Zunahme des Bruttoinlandsprodukts um 3,6% im vergangenen Jahr zahlten vor allem die BRIC-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China) – also einerseits rohstoffstarke Länder, andererseits China, das im November 2008 ein Konjunkturprogramm über 390 Mrd. Euro aufgelegt hatte und damit als Lokomotive für den südostasiatischen Raum wirkte. Die deutsche Warenausfuhr nach Brasilien hat 2010 um 61,3%, die nach China um 55,5% und nach Russland um 18,3% zugenommen. Der Exportaufschwung machte ein Drittel der wirtschaftlichen Erholung aus; den Rest besorgten die Abwrackprämie und das Konjunkturprogramm – also ganz und gar keynesianische Instrumente.

Sozialpartnerschaftliche Maßnahmen waren es auch, die für eine relative Ruhe auf dem Arbeitsmarkt sorgten – so die Kurzarbeiterregelung (der Arbeitgeberanteil an den Sozialabgaben wurde aus öffentlichen Kassen bezahlt). Das Gewerkschaftsinstitut WSI führt die Vermeidung einer größeren Welle neuer Arbeitslosigkeit auch auf die Praxis der Tarifverträge zur „Beschäftigungssicherung» zurück, die in den 90er Jahren eingesetzt hat und immer mehr um sich greift; sie sehen vor, dass bei auftragsschwacher Lage ein Betrieb die Arbeitszeit (in der Regel) ohne Lohnausgleich verkürzen kann. Allerdings sieht sich das Institut nicht in der Lage, deren tatsächliche Auswirkungen zu messen. Schließlich hat auch die Flexibilisierung der Arbeitszeit positiv gewirkt: Die Arbeitszeitkonten wurden leergeräumt und Arbeitszeitschulden aufgebaut, die im Aufschwung wieder abgearbeitet werden. Die sozialpartnerschaftlich orientierten Gewerkschaften müssen sich also in ihrem Kurs – Beschäftigungssicherung gegen Lohnverzicht und weitere Ausklammerung der Frage der Arbeitszeitverkürzung – bestätigt fühlen.

Das sind schlechte Zeiten für Sozialproteste. Wenn die «sozialen Stoßdämpfer» (wie man in Italien sagt) wirken, zieht man den Kopf ein und ist froh, wenn der Kelch an einem vorübergeht. Die Angst im Bauch bleibt trotzdem und das dumpfe Gefühl, dass es eigentlich nicht sein kann, dass ringsumher der Spartsunami wütet mit Massenentlassungen und Lohnkürzungen und wir bleiben als einzige davon verschont. Doch Angst löst noch kein Protestverhalten aus.

Interessanterweise gab es eine Ausnahme, das war die Demonstration in Nürnberg. Ihre 35000 Teilnehmenden kamen für alle überraschend, vor allem für die Organisatoren, die IG Metall. In Süddeutschland erklärt man sich das so: Hier war Arbeitslosigkeit und Armut bislang noch kaum ein Thema, von einzelnen Regionen abgesehen. Die Krise von 2008 hat das Gebiet erstmals flächendeckend mit der Gefahr des Absturzes konfrontiert – man denke nur an die Befürchtungen der IG Metall Baden-Württemberg, der wirtschaftliche Einbruch werde zu einer Pleitewelle für die Klein- und Mittelbetriebe auf der Schwäbischen Alb führen. Die massive Teilnahme an der Nürnberger Demonstration bringt diese Furcht und die Auflehnung dagegen zum Ausdruck, die Position eines sicheren und immer noch gut entlohnten Arbeitsplatzes dauerhaft räumen zu sollen und sich auf den Weg der Prekarisierung begeben zu müssen, den der Rest der Republik schon seit langem geht.

Diejenigen, die tatsächlich die Krise bezahlt haben, waren die Leiharbeiter; ein Drittel des deutschen Einstellungswunders geht auf ihr Konto. Doch sie sind kaum gewerkschaftlich organisiert, haben häufig keine kontinuierliche Anstellung, wodurch sie nicht in den Genuss von Arbeitslosengeld I kommen, und bilden die größte Gruppe der «Aufstocker» in Hartz IV.

Auch die Erwerbslosen hatten und haben Veranlassung, auf die Straße zu gehen, denn die Hartz-Reform, die Frau von der Leyen auf den Weg gebracht hat, bedeutet unter dem Strich erhebliche Einbußen. Der Preis für das neue deutsche Beschäftigungswunder liegt hier: bei den Leiharbeitern, der Ausweitung des Niedriglohnsektors, einer zunehmenden Schar von Unterbeschäftigten und der spürbaren Zunahme der Armut. Im Ausbau des Niedriglohnsektors ist Deutschland Europameister: ein Schalk, wer da einen Zusammenhang mit der Exportorientierung sieht.

Diese Mechanismen der Krisenbewältigung sind jedoch äußerst kurzatmig. Die Abwrackprämie war eine Absage an die verkündeten Klimaziele der Bundesregierung; das Konjunkturprogramm hat es sich versagt, ökologisch und sozial richtungsweisend zu wirken. Die Orientierung auf den Export bleibt eine Sackgasse, sie hängt zu sehr am seidenen Faden und schafft überdies große Ungleichgewichte. Die Prognosen für das laufende und das kommende Jahr sind in diesem Bereich dazu schon wieder rückläufig.

Das kurze Jahr des Keynesianismus ist überdies schon wieder vorbei: Die Krise des Euro hat der Bundesregierung den willkommenen Vorwand für einen Kurswechsel Richtung Schuldenbremse und Sparen geliefert. Nein, die Krise ist nicht vorbei, das dicke Ende, so steht zu befürchten, kommt noch.