*Phil
Hearse ist langjähriger revolutionärer
Sozialist in Britannien.
Die
Bush-Regierung kämpft ein verzweifeltes
Rückzugsgefecht gegen die weltweiten
Proteste gegen ihre Internierungs- und Folterpraktiken,
darunter besonders einen Bericht von Amnesty
International, der Guantánamo als „neuen
Gulag“ bezeichnet. Zur gleichen Zeit
erreicht die Repression im Innern des Iraks
einen neuen Höhepunkt; die Streitkräfte
der USA und ihrer irakischen Verbündeten
greifen zu immer unterschiedsloseren Angriffen
und Verhaftungswellen. Dieser Artikel behandelt
in seiner ersten Hälfte den Krieg im
Irak und dann das weltweite System geheimer
Gefängnisse und Folterzentren.
Für
das Ziel der USA, die Widerstandskämpfer
militärisch zu zerschlagen, war April ein
schwarzer Monat. Insgesamt 77 US-Militärangehörige
wurden getötet – die höchste
Zahl seit dem Angriff auf Faludscha im letzten
November – und einige Hundert irakische
Soldaten und Polizisten. US-Militärangaben
zufolge haben sich Angriffe Aufständischer
seit Anfang des Jahres verdoppelt. In einigen
Gebieten gehen die Kämpfe in regelrechte
sunnitisch-schiitische Schlachten über,
während anderswo Schiitenkämpfer US-amerikanische
und britische Truppen angreifen. Hunderte wurden
bei Bombenanschlägen getötet.
Die
US-Streitkräfte haben ihre Bemühungen
verstärkt, die Widerstandskämpfer
in offene Kämpfe zu verwickeln. Anfang
Mai starteten Tausende von Marineinfanteristen
die „Operation Matador“ in der Provinz
Anbar, dem Wüstengebiet westlich Bagdad.
Sie wollten Kämpfer finden und eliminieren
sowie den Zufluss von Kämpfern über
die syrische Grenze zu verstopfen.
Die
Los Angeles Times schrieb: „Sieben Tage
lang rumpelten die Marines durch Wüstendörfer
und kämpften hitzige Gefechte gegen einen
erstaunlich gut koordinierten Feind. Am ersten
Tag der Operation schienen die Aufständischen
noch die Stellungen halten und gegen die Marines
kämpfen zu wollen, doch glauben US-Militärvertreter
jetzt, dass das nur eine Taktik war, um den
Vormarsch der US-Truppen in die Region Ramana
nördlich des Euphrat zu verzögern.
Diese Verzögerung könnte vielen Aufständischen
Zeit verschafft haben, nach Syrien zu fliehen.“
„Das
ist ein extrem frustrierender Kampf", sagt
Major Steve White, Operationsleiter des 3. Bataillons
der 25. Marineregiments. "Diese Jungs zu
jagen ist wie Wasser schöpfen. Immer verliert
man was.“
„Eine
Pressemitteilung des Militärs erklärte
die Mission zum Erfolg. Die US-Truppen hätten
mehr als 125 Aufständische getötet.
Neun Marineinfanteristen seien in der Operation
getötet und vierzig verwundet worden.“
„Doch
sofort nach Abschluss der Aktionen wurden die
Marines wieder über den Euphrat zurückgezogen
und keine Präsenz der US-amerikanischen
oder irakischen Regierung in der Region zurück
gelassen – was allgemein als großer
Fehler bei der Aufstandsbekämpfung gilt.“
[1]
Wahllose
Bombardierungen
Einheimische
beklagen, dass die Marines völlig wahllos
Dörfer aus der Luft bombardiert haben und
sie bei der Rückkehr ihre Häuser in
Trümmern vorfinden mussten. Viele US-Beobachter
zogen daraus den Schluss, dass es einfach nicht
genug US-Truppen in dem Gebiet – oder
im Irak insgesamt – gebe, um den Guerillakrieg
erfolgreich zu unterbinden.
