Die zunehmende Integration der chinesischen
Wirtschaft in die kapitalistische Weltwirtschaft
stellt ein wichtiges Element ihrer zukünftigen
Gestalt dar. Chinas Beitritt zur WTO (Welthandels-organisation)
im November 2001, nach 15 Jahren Verhandlungen,
zeigte in aller Deutlichkeit die Wende
an. Diese Integration findet auf dem Hintergrund
einer lang anhaltenden und gleichzeitig
ablaufenden Krise der Überproduktion
von Waren und der Überakkumulation
von Kapital statt. Die Reaktion des Kapitals
ist gegenwärtig überall sichtbar
z. B. mit Entlassungen und dem out-sourcing
in der Automobilindustrie, die mit dem
Aufbau von richtigen transnationalen (globalisierten)
Produktionsketten einhergehen, die wiederum
unter das Kommando von „holdings“
(Finanzgesellschaften, die andere kontrollieren)
gestellt werden. Diese Politik hat das
Ziel, die Rentabilität zu erhöhen
und stellt eine der wichtigsten Quellen
der Arbeitslosigkeit dar. Die „Verlagerung
von Arbeitsplätzen“, gleich
ob nach China oder anderswo hin, spielt
beim Beschäftigungsumfang nur eine
sehr geringe Rolle, wie die Studie von
Maury Harris von der UBS (Schweizer Bank)
für die USA beweist. (Wall Street
Journal, 17. September 2004) Doch ermöglicht
es die Dämonisierung Chinas, die
„Burgfriedenspolitik“ gegen
„die Chinesen“ in Europa,
in der Schweiz, Deutschland oder anderswo
zu erleichtern und dadurch die Politik
des Kapitals und seiner Vertreter, sowie
die Verteidigung der Lohnabhängigen
vergessen zu machen, und zwar hierzulande
und in China.
EIN
ÜBERBLICK ÜBER DIE INTERNATIONALEN
DIREKTINVESTITIONEN (ADI) |
Werfen
wir nun einen Blick auf das Anwachsen
und die geographische Verteilung der ausländischen
Direktinvestitionen. Sie werden von den
Kapitaleignern in den Güter produzierenden
Unternehmen und bei den Dienstleistern
vorgenommen. Man möchte damit Firmen
schaffen oder sich an bestehenden beteiligen
oder einen Zusammenschluss mit einem anderen
großen „Akteur“ vornehmen.
Die ADI zeigen ein bestimmtes Bild von
der internationalen Umstrukturierung des
internationalen Kapitalismus. Für
den Zeitraum 2000 bis 2002 lagen die ankommenden
ADI (die also in die Länder einflossen)
für die verschiedenen Länder
wie folgt (Angaben in US-$): USA 162,7
Mrd. $ (17% der weltweiten ADI), Deutschland
91,7 Mrd. $ (9,6%), Frankreich 50,0 Mrd.
$ (5,2%), China 46,9 Mrd. $ (4,9%), Hongkong
(als Tor zu China) 33,1 Mrd. $ (3,5%)
und Brasilien (als lateinamerikanischer
Gigant) 23,9 Mrd. $ (2,9%).
Im
Jahre 2003 erhielten die USA insgesamt
86,6 Mrd. (13,3% der gesamten ADI), Deutschland
36,3 Mrd. $ (5,6%), Frankreich 36,4 $
(5,6%), China 57 Mrd. $ (8,7%), Hongkong
14,3 Mrd. $ (2,2%), Brasilien 9,1 Mrd.
$ (1,4%).
