Die
Lasten auf die ArbeiterInnen abwälzen
Tausende
WanderarbeiterInnen haben erleben müssen,
wie ihre Arbeitgeber verschwinden, ohne ihnen
die ausstehenden Löhne zu bezahlen. Sie
müssen darum kämpfen, wenigstens einen
Teil der Löhne noch zu bekommen. Straßenblockaden
und Demonstrationen sind kein seltenes Bild.
Wenn ihre Aktionen groß genug sind, gelingt
es den ArbeiterInnen häufig, die lokalen
Behörden dazu zu zwingen, ihnen zumindest
genug für die Heimreise in ihre Dörfer
zu bezahlen. Damit kommen die Behörden
allerdings nicht nur den Forderungen der Beschäftigten
nach, sondern handeln auch zum eigenen Vorteil:
Schließlich ist es viel sicherer, die
WanderarbeiterInnen nach Hause zu schicken,
als ganze Reservearmeen arbeitsloser und mittelloser
Menschen in den Städten zu behalten. Schon
zu Beginn des ökonomischen Abschwungs hatten
die Zentralregierung sowie die Provinzregierungen
hastig angekündigt, ökonomische Anreize
schaffen zu wollen, um die entlassenen WanderarbeiterInnen
dazu zu bewegen, nach Hause zurückzukehren
und auf ihren kleinen Parzellen Landbau zu betreiben
oder kleine Unternehmen zu gründen. Obwohl
auch davon gesprochen wird, die Arbeitsplätze
der Wanderarbeiter schützen zu wollen,
beschränkt sich dieser Schutz entweder
auf bloße Appelle an die Unternehmen,
bei den Entlassungen „umsichtig“
vorzugehen, oder auf aktive Unterstützung
der Unternehmen im Hinblick auf Kredite, um
deren Liquidität aufrecht zu erhalten.
Dabei kann die Verfügbarkeit von Krediten
zwar vielleicht die Folgen von Fabrikschließungen
abmildern, sie hat aber keinen direkten Einfluss
auf die Beschäftigtenzahlen. Denn obwohl
reihenweise Fabrikschließungen zwangsläufig
Massenarbeitslosigkeit verursachen, bedeuten
weniger Fabrikschließungen nicht unbedingt,
dass die Arbeitslosigkeit sinkt. Das US-Hilfsprogramm
für die Banken hat weder dazu geführt,
dass diese wieder bereitwilliger Kredite geben,
noch hat es ihre Neigung verringert, Beschäftigte
zu entlassen. In China steht ähnliches
zu erwarten. Kurz: der aktuelle Rettungsplan
kommt den Unternehmen zu Gute, nicht den Beschäftigten.
Darüber
hinaus helfen die Zentralregierung und die Provinzregierungen
den Arbeitgebern praktisch dabei, die Lasten
der Wirtschaftskrise auf die ArbeiterInnen abzuwälzen.
Das Ministerium für Humanressourcen und
Soziale Sicherheit hat am 17. November 2008
ein Einfrieren des Mindestlohns verkündet,
„um den Firmen zu helfen, sich gegen den
wirtschaftlichen Abschwung zu behaupten“.1
Prompt wies die All-China Federation of
Trade Unions (ACFTU) der Provinz Guangdong
die ArbeiterInnen an, mit den Bossen an einem
Strang zu ziehen, um die Krise zu überwinden,
und kollektive Lohnverhandlungen bei angeschlagenen
Unternehmen zu unterlassen. Der Guangzhou
Daily wandte sich mit dem Aufruf an die
Beschäftigten, es müssten „alle
beteiligten Parteien dazu beitragen, die Schwierigkeiten
gemeinsam zu überwinden“.2
Die
Regierung hat ein Konjunkturprogramm von vier
Billionen Yuan (ca. 418 Mrd. Euro) angekündigt,
das die Wachstumsrate auf 8 Prozent halten soll.
