Im
Dezember 2009 stieg die Zahl der Arbeitslosen
zwar nur leicht auf knapp 3,3 Millionen, wie
die Bundesagentur für Arbeit (BA) am Dienstag
in Nürnberg mitteilte. Doch für dieses
Jahr rechnen Bundesregierung und Arbeitsmarktexperten
mit einem Anstieg auf bis zu 4,1 Millionen Menschen.
Denn das von der Regierung verlängerte
Kurzarbeitergeld, das Unternehmen bisher den
Verzicht auf Kündigungen ermöglichte,
läuft aus.
Kurzarbeit,
bei der die Unternehmen ihre Beschäftigten
in Zwangsurlaub schicken und dafür Zuschüsse
von der Bundesagentur erhalten, sowie der Abbau
von Überstunden und Arbeitszeitkonten haben
verhindert, dass die Arbeitslosigkeit bereits
im letzten Jahr drastisch angestiegen ist. Im
Mai 2009 zählte die BA über 1,5 Millionen
Kurzarbeiter, zum Jahresende waren es schätzungsweise
immer noch etwa eine Million. Für 2010
erwartet die BA eine Halbierung der Zahl auf
530.000 Kurzarbeiter.
Auch
der Ausbau des Dienstleistungsbereichs hat dafür
gesorgt, dass die Beschäftigung 2009 weniger
stark sank als befürchtet. Während
im vergangenen Jahr über 270.000 Arbeitsplätze
im verarbeitenden Gewerbe vernichtet wurden,
kamen allein im Gesundheits- und Sozialwesen
131.000 neue Arbeitsplätze hinzu - meist
im Niedriglohnbereich. Dem Verlust von 277.000
Vollzeitarbeitsplätzen stehen 250.000 neu
entstandene Teilzeitjobs gegenüber.
Ein
nicht geringer Teil der Arbeitslosen fällt
außerdem aus der Statistik schlicht heraus,
weil sie in irgendeiner Maßnahme untergebracht
wurden oder keinerlei Leistungen beziehen. So
geht aus einer Bilanz der BA hervor, dass im
vergangenen Jahr 843.000 Arbeitslosen zeitweise
das Arbeitslosengeld I gesperrt wurde, 102.000
oder fast 14 Prozent mehr als im Jahr zuvor.
Als
Grund wurde die Zunahme der Sperrzeiten wegen
zu später Arbeitslosmeldungen angegeben.
Gekündigte Arbeitnehmer müssen sich
spätestens drei Monate vor Beschäftigungsende
arbeitslos melden. Wer kurzfristiger von seiner
Entlassung erfährt, muss dies den Agenturen
binnen drei Tagen mitteilen. In den meisten
Fällen (rund 585.000) sperrten die Arbeitsagenturen
die Auszahlung des Arbeitslosengeldes I für
eine Woche. Aber mehr als 193.000 Arbeitslose
mussten zwölf Wochen lang auf Arbeitslosengeld
verzichten.
Die
Situation auf dem Arbeitsmarkt und damit auch
die Schikanen gegen die Arbeitslosen werden
sich verschärfen.
Das
Institut für Wirtschaftsforschung in Halle
(IWH) erwartet, dass die Zahl der Erwerbstätigen
bis 2011 um eine Million sinken wird. IWH-Konjunkturchef
Oliver Holtemöller sagte der Berliner Zeitung,
sein Institut erwarte in diesem Jahr einen Rückgang
der Beschäftigung um deutlich mehr als
700.000, für das folgende Jahr um weitere
250.000. "Die Firmen müssen wieder
ihre Produktivität steigern", sagte
Holtemöller, deshalb würden viele
Unternehmen ihre Beschäftigten in die Arbeitslosigkeit
entlassen.
Zusätzlich
zur steigenden Arbeitslosigkeit wird die schwarz-gelbe
Bundesregierung in den kommenden Jahren viele
Milliarden Euro im sozialen Bereich einsparen,
nachdem sie den Unternehmen und Reichen Steuergeschenke
verabreicht hat. Die noch von der vorherigen
Regierung aus CDU/CSU und SPD im Grundgesetz
verankerte Schuldenbremse verpflichtet die jetzige
dazu, die Neuverschuldung von nahezu 100 Milliarden
Euro in diesem Jahr bis 2016 auf 10 Milliarden
Euro zurückzufahren..
Finanzminister
Wolfgang Schäuble (CDU) wird schon bald
einen strikten Sparkurs einschlagen. Deutschland
brauche einen "fundamentalen Kurswechsel
hin zu einer tragfähigen und nachhaltigen
Finanzpolitik, die auch den Bedürfnissen
der zukünftigen Generationen Rechnung trägt",
sagte er in einem Interview mit der Nachrichtenagentur
APD. "Ohne die Kürzung von Ausgaben
wird es dabei nicht gehen", betonte er.
Die Bundesregierung müsse sich in allen
Politikbereichen fragen, "ob wir mit dem
Geld die richtigen Schwerpunkte setzen und prüfen,
wie wir die vorhandenen Mittel effizienter einsetzen
können."
Während
die CDU/CSU - zumindest bis zu den Landtagswahlen
in Nordrhein-Westfalen im Mai 2010 - nicht offen
über die geplanten Angriffe sprechen möchte,
gehen andere in die Offensive.
So
besteht die FDP auf weitere Steuersenkungen
vor allem für Spitzenverdiener. Sie fordert
die Einhaltung des Koalitionsvertrags, in dem
ein Stufentarif für die Einkommenssteuer
mit Entlastungen von jährlich rund 24 Milliarden
Euro vereinbart ist. Da die Liberalen mit ihrer
Politik ausschließlich die Wirtschaft
und Spitzenverdiener bedienen und von reicheren
Schichten - oder solchen, die es werden wollen
- gewählt werden, müssen sie keine
Rücksicht auf Arbeitslose und Arme nehmen
- und nehmen sie auch nicht.
