Schon
heute müssen Eltern auch im öffentlichen
Schulwesen für zusätzliches Lernmaterial
aufkommen, für Essen und Betreuung im Ganztagsbetrieb,
für Förderkurse und zusätzliche
Angebote. Die Lehr- und Lernmittelfreiheit steht
in den meisten Bundesländern auf der Kippe,
in Bayern ist sie bereits abgeschafft.
Finanzkräftige Fördervereine gibt
es vor allem in den gutbürgerlichen Wohnvierteln,
so wächst die Kluft zwischen reichen und
armen Schulen und zwischen den Schulformen verläuft
ein tiefer Graben, die Hauptschule hier, das
Gymnasium dort. Stiftungen und Konzerne drängen
auf den Bildungsmarkt, die Schule wird zum «Marktplatz»
für profitorientierte kommerzielle Bildungsanbieter.
«Zurzeit
werden in Deutschland pro Woche zwei bis drei
Privatschulen gegründet», meldete
2009 die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft
(GEW). Durch das Allgemeine Abkommen zum Handel
mit Dienstleistungen (GATS), durch die EU-Dienstleistungsrichtlinie
und die neue EU-Handelsstrategie sind den Liberalisierungsbestrebungen
auch im Bildungsbereich Tür und Tor geöffnet.
Exklusivität
Im Schuljahr 2005/06 gab es bundesweit 4637
Privatschulen, das waren 43,5% mehr als 1992,
besonders viele waren es in Ostdeutschland.
Mit 40% bilden die Gymnasien den größten
Anteil bei den allgemeinbildenden Schulen, denn
nicht alle Schulformen sind für private
oder freie Träger lukrativ. In NRW waren
98 Schulen in kirchlicher Trägerschaft:
3 Hauptschulen, aber 95 Gymnasien.
Die
meisten Privatschüler gibt es in Sachsen
mit 11,4%, dann folgen Bayern (9,8%) und Hamburg
(7,9%), das Schlusslicht bildet Schleswig-Holstein
(3,3%). Während in Deutschland nur 6,7%
aller Schüler Privatschulen besuchen, sind
es in Frankreich 21,3%, in Großbritannien
40,6% und in den Niederlande gar 76,4%. Doch
die Zahlen steigen auch bei uns kontinuierlich
an. Im Schuljahr 2005/06 war gegenüber
1992 bei den Privatschülern ein Anstieg
von 52% zu verzeichnen, mit steigender Tendenz.
Die
meisten Privatschulen sind in katholischer Trägerschaft,
gefolgt von Schulen der evangelischen Kirche
und den Freien Waldorfschulen, es folgen die
Freien Alternativschulen und die Internationalen
Schulen. Sie alle sind allgemeinbildende Ersatzschulen,
die staatliche Schulen ersetzen, d.h. sie bieten
Bildungsgänge und Abschlüsse an, die
sich mit denen der staatlichen Schulen vergleichen
lassen. Laut Grundgesetz sind sie «integraler
Bestandteil des staatlichen Schulwesens»
und stehen «unter Aufsicht des Staates».
Die
Einnahmequelle der Privatschulen ist das Geld
vom Staat und das Schulgeld der Eltern. Bei
letzterem sind allerdings Grenzen gesetzt, denn
das Grundgesetz schreibt vor, dass «eine
Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen
der Eltern» zu unterbleiben habe. Das
wird allerdings nicht so ganz ernst genommen.
So kassiert die International School Hannover
Region bereits bei der Anmeldung 2500 Euro Gebühren.
Schon der Platz im Kindergarten kostet im Jahr
6150 Euro, in Klasse 11/12 sind dann 10990 Euro
jährlich zu zahlen. In Deutschland gibt
es rund 50 International Schools, die jüngste
ist die Internationale Friedensschule in Köln,
das monatliche Schulgeld beträgt rd. 1000
Euro. Das ist durchaus eine Sonderung nach den
Besitzverhältnissen der Eltern, denn gleichzeitig
sind die öffentlichen Schulen seit Jahren
unterfinanziert.
Arbeitsweise
und Ziele
In Ostdeutschland werden aufgrund rückläufiger
Schülerzahlen viele Schulen geschlossen,
zwischen 2000 und 2005 waren es 591 Schulen.
Viele Eltern gründen Schulen in privater
Trägerschaft, um ein wohnortnahes Angebot
zu erhalten, im genannten Zeitraum waren es
39 neue allgemeinbildende Schulen. Allerdings
werden aus den noch bestehenden öffentlichen
Schulen häufig Schüler abgeworben,
sodass weitere Staatsschulen in ihrem Bestand
gefährdet sind – ein Teufelskreis.
