Am 7.September verkündete das S-Bahn-Vorstandsmitglied
Hombach noch die frohe Botschaft, in einer Woche
würden wieder 70% der Zugflotte unterwegs
sein, und im Dezember sei eine Rückkehr
zum Normalbetrieb zu erwarten. Das ist Schnee
von gestern. Mittlerweile rollt nur noch ein
Viertel der einsetzbaren 640 Züge, und
die Verkehrssituation ist prekärer denn
je. Denn, was durch Bremsversuche erstmals festgestellt
wurde, hat sich erhärtet. Nicht nur die
Räder wurden nicht ordnungsgemäß
gewartet, auch die Bremsen nicht. Und dies schon
seit 2004.
Zusätzlich gibt es Ärger wegen Schäden
an den Kupplungskästen und Rissen im Bodenblech.
Eine besondere Wartung der Türen, die ausdrücklich
vom Senat gefordert worden war, ist ebenfalls
unterblieben. Und, um das Fass voll zu machen,
kam jetzt raus, dass die Prüfprotokolle
in den Werkstätten seit Jahren gefälscht
wurden. Sie listen Arbeiten auf, die in Wirklichkeit
gar nicht durchgeführt wurden.
Offensichtlich sind in der Zwischenzeit so viele
Arbeitsplätze gestrichen worden, dass diese
Arbeiten mit dem vorhandenen Personal gar nicht
mehr durchführbar waren. Die Zahl der Beschäftigten
sank zwischen 2002 und 2008 um mehr als 2000,
das sind 40%. Und die Bahn plant, die Zahl der
Beschäftigten noch weiter zu reduzieren.
Ein Lokführer erzählte einem Journalisten,
warum das so laufen konnte. Die mittlere Führungsebene
hatte eine Nichtwartung angewiesen. Und die
wiederum hatte ihre Vorgaben. Dafür findet
der Journalist Ulrich Zapata-Gerlach in einem
Kommentar des Berliner Tagesspiegel treffende
Worte: "Aber seit einigen Jahren wird die
S-Bahn nur noch als Gewinnausschüttungsmaschine
missbraucht. Aus dem alten Blech haben Mehdorn
& Co. hemmungslos alles herausgepresst.
Als fetten Beitrag für einen Börsengang,
der nicht stattgefunden hat. Jetzt sehen wir
das Ergebnis, und wir spüren die Folgen:
Eine mit krimineller Energie heruntergewirtschaftete
Wagenflotte kann kaum noch auf den eigenen Rädern
stehen, geschweige denn Menschen transportieren.
Selbst richtig bremsen können die Fahrzeuge
kaum noch. Nicht einmal die DDR hätte es
sich erlauben dürfen, die S-Bahn so kaputt
zu machen. Der Schaden ist enorm. Für die
Volkswirtschaft, für die Berliner und für
das Image der Stadt. Gäbe es nicht die
Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) mit ihrem dicht
geknüpften Netz aus U-Bahn, Tram und Bussen,
würde Berlin vermutlich wirklich im Chaos
und im Autoverkehr versinken. Wir werden auch
dies überstehen, und irgendwann ist alles
repariert. Ein Zustand auf Dauer ist das aber
nicht.
Also, was tun — über ein aktuelles
Krisenmanagement hinaus, das BVG und Senat einigermaßen
im Griff haben? Erstens: Die S-Bahn muss der
Deutschen Bahn als Tochterunternehmen so schnell
wie möglich entrissen werden. Sie könnte
zum Beispiel unter das Dach der landeseigenen
Verkehrsbetriebe schlüpfen. Preiswert wird
das aber nicht. Zweitens: Der Senat muss alle
rechtlichen und politischen Mittel ausschöpfen,
um die Bahn zu einem angemessenen Schadenersatz
zu zwingen, und er muss den bis 2017 laufenden
Verkehrsvertrag mit der S-Bahn vorzeitig auflösen
oder korrigieren. Drittens: Um die Verantwortlichen
bei S-Bahn und Deutscher Bahn muss sich sofort
die Staatsanwaltschaft kümmern. Viertens:
Die Senatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) sollte
endlich Verkehrspolitik lernen."
Bleibt noch zu erwähnen, dass die Deutsche
Bahn AG diese Praxis der Gewinnabführung
an den Mutterkonzern regelrecht erpresst hat.
Als der Senat die jährlichen Zuschüsse
von 234 Mio. Euro auf 45 Mio. Euro kürzen
wollte, drohte Mehdorn mit der Verlegung der
Bahnzentrale nach Hamburg, mit der Streichung
von Strecken und damit, notfalls den gesamten
Verkehr zum Fahrplanwechsel Dezember 2003 einzustellen.
Der Senat gab der Erpressung nach, und Mehdorn
bekam einen Vertrag, der eine ordentliche Kündigung
erst im Jahr 2017 zulässt. Die Frist für
die Rückkehr zur Normalität schätzte
ein Mitarbeiter des Instituts für Land-
und Seeverkehr (ILS) in der Abendschau auf zwei
Jahre. |