Die offiziellen Medien versichern der einfachen
Bevölkerung, dieses Ziel sei vorrangig:
Es werde helfen, Arbeitsplätze zu erhalten.
Der
Economist vom 15. November 2008 stellt
die Vermutung an, das Wachstum werde in China
nächstes Jahr ohne Regierungshilfe wohl
auf unter 6 Prozent sinken. Nun kann das Konjunkturprogramm
dem Vertrauen der Unternehmen vielleicht wieder
auf die Beine helfen, aber kann es das Wachstum
auch bei 8 Prozent halten? Optimisten mögen
darauf hinweisen, dass China im Gegensatz zu
den USA keine Probleme mit Subprime- Krediten
und Schattenbanken hat. Chinas Banken sind gesünder
geworden, seit die Regierung um die Jahrhundertwende
uneinholbare Außenstände im Wert
von Milliarden Yuan von ihnen übernommen
hat. Heute bestehen nur noch 6 Prozent statt,wie
damals, 40 bis 50 Prozent ihrer Bestände
aus faulen Krediten. Darüber hinaus sind
sowohl die individuelle Haushaltsverschuldung
als auch die Staatsverschuldung im Verhältnis
zum BIP gering, jedenfalls viel geringer als
in den meisten Ländern.3
Pessimisten andererseits beharren darauf, dass
Chinas Ökonomie ein Wachstum von 8 Prozent
trotz Konjunkturprogramm nicht wird halten können,
da der Außenhandel 70 Prozent im Verhältnis
zum BIP beträgt, was für ein großes
Land ein ungewöhnlich hoher Anteil ist,
und da entsprechend ein riesiger Anteil des
Investitionsvolumens an der Exportproduktion
hängt.
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Rettungspaket
für die Reichen, steigende Arbeitslosigkeit
für die Bevölkerung
Auch
wenn das Konjunkturprogramm die Wachstumsrate
2009 bei 8 Prozent halten könnte, brächte
das wenig für die Schaffung von Arbeitsplätzen.
Chinas Wachstum findet nämlich schon seit
langem ohne eine entsprechende Zunahme von Arbeitsplätzen
statt. 2005 hat die Internationale Arbeitsorganisation
ILO eine Studie über den Zusammenhang zwischen
dem Wirtschaftswachstum und der Schaffung von
Arbeitsplätzen erstellt. Dabei fand sie
heraus, dass zwischen 1990 und 2002 ein Wirtschaftswachstum
von durchschnittlich 9,3 Prozent jeweils nur
zu einer Arbeitsplatzzunahme von 0,8 Prozent
geführt hat, während es im produzierenden
Gewerbe sogar zu einem Rückgang von Arbeitsplätzen
kam. Nicht verwunderlich also, dass die Arbeitslosenquote
trotz bislang üppigen Wirtschaftswachstums
hoch ist. Der aktuellen offiziellen Arbeitslosenquote
von 4 Prozent wird allgemein wenig Realitätsgehalt
beigemessen. Die Chinese Academy of Social
Science sieht die Quote vielmehr bei 9,4
Prozent.4 Auch dies
ist aber eine zu niedrige Schätzung, denn
sie beinhaltet nicht die in ihre Dörfer
zurückgekehrten WanderarbeiterInnen. Unter
dem hukou-System zur Registrierung
von Haushalten werden WanderarbeiterInnen vom
Land selbst dann in den Städten noch als
Fremde betrachtet, wenn sie dort seit einem
Dutzend Jahren arbeiten. Daher werden ihnen
grundlegende soziale Rechte vorenthalten, auf
die Stadtbewohner einen Anspruch haben, z.B.
formelle Arbeitsverhältnisse mit sozialer
Absicherung, Bildung für ihre Kinder, bezahlte
medizinische Versorgung etc.
Noch
empörender ist aber: Während die Arbeitslosenversicherung
inzwischen die ungeheure Summe von 120 Mrd.