Seit
Anfang des Jahres begannen die US-amerikanischen
Streitkräfte auf der Suche nach vermuteten
Aufständischen ganze Stadtteile, besonders
in Bagdad, zu durchkämmen. Hunderte wurden
dabei festgenommen. Am 23. Mai durchkämmten
Tausende US-amerikanischer und irakischer Soldaten
die Vororte Bagdads in einer „Operation
Squeeze Play“ [2 ]
und inhaftierten nach eigenen Angaben 437 Personen.
Dazu
sagte Tom Lasseter: „Im Schleppnetz wurden
aber anscheinend auch Zuschauer gefangen. Einige
Irakis meinten, dass die „Operation Squeeze
Play“ wohl einige Aufständische von
den Straßen geholt hat, aber sicher auch
den Kreislauf antreiben wird, der die amerikanische
Präsenz seit zwei Jahren jagt: gemäßigte
Iraker verärgern und damit Aufständischen
ein freundlicheres Umfeld schaffen, in dem sie
ihre Angriffe ausführen können.“
[3]
Sektenmorde
und Todesschwadronen
Der
Ausbruch von Kämpfen zwischen Sunniten
und Schiiten in einigen Städten und ein
wahrer Krieg von „Wie du mir, so ich dir“-Attentaten
führt nur noch tiefer in den Morast. Die
Anzahl der gefundenen Leichen macht klar, dass
hier Todesschwadronen operieren, und es ist
nicht klar, wer genau sie sind. Dazu sagt Mohammed
Bazi: „Die Anzeichen eines Sektenkriegs
sind im Irak heute allgegenwärtig: Geistliche,
die außerhalb ihrer Moscheen ermordet
werden, Dutzende Exekutionsopfer, die in Gräben
gefunden werden, und Autobomben, die große
Opfer unter der schiitisch-moslemischen Bevölkerungsmehrheit
verursachen.“
„Fast
vier Monate nach den irakischen Wahlen, als
Millionen Iraker den Drohungen der Aufständischen
trotzten und ein neues Parlament wählten,
droht die Sektengewalt jetzt das Land in einen
Bürgerkrieg zu ziehen. Die meisten Opfer
waren bisher Schiiten, die Ziel sunnitischer
Anschläge waren. Aber die jüngsten
mehr als 50 Leichenfunde im ganzen Irak –
Männer beider Konfessionen, die offensichtlich
entführt und ermordet wurden – beleuchten
ein neues Problem: eine Welle von Rachemorden
zwischen Sunniten und Schiiten. [4]
Anfang
des Jahres wurden in den USA Pläne erwogen,
ein Attentatsprogramm zu starten, um zu versuchen
Aufstandsführer zu eliminieren. Dazu der
UN-Waffeninspekteur Scott Ritter: „…der
Pentagon erwägt die Organisation, Ausbildung
und Ausrüstung so genannter Todesschwadronen,
Gruppen irakischer Attentäter, die eingesetzt
werden sollten, die Führung des irakischen
Widerstands zu infiltrieren und zu eliminieren.
„Dies
wurde die 'salvadorianische Option’ genannt,
in Bezug auf ähnliche US-gestützte
Todesschwadronen, die in den 80er Jahren die
Bevölkerung El Salvadors terrorisierten,
obwohl der erwogene Plan seine Wurzeln eigentlich
im 'Phönix-Programm’ des Vietnam-Kriegs
hatte, wo von den USA geführte Attentäter
Tausende bekannter oder vermeintlicher Vietcong-Kollaborateure
töteten.“
„Vielleicht
ist es ein Zeichen der Verzweiflung, die sich
im Pentagon breit macht, oder eine Unterschätzung
der ideologischen Perversität der Verantwortlichen,
dass US-Militärs zu gescheiterten Programmen
der Vergangenheit greifen könnten, um unlösbare
Probleme der Gegenwart zu lösen.“
[5]
Wenn
die USA Todesschwadronen eingesetzt oder heimlich
unterstützt hätten, wäre dies
nicht das erste Mal im Irak gewesen. Dazu Ritter:
„Die 'salvadorianische Option’ wäre
nicht der erste Einsatz von Attentaten als Mittel
der Besatzung durch die USA im Irak gewesen.
