Der Irak als neuer Angelpunkt
der US-Politik : Interview
1991-2002
: von der Eindämmung zum Krieg
von
Charles-André Udy aus DEBATTE Nr. 4,
Oktober 2002
Die
US-Regierung hat eine regelrechte Offensive
im Bereich der public relations gestartet, um
einen "Präventivkrieg" gegen
den Irak und das Regime von Saddam Hussein zu
rechtfertigen, ihren ehemaligen Verbündeten,
zu dessen militärischer Aufrüstung
sie beigetragen hat und dessen allgemein bekannte
Verbrechen früher nicht mit der heute vorherrschenden
Entrüstung konfrontiert wurden.
Auf
Grund zwei zerstörerischer Kriege (gegen
den Iran 1980-1988 und gegen die von den USA
angeführte Koalition der Operation "Wüstensturm"
1990-1991), amerikanisch-britischer Bombenangriffe
in den letzten Jahren und verheerender Auswirkungen
des UNO-Embargos ist der Irak ein Land, das
in Ruinen liegt. Seine Bevölkerung versucht
zu überleben. Das Regime des Diktators
Saddam Hussein bezieht seine Renten aus dieser
Mangelwirtschaft, welche jeglichem parasitären
Verhalten Tür und Tor öffnet.
Wir
haben mit Raid Fahmi gesprochen, dem Chefredaktor
der fortschrittlichen irakischen Kulturzeitschrift
"Al Thakafa Al Jadida" (Die neue Kultur),
um uns mit der Analyse und dem Standpunkt eines
irakischen Oppositionellen auseinanderzusetzen.
Welche
Einschätzung haben Sie, in einer längeren
historischen Perspektive betrachtet, von der
Politik der USA gegenüber dem Irak ?
Seit
dem so genannten Golfkrieg, der auf die Invasion
Kuwaits durch den Irak am 2. August 1990 folgte,
haben die USA eine Politik der Eindämmung
(containment) verfolgt. Das kompromisslose Regime
globaler Sanktionen, das dem Irak nach der Invasion
Kuwaits auferlegt wurde, stellt eines der wichtigsten
Instrumente dieser Politik dar. Als das Ziel
eines Rückzugs der irakischen Truppen aus
Kuwait schon erreicht war, haben die von den
USA angeführten Streitkräfte dem Regime
von Saddam Hussein beträchtliche militärische
Schäden zugefügt, ohne von den zivilen
Opfern und der Zerstörung der Infrastrukturen
überhaupt zu sprechen. Im März 1991
ist der Irak am Boden zerstört.
Um
die darauf folgende Entwicklung zu begreifen,
welche zur heutigen Situation führt, muss
an das widersprüchliche Ergebnis des Kriegs
zwischen dem Irak und dem Iran (1980-1988) erinnert
werden.
Es
ist also nicht möglich, den Golfkrieg 1990-1991
vom irakisch-iranischen Krieg 1980-1988 zu trennen
?
Nach
dem Sturz des Regimes des Schahs im Iran (Februar
1979), an dessen Stelle die islamische Republik
trat (Ende März 1979), war es für
die USA und für die europäischen Mächte
in der Tat entscheidend, den Irak zu unterstützen.
An dessen Spitze hatte Saddam Hussein im Verlauf
der 70er Jahre immer mehr Macht erlangt.
Es
lässt sich sagen, dass sich der Irak freiwillig
gemeldet hat, um jegliche Ausweitung der iranischen
islamischen Revolution zu verhindern. Der Krieg
gegen den Iran wurde im September 1980 begonnen.
Im Verlauf dieses Konfliktes erhielt der Irak,
unterstützt von den Golfmonarchien, die
sich vor Nachwirkungen der iranischen Revolution
fürchteten, Militärhilfe nicht nur
von der Sowjetunion, die ihm schon seit langer
Zeit Waffen lieferte, sondern auch von europäischen
Ländern (Frankreich, Deutschland, Grossbritannien…).
Im Februar 1982 streichen die USA den Irak von
ihrer "Liste terroristischer Länder".