In
den Jahren 2000–2002 kam China auf
den achten Platz bei den einlaufenden
Direktinvestitionen; wenn man aber die
eingehenden und abfließenden Direktinvestitionen
berücksichtigt, lag es, direkt hinter
Deutschland, auf dem zweiten Platz. Der
Verkauf auf dem chinesischen Markt (Marktdurchdringung)
ist ein entscheidender Faktor für
die Firmen, die dort investieren. Doch
sie lassen sich dort auch im Rahmen des
Aufbaus weltweiter Produktionsketten zur
Herstellung von Gütern und Dienstleistungen
und für Exporte in andere Filialen
nieder. Diese ADI gehören somit zu
den Versuchen der Multis, global Mehrwert
zu erheischen. Seit Mitte der 90er Jahre
haben die ADI in China eine starke Tendenz,
neue Industrieproduktionen aufzubauen,
entweder eigene oder aber jointventures
(gemeinsame Firmen von transnationalen
Konzernen und solchen, die sich noch im
Staatsbesitz befinden, aber auch privaten
chinesischen). Dies unterscheidet sich
erheblich von den Prozessen, die in Argentinien
oder Brasilien abgelaufen sind, wo im
Gefolge der Privatisierungen großer
öffentlicher Bereiche ganze Industriebranchen
aufgekauft wurden. Diese Charakteristika
erklären zum Teil den Aufschwung
der chinesischen Exporte. Stephen Roach,
ein Ökonom der großen US-Geschäftsbank
Margan Stanley – die für Investitionen,
Aufkäufe und Fusionen von Firmen
tätig ist, gibt an, dass fast 65
Prozent der chinesischen Exporte, die
sich im Verlauf des letzten Jahrzehnts
verdreifacht haben, aus Gütern bestehen,
die aus der Zuarbeit für transnationale
Konzerne (Zulieferungen zu den Produktionsketten),
sowie aus jointventures entstehen. Die
Ausfuhren haben sich explosionsartig entwickelt:
Von 121 Mrd. $ im Jahr 1994 auf 365 Mrd.
$ Mitte 2003. Wenn wir zur Messung der
Entwicklung der Warenexporte für
das Jahr 1970 den Index 1 ansetzen, dann
erreichte China 2002 141,1 und Indien
21,4, was auf die unterschiedliche Integration
dieser beiden Länder in die kapitalistische
Weltwirtschaft hinweist. China befindet
sich inzwischen beim Welthandel auf Platz
4 und konnte sein Anteilsvolumen (an den
weltweiten Exporten) von einem Prozent
1980 auf 5 Prozent 2003 steigern. Bei
den Exporten handelt es sich hauptsächlich
um fabrikmäßig erstellte Güter.
(s. Portrait)
WACHSTUM,
LÖHNE UND UMVERTEILUNG |
Das
hohe und lang anhaltende Wachstumsniveau
des chine-sischen Brutto- Inlandsproduktes
(BIP) hat viele in Erstaunen versetzt.
Die Industrieproduktion ist 2003 trotz
der Ausbreitung der SARS-Epidemie um 16
Prozent gestiegen (2002 13%). Die Wachstumsraten
des BIP bewegen sich zwischen sieben und
neun Prozent. Die Analysten warten auf
einen Abschwung, doch die Wachstumsrate
lag im zweiten Quartal 2004 bei 9,6% und
im dritten bei 9,1%!
Hier
folgt ein kurzer historischer Exkurs.
Deng Xiaoping kam 1977 schließlich
wieder ans Ruder. 1978 wurde die Wende
der sogenannten „Reformen“
vollführt. Deng schrieb: „Es
ist wichtig, die Gelegenheit zu ergreifen,
die in der gegenwärtig düsteren
Lage der westeuropäischen Länder
besteht (eine Anspielung auf die Rezession
in den OECD-Ländern von 1974/1975,
auf die die Rezession von 1981/1982 folgte;
sie betraf nicht nur die OECD-Länder,
sondern auch die „Peripherie“,
aber auch Polen, die UdSSR etc.), um eine
Kooperation mit ihnen aufzubauen. (...)
China stellt einen riesigen Markt dar,
viele Länder möchten mit uns
kooperieren und Handel treiben, und wir
müssen unsererseits daraus unseren
Vorteil ziehen. Dies ist ein Problem von
strategischer Bedeutung.“
Seitdem
wurde der Kurs der „Reformen“
in verschiedenen Phasen weiter vertieft.
Der letzte (16.) Parteitag der Chinesischen
Kommunistischen Partei im November 2002
hat das Ziel aufgestellt, das chinesische
BIP bis 2020 zu vervierfachen. Wenn die
Wachstumsraten bei über sieben Prozent
bleiben, wird dieses Ziel erreicht werden
können.