In den Monaten nach Paul Bremers Übernahme
der Provisorischen Koalitionsbehörde (CPA)
im Juni 2003 wimmelte es auf den Straßen
von Bagdad nur so von Mordkommandos.“
„Zu
den wirkungsvolleren und brutaleren dieser Einheiten
gehörten diejenige, die aus der Badr-Brigade
gebildet waren, der bewaffneten Miliz der politischen
Partei der Schiiten, bekannt als Oberster Rat
der islamischen Revolution im Irak (SCIRI).
Auch wenn es nie öffentlich zugegeben wurde,
erlaubte die von den verschiedenen Anti-Saddam-Milizen
bei der Bekämpfung der Reste von Saddams
früher regierender Baath-Partei gespielte
Rolle einen kurzen Blick auf das, was ein unausgesprochenes
Element der US-Politik der Ent-Baathifizierung
ist – lasst die Irakis die Drecksarbeit
machen.“
„Die
SCIRI-Aktionen zur Auslöschung der immer
noch zu Saddam Hussein loyalen Reste der Baath-Partei
oder von Verbrechen gegen die SCIRI oder ihre
Sympathisanten Beschuldigten, lenkten die Aufmerksamkeit
auf die 'dunkle’ Seite der CPA-geführten
Ent-Baath-ifizierungsbemühungen –
Geheimaktionen der CIA oder spezieller US-Eliteeinheiten.
Von allen Beteiligten dieses tödlichen
Spiels erwiesen sich die Badr-Milizen als die
bereitwilligsten und fähigsten im Kampf
gegen Baath-Widerstandsnester. Nach Tipps von
CPA-Geheimagenten töteten Badr-Mordkommandos
Dutzende Baathisten in und um Bagdad.“
Brutaler
Kolonialkrieg
Jetzt
haben die USA beschlossen, Bagdad mit Truppen
zu überschwemmen, um Bombenattentate der
Aufständischen zu erschweren. Die „Operation
Lightning“ [„Blitz“] hat zum
Ziel, 40.000 US und irakische Soldaten ständig
um die Stadt herum zu stationieren. Insgesamt
verfolgen die USA also trotz des Einsetzens
einer provisorischen Regierung den klassischen
Weg aller brutalen Kolonialkriege – in
Aden, Kenia, Algerien, Vietnam und vielen anderen
Ländern: auf ungelöste Aufstände
mit drastisch verschärfter Gewalt und Repression
zu reagieren, die immer wahlloser wird und mehr
und mehr die Zivilbevölkerung bestraft.
Nichts
demonstriert mehr die Gefühllosigkeit gegenüber
irakischen Zivilisten als die anhaltende Notlage
der 200.000 und mehr Flüchtlinge aus dem
zerstörten Stadt Falludscha, die von den
Marieninfanteristen im letzten November eingeebnet
wurde. Die meisten stecken in erbärmlichen
Lagern und haben keine Möglichkeit, in
ihre zerstörten Häuser zurückzukehren.
Joanthan Steele und Dhar Jamail [6]
schreiben dazu im
britischen Guardian: „In den 1930er Jahren
wurde die spanische Stadt Guernica zum Symbol
für Mord und Zerstörung. In den 1990er
Jahren wurde Grosny von den Russen brutal eingeebnet,
es liegt immer noch in Trümmern. Das unvergessliche
Monument dieses Jahrzehnts für Brutalität
und Militärgewalt ist Falludscha.“
Friedensaktivist
Milan Raj, Gründer der „Voices in
the Wilderness“ (Stimmen in der Wildnis),
hat detailliert ermittelt, warum Falludscha
ein Zentrum des Widerstands wurde, und sein
Bericht ist ein erneuter Beleg für die
Gefühllosigkeit der US-Truppen. [7]
Er
schreibt: „ Aber warum wurde Falludscha
das Herz des irakischen Aufstands? Für
die Antwort müssen wir auf die Ereignisse
im April 2003 zurückblicken, als US-Truppen
in die friedliche Stadt Falludscha eindrangen
und die dortige Oberschule besetzten. Einheimische
waren aufgebracht wegen der US-Besetzung und
forderten die Wiedereröffnung der Schule.