1983 gewähren sie dem Irak bedeutende Kredite.
Als
es 1988 zum Waffenstillstand zwischen dem Irak
und dem Iran kommt, ist der Irak ein Land, dessen
Infrastrukturen teilweise zerstört sind,
das grosse menschliche Verluste erlitten hat
und das wirtschaftlich stark geschwächt
ist. Doch verfügt der Irak über beträchtliche
militärische Mittel.
Für
die USA war es angesichts der "destabilisierenden"
Rolle, die der Irak spielen konnte, wichtig,
dieses militärische Potential sehr stark
zu reduzieren. Ausserdem ging es um ihre eigene
direkte Verankerung in dieser gesamten Region,
die gigantische Erdölreserven beherbergt,
deren Förderungskosten relativ bescheiden
sind.
Hierin
liegen die grundlegenden Ursachen des Golfkriegs,
der - vergessen wir das nicht - durch die Golfstaaten
selbst finanziert wurde, das heisst durch die
von den USA beherrschten Länder, sowie
durch andere imperialistische Staaten (Deutschland,
Japan, usw.).
Weshalb
und wie erfolgt nun ein Übergang von dieser
Politik der Eindämmung zu offensiveren
Initiativen und zur heute grossen Wahrscheinlichkeit
eines Krieges ?
Nach
dem Krieg diente das dem Irak auferlegte Embargo
als Instrument der Politik der Eindämmung.
In breiten Schichten der irakischen Bevölkerung
herrschte übrigens nach dem März 1991
der Eindruck vor, die USA hätten kein Interesse
daran, das Regime von Saddam Hussein zu beseitigen,
obwohl sie genau dies öffentlich behaupteten.
Diese Meinung stützte sich auf die Haltung
der USA, die es dem Regime von Saddam ermöglicht
hatten, die Aufstände nieder zu schlagen,
die ab dem 2. März 1991 im Süden des
Iraks begonnen hatten. Die Aufständischen
hatten mehrere Städte in ihre Kontrolle
gebracht : Bassora, Karbala, Nadjaf. Auch in
Kurdistan und im Norden des Landes war es zu
Revolten gekommen. Die Erdölstadt Kirkouk
fiel Mitte März in die Gewalt der kurdischen
Rebellen. Ende März wird sie durch Saddam
Husseins Armee zurück erobert. Dies markiert
den Anfangspunkt einer Flucht von mehreren Hunderttausend
Personen in Richtung der türkischen und
iranischen Grenzen.
Diese
Strategie der Eindämmung hat nach dem 11.
September 2001 eine Wende erfahren. Wahrscheinlich
bestanden einige Ziele bereits vor dem 11. September.
Aber das Ereignis selbst hat die Anwendung und
die Legitimation der neuen amerikanischen Politik
begünstigt. Wenn es nach den Plänen
der Administration Bush geht, soll der Irak
zu einem Staat werden, der eine aktive Rolle
zu Gunsten der USA spielt. Denn der 11. September
hat die Beziehungen zwischen von den USA gejagten
"terroristischen Netzwerken" (Al-Kaida)
und gesellschaftlichen Sektoren von Ländern,
die wie Saudi-Arabien oder Ägypten zu den
strategischen Alliierten der USA zählen,
enthüllt. Dies gilt in manchen Fällen
vielleicht sogar für die herrschenden Kreise
in diesen Ländern. Im Gegensatz dazu existieren
keinerlei Beziehungen zwischen den Attentätern
des 11. Septembers und jenen Ländern, die
zu den "terroristischen Staaten" gerechnet
werden : der Irak, Syrien, der Iran oder Libyen.
Historisch
und strukturell gesprochen sind die fundamentalistischen
islamistischen Strömungen im Irak viel
weniger stark verwurzelt als in Saudi-Arabien
oder Ägypten. Im Irak hat die islamistische
Strömung eine ausgeprägtere religiöse
Dimension und richtet sich in erster Linie gegen
das Regime von Saddam Hussein. Deshalb könnte
der Irak für die USA zu einem stabileren
und ihrer Politik der regionalen Kontrolle besser
angepassten Stützpunkt werden, wenn dieses
Regime einmal beseitigt ist. In dieser Hinsicht
geht es nun nicht mehr darum, den Irak einzudämmen,
sondern ihn in einen Träger der neuen imperialistischen
Strategie der USA zu verwandeln.