Jedoch
stellt sich vor jeder Spekulation über
das zukünftige Wachstum der chinesischen
Ökonomie und ihrer Rolle, ob sie
mittelfristig der kapitalistischen Weltwirtschaft
neuen Atem einhauchen kann oder nicht,
folgende Frage: Welche politischen Zeichensetzungen
wurden in Richtung imperialistische Länder,
vor allem in Richtung USA, gegeben, damit
die bürokratische Kaste eine solche
Wende vollführen konnte?
Wir
können sie hier, wenn auch nur unvollständig,
aufzählen:
1.
Im Februar 1972, mitten im Vietnam-Krieg,
traf sich Richard Nixon mit Mao Zedong.
2.
Im Februar 1979 gab es einen militärischen
Angriff gegen Vietnam, angeblich, um dieses
Land wegen seiner Intervention in das
von Pol Pot beherrschte Kambodscha zu
bestrafen. Wang Hui erklärte: „Ein
Grund für jenen Angriff gegen den
kleinen Nachbarn, der ansonsten keinen
Sinn gemacht hätte, lag darin, neue
Beziehungen mit den USA aufzubauen.“
3.
Ende Januar 1979 begab sich Deng in die
Vereinigten Staaten mit dem Ziel, eine
Koalition gegen die Sowjetunion zu schaffen.
4.
Zwischen 1978 und 1979 wurden die Verbindungen
zu chinesischen Diaspora wieder aufgenommen
und ihnen ein Teil ihrer Vermögen
zurückgegeben. Diese Diaspora (die
Chinesen von Singapur, Hongkong, Taiwan,
Thailand usw.) spielte eine entscheidende
Mittlerrolle bei den kommenden Investitionen.
5.
Die Repression gegen die Massenbewegung
vom Juni 1989, die sich symbolisch auf
dem Tian-An-Men-Platz (Platz des himmlischen
Friedens) versammelt hatte. Umgehend schrieb
ein Sprecher der chinesischen Diaspora,
Desmond Wrong: „Der frühere
Ministerpräsident Lee Kuan Yew beobachtete,
dass, während Amerikaner, Europäer
und Japaner nach den Ereignissen auf dem
Tian-An-Men-Platz mit ihrem Kapital aus
China flohen (weil sie den Ausbruch einer
politischen Krise an der Spitze und eine
gesellschaftspolitische Instabilität
befürchteten), glaubten die Chinesen
der Diaspora, diese Wirren seien nur vorübergehend;
ihnen waren sehr attraktive Investitions-möglichkeiten
gewährt worden, die auch nicht wieder
in Frage gestellt wurden.“
6.
Die Investoren aus den imperialistischen
Ländern sollten recht schnell ihr
Vertrauen in die Rolle der Einheitspartei,
der Armee, der Polizei und der Gewerkschaften
als Transmissionsriemen der KPCh wiederfinden.
Dies waren Faktoren der „gesellschaftlichen
Stabilität“ und der Unterwerfung
der Arbeitenden unter eine brutale Ausbeutung.
Sicherlich sind die USA und die Länder
der Europäischen Union (EU) bei den
Investitionen weiterhin in der Minderheit.
Auch haben sie ihren Zustrom erst im vergangenen
Jahrzehnt beschleunigt. Die Inspektionsreise
von Deng 1992 in den südlichen Regionen
(Wuhan, Schenzen, Tschuhai, Schanghai),
den von den ausländischen Investoren
privilegierten Zonen, hatte vor dem 14.
Parteitag der KPCh im Oktober desselben
Jahres ein klares Zeichen gesetzt.
7.
Die gnadenlosen Maßregelungen von
protestierenden Bauern/Bäuerinnen
und ArbeiterInnen, die regelmäßig
gegen die sozialen Auswirkungen der „Reformen“
protestieren. 8. Die sehr deutlichen Annäherungen
an die Forderungen des IWF, wie sie von
Jiang Zemin auf dem 15. Parteitag der
CHKP im September 2007 verdeutlicht wurden.
9.
Schließlich die vom Volkskongress
im März 2004 vorgenommene Verfassungsänderung.