Yuan angehäuft hat, besteht für die
lokalen Behörden nur wenig Anreiz, den
Arbeitslosen nun auch Hilfen daraus auszuzahlen.
Die Zahlen sind nicht öffentlich zugänglich,
aber in Guangzhou soll die Arbeitslosenversicherung
im September 2008 bei einem Bestand von 8,5
Mrd. Yuan lediglich 0,3 bis 0,5 Mrd. Yuan an
die Arbeitslosen ausgezahlt haben. Nach dem
Grund gefragt, sagte ein zuständiger Beamter:
„Wir haben von der Zentralregierung keine
Direktiven erhalten, wie das zu handhaben ist.“5
Die meisten WanderarbeiterInnen vom Land sind
von Auszahlungen ausgeschlossen, da sie nicht
als Stadtbewohner, sondern nur als nongmingong
gesehen werden, also wörtlich als „Landarbeiter“.
Wirtschaftswachstum
hat aber nicht nur mit der Schaffung von Arbeitsplätzen,
sondern auch mit Lohnzuwachs wenig zu tun. Nach
einem Bericht der Weltbank ist in China der
Anteil der Löhne am BIP zwischen 1998 und
2005 von 53 auf 41,4 Prozent gesunken (zum Vergleich:
57 Prozent in den USA).6
Das Mindestlohngesetz hat wenig dazu beigetragen,
diesen Lohnverfall aufzuhalten, weil er so niedrig
ist, dass er kaum mehr als 30 Prozent des Durchschnittslohns
entspricht (zum Vergleich: 50 Prozent in Thailand
und den USA).
Für Arbeitsplätze und Löhne bedeutet
das: Selbst wenn es mit Hilfe des Rettungspaketes
gelingt, das Wirtschaftswachstum in diesem Abschwung
bei 8 Prozent zu halten, wird dies auch weiterhin
nicht dazu führen, genügend Arbeitsplätze
zu schaffen. Und wenn die Wachstumsrate unter
8 Prozent rutscht, werden trotz des Konjunktur-programms
ein unmittelbarer, noch gravierenderer Anstieg
der Arbeitslosigkeit sowie sinkende Löhne
die Folge sein. Das wird besonders deutlich,
wenn wir uns den Inhalt des Paketes ansehen.
Trotz einer Rhetorik, die auf die Schaffung
von Arbeitsplätzen und auf die Sicherung
des Lebensunterhalts der Menschen abhebt, beinhaltet
das Paket nur wenige Ressourcen, die direkt
darauf abzielen, den Anteil der Löhne und
Sozialleistungen auf ein vernünftiges Niveau
zu heben. Nach wie vor wird dem Aufruf zu einer
Reform der sozialen Absicherung nicht nachgekommen,
die eine kostenlose Gesundheitsversorgung und
höhere Bildung beinhalten müsste,
ein wirksameres Arbeitslosen- und Rentenversicherungssystem
mit einem höheren Beitrag des Staates etc.
In Missachtung des wichtigen Argumentes, dass
eine umfassendere soziale Sicherung den Menschen
ein Gefühl von Sicherheit geben und sie
dazu motivieren würde, ihr Geld auszugeben,
anstatt es zu sparen, ist laut Newsweek lediglich
ein Prozent des gesamten Paketes für Gesundheitsversorgung,
Kultur und Bildung vorgesehen. Huang Ming, Professor
der USamerikanischen Cornell University, der
in Beijing an der Cheung Kong Graduate School
of Business lehrt, sagt: „Es liegt
im Interesse der Regierung, schnell ein Netz
sozialer Absicherung zu entwickeln. Das wird
den Konsum ankurbeln. [Die Chinesen] sparen,
weil sie Angst haben, krank zu werden.“7
Die Sparquote liegt in China bei 46 Prozent
(zum Vergleich: in den USA bei Null). Das wirkt
in einem wirtschaftlichen Abschwung kontraproduktiv,
da weniger Geld in den Konsum fließt.