Am Abend des 28. April, fast drei Wochen nach
dem Sturz des Regimes, demonstrierten sie vor
dem Gebäude. US-Soldaten feuerten auf die
Menge und töteten 13 Zivilisten.“
„Das ist dieselbe Zahl von Zivilisten,
die von britischen Soldaten am „Bloody
Sunday“ (Blutsonntag) 1972 in Derry in
Nordirland getötet wurden. Das Falludscha-Massaker
war Iraks „Bloody Sunday“, eine
ähnlich unerträgliche Ungerechtigkeit,
die zum Auslöser bewaffneten Widerstands
wurde. Nach offiziellen US-Angaben hatten 25
bewaffnete Zivilisten, die sich unter die Menge
gemischt und auf benachbarten Hausdächern
versteckt hatten, auf Soldaten der 82. Luftlandedivision
geschossen, was zu einem 'Feuergefecht’
führte. (BBC News Online, 29. April 2003).
Phil Reeves, Korrespondent des Independent on
Sunday, führte eine sorgfältige, unabhängige
Untersuchung durch und kam zu dem Schluss, dass
die offizielle Darstellung eine 'höchst
unwahrscheinliche Version der Ereignisse’
sei.“
„Trotz
dieser Gräueltaten, deren Zeuge sie geworden
waren, protestierten die Bewohner von Falludscha
weiter gewaltfrei. Eine weitere Demonstration
wurde am 30. April durchgeführt, zwei Tage
nach dem Schul-Massaker.“
„Bei
diesen Protesten erschossen die US-Soldaten
wieder zwei unbewaffnete Demonstranten. Keiner
der US-Soldaten wurde verletzt oder getötet,
trotz der Behauptung, sie seien zuerst beschossen
worden. Reporter des britischen Daily Mirror
standen zwei Meter neben dem US-Soldaten, der
das Feuer auf die Demonstranten eröffnete.
Ein Junge 'schleuderte eine Sandale auf den
US-Jeep mit dem schweren M2-Maschinengewehr
an der Rückseite, der am Ende einer Kolonne
anderer Fahrzeuge fuhr’. Der Soldat am
MG duckte sich kurz und 'drückte dann den
Auslöser durch’, um eine 20 Sekunden
lange Salve Automatikfeuers in die 'tausendköpfige
unbewaffnete Menge’ zu schießen.“
„Nach
zwei „Bloody Sundays“ innerhalb
von drei Tagen griffen die Bewohner nun entschlossen
zur Gewalt. Chalaf Abed Schebib, ein Stammesführer
aus Falludscha, erklärte einige Tage später:
'Die Menschen sind bereit, in dieser Schlacht
zu sterben.’ Zwei Tage nach dem Massaker
vom 30. April, musste ein örtlicher Imam
eine Demonstration absagen, nachdem er sah,
wie sich Protestierende Handgranaten in die
Taschen stopften.“
Weltweiter
Gulag
Nach
detaillierten Ermittlungen zahlreicher Journalisten
und Menschenrechtsorganisationen entsteht ein
genaues Bild des weltweiten Netzes von Internierungs-
und Folterzentren der USA. Geheime Hafteinrichtungen
in Afghanistan werden immer mehr zur Grundlage,
aber der US-Rechtsanwaltsorganisation „Human
Rights First“ (Menschenrechte zuerst)
[8]
zufolge gibt es zusätzlich zu Afghanistan
und Guantánamo Bay mindestens 22 Hafteinrichtungen
im Irak, ein bestätigtes und zwei vermutete
Lager in den USA selbst, zwei in Pakistan, ein
CIA-Verhörzentrum in Jordanien und wahrscheinlich
eine Art Internierungs- und Verhörzentrum
auf der US-Basis im britischen Diego Garcia.