Darin heißt es nun, das Recht auf
Privateigentum sei unverletzlich (was
deutlich weiter geht als die Änderungen
von 1988 und 1999, die bereits einen Bruch
mit dem Text von 1982 darstellten).
Diese
Aufzählung von Ereignissen zeigt
eine Verkettung von Entscheidungen und
sozio-ökonomischen Transformationen,
die dazu geführt haben, die Modalitäten
der Kontrolle des Mehrprodukt der chinesischen
Gesellschaft, wie es von den Arbeitenden
und den Bauern/Bäuerinnen erstellt
wird, zu verändern, wiewohl es wie
früher von der herrschenden Kaste
kontrolliert wurde. Trotzki schrieb 1940,
dass „diejenigen, die über
das Mehrprodukt verfügen, Herren
der Lage“ des Staates und die „Kirchenchefs“
(in unserem Fall die KPCh) sind. Sie veränderten
also die Formen und die Instrumente (das
Privateigentum) dieser Kontrolle über
das Mehrprodukts, reorganisierten sich
als herrschende Klasse mit ihren Führungseliten
(die Partei, die Verwaltung) und verbündeten
sich mit dem imperialistischen Kapital,
um ihren Gewinn aus der „neuen Werkstatt
der Welt“ zu ziehen.
Die
„Korruption“ ist nur eines
der Mittel – wie übrigens auch
in der Geschichte des Kapitalismus –,
Kapital zu akkumulieren, um zu versuchen,
zu den herkömmlichen Mechanismen
der Erheischung von Mehrwert zu gelangen.
EIN
VON EISERNER HAND REORGANISIERTES
PROLETARIAT |
Um
den ablaufenden Prozess zu verstehen,
muss man einen Gesichtspunkt besonders
im Auge behalten. Von den 740 Millionen
Erwachsenen im arbeitsfähigen Alter,
die es in China gibt und die ausgebeutet
werden könnten, leben 490 auf dem
Lande, wo sie häufig unbeschreiblicher
Armut ausgesetzt sind und keinen sozialen
Schutz genießen. Die Kluft zwischen
Stadt und Land steigt beständig an.
Dies
ist ein wesentliches Element jener gigantischen
industriellen Reservearmee, die eine so
brutale Ausbeutung ermöglicht. Dieses
Verhältnis gab es weder beim Zusammenbruch
der UdSSR noch in den osteuropäischen
Ländern, noch in den halb-industrialisierten
Ländern, die sich mehr oder weniger
in der Krise befinden, wie Argentinien
oder Brasilien. Diejenigen, die Die Polizeirepression
soll auch die ausländischen Investoren
beruhigen INPREKORR 402/403 35 CHINA die
Arbeitsgesetzgebung bemühen, sollten
ihr Ohr den Worten des Direktors „für
gute Unternehmensführung“ des
internationalen Sportartikelherstellers
Reebok von 2002 leihen. „Wer kümmert
sich heute in China um die Arbeitsgesetze?
Niemand. Würden jene Gesetze respektiert
werden, wären die Arbeitsbedingungen
deutlich besser. Doch mehr als anderswo,
wo ich arbeite, werden jene Gesetze mit
Füßen getreten!“ (Associated
Press Newswire, Hongkong, 29. Mai 2002.)
In
groben Zügen hat der Prozess, der
bei der Unterwerfung der Arbeit unter
die Ausbeutung durch das neue chinesische
und imperialistische Kapital am Werk ist,
vier Dimensionen:
1.
Es sind vor allem junge Arbeitende (zwischen
17 und 24 Jahren), die die Arbeitskräfte
stellen, denn danach „sind sie ausgelaugt
und nicht mehr so leicht zu kontrollieren“.