Selbstverständlich
geht es letztlich um das Erdöl. Die bekannten
irakischen Reserven gelten als die zweitgrössten
der Welt. Die Kontrolle des irakischen Erdöls,
zusätzlich zur Vorherrschaft der amerikanischen
Konzerne in den Golfstaaten und in Zentralasien,
würde die internationale Hegemonie der
USA verstärken.
Ausserdem
vermittelt die geographische Lage des Iraks
zwischen dem Iran und Syrien dem Land eine erstrangige
Bedeutung im Hinblick auf die längerfristig
von den Amerikanern ins Auge gefasste geopolitische
Umgestaltung. Schliesslich, und das wird von
verschiedenen Beobachtern erwähnt, könnte
sich ein Washington höriger irakischer
Staat in eine "Front der Zusammenarbeit"
einreihen, welche die Türkei und Jordanien
umfasst und Verbindungen zu Israël herstellt,
das bereits eng mit der Türkei kooperiert.
So gesehen könnte der Irak den USA als
Instrument dienen, um wiederum die Auswirkungen
von möglichen Krisen in Saudi-Arabien einzudämmen.
Diese
Elemente erlauben es, auf eine Frage zu antworten,
die oft von IrakerInnen gestellt wird : Welches
Interesse haben die USA an einer Beseitigung
Saddam Husseins, wo sie ihn doch an der Macht
gelassen haben ?
Wie
hat sich die irakische Gesellschaft unter dem
Schock der Kriege und des Embargos entwickelt
? Entsteht nicht eine immer grössere Kluft
zwischen der Bevölkerung und dem Regime
?
In
der Tat ist der Graben zwischen den herrschenden
Kreisen und der grossen Mehrheit der Bevölkerung
um Einiges breiter geworden. Die Menschen befinden
sich in einer Art Überlebenswirtschaft
mit verschiedenen Brutalitäten und Schwierigkeiten
des alltäglichen Lebens. Die brutalsten
Formen der Ausbeutung blühen auf. Jegliche
Arbeitsgesetzgebung ist verschwunden. Unabhängige
gewerkschaftliche Aktivitäten, sofern sie
überhaupt möglich sind, werden blutig
nieder geschlagen.
Im
allgemeinen haben die Kriege und das Embargo
zu einem strukturellen Niedergang des Proletariats
und zu seiner gesellschaftlichen und politischen
Verkümmerung geführt. Der informelle
Sektor dehnt sich immer weiter aus. Der Industriesektor
ist sehr stark dezimiert worden. Dies lässt
sich sowohl auf den Einbruch des Binnenmarktes
(Verarmung, radikaler Kaufkraftverlust) und
den Verlust der Absatzmärkte als auch auf
den Mangel an Ersatzteilen zurückführen.
Die
ausserordentliche Brutalität des alltäglichen
Lebens, welche durch verschiedene Studien der
WHO, der Unicef, usw. bestätigt wird, sowie
die den auf das nackte Überleben zielenden
Aktivitäten innewohnenden Eigenschaften
führen dazu, dass auch abgesehen vom sehr
repressiven Charakter des Regimes eine Organisierung
der Bevölkerung und minimale Widerstandsaktionen
sehr schwierig, wenn nicht unmöglich sind.
Die verarmten Massen sind schlicht und einfach
damit beschäftigt, zu überleben.