Die
FDP-Fraktionschefin im Bundestag, Birgit Homburger,
forderte Anfang des Jahres im Hamburger Abendblatt
ein Festhalten an den geplanten Steuersenkungen
und betonte im gleichen Atemzug: "Wir werden
die Schuldenbremse einhalten." Dazu müssten
im Bundeshaushalt dauerhafte Einsparungen möglich
sein. Sie schlug Kürzungen "beispielsweise
bei der Bundesagentur für Arbeit oder auch
im Etat des Familienministeriums" vor.
Bei der Krankenversicherung fordert die FDP
eine Kopfpauschale, einen einheitlichen Beitrag
für alle. Der Manager soll genauso viel
zahlen wie sein Dienstbote oder Chauffeur, Familienmitglieder
nicht mehr kostenlos mitversichert werden.
Der
Vorsitzende im Sachverständigenrat der
Bundesregierung zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen
Entwicklung, der so genannten "Fünf
Weisen", Wolfgang Franz hatte bereits Ende
des letzten Jahres gefordert, angesichts der
derzeitigen Wirtschaftsentwicklung den Grundbetrag
des Arbeitslosengelds II (Hartz IV) von derzeit
359 auf 251 Euro monatlich zu senken. Im Dezember
2009 hatten rund 6 Millionen Erwachsene Hartz-IV-Gelder
bezogen.
Nun
hat Franz, nochmals im Interview mit Welt Online,
diese Forderung untermauert. Er begründete
sie mit der auch in den nächsten Jahren
anhaltenden Wirtschaftskrise: "Wir werden
frühestens Ende 2012 oder sogar erst 2013
wieder die gleiche Wirtschaftsleistung wie Anfang
2008 erreichen." Der Bundesverband der
Deutschen Industrie (BDI) rechnet übrigens
erst 2014 damit.
Der
65-jährige Wolfgang Franz war 1994 auf
Empfehlung der Gewerkschaften in den Sachverständigenrat
berufen worden, 2003 drängten dann die
Unternehmer auf seinen Verbleib im Sachverständigenrat,
den er seit 2009 leitet.
Auch
die Verteidigung von Bagatellkündigungen
durch die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts
Ingrid Schmidt in einem Interview mit der Süddeutschen
Zeitung muss als Vorbereitung auf scharfe soziale
Angriffe gesehen werden. Schmidt signalisierte
dem Unternehmerlager, dass die höchste
Instanz des Arbeitsrechts auf ihrer Seite steht.
Sie erklärte Kündigungen wegen kleiner
Vergehen, etwa einer verzehrten Frikadelle oder
eines Pfandbons, seien völlig selbstverständlich.
Es gäbe in diesem Sinne überhaupt
keine Bagatellen.
Die
Personalchefs in den Unternehmen wird es freuen,
diese klaren Worte aus dem Munde der Präsidentin
des Bundesarbeitsgerichts zu hören. Können
sie doch so in den kommenden Monaten, wenn sie
Beschäftigte entlassen, auf teure Abfindungen
verzichten. Ein Grund für eine Kündigung
wird nach Schmidts Äußerungen schnell
gefunden sein: Eine mitgenommene Schraube, ein
Kugelschreiber, eine private Fotokopie, ein
Telefonat, Fax oder der "entwendete"
Strom, mit dem das private Handy aufgeladen
oder das Radio betrieben wird.
Lange
hat die Justiz sich bemüht, den Anschein
der Überparteilichkeit zu bewahren. Doch
je stärker sich die soziale und wirtschaftliche
Krise zuspitzt, desto offener zeigt sie - wie
einst in der Weimarer Republik - wieder ihren
Klassencharakter.
Wenn
es um sie selbst geht, ist die herrschende Elite
nicht ganz so kleinlich. So berichtete Spiegel
Online über ein Urteil des Oberlandesgerichts
Celle, das "die fristlose Kündigung
eines Geschäftsführers auf(hob), der
im Verdacht stand, mit einer firmeneigenen Kreditkarte
Privatausgaben von umgerechnet rund 83 Euro
bezahlt zu haben. Begründung: Ein derart
geringfügiger Betrag allein rechtfertige
keine außerordentliche Kündigung."
Auch
die Abfindungen ausscheidender Manager erklommen
2009 trotz Krise neue Rekordhöhen. Der
scheidende Porsche-Chef Wendelin Wiedeking,
der durch Finanz- und Börsenspekulationen
den Sportwagenhersteller fast ruiniert hatte,
erhielt bei seinem Abgang eine Rekordabfindung
von 50 Millionen Euro. Der Chef des insolventen
Arcandor-Konzerns (Quelle, Karstadt) Karl-Gerhard
Eick wurde nach nur sechs Monaten im Dienst
mit 15 Millionen Euro ausgezahlt. Der Chef des
Reifenkonzerns Continental kassierte bei seinem
Ausscheiden 7,4 Millionen Euro, um drei Monate
später hoch bezahlt bei VW anzuheuern.
Bahnchef Helmut Mehdorn konnte sich mit einer
Abfindung in Höhe von 4,9 Millionen Euro
trösten, als er im März 2009 wegen
der Datenaffäre den Chefsessel räumen
musste.
Millionen
Arbeiter spüren die Wirtschaftsflaute schmerzhaft
am eigenen Leib. Unterdessen hämmern die
Berliner Parteien und die Wirtschaft der arbeitenden
Bevölkerung ein, man müsse noch weiter
sparen und den Gürtel enger schnallen.
Wasser predigen und Wein trinken! Mit zunehmender
Krise zeigt die Gesellschaft ihren wahren Klassencharakter. |