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Angriff gegen den Irak

Die Kriegsmaschinerie wird geschmiert

von Charles-André Udy aus DEBATTE Nr. 4, Oktober 2002

Wann wird der unter der Führung der USA ausgetragene Krieg beginnen ? Die Beobachter haben sich vom "ob" abgewendet und dem "wann" zugewendet. Aber hat dieser Krieg nicht schon begonnen ?

Allein im Monat August 2002 sind englische und amerikanische Jäger 10 Mal über irakisches Gebiet gestartet, um "Kommandozentren" zu bombardieren. Im Schatten der öffentlichen Diskussionen - genauer gesagt : einer gross angelegten Kampagne von verdrehten Informationen - beziehen die amerikanischen Streitkräfte in einer den Irak umgebenden Zone Stellung, und zwar in einem rascheren Rhythmus als bei der Operation "Wüstenkreis" (8. August 1990 bis 15. Januar 1991), der Vorbereitungsphase der Offensive "Wüstensturm". Ein Überblick zu den Stellungen amerikanischer Truppen - die ohne Zweifel eine jeweils unterschiedliche Bedeutung aufweisen - im Nahen Osten, in Zentralasien und im Horn von Afrika vermittelt einen Eindruck des Ausmasses der militärischen Schlagkraft : Pakistan, Afghanistan, Usbekistan, Kirgistan, Kasachstan, Tadschikistan, Georgien, Aserbaidschan, Türkei, Jordanien, Ägypten, Kuwait, Saudi-Arabien, Katar, Bahrain, Oman, Jemen, Erythrea und Kenia.
Hinzu kommen die Schiffe der US-Flotte, die im persischen Golf, im Golf von Oman, im Roten Meer und im Mittelmeer kreuzen... In dieser Aufstellung kommt Israel auch eine wichtige Bedeutung zu.

Es kann daher kaum überraschen, dass amerikanische Militärspezialisten betonen, die Logistik für einen Krieg gegen den Irak heute sei jener von 1990 qualitativ überlegen.1

Das Monopol der Macht

Eine dritte Etappe im Krieg gegen den Irak wird beginnen. Nach dem Krieg gegen Afghanistan zeugt sie ebenfalls von der neuen Entfaltung des amerikanischen Imperialismus nach dem Ende einer Übergangsphase zwischen dem Ende der 80er Jahre und 2001.

Die Grundzüge dieser Politik wurden bereits zu Beginn der 90er Jahre durch einflussreiche Personen im gegenwärtigen Umfeld von George W. Bush entworfen. So liess die New York Timesam 8. März 1992 Informationen über den Inhalt eines Entwurfs der Defense Planning Guidancefür die Jahre 1994 bis 1999 durchsickern, der zu Handen des Pentagons verfasst worden war. Es ging um die Festlegung der diplomatischen und militärischen Politik der USA nach dem Kalten Krieg (nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion). Die Autoren ? Dick Cheney (heute Vize-Präsident), Donald Rumsfeld (heute Verteidigungs-minister) und Zalamy Khalilzad, der heute den National Security Council(nationaler Sicherheitsrat) bei Karzaï in Afghanistan vertritt. Dieses Papier "betonte, dass Amerikas Aufgabe darin bestehe, sicherzustellen, dass keine andere Supermacht im Rest der Welt entstehen könne. Um dies zu erreichen, könnten die USA die anderen fortgeschrittenen Industrieländer davon überzeugen, dass die USA ihre legitimen Interessen verteidigen und ein ausreichendes Militärpotential aufrecht erhalten würden. Die USA müssten Mechanismen entwickeln, die mögliche Konkurrenten davon abbringen, einen Anspruch auf eine wichtigere regionale Rolle oder auf eine weltweite Rolle zu erheben. Das Dokument beschrieb Russland und China als mögliche Bedrohung und wies darauf hin, dass Deutschland, Japan und weitere Industrieländer der Versuchung erliegen könnten, wieder aufzurüsten und Atomwaffen zu erwerben, wenn ihre Sicherheit bedroht wäre, und dies könnte sie in einen Konkurrenzkampf mit den USA verwickeln."2