Die
"Mittelschichten" - deren Lebensstandard
sich zwischen 1970 und 1982 deutlich verbessert
hatte, insbesondere auf Grund einer teilweisen
Verteilung der nach dem Ölschock von 1973-1974
sprunghaft angestiegenen Erdölrente und
einer gewissen Entwicklung von Industrie und
öffentlichem Sektor - haben einen brutalen
Absturz in die Hölle erlitten. Diese Sektoren,
die zu einem grossen Teil aus Lohnabhängigen
in stabilen Verhältnissen bestanden, direkt
oder indirekt von der staatlichen Verteilung
der Erdölrente abhängig waren und
einen städtischen Lebensstil pflegten,
stellten eine gesellschaftlich und politisch
handlungsfähige Kraft dar. Inzwischen sind
auch diese gesellschaftlichen Schichten geschwächt,
marginalisiert und in die Überlebenswirtschaft
gedrängt worden und geprägt durch
gesellschaftliche und politische Passivität.
Wem es in diesen Schichten möglich war,
der hat das Exil gewählt, was einen Verlust
an "menschlichem, kulturellem und wissenschaftlichem
Kapital" verursacht.
Vor
diesem Hintergrund muss das erneute Aufkommen
islamistischer Strömungen betrachtet werden.
Sie funktionieren wie ein System, das angesichts
der wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, politischen
und kulturellen Verwerfungen Schutz bietet.
Auch entwickeln sich Familiennetze, Clan-Strukturen,
Religionsgemeinschaften wieder von Neuem, das
heisst im allgemeinen traditionelle gesellschaftliche
Strukturen, die teilweise früher durch
den historischen Prozess der Modernisierung
der irakischen Gesellschaft bereits "überholt"
waren.
Auch
das Regime von Saddam Hussein stützt sich
angesichts der Erosion der Institution Staat
(s)-Partei in seiner Funktionsweise auf solche
traditionelle Strukturen. In diesem Umfeld haben
die fortschrittlichen, sozialistisch angehauchten
oder sogar marxistischen nationalistischen Strömungen
Rückschläge erlitten. Es ist auf Grund
derart tief greifender Umwälzungen schwierig,
ihre weitere Entwicklung voraus zu sagen.
Auf
welche "Ressourcen" kann sich das
Regime von Saddam Hussein noch stützen
?
In
einer derartigen Ruinenlandschaft kann sich
das Regime von Saddam Hussein schwerlich auf
die grossen Themen der nationalistischen und
panarabischen Ideologie des historischen Baas
berufen. Der Versuch, den Islam oder sogar den
Islamismus für seine Zwecke einzuspannen,
sind wenig erfolgreich, da Saddams Glaubwürdigkeit
in dieser Hinsicht auf einem sehr tiefen Niveau
liegt. Der Aufruf an patriotische Gefühle
und an die Verteidigung der territorialen Einheit
des Iraks stösst auf ein sehr bescheidenes
Echo, um so mehr, als die Politik des Regimes
zum Verlust der Kontrolle über weite Teile
des Landes geführt hat.
Unter
diesen Umständen stützt sich Saddam
Hussein auf eine Repressionsmaschinerie, die
bislang ziemlich homogen geblieben ist und standgehalten
hat, weil die Gefahr eines Sturzes des Regimes
gering war. Zweifellos haben zahlreiche Abrechnungsmanöver
innerhalb der herrschenden Kreise stattgefunden,
von denen sogar die Familie Saddam Husseins
nicht verschont geblieben ist. Aber bis heute
wurden sämtliche Versuche einer "subversiven"
Organisation innerhalb des Machtzentrums gebrochen.
Das gegenseitige Misstrauen wurde in den Rang
der Funktionsregel und des persönlichen
Schutzes erhoben. Ein "verdächtiger"
hoher Würdenträger hat keine andere
Wahl, als das Land zu verlassen.
Ausserdem
verteilt das Regime ausgehend von einer sehr
starken Zentralisierung der wirtschaftlichen
Ressourcen und der politischen Macht Privilegien
auf eine wohlüberlegte Art und Weise. Um
davon ein Bild zu vermitteln : Saddam Hussein
verteilt verschiedene Arten von militärischen
und politischen Ehrentiteln, die Anspruch auf
eine monatlich überwiesene Summe Geld vermitteln.
Das System der Abhängigkeit ist in verschiedenen
konzentrisch angelegten Kreise sehr gut organisiert.