Dennoch gibt es wenig Anzeichen dafür,
dass die Regierung auf den Wohlfahrtsstaatsdiskurs
einschwenkt. Ein Großteil der vier Billionen
Yuan wird für Infrastruktur ausgegeben.
Das schafft zwar Arbeitsplätze, kann aber
aufgrund seines kapitalintensiven Charakters
nicht so viele ersetzen, wie in der Exportproduktionsbranche
verloren gehen. Darüber hinaus wird der
Bau von Straßen und Eisenbahnen nicht
unbedingt eine stotternde Wirtschaft anschieben,
solange Investoren nicht daran glauben, dass
sie ihre Produkte auch verkaufen können
– und dieses Vertrauen können sie
bei steigender Arbeitslosigkeit nicht haben.
Da es weder Transparenz noch demokratische Kontrolle
gibt, wird die Regierung das Rettungsgeld wohl
kaum gerecht verteilen. Selbst die zensierte
Presse hält es für notwendig, vor
Korruption zu warnen. Der Legal Daily
konstatiert, das Paket werde „einen scharfen
Konkurrenzkampf der Provinzregierungen um Projekte“
mit sich bringen, und „hinter diesen großen
Projekten steht immer die große Korruption.“8
Ein Teil des Paketes ist für den Wiederaufbau
in der Region Sichuan gedacht, wo ein Erdbeben
den Kreis Wenchuan zerstört hat. Seit Mai
2008 wurden 40 Mrd. Yuan gespendet, aber zu
Winteranfang gab es immer noch 100.000 Opfer,
da runter viele Kinder, die noch nicht einmal
ein Paar Winterschuhe besaßen.9
Das erinnert uns wieder einmal daran: Von dem
Paket werden zuallererst die Machteliten profitieren.
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Arbeiterin
in der chinesischen Schuhfabrik von Adidas-Salomon. |
Modell
für wen?
Seltsamerweise
gibt es Beobachter, die China als Modell für
Entwicklungsländer sehen – oder sogar
für die ArbeiterInnen – und die dem
Aufstieg von China Beifall zollen als einem
Entwicklungsmodell, das eine Alternative zum
Neoliberalismus biete. Hier ist kein Platz,
um diesem Thema auf den Grund zu gehen. Ich
möchte lediglich darauf hinweisen, dass
China in fast jedem Detail dem Kurs von Korea
folgt: ein autoritäres Regime, das aktiv
schnelle Akkumulation und Exportorientierung
auf Kosten der Werktätigen unterstützt,
indem es den letzteren grundlegende Bürger-
und Arbeitsrechte verweigert.10
Ich
habe das anhaltende Sinken des Lohnanteils am
BIP erwähnt. Nun würde ich gerne die
andere Seite derselben Medaille diskutieren:
Der Anteil des Profits am BIP ist im selben
Zeitraum dramatisch angestiegen. Der chinesische
Wissenschaftler Wang Lianli schreibt, dass das
Verhältnis zwischen Löhnen und Profit
in der Produktion zwischen 1990 und 2005 von
1:3,1 auf 1:7,6 gestiegen ist.11
Neben extravaganten Konsumausgaben investieren
oder sparen die Neureichen ihr Geld, daher die
extrem hohe Sparquote und Investitionsrate.
Jahrzehntelang betrug der Investitionsanteil
an Chinas BIP über 40 Prozent, ist damit
doppelt so hoch wie in den USA und liegt an
der Spitze der größten asiatischen
Länder, inklusive Korea zu seinen besten
Industrialisierungszeiten.12
Dennoch können die Kräfte der kapitalistischen
Entwicklung die Polarisierung zwischen Reich
und Arm nicht verschärfen, ohne damit der
weiteren Entwicklung Steine in den Weg zu legen.