Diese Ausrichtung sieht jener der heutigen Stellungnahmen von Condoleezza Rice, der engen Beraterin von G.W. Bush in Fragen der nationalen Sicherheit, von D. Rumsfeld und von D. Cheney überraschend ähnlich. Am 20. September 2002 berichtete die New York Times (NYT) von einem Dokument mit dem Titel "Die Strategie der nationalen Sicherheit der USA". Der Artikel hatte folgende Überschrift : "Bush stellt die Doktrin vor : zuerst die Feinde schlagen". Das lässt sich so übersetzen : Präventivkrieg.

Die NYT kommentierte dieses Dokument wie folgt : "Es ist Ausdruck eines Ansatzes der nationalen Sicherheit, der viel härter und aggressiver ist als der seit der Zeit von Reagan umgesetzte. Er umfasst die Ablehnung der meisten Abrüstungsverträge (von Atomwaffen) zu Gunsten einer Strategie der counterproliferation, die sich vom Raketenabwehrsystem bis zum Abbau von Waffen und ihrer Bestandteile auf alles bezieht. Dieses Dokument zeigt auf, dass die Strategien der Eindämmung (containment) und der Abschreckung - Angelpunkte der amerikanischen Politik seit den 40er Jahren - zum Verschwinden verurteilt sind. Das Dokument betont, dass es in dieser sich verändernden Welt nicht möglich sei, jene abzuschrecken, die "die USA und alles, was sie verteidigen, hassen". "Amerika wird heute weniger durch erobernde Staaten bedroht als durch gescheiterte Staaten (wie der Irak, Anm. d. Verf.), wodurch zahlreiche Schlüsselelemente der Strategien aus der Zeit des Kalten Krieges überholt sind." Einer der bemerkenswertesten Aspekte dieses Dokumentes für eine neue Strategie liegt darin, dass es betont, dass "der Präsident nicht die Absicht hat, es irgend einer fremden Macht zu erlauben, den Rückstand auf den gewaltigen Vorsprung der USA zu schliessen, der sich seit dem Sturz der Sowjetunion vor einem Jahrzehnt konsolidiert hat." "Unsere Kräfte werden stark genug sein", hebt das Dokument von Bush hervor, "um mögliche Feinde von der Idee abzubringen, den Versuch der Entwicklung einer Militärkraft zu verfolgen, welche jene der USA übertreffen oder ihr auch nur das Wasser reichen würde." Da Russland finanziell aussergewöhnliche Schwierigkeiten aufweist, scheint diese Doktrin auf Mächte wie China abzuzielen, das seine konventionellen und militärischen Kräfte verstärkt."

Das alles passt zu den in der Nuclear Posture Reviewim Januar 2002 entwickelten Thesen, zu den Reden von Rumsfeld und zum jüngsten Interview von Condoleezza Rice in der Financial Times (23. September 2002). Die englische Tageszeitung fasste ihren Standpunkt wie folgt zusammen : "Kurz gesagt, Frau Rice und Herr Bush sind der Meinung, dass sie sowohl andere Länder beherrschen als auch Bündnisse mit ihnen entwickeln können. Die militärische Vorherrschaft der USA, sagen sie, soll andere Länder davon abhalten, ihre eigenen militärischen Mittel zu erhöhen, und sie dazu bringen, die Zusammenarbeit auf weitere Bereiche auszudehnen."

Der Energiemarkt des 21. Jahrhunderts

Der sich in Vorbereitung befindliche Krieg gegen den Irak muss vor dem Hintergrund dieser Gesamtausrichtung des amerikanischen Imperialismus analysiert werden. Die politischen Ungleichgewichte und Instabilitäten, die ein solcher Krieg - in einem Land oder in einer Region - hervorbringen kann, sind in dieser Strategie einkalkuliert. Sie können Gelegenheiten eröffnen, um die Kräfteverhältnisse zu Gunsten der USA und / oder eines ihrer privilegierten Verbündeten neu zu gestalten, die Kontrolle über gewisse Länder zu erlangen ("das Regime auswechseln"), mit diesen neuen Ressourcen neue Bündnisse zu entwickeln und die Position von gegenwärtigen oder möglichen Konkurrenten zu schwächen.