Der
Umgang mit dem Embargo liefert zudem einen weiteren
Schlüssel zum Verständnis der Funktionsweise
der Macht. In den Städten sind weite Teile
der Bevölkerung von den Rationierungsscheinen
abhängig, ohne die sie nicht überleben
können. Seit der Anwendung des Abkommens
"Erdöl für Nahrungsmittel",
das im April 1995 verabschiedet und 1996 vom
Regime angenommen wurde, konnte dieses System
der kontrollierten Abhängigkeit bis zu
einem gewissen Grad stabilisiert werden.
Schliesslich
stellen die tiefen Risse im gesellschaftlichen
Gefüge, die Zersplitterung der Gesellschaft
und die vielfältigen, daraus hervorgehenden
Gegensätze ein grosses Hindernis für
jegliche einigermassen vereinte Opposition gegen
das Regime dar. Ohne Zweifel sind 80 bis 90
% der Bevölkerung gegen das Regime, aber
gleichzeitig begünstigen die Prozesse der
gesellschaftlichen Zersplitterung eine Neutralisierung
dieses Widerstandspotentials. Hierin liegt eine
ausserordentliche Herausforderung für jede
politische Opposition, welche für eine
demokratische und soziale Lösung dieser
Krise und für den Sturz dieses Regimes
kämpft.
Wie
analysieren Sie die gegenwärtige Mobilisierung
der USA, die sich in einem sehr kriegerischen
Ton präsentiert ?
Worauf
spekulieren die Amerikaner ? Der wirtschaftliche
Würgegriff ist eines der Instrumente, das
sie in verschiedener Form anwenden : die Begrenzung
der Erdöleinkünfte durch die Reduktion
des Produktionsvolumens ; die Verpflichtung,
gestützt auf die Resolution 692 des UNO-Sicherheitsrates
Milliarden von Dollars als Wiedergutmachungsleistungen
an viele Länder, darunter Kuwait, sowie
an verschiedene Unternehmen zu bezahlen (zwischen
Dezember 1996 und Ende 2000 wurden mehr als
11 Milliarden Dollars an die Entschädigungskommission
der Vereinten Nationen überwiesen) ; die
Kontrolle der über die Türkei abgewickelten
Erdölexporte mit der gegenwärtigen
Möglichkeit, sie zu begrenzen… Hinzu
kommen die regelmässigen amerikanischen
und englischen Bombenangriffe auf so genannte
militärische Ziele.
Alle
diese Massnahmen, denen jetzt noch die immer
konkreter werdende Bedrohung durch eine militärische
Intervention angefügt wird, zielen unter
anderem darauf ab, einen Sektor aus den herrschenden
Kreisen heraus zu lösen, der zum Schluss
kommen könnte, dass es besser ist, mit
Saddam zu brechen, und dass nun der letzte Augenblick
gekommen ist, um den von den USA angezeigten
Ausweg zu benützen. Ein solcher Sektor
würde versuchen, Saddam zu stürzen.
Die
USA richten durch ihre proklamierte Entschlossenheit,
Krieg zu führen, eine Botschaft an gewisse
Sektoren der Armee : "Ihr habt keine Chance,
durchzukommen. Wir werden alles unternehmen,
um das Regime zu stürzen. Eure einzige
Möglichkeit, im Irak von morgen einen Platz
zu erhalten, besteht darin, euch uns anzuschliessen."
Es ist nicht undenkbar, dass unter einem derartigen
Druck interne Auseinandersetzungen zu einem
eigentlichen Machtkampf führen können.
Übrigens zweifeln immer noch viele Iraker
an einer militärischen Intervention der
USA.
Das
Regime seinerseits kombiniert diplomatische
Offensiven und Mobilisierung gegen den Krieg.
Es versucht, der Baas-Partei wieder eine Rolle
zu geben. Es wurden sogar Waffen an Freiwillige
der Partei verteilt. Doch haben sich viele Probleme
gezeigt und kürzlich dazu geführt,
die Bewaffnung von "Basissektoren"
der Partei wieder rückgängig zu machen.