Hohe Profite nehmen die Löhne in die Zange
und verursachen so eine langfristige Abnahme
des privaten Konsums. Zwischen 1992 und 2006
ist der Anteil des privaten Konsums am BIP von
47 auf 36 Prozent gesunken, während er
in Südkorea, Indien, Großbritannien,
Australien und Japan über 50 Prozent beträgt.13
Die Weltbank stellt fest, dass ein Großteil
des Konsumrückgangs in China mit dem Sinken
des Lohnanteils am BIP erklärt werden kann.
So erzeugt Chinas schnelle Akkumulation auf
Basis der brutalen Ausbeutung von ArbeiterInnen
und BäuerInnen ihrerseits ein massives
Ungleichgewicht zwischen Konsum und Investitionen,
bzw. präziser: Unterkonsumtion und Überinvestition.
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Telekom-Produzent
Huawei in Shenzhen |
Damit
bleibt Produktionskapazität ungenutzt,
was wiederum eine steigende Abhängigkeit
von Exporten zur Folge hat, wenn die Investitionen
etwas abwerfen sollen. Mit einem US-Markt in
der Rezession ist dieses chinesische Modell
am Ende.
Bereits
vor dem Beginn der USKrise war sich die Regierung
der Schwäche ihres Wachstumsmodells bewusst.
Im April 2008 sprach Präsident Hu Jintao
von der Notwendigkeit, den Entwicklungsmodus
vom exportgeleiteten Wachstum zu einer stärkeren
Betonung einheimischen Wachstums zu verschieben,
indem man die einheimische Nachfrage ausweitet.
Kein Wachstumsmodell kann allerdings ohne gewisse
Restrukturierung geändert werden, und die
Restrukturierung selbst wird nicht wohlfeil
zu haben sein. Die einzige Frage lautet: Wer
muss dafür bezahlen? Wie immer muss die
Antwort auf diese Frage zwischen den unterschiedlichen
gesellschaftlichen Gruppen ausgehandelt werden,
entweder auf institutionellem Weg oder durch
soziale Aktionen. In einem Land, das keine grundlegenden
Bürger- und Arbeitsrechte garantiert, begünstigen
die Kräfteverhältnisse zwangsläufig
massiv die Starken (Bürokratie und Unternehmer).
Damit ist wohl unvermeidlich, dass die Beschäftigten,
vor allem die WanderarbeiterInnen die größte
Last der Restrukturierung werden tragen müssen.
Die 150 Millionen MigrantInnen vom Land werden
zur ver-fügbaren Masse: Wenn die Geschäfte
gut laufen, werden sie hergerufen, um zwölf
Stunden am Tag in den Sweatshops zu knechten.
Dann wird ihnen sogar das Recht auf Kündigung
verweigert, wenn sie lieber wieder zurück
in ihre Dörfer gehen wollen, anstatt weiter
sklavereiähnliche Arbeitsbedingungen zu
ertragen.14 Wenn die
Geschäfte schlecht laufen, wird ihnen gesagt,
sie sollen nach Hause gehen und ihr jämmerliches
Stück Land bestellen. In gewisser Weise
ist der Status der WanderarbeiterInnen als BürgerInnen
zweiter Klasse mit dem der Frauen als zweitem
Geschlecht unter kapitalistischen Bedingungen
vergleichbar: als letzte eingestellt und als
erste gefeuert, wenn die Krise kommt. Im Licht
dieser neuen Erfahrungen in der Krise erscheint
es doppelt abwegig, China als alternatives Modell
für die Werktätigen hochzuhalten.