Dies ermöglicht Unternehmen, die
sich in einer Stadt wie Dongguan befinden
– einer Küstenstadt, die, um
sich ausdehnen zu können, wie in
Holland dem Meer Land abringen musste
– Schuhe für den Weltmarkt
zu „wettbewerbsfähigen Preisen“
zu produzieren. Die Löhne (wenn sie
überhaupt ausgezahlt werden) sind
niedriger als in den „maquiladores“
an der Grenze von Mexiko zu den USA. Die
Mehrheit der Frauen kommt vom Lande. Es
handelt sich um Migrantinnen, die allen
nur möglichen Zwängen der Erpressung
ausgesetzt sind, die von der Verschuldung,
die sie eingegangen sind, um die Erlaubnis
zu erhalten, von zu Hause wegzugehen und
die Transportkosten zu bezahlen, bis zum
Einzug der Papiere durch den Direktor
der Fabrik und nicht ausgezahlten Löhnen
gehen können. Der Ausbeutungsgrad
ist maximal: Arbeitsdauer (12 Stunden
und mehr), Arbeitsintensität, Löhne,
die sich noch häufig unter dem schon
lächerlich geringen Mindestlohn bewegen.
In diese Richtung bewegen sich im Rahmen
der Konkurrenz auf einem globalisierten
Arbeitsmarkt die Untergrenzen für
den Verkauf der Arbeitskraft.
2.
Teile der Arbeitenden der alten industriellen
Zentren (wo es noch zahlreiche Staatsunternehmen
gibt) werden massiven Entlassungen ausgesetzt.
Sie gehören zu den Arbeitslosen,
deren Umfang sich in keiner offiziellen
Sta-tistik findet. Sie werden in die Armut
geschleudert. In einer Studie über
die Privatisierungen in Schengjang im
alten industriellen Norden stellte Antoine
Kernen fest: „Mehr als 70 Prozent
der neuen städtischen Armen sind
frühere Beschäftigte des staatlichen
Sektors, freigesetzte Angestellte, solche
im Ruhestand oder Vorruhestand. (...)
Ihre Kinder sind indirekt von der Krise
(der Abwicklung) der Staatsunternehmen
betroffen. Heute ist es nicht selten,
dass es die Eltern nicht mehr schaffen,
die Kosten für die Schulbildung der
Kinder zu bezahlen, die fortwährend
ansteigen.“ Die Konkurrenz zwischen
diesen Arbeitssuchenden, den MigrantInnen,
denjenigen, die das Land verlassen, ist
heftig und wird noch durch die verschiedenen
Politikansätze auf Provinzebene verschärft.
3.
Bataillone von Bauern trifft die Beendigung
ihres Zugangs zum Land mit voller Härte.
Häufig werden sie von einer Verwaltung
enteignet, die ihnen nur eine lächerliche
Entschädigung zahlt. Laut Gesetz
müsste die Summe 16 durchschnittlichen
Jahresernten entsprechen. Aber das Gesetz
wurde gemacht, um gebrochen zu werden.
Die Ländereien werden mit beträchtlichem
„Mehrwert“ an Immobilienverkäufer,
an Unternehmen für öffentliche
Arbeiten oder an neu zu errichtende Unternehmen
weiterverkauft. Das Regime hat die für
eine Kommerzialisierung des bebaubaren
Landes bestehenden Einschränkungen
aufgehoben, was die Vertreibung der Bauern
und Bäuerinnen von ihrem Land noch
beschleunigen wird. Man muss dabei bedenken,
dass der häufig sehr intensiv vorgenommene
chinesische Ackerbau eine besondere und
(auch vom autoritären Regime) disziplinierte
Arbeitskraft hervorgebracht hat; gewissermaßen
eine proto-industrielle Arbeitskraft.
Hier gibt es ein Reservoir an Arbeitskräften,
wie sie vom industriellen und Immobilienboom
verlangt werden, aber auch von den neuen
Firmen, die sich „in der Ferne“,
also entlang der Küsten, ansiedeln.
Die Vereinbarungen über das brasilianische
Soja und andere landwirtschaftliche Produkte
(im Rahmen der Verträge mit Brasilien
und des Beitritts zur WTO) werden die
bäuerlichen Massen außerdem
entwurzeln und verarmen lassen. (Business
Week, 4. Oktober 2004) betont, dass China
40 Mio. Tonnen Soja verbraucht und nur
16 Mio. selbst produziert und es weder
ausreichend Wasser noch Land hat, um mehr
zu produzieren. Dies verspricht für
die brasilianische kapitalistische Agrar-Export-Wirtschaft
ein Glücksfall zu werden.
4.