In
Westdeutschland wird das Privatschulenwesen
durch die Unzufriedenheit vieler Eltern mit
dem öffentlichen Schulwesen angekurbelt.
Sie wollen ihren Kindern die bestmögliche
Ausbildung zukommen lassen, damit diese auf
dem globalen Arbeitsmarkt bessere Chancen haben.
Diesen
Trend nutzen die kommerziellen Anbieter. In
Deutschland gibt es 50 privat geführte
International Schools, so in Berlin, Hamburg,
Dresden und München. Unterrichtet wird
in Englisch, Deutsch kommt ab der 2.Klasse hinzu.
Ziel ist es, der internationalen Gemeinschaft
hier in Deutschland eine gute Bildungseinrichtung
zu bieten, womit vor allem Beschäftigte
internationaler Unternehmen gemeint sind. Diese
Exklusivität hat natürlich ihren Preis.
Indirekt zahlt der Fiskus mit, denn Privatschuleltern
können 30% des Schulgelds von der Steuer
absetzen.
In
die Reihe der Exklusiven gehört auch die
Swiss International School (SIS), eine zweisprachige
Ganztagsschule bei Stuttgart. Eröffnet
wurde sie 2008 von der Klett-Gruppe gemeinsam
mit dem privaten Bildungsanbieter Kalaidos aus
Zürich. Sie führt vom Kindergarten
über die Grundschule ins Gymnasium. Das
Schulgeld für den Grundschulzweig kostet
einschließlich Mittagessen monatlich 606
Euro. Die Ernst-Klett AG, bekannt als Schulbuchverlag,
und Kalaidos gründeten 2009 zwei weitere
SIS-Schulen, die vierte Schule ist für
das Umland von München geplant.
Immer
sind die Schulen an Standorten mit hoher Kaufkraft
angesiedelt. Für private Anleger gab Klett
im Juni 2009 zum zweiten Mal ein «Bildungswertpapier»
aus und nahm in vier Wochen 50 Millionen Euro
ein. Kasse machen möchte auch die Privatschulkette
Phorms, eine profitorientierte Aktiengesellschaft.
Sie gründete 2006 eine zweisprachige Grundschule
in Berlin, weitere Phorms-Ableger folgten in
München, Köln, Hamburg, Hannover,
Frankfurt: Kindertagesstätten, Grundschulen,
Gymnasien. Gewinn will sie machen, indem die
Dachgesellschaft Dienstleistungen an die einzelne
Schule verkauft: Marketing, Personalauswahl,
Curriculum-Entwicklung. Die Genehmigung zum
Start eines Gymnasiums wurde Phorms allerdings
zu Beginn des Schuljahres 2009/10 von der Bezirksregierung
in Köln verweigert. Es gab Zweifel an der
sozialen Ausgewogenheit der Schülerschaft
und der Qualifikation des Lehrkörpers.
Zudem sollen genaue Angaben zu den Elternbeiträgen
gefehlt haben.
Weltanschauung
Unter den Privatschulen gibt es neben den bereits
erwähnten Waldorfschulen noch weitere Exoten
mit sehr fragwürdigen Inhalten und Bildungszielen.
Evangelikale
Bekenntnisschulen etwa haben eine christlich-fundamentalistische
Ausrichtung, sie stellen der Evolutionstheorie
die biblische Schöpfungslehre gegenüber,
«unter Rückgriff auf Forschungsergebnisse
kreationistischer Naturwissenschaftler».
Der Kreationismus ist Teilaspekt eines religiösen
Fundamentalismus, der sich in den letzten Jahrzehnten
vor allem in den USA verbreitet hat. Kernthese
ist die absolute Irrtumsfreiheit der Bibel.
Bundesweit gibt es 70 evangelikale Bekenntnisschulen.
Wer als Lehrerin oder Lehrer an einer solchen
Schule unterrichten will, darf nicht homosexuell
leben, «vor- und außereheliche Beziehungen»
sind ihnen untersagt. Stuttgarts Oberbürgermeister
Wolfgang Schuster (CDU) lobte die «Weitergabe
christlicher Werte» und sah im 13 Millionen
teuren Neubau für eine weitere Schule eine
«herausragende Investition in die Zukunftsfähigkeit»
der Landeshauptstadt.