Dazu schreiben Adrian Levy und Cathy Scott-Clark
[9]
„Die schwankende Bewohnerzahl dieser „Geisterlager“
überschreitet nach Angaben von US-amerikanischen
und britischen Vertretern inzwischen die Zahl
10.000.“
„Was
man in Afghanistan erkennen konnte, war ein
radikaler Plan, Guantánamo Bay zu ersetzen.
Als das Gefangenenlager im Januar 2002 eingerichtet
wurde, war es vor allem ein Gulag auf hoher
See – außerhalb der Reichweite der
US-Verfassung und der Genfer Konvention. Das
alles änderte sich im Juli 2004. Das Oberste
Gericht der USA entschied, dass das Bundesgericht
in Washington zuständig für einen
Fall war, der darüber entscheiden würde,
ob das Festhalten auf Kuba ein Verstoß
gegen Verfassung, Gesetze oder Verträge
der USA wäre.“
„Auch
die Militärkommissionen, die über
die Gefangenen Recht sprechen sollten, waren
in eine desolaten Zustand. Anklagen waren nicht
vorbereitet und Verteidigungsfälle nicht
ausgeschrieben, weshalb der Verband der US-Strafverteidiger
die Kommissionen als unethisch einstufte; eine
Entscheidung, die von einem Bundesrichter gestützt
wurde, der sie im Januar für 'illegal’
erklärte. Guantánamo versank plötzlich
im Sumpf nationaler Rechtsstreitigkeiten und
hatte damit seinen praktischen Nutzen verloren.
So übernahm ein in den letzten drei Jahren
aufgebautes weltweites Netz von Gefängnissen
außerhalb der Reichweite amerikanischer
oder europäischer Rechtssprechung augenblicklich
diesen Job. Die Entwicklung wurde sichtbar,
als das Pentagon letzte Woche erklärte,
dass die Hälfte der 540 Insassen von Guantánamo
in Gefängnisse in Afghanistan oder Saudi-Arabien
überführt werden sollen…“
„Gefangenentransporte
bewegen sich im Zick-Zack durch das Land (Afghanistan)
durch ein sich immer mehr ausdehnendes Netz
von Gefängniseinrichtungen. Neben den Lagern
in Gardez vermutet man Anlagen in den Städten
Chost, Asadabad und Dschalalabad, wie auch ein
offizielles US-Haftzentrum in Kandahar, das
wegen seiner Haftbedingungen von früheren
Gefangenen den Spitznamen 'Camp Slappy’
(Ohrfeigenlager) bekommen hat. Es gibt weitere
20 Einrichtungen in abgelegenen US-Stützpunkten
und -Feuerstellungen, die ein 'Sammellager’
auf dem Fliegerhorst Bagram ergänzen. Der
CIA hat eine Einrichtung in Bagram und eine
weitere mit dem Namen 'Salt Pit’ (Salzbergwerk)
in einem ehemaligen Ziegelwerk nördlich
von Kabul. Vermutlich werden mehr als 1500 Gefangene
aus Afghanistan und vielen anderen Ländern
in solchen Gefängnissen festgehalten, obwohl
niemand es sicher weiß, weil das US-Militär
jeden Kommentar verweigert.“
„Jeder,
der den Gefangenentransporten in die Quere kam,
wurde mit brutaler Gewalt aus dem Weg geschafft.
Bidar zeigte uns eine kleine Schiiten-Siedlung
am Rande der Stadt, wo mehrere Todesfälle
immer noch untersucht werden. Auf einem gefrorenen
Hof saß ein früherer Polizist, Said
Sadr (25), neben seinen Krücken. Am 1.
Mai 2004 hatte er Dienst an einem Kontrollposten,
als ein Wagen durchraste. 'Drinnen saßen
wie Araber gekleidete Männer, die aber
westlicher Herkunft waren’, sagte er.
'Sie hatten Gefangene im Wagen.’ Sardar
feuerte einen Warnschuss, um den Wagen zu stoppen.