Seit einiger Zeit gibt es die Tendenz,
Fertiggüter in eigenen Fabriken zusammenzubauen:
Photokopierer, Fotoapparate, Computer
und sogar Autos, sogar mit der Absicht,
Hybridfahrzeuge auf den Markt zu bringen,
um Benzin zu sparen und etwas gegen die
schreckliche Umweltverschmutzung zu tun.
Doch das Handelsdefizit im Bereich der
Hochtechnologie wächst unaufhörlich.
Logitech, ein US-Schweizer Unternehmen,
verkauft seine Maus (ohne Kabel) „Wanda“
in den USA für 40 Dollar; das chinesische
Unternehmen erhält gerade mal 3 $
für die Löhne, den Strom, den
Transport und die übrigen Kosten.
Diese Sektoren beruhen also bis heute
sehr viel mehr auf einer schrecklichen
Überausbeutung der Arbeitskraft als
auf einer „Übernahme“
von (neuen) Technologien. Unsere Schlussfolgerung:
Die neue „Werkstatt der Welt“
dient bereits – und wird dies in
Zukunft noch mehr tun – als Beispiel
für Maßnahmen der Lohndrückerei
in einem Globalisierungsprozess, in dem
die Arbeitenden der Welt mittels des Handels
in den Freihandelszonen und durch transnationale
Produktionsketten immer stärker zueinander
in Konkurrenz gesetzt werden. Dies war
bereits nach der Krise 1997/1998 in den
asiatischen „Schwellenländern“
deutlich geworden. |
Das
gewöhnliche Leben von MigrantInnen
Die
„Kontrolle“ der Binnenmigration
in China (die zu den größten
Migrationen der Weltgeschichte
gehört, vor allem, wenn man
die kurze Zeitspanne betrachtet,
in der sie abläuft), erfolgt
mittels einer Niederlassungserlaubnis
(Hüku); es gibt eine für
die Städte, eine andere für
die ländlichen Regionen.
Der Hindernislauf von MigrantInnen,
die sich in China auf die Binnenwanderung
machen, gleicht jenem von nicht-europäischen
MigrantInnen oder AsylbewerberInnen,
die in die Euro-päische Union
gelangen wollen.
Prekäre Lebensbedingungen,
polizeiliche Kontrollen, die häufig
von Amtsmissbrauch begleitet sind,
Erpres-sungen durch Unternehmer,
verstärkt durch das Fehlen
von Gewerkschaften, sowie Zwangsarbeit
sind das Los von Millionen Arbeitern
und Arbeiterinnen. Hier ein kurzes
Beispiel.
»Gao
Mingju, ein Arbeitsmigrant aus
der Provinz Henan, leitete eine
Gruppe von 50 Migranten auf einer
Baustelle in Peking im Jahr 2002.
Fünf Monate später war
der Bau fertiggestellt. Doch die
Löhne wurden nie ausgezahlt.
„Zunächst habe ich
mich jeden Tag ins Büro der
Gesellschaft begeben und sie gebeten,
meinen Leuten zu Essen und Zigaretten
zu geben. Aber keiner von ihnen
hat uns unsere Löhne bezahlt.“
Herr Gao sagte: „Es handelte
sich um Böswilligkeit. Sodann
habe ich mich zu diversen Behörden
begeben, doch sie alle sagten
mir, ich müsste mich an die
Justiz wenden. Aber ein gerichtlicher
Antrag würde 2 500 Jüan
kosten und wir konnten uns dieses
Geld nicht leisten. Schließlich
wurde ein Richter geschickt, damit
er unsere Klagen anhöre.
Doch die Unternehmer haben einfach
abgestritten, dass wir beschäftigt
gewesen seien. Und der Richter
schien ihnen zu glauben. Sie schienen
ihn bestochen zu haben. Jetzt
lebe ich mit Freunden und kann
mir nicht einmal eine Mahlzeit
leisten, doch ich möchte
nicht nach Hause gehen, ohne meinen
Lohn erhalten zu haben.“
(Geoffrey York, Globe and Mail,
23. Oktober 2004).
Etwa 40 Prozent der Landbevölkerung
überlebt dank der Überweisungen
durch die MigrantInnen. Gleichzeitig
gibt es aber einen von der OECD
auf 24 Mrd. Dollar geschätzten
Transfer aus der ländlichen
Wirtschaft in die Städte,
eine massive Zerstörung von
sozialer Infrastruktur auf dem
Lande und „pompöse“
Ausgaben in einigen Städten;
auf den Bauern lasten sehr hohe
Steuern, sie sind verpflichtet,
ihre Ersparnisse bei Banken anzulegen,
die städtische Projekte finanzieren
usw. Vom Land kommende MigrantInnen
sind also in einer Falle gefangen.