Dies ist Ausdruck einer Loyalitätskrise,
die sich selbst innerhalb der Partei zeigt,
die das Regime von Neuem zu seinen Zwecken einspannen
möchte.
Es
darf nicht vergessen werden, dass die allgemeine
Perspektive der Amerikaner darin besteht, die
so genannten oppositionellen Kräfte möglichst
vollständig zu kontrollieren. Zu jenem
Zeitpunkt, in dem die sehr stark zentralisierte
Macht Saddam Husseins zusammen bricht, soll
sie dann militärischen und politischen
Kräften anvertraut werden, welche die territoriale
Einheit und einen möglichst geordneten
und disziplinierten Übergang hin zu einem
Irak gewährleisten, der sich in diese Strategie
der USA einfügt, die ich zu Beginn unseres
Gesprächs beschrieben habe.
Unter
welchem politischen Gesichtspunkt fassen Sie
eine Mobilisierung gegen den Krieg und für
das Recht auf Selbstbestimmung der irakischen
Bevölkerung ins Auge ?
Jene,
welche die von den USA proklamierten Ziele -
der amerikanische Diskurs spricht heute, um
Bushs Formulierungen zu verwenden, von der Notwendigkeit,
ein Regime zu beseitigen, "das die Welt
bedroht", und "die irakische Bevölkerung
von der Unterdrückung zu befreien, welche
dieses Regime ihm aufzwingt" - akzeptieren,
sollten sich daran erinnern, dass im Verlauf
der Geschichte noch kaum jemals ein imperialistischer
Krieg ein demokratisches Regime hervorgebracht
hat. Dies ist um so weniger zu erwarten, als
die wirtschaftlichen Interessen (Erdöl),
die hinter einem solchen Krieg stehen, nicht
einmal versteckt werden.
Ausserdem
beabsichtigt die Macht oder die Koalition der
Mächte, die einen solchen Krieg unternehmen
würde, keineswegs, sich auf einen tatsächlichen
Prozess der Selbstbestimmung der irakischen
Bevölkerung zu stützen. Übrigens
spricht die amerikanische und englische Diplomatie,
welche sich darum bemüht, das Bild einer
vereinten Opposition zu erzeugen, dieser überhaupt
keine Rolle beim "Sturz von Saddam"
zu. Diese Opposition wird den ihr zugedachten
Platz erst einnehmen, wenn die Amerikaner den
Irak schon beherrschen. Sie wird also nur eine
vollständig untergeordnete Rolle spielen
können.
Was
die linken Kräfte in Westeuropa angeht,
so sollte der grundsätzliche Widerstand
gegen die amerikanische imperialistische Politik
und ihre Verbündeten in unseren Augen selbstverständlich
sein. Allerdings wäre es falsch, nur zu
sagen : "Die Frage des Regimes von Saddam
Hussein obliegt allein der irakischen Bevölkerung.
Wir brauchen uns in dieser Hinsicht nicht zu
äussern." Das Kräfteverhältnis
zwischen der irakischen Bevölkerung, den
demokratischen und linken Kräften im Irak
auf der einen und dem Staatsapparat auf der
anderen Seite fällt sehr eindeutig zu Gunsten
des bestehenden Regimes aus. Daher sind wir
der Meinung, dass in der Bewegung gegen den
Krieg die Stellungnahme gegen die Diktatur,
gegen Saddam Hussein nicht verschwinden darf.
Wir denken, dass die Bewegung auch in den imperialistischen
Ländern sich nicht nur eindeutig gegen
den imperialistischen Krieg richten, sondern
auch gegen die Diktatur und für die Demokratie
im Irak kämpfen soll. Für uns ist
diese Artikulation sehr wichtig, denn es sollte
keine Hierarchie eingeführt werden, die
dazu führt, die Notwendigkeit eines Kampfes
gegen die Diktatur und die Unterstützung
der irakischen demokratischen Kräfte aus
den Augen zu verlieren.
5.September
2002
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