'Die westlichen Männer erwiderten das Feuer
und innerhalb von Minuten schwebten zwei US-Kampfhubschrauber
über uns. Sie feuerten drei Raketen auf
die Polizeistation. Eine heulte direkt hinter
mir. Ich sah ihren Feuerschweif und dann verlor
ich das Bewusstsein.’…“
„Uns
liegen Briefe von Gefangenen, freigegebene FBI-Unterlagen,
Vernehmungsprotokolle, Zeugenaussagen und Stellungnahmen
von Vertretern der USA und Großbritanniens
vor, die die in Afghanistan angeblich angewandten
Methoden dokumentieren – Fesseln, Kapuzen,
Elektroschocks, Peitschen, Scheinhinrichtungen,
sexuelle Erniedrigung und Hunger – und
nahe legen, dass sie im ganzen Netz praktiziert
werden. Sir Nigel Rodley, ein früherer
UNO-Sonderermittler für Folter, sagte:
'Je mehr geheime Gefangenenlager es gibt, desto
wahrscheinlicher ist es, dass alle juristischen
und moralischen Schranken staatlichen Handelns
fallen werden.’“
Verdächtige
zur Folter transferiert
Einer
der übelsten Aspekte des weltweiten Systems
von Folter und geheimer Einkerkerung ist das
„Transferieren“ von Verdächtigen
an ihre Herkunftsländer oder Drittstaaten,
wo sie gefoltert werden. Der CIA betreibt über
eine Tarngesellschaft einen Gulfstream-Jet,
der Gefangene zu verschiedenen US-Einrichtungen
transportiert oder sie zur Folterung an andere
Staaten „transferiert“.
Eines
der vielen Beispiele ist der folgende von Levy
und Scott Clark beschriebene Fall zwei ägyptischer
Flüchtlinge in Schweden, die auf Anordnung
der USA in ihr Heimatland transferiert wurden:
„Am 18. Dezember 2001 waren Agiza und
ein zweiter ägyptischer Flüchtling,
Mohammed Al-Zery, vom schwedischen Geheimdienst
auf Anforderung der USA verhaftet worden. Sie
wurden gefesselt und mit verbundenen Augen zum
Stockholmer Flughafen Bromma gefahren. Dort
wurden sie geschlagen und entkleidet. Beiden
Männern wurden Zäpfchen in den Darmausgang
geschoben. Dann wurden ihnen Plastikwindeln
angelegt, sie in Springeranzüge gesteckt
und einer amerikanischen Besatzung übergeben,
die sie in einem Privatjet aus Schweden hinaus
flog.“
„Agiza
und Al-Zery landeten am nächsten Morgen
früh um 3:00 Uhr in Kairo und wurden zum
Ermittlungsbüro des Staatsschutzes gebracht,
wo sie in unterirdischen Einzelzellen landeten.
Mohammed Zarai, früherer Leiter des Kairoer
Menschenrechtszentrum zur Unterstützung
von Gefangenen, berichtet uns, dass Agiza immer
wieder mit Elektroschocks gequält, an den
Füßen aufgehängt, mit Elektrokabeln
ausgepeitscht und schließlich ins Krankenhaus
gebracht werden musste, nachdem man ihn gezwungen
hatte, den Boden seiner Zeller sauber zu lecken.“
Amnesty
verurteilt Bush
Ende
Mai verunglimpfte George W. Bush den neuen Bericht
von Amnesty International „Guantánamo
und mehr: Die Ausübung unkontrollierte
Exekutivmacht geht weiter“ [10]
als lächerlich.
Amnesty nennt Guantánamo den „neuen
Gulag“. Bush antwortete, einst werde man
die Besetzung Iraks als „goldenen Moment“
in der Geschichte der USA betrachten.
Ton
und Sprache des Amnesty-Berichts sind beispiellos.
Trotz ihrer Unbeliebtheit bei repressiven Regierungen
wacht Amnesty eifersüchtig über ihre
politische Neutralität und „Respektabilität“
– und tatsächlich sind dies Voraussetzungen,
um überhaupt Druck auf Regierungen ausüben
zu können. Aber in diesem Fall war Amnesty
sogar bereit, unmittelbar auf Bush zu antworten
und ihm vorzuwerfen, dass er wieder einmal versäumt
hat, die Probleme anzugehen.