„Es
gibt eine starke und weit verbreitete
Diskriminierung der MigrantInnen.
Sie werden von der Polizei drangsaliert,
die sie verhaftet und Schmiergeld
von ihnen verlangt, weil sie keinen
festen Aufenthalt nachweisen können.
Millionen von MigrantInnen werden
festgenommen und wieder in ihre
Heimatdörfer zurückgeschickt.
Die meisten von ihnen können
ihre Kinder nicht in die Schule
schicken, weil die Kosten zu hoch
sind und sonstige Verwaltungshindernisse
bestehen.“ (ebd.)
|
Die Polizeirepression soll auch
die ausländischen Investoren
beruhigen |
Einige
Daten und Fakten
zu China
•
Untergliederung: 22 Provinzen,
dazu Taiwan, das von Peking als
abtrünnige Provinz betrachtet
wird, außerdem fünf
autonome Regionen: die innere
Mongolei, Guangxi, Ningxia, Xinjiang
(das frühere Ost- Turkistan),
Xizang (Tibet). Es gibt eine große
Ungleichheit bei den Durchschnittseinkommen
zwischen den Regionen: Wenn man
für 2002 Schanghai mit dem
Index 100 bedenkt, dann liegt
Peking bei 67,8 und Guangxi am
unteren Ende bei 15,3. Der nationale
Durchschnitt beläuft sich
auf 27,8.
•
Bevölkerung: 1,3 Mrd., aktive
Bevölkerung im Jahre 2000
757 Mio. Offiziell arbeiten noch
350,5 Mio. Menschen in der Landwirtschaft,
dazu etwa 140 Mio. in Aktivitäten,
die von der Landwirtschaft abhängig
sind. Die Industrie beschäftigt
offiziell 132,5 Mio. Aus diesem
Bericht ergibt sich die „unerschöpfliche
Quelle“ ausbeutbarer Arbeitskraft
(unter ihnen die Migrant-Innen).
Es findet ein kolossaler Transfer
von Reichtum vom Land in die Stadt
statt.
•
Wachstum des BIP: (in %): 1998:
7,8, 1999: 7,1, 2000: 8,0, 2001:
7,3, 2002: 8,0, 2003: 9,1. Das
langfristige Wachstum lag in Südkorea
in den siebziger Jahren bei 8,7%
und in den neunziger Jahren bei
6,3%. Seit 2000 bewegt es sich
bei 5,2%. Wird sich China diesem
Trend anschließen? Dies
ist eine wirtschaftliche und soziale
Frage.
•
Investitionen: Sie lagen 2001
bei 36,3% des BIP, im Zeitraum
1989- 1991 bei 26,2%. Dies ist
ein sehr hoher Anteil. Es stellt
sich das Problem der möglichen
Dauer und der Effizienz.
•
Ausfuhren (in Mrd. Dollar): 1998:
183,5, 1999: 194,7, 2000: 249,
2001: 266,1, 2002: 325,7, 2003:
390. Einfuhren: 1998: 136,9, 1999:
158,7, 2000: 214,7, 2001: 232,1,
2002: 281,5, 2003: 370. In der
Tendenz ist die Entwicklung der
Einfuhren (Basisprodukte und Halbfertigwaren)
stärker als die der Ausfuhren.
Der Handelsüberschuss hat
daher die Tendenz, abzunehmen.
•
China und die WTO: Ab 2006 muss
China den „Schutz geistigen
Eigentums“ durchsetzen.
Dies wird auf Schwierigkeiten
stoßen, denn das Kopieren
hat einen riesigen Umfang angenommen.