Hierin liegt eine typische Eigenschaft eines imperialistischen Unterfangens der Neu-Verteilung von "Einflusszonen", der Eroberung und Ausbeutung. Dies alles geschieht in einem Umfeld, in dem das Finanzkapital seine Regeln der "Deregulierung" durchgesetzt hat und der Druck der beherrschten Bevölkerung in der "Peripherie" sowie der amerikanischen Arbeiterklasse abgenommen hat, gleichzeitig mit dem Zusammenbruch der bürokratischen kollektivistischen Gesellschaften.

In der gegenwärtigen Herausbildung der Vorherrschaft der USA ist die militärische Dimension von entscheidender Bedeutung. Sie biegt die Widersprüche zwischen imperialistischen Mächten zu Gunsten der USA um. Denn dieses Land ist sowohl die erste Weltmacht als auch der grösste Schuldner der Welt, eine historisch aussergewöhnliche Konstellation. Die Finanzströme aus Europa, Japan und dem Rest der Welt finanzieren die amerikanischen Defizite. Um so dringender wird daher das Interesse an der Kontrolle anderer Ströme, unter anderen jener des Erdöls, dieser Energiequelle, welche im Zentrum eines entscheidenden industriellen Komplexes steht, der von der Chemie über das Auto bis zur Elektronik reicht.

In dieser Hinsicht nimmt der Irak die Rolle einer gescheiterten "Supermacht" ein. Wenn die USA auch von den auf Wall Street zufliessenden Finanzströmen abhängig sind, so sind sie doch auch an die Erdölimporte "gekettet", um ihre Energiebedürfnisse befriedigen zu können. Der National Energy Policy Report vom mai 2001 - bekannt als Cheney-Bericht - hob zwei Prioritäten hervor : (1) den Zugang zu den Erdölreichtümern des persischen Golfs verbessern und langfristig gewährleisten ; (2) die Versorgungsquellen diversifizieren.

Nun verfügt der Irak über die zweitgrössten ausgewiesenen Erdölreserven der Welt : 112 Milliarden Fass. Doch die geologischen Nachforschungen wurden vor mehr als zwei Jahrzehnten unterbrochen, und nur 24 von 73 Bohrtürmen sind in Betrieb. Verschiedene Schätzungen sprechen deshalb von irakischen Reserven im Umfang von 250 Milliarden Fass (zum Vergleich : Russland weist Reserven von 49 Milliarden Fass aus).3 Ausserdem ist dieses Erdöl von sehr hoher Qualität, seine Förderkosten liegen tief und der Abtransport ist einfach. Anders gesagt wird die Kontrolle der irakischen Erdölressourcen es erlauben, die Energiemärkte des 21. Jahrhunderts zu beherrschen.

Dieses Erdöl wird deshalb von verschiedener Seite umworben. Anlässlich der Diskussionen im Rahmen der UNO über die "intelligenten Sanktionen" (smart sanctions) gegenüber dem Irak im Juni 2001 hat Frankreich eine Lösung vorgeschlagen, die ausländische Investitionen im Erdölsektor ermöglicht hätte, um so mehr, als der Mangel an Ersatzteilen die laufende Produktion in Frage stellte. Die USA und Grossbritannien haben dieses Projekt blockiert. Trotz dieser Hindernisse haben verschiedene Ölfirmen Verträge mit der irakischen Regierung abgeschlossen. Sie haben direkte Prospektions- und Extraktionsrechte erworben und konnten so die traditionelle Politik der irakischen Staatsfirma umgehen.