Auch
Opus Dei, eine erzkonservative katholische Laienorganisation
mit sektenähnlichen Zügen, will im
Privatschulwesen mitmischen, mit einem Jungengymnasium
in Potsdam – ein Novum für die ostdeutschen
Bundesländer. In Jülich bei Köln
betreibt Opus Dei bereits seit 30 Jahren ein
Mädchengymnasium. Im Opus Dei (lat. «Werk
Gottes») sehen Kritiker eine fundamentalistische
Organisation mit mafiaähnlichen Strukturen
und Hang zum «Kadavergehorsam»,
obskuren Bußpraktiken sowie einem undurchsichtigen
Finanzgebaren. Papst Benedikt XVI. gilt als
Sympathisant der Organisation.
Im
Juni 2009 berichtete die Märkische Allgemeine:
«Opus Dei siegt vor dem Verwaltungsgericht.
Brandenburg bekommt sein erstes Jungengymnasium.»
Seit 2007 versucht Brandenburgs Bildungsminister
Holger Rupprecht (SPD) dies mit dem Argument
zu verhindern, in Brandenburg gelte der Koedukationsgrundsatz,
wonach Jungen und Mädchen gemeinsam zu
unterrichten seien – leider erfolglos.
Weiter unbehelligt betreiben die Pius-Brüder
ein Mädchengymnasium in Ruppichteroth bei
Köln. Sie sind bekannt als katholische
Hardliner und Hassprediger. Ihr Erzbischof Williams
machte kürzlich als hartnäckiger Holocaust-Leugner
von sich reden. Den Vatikan störte das
nicht weiter.
Neben
diesen Extremen gibt es aber auch freie Schulträger,
die als Elterninitiative Reformschulen gründen,
wo Wert auf besondere pädagogische Konzepte
mit neuen Lernformen gelegt wird. Diese Eltern
fehlen dann allerdings im staatlichen Schulwesen
als Impulsgeber, um das vorhandene Angebot an
reformpädagogisch arbeitenden Schulen zu
erweitern und Druck zu machen für bessere
Lehr- und Lernbedingungen, kleinere Klassen
und eine anregende Lernumgebung.
Bildungsgutscheine
Die Privatschullobby kämpft für mehr
Geld vom Staat. Schon heute erhalten sie ca.
80–90% der Kosten vom Staat. Alles weitere
müssen sie sich von den Eltern holen. Vor
allem sollen sich die Rahmenbedingungen für
Schulen in freier Trägerschaft verbessern.
Dem käme das Konzept der Bildungsgutscheine
entgegen. Der US-Ökonom Milton Friedman,
ein Vordenker der Neoliberalen, hatte die Idee,
dass der Staat nicht mehr die Bildungseinrichtung
finanziert, sondern die Eltern für ihr
schulpflichtiges Kind einen Bildungsgutschein
erhalten, der sie berechtigt, ihr Kind wahlweise
an einer öffentlichen oder privaten Einrichtung
anzumelden.
Damit
ist der Konkurrenzkampf der Bildungsanbieter
eröffnet. Der Staat überwacht dann
nur noch die Einhaltung der Mindeststandards.
Bisher gibt es in Hamburg Erfahrungen mit Bildungsgutscheinen,
die zum Besuch von Kindertagesstätten berechtigen.
NRW vergibt Bildungsgutscheine für berufliche
Fortbildung. Die GEW sieht in diesem marktwirtschaftlich
ausgerichteten System große Probleme auf
die Einrichtungen zukommen, da ihnen die Planungssicherheit
fehle, was wiederum zu «Entlassungen,
Prekarisierung von Beschäftigungsverhältnissen
und Zerstörung von Trägerstrukturen»
führe.
Sind
Privatschulen besser?
Der Privatschulverband behauptet, Schulen in
freier Trägerschaft seien «häufig
erfolgreicher als ihre staatlichen Pendants».
Als Beweis wird die Studie des unternehmernahen
Instituts der deutschen Wirtschaft vom März
2007 genannt. Dem widerspricht die Studie des
Frankfurter Schulforschers Manfred Weiß,
der feststellte, dass es keine signifikanten
Leistungsunterschiede gibt, wenn die soziale
Zusammensetzung berücksichtigt wird und
die Tatsache, dass an Privatschulen oft der
Mädchenanteil höher ist. Allein die
Schulform zeige ein starkes Leistungsgefälle.
Deshalb meint die GEW zu Recht: «Der Graben,
den die Bildungspolitik zuzuschütten hat,
verläuft zwischen Hauptschule und Gymnasium
– und nicht zwischen öffentlicher
Schule und Privatschule.» |