„Guantánamo
ist nur der sichtbare Teil des Problems. Es
mehren sich die Indizien, dass die USA ein ganzes
Netz von Hafteinrichtungen betreibt, in denen
Menschen geheim und ohne entsprechenden juristischen
Rahmen festgehalten werden – von Afghanistan
bis Irak und darüber hinaus“, sagt
Amnesty International.
„Die
US-Verhör- und Verhaftungspolitik und -praxis
im 'Krieg gegen den Terror’ haben vorsätzlich
und systematisch das absolute Verbot von Folter
Misshandlung gebrochen. Personen in US-Gewahrsam
wurden zu Verhören in Länder transferiert,
von denen bekannt ist, dass sie foltern.“
„Wenn
Präsident Bush und seine Regierung es ernst
ist mit Freiheit und Menschenwürde, sollten
sie die Regeln von Gesetz und Menschenrechten
wieder anerkennen.“ Amnesty fordert dann:„
- Ende aller geheimen und von der Außenwelt
isolierten Inhaftnahmen
- Freien Zugang für das Internationale
Komitee des Roten Kreuzes zu allen Gefangenen,
einschließlich denen, die an geheimen
Orten festgehalten werden
-
Zugang zu Rechtsmitteln für alle Gefangenen
-
Einrichtung einer völlig unabhängigen
Kommission zur Untersuchung aller Beschuldigungen
von Folter, Misshandlung, willkürlicher
Verhaftung und 'Verschwindenlassens’
-
Jeden vor Gericht zu stellen, der für das
Zulassen von Menschenrechtsverletzungen verantwortlich
ist.“
Amnesty
zufolge haben die USA während des „Kriegs
gegen den Terror“ mehr als 70.000 Menschen
verhaftet.
Der
unermüdliche britische Nahost-Kommentator
Robert Fisk liefert in einem weiteren brillanten
Artikel im Independent [11]
eine brennende Anklage
des ganzen Treibens: „Zwei Jahre nach
dem 'Mission Accomplished’ (dem von Bush
erklärten 'Auftrag ausgeführt’)
haben die USA jegliches moralische Ansehen,
das sie nach dem Ende ihrer Invasion vielleicht
beanspruchen konnten, durch die Folter, den
Missbrauch und die Toten in Abu Ghraib vollständig
verspielt. Dass sich dieses Symbol der Brutalität
Saddam Husseins durch seine Feinde in ein Symbol
ihrer eigenen Brutalität verwandelte, ist
eine außergewöhnlich ironische Grabinschrift
für das ganze Irak-Abenteuer. Wir alle
sind beschmutzt worden von der Grausamkeit der
Verhörspezialisten, Wachen und Gefängniskommandanten.“
Wie
konnte diese Schmutzkultur in Amerikas „Krieg
gegen den Terror“ eindringen? Das institutionalisierte
Unrecht, das wir überall auf der Welt erleben
mussten, die scheußlichen amerikanischen
„Transferierungen“, bei denen Gefangene
in Länder verfrachtet werden, in denen
sie geröstet, unter Strom gesetzt oder
wie in Usbekistan lebend in Fett gekocht werden?
Wie Bob Herbert in der New York Times schrieb,
ist das was zunächst als völlig geisteskrank
erschien, als sich die ersten Bilder aus Abu
Ghraib verbreiteten, jetzt Routine und typisch
für den Missbrauch, der „die Operationen
der Bush-Regierung durchdrungen hat.“
„Angesichts
eines Aufstands, der immer brutaler und unkontrollierbarer
wird, ist die Leere von Mr. Bushs dümmlicher
Prahlerei offensichtlich. Die wirkliche Mission
[12]
scheint es gewesen zu sein, die Grausamkeit
der westlichen Armeen zu institutionalisieren,
die uns für immer mit den Abscheulichkeiten
von Abu Ghraib, Guantánamo und Bagram
befleckt – ganz zu schweigen von den Geheimgefängnissen,
die nicht einmal das Rote Kreuz besuchen kann
und in denen wer weiß was für Scheußlichkeiten
verübt werden. Was, so frage ich mich,
wird unsere nächste 'Mission’ sein?“
Naomi
Klein gibt deutliche Antworten auf Fisks rhetorische
Fragen in ihrem jüngsten Artikel über
Folter. [13]
Bei der Folter, sagt sie, geht es nicht um Informationsgewinnung,
es geht um Einschüchterung und Kontrolle,
den Feinden und potenziellen Feinden Angst einzujagen.