Ein ernsthafteres Problem: Die
Tätigkeit von Privatbanken
in China muss liberalisiert werden.
Gewisse Studien kommen zum Schluss,
dass etwa 250 Mio. Menschen in
China ein im Verhältnis zu
ihrem Einkommen ziemlich hohes
gespartes Guthaben besitzen (wegen
der Ungewissheiten der Zukunft).
Man schätzt es insgesamt
auf zwei Billionen Dollar. Doch
die Staatsbanken (es gibt vier
wichtige) haben viele faule Kredite
zu vertreten. Daher sichert die
private Ersparnis als Guthaben
ihr Gleichgewicht. Wenn US oder
japanische Banken diese Ersparnisse
zu sich umlenken könnten,
würden die Bilanzen der öffentlichen
Banken in den Keller gehen, und
dies umso mehr, als letztere häufig
spekulative Immobilienprojekte
finanzieren. Sie sind auch stark
in staatlichen Firmen engagiert,
die sich in schwieriger Lage befinden.
Es zeichnet sich eine Zerstörung
von Kapital und von Produktivkräften
ab, was aber nicht mit einem wirtschaftlichen
Crash zu verwechseln ist.
•
Drei Phasen der Öffnung der
Wirtschaft: In der ersten Phase
(Ende siebziger und 80er Jahre)
kamen die Gewinne aus dem Aufschwung
der Landwirtschaft, in der sich
eine ländliche Leichtindustrie
entwickelte (die heute in der
Krise ist). In der zweiten (Ende
der 80er/Beginn 90er Jahre) kam
es zu einem Zustrom von ausländischen
Direktinvestitionen aus Taiwan,
Hongkong, Macao, Singapur usw.
Sie stellten bis zu 47,5% der
Investitionen in der Provinz Guandong.
In einer dritten Phase beschleunigte
sich der Zustrom von ADI aus imperialistischen
Ländern; China baute neue
Wirtschaftsbeziehungen mit den
ASEAN-Staaten oder gewissen latein-amerikanischen
Ländern (Brasilien, Argentinien,
Chile) auf.
|
China
bietet ein Reservoir an Arbeits-kräften,
wie sie vom industriellen Boom
verlangt werden.
|
Quellen:
Stephan Roach, „How Global
Labour
Arbitrage will shape the World
Economy“,
Global Agenda. Partnering for
Security and Prosperity, 2004.
Bank für internationalen
Zahlungsausgleich (BIZ, Basel),
74.
Jahresbericht, Basel 2004. World
Investment Report 2004, Cnuced,
Genf 2004.
World Trade Report, WTO, Genf
2004. Wall Street Journal, 22.
Oktober 2004. Sondernummer des
The Economist, „The Dragon
and the Eagle“, 2.
Oktober 2004, S. 26ff. Deng Xiaoping,
Textes choisis, Editions en langues
étrangères, Peking
1983.
Der Spiegel, Nr. 42/2004. Anita
Chan,
China’s Workers under Assault.
The Exploitation of Labor in a
Globalizing
Economy, London, M.E. Sharpes,
2001. Qion Hui, „Dividing
the Big Familiy Assets“,
in: New Left Review, März/April
2003, S. 83-110.
Wang Hui, „Fire at The Castele
Gate“, in: New Left Review,
November/Dezember 2000, S. 66-99.
Foreign Direct Investment on the
Development Gateway: The SGV Review,
September 2004, Artikel von Desmond
Wrong, „Do You Know Where
Your Competitors Are“.
Trotzki, Marx vu par Trotzki,
Buchet Chastel 1970.
Antoine Kernen, La Chine vers
l’économie de marché.
Les privatisations àShenyang,
Karthale 2004. Politics in China.
Moving Frontiers, ed. by F. Mongin
und J.L. Rocca, Palgrave Macmillan,
New York 200.
John King Fairbank, La grande
révolution
chinoise 1980-1989, Falammarion
1998. Cong Cao, « L’industrie
chinoise face au défi technologique.
Les investiteurs étrangers
sont les premiers pourvoyeurs
de technologies, in: Perspectives
chinoises, Nr. 83, Mai/Juni 2004.
|
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