Man
muss verstehen, dass wir hier nicht wie schon
seit zwanzig Jahren Zeugen eines normalen Wirtschaftszyklus
werden. Dies ist vielmehr eine Krise im Kern
des chinesischen Wachstumsmodells und damit
nicht einfach eine wirtschaftliche, sondern
auch eine gesellschaftliche Krise. Ähnlich
wie Korea wird auch China zwangsläufig
mit seiner eigenen Krise konfrontiert, wenn
die US-geführte Globalisierung gegen die
Wand läuft. Damit will ich nicht sagen,
dass China zwangsläufig eine genauso schwere
Krise wie den USA bevorsteht; das würde
uns auf ein zu weites Feld führen. Unsere
Sorge gilt der Tatsache, dass selbst bei einem
moderaten Abschwung die Konsequenzen für
die werktätigen Menschen gravierend sind,
vor allem für die WanderarbeiterInnen vom
Land. Immerhin ist hier etwas Neues zu beachten:
Die ArbeiterInnen sind sich heute ihrer Rechte
in einem viel höheren Maße bewusst
als noch vor zehn Jahren. Die größten
Erfolge ihrer spontanen Streiks während
der letzten zehn Jahre sind nicht nur die ökonomischen
Errungenschaften, sondern der faktische Zusammenbruch
des Streikverbots. Streiks sind so häufig
geworden, dass das Verbot praktisch nicht mehr
gilt. Die lokalen Behörden müssen
sich nun auf den wachsenden Widerstand einstellen.
Gewerkschaftliche Organisierung ist immer noch
ausgesprochen schwierig. Dennoch wird sich die
immer gieriger und korrupter agierende Elite
im kommenden wirtschaftlichen Abschwung mit
einer werktätigen Bevölkerung –
oder zumindest mit einem Teil davon –
konfrontiert sehen, die zunehmend darauf gefasst
ist, den Attacken der Elite Widerstand entgegenzusetzen.
5.
Januar 2009
Quelle: www.labournet.de/internationales/cn/au1.pdf
Übersetzung: Anne Scheidhauer
1
Dies wurde etwas mehrdeutig als „temporäre
Aussetzung der Anpassung der Mindestlöhne“
präsentiert. Schließlich kann „die
Aussetzung
der Anpassung“ sich auf eine Aufwärtswie
auf eine Abwärts-Anpassung beziehen. Im
Kontext der Verlautbarung gesehen, war aber
wohl von ersterer die Rede.
2 Guangzhou Daily, 19. November 2008
3
The Economist, 15. November 2008
4 http://www.21cbh.com/Content.asp?NewsId=58091
5
http://www.21cbh.com/Content.asp?NewsId=57844
6
China Economy Quarterly Update, Februar
2007, World Bank Beijing Office, S. 6
7
http://www.newsweek.com/id/174524
8
http://legaldaily.com.cn/2007shyf/2008-11/14/content_981205.htm
9
Ming Pao, 12. Dezember 2008
10 Mit einer Ausnahme: Korea hat im Gegensatz
zur Erfahrung Chinas ausländische Kapitalinvestitionen
während seiner ganzen Industrialisierungsperiode
abgelehnt.
11 „Tigao laodong baochou, zheli yu chuci
fenpei
„, von Wang Lianli, Xianggang Chuanzhen
(Hong Kong Fax), hrsg. von Research Department
of Citic Pacific, No. 2007-90, S. 8
12 “Rebalancing China’s Economy”,
He and
Kuijs, World Bank China Research Paper No. 7
13
“A Workers’ Manifesto for China”,
The Economist,
11. Oktober 2007
14
Diejenigen, die sich eher zur Wehr setzen und
die sich „Barfuß-Anwälte“
(Autodidakten
ohne formelle Anwaltskonzession) leisten können,
werden sich von diesen Beschwerdebriefe
schreiben lassen, um von den Arbeitgebern
freigegeben zu werden und ihre Löhne ausgezahlt
zu bekommen. Diejenigen, die sich nicht
so leicht zur Wehr setzen, werden gezwungen
sein zu bleiben. Die Gesetze erlauben den Arbeitgebern
diese Praktiken zwar nicht, aber solange
die Beschäftigten keine grundlegenden
bürgerlichen Freiheiten genießen,
werden Arbeitsrechte
im Allgemeinen nicht durchgesetzt.
Andersherum werden ArbeiterInnen im momentanen
wirtschaftlichen Abschwung entlassen,
bevor ihre Verträge auslaufen – ebenfalls
in Verletzung iher Arbeitsrechte
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