„Dies ist der wahre Zweck der Folter:
zu terrorisieren, Schrecken zu verbreiten –
nicht nur bei den Menschen in den Käfigen
von Guantánamo oder den Isolationszellen
in Syrien, sondern auch und vor allem bei der
breiteren Bevölkerung, die von dem Missbrauch
hört.“
„Folter
ist eine Maschinerie mit dem Ziel, den Willen
zum Widerstand zu brechen – den Willen
des Individuums und den Willen der Gemeinschaft
… die einzig vernünftige Erklärung
für die anhaltende Popularität von
Folter kommt aus der unwahrscheinlichsten Quelle.
Lynndie England, das gefallene Mädchen
von Abu Ghraib, war in ihrem verpfuschten Prozess
gefragt worden, warum sie und ihre Kollegen
nackten Gefangene zu einer Menschenpyramide
gezwungen hatten. 'Um sie zu kontrollieren’,
hatte sie geantwortet. Genau. Als Verhörmethode
ist Folter eine Pleite. Aber wenn es um soziale
Kontrolle geht, wirkt nichts so wie Folter.“
Dieser Artikel erschien in der Online-Ausgabe
von Inprekorr.
[1]
“Insurgents Flourish in Iraq’s Wild
West”, Mark Mazzetti and Solomon Moore,
Los Angeles Times 24.5.2005
[2]
Auf
Deutsch etwa: „Operation Ausquetschen“.
„Squeeze Play“ ist eigentlich ein
Spielzug beim Baseball, der der Verwirrung der
verteidigenden Mannschaft dient (http://baseball-fan.24klick.de/html/squeeze_play.html)
– Anm. d. Üb.
[3]
“US Troops round up suspected insurgents
in random arrests during offensive”, Tom
Lasseter , Knight Ridder newspapers, 23.5.2005
4]“Retaliatory
killings, mainly involving Shias and Sunnis,
threaten to throw country into deadly civil
war”,Mohamad Bazzi, Newsday, 23.5.2005.
5]“The
Salvador Option”, Scott Ritter, Znet,
25.1.2005.
6]“This
is our Guernica”, Jonathan Steele und
Dahr Jamail, The Guardian, 27.4.2005.
7]“Turning
Point Fallujah: How US Atrocities Sparked The
Iraqi Resistance”, Electronic Iraq, 4.5.2005.
8]“Ending
Secret Detention”, Human Rights First,
June 2004.
http://www.humanrightsfirst.org/us_law/PDF/EndingSecretDetentions_web.pdf
9]“One
Huge US Jail”, The Guardian, 19.3.2005.
http://www.guardian.co.uk/afghanistan/story/0,1284,1440836,00.html
10]
http://web.amnesty.org/library/Index/ENGAMR510632005
(nur englisch). Siehe auch den Jahresbericht
2005: http://www2.amnesty.de/internet/deall.nsf/c1070c04ee5add56c
12567df002695be/eec5b871f8728644c12570260044d470?OpenDocument
–
d.Üb.
11]“America’s
shame, two years on from ’Mission Accomplished’”,
Robert Fisk, Independent, 8.5.2005. http://www.robert-fisk.com/articles494.htm
12]
Anspielung auf das „Mission acomplished“
[Auftrag ausgeführt] von G.W. Bush –
d.Üb.
13]“Torture’s
Dirty Little Secret”, The Nation, 12.5.2005
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