Doch alle diese Pläne drohen in sich zusammenzustürzen. Denn die USA beschäftigen sich sorgfältig mit dem "Regimewechsel" im Irak. Und die Verträge von amerikanischen, europäischen, russischen und chinesischen Konzernen betreffend die Bewirtschaftung bestimmter Erdölfelder - sie umfassen 44 Milliarden Fass laut Angaben der Internationalen Energieagentur (World Energy Outlook 2001), was den zusammengezählten Reserven der USA, Kanadas und Norwegens entspricht - werden für null und nichtig erklärt werden... im Falle eines "Regimewechsels". Der Anführer des Irakischen Nationalkongresses (eine Gruppierung der Opposition, welche durch die amerikanischen Erdölkonzerne finanziert und von der Bush-Administration unterstützt wird), Ahmed Chalabi, hat sehr freundlich ausrichten lassen, er ziehe die Anwesenheit der amerikanischen Konsortien vor, und die von Saddam Hussein unterzeichneten Verträge hätten keine Geltung vor dem Gesetz... sofern die zukünftige Regierung sie nicht anerkenne. Was die Prospektionsaufträge für weitläufige Gebiete angeht, so wird die Firma von Dick Cheney, Halliburton - mit den aufgekauften Unternehmen Landmark Graphics und Numar Corporation, spezialisiert in der Bewertung von Erdöl- und Gasreserven - an vorderster Front stehen, um die unterirdischen "irakischen Guthaben" zu verwerten. Daraus besteht der Entwicklungshilfe-Teil der erneuten Rekolonisierung.

Zu Befehl !

James Woosley beleuchtet einen weiteren Aspekt der Bündnispolitik der USA im Hinblick auf eine "Beseitigung der Massenvernichtungswaffen" und einen "Regimewechsel" im Irak. Der ehemalige CIA-Direktor sagt offen, dass die Verhandlungen zwischen den Mitgliedern des UNO-Sicherheitsrates vor einem Hintergrund ablaufen, in dem eiskalt um Geschäfte gefeilscht wird : Jene, die sich hinter die USA stellen, werden an der Aufteilung der Beute teilhaben. Die anderen müssen sich Gedanken über ihre zukünftigen Bündnispartner machen.

Nun wird es die Kontrolle des irakischen Erdöls den USA aber nicht nur erlauben, über "Vorräte" zu verfügen, die gross genug sind, um eine regelmässige Versorgung auch im Falle einer Krise mit Saudi-Arabien sicherzustellen. Sie wird ihnen ausserdem ein Instrument liefern, um Druck auf die Ölpreise auszuüben. Je nach gefördertem Volumen - und sei es nur, um den Krieg zu bezahlen - wird die OPEC geschwächt sein, und mit ihr auch Chavez‘ Venezuela. Was Saudi-Arabien angeht, so dürfte seine finanzielle Stabilität ins Wanken geraten, wenn der Erdölpreis bis auf die 18-Dollar-Marke pro Fass sinkt. So werden die USA über einen wirksamen Hebel verfügen, um in Zukunft eine andere Art von Regimewechsel zu begleiten. Je nach Erdölpreis können die Investitionen in Russland rasch an Wert verlieren, weil die Förderkosten in Sibirien hoch liegen. Darunter würde die gesamte russische Wirtschaft leiden. Putin und seine Helfershelfer von Lukoil wissen das sehr wohl. Bereits ist es den USA geglückt, dank der Lancierung der Pipeline Baku (Kaspisches Meer) - Tbilissi (Georgien) - Ceyhan (Türkei) eine Bresche in das russische Monopol beim Öltransport zu schlagen. Der Groll eines Schröders gegenüber der resoluten Initiative von Bush wird sich sehr bald als ausgesprochen wahlkampfbedingt herausstellen. Sein Besuch bei Blair am 24. September markiert den ersten Schritt hin zu einer erneuten Anpassung. Siemens-Chef Heinrich von Pierer hat ihn zur Ordnung gerufen, und er wird auch erhört werden : "Die Beziehungen Deutschlands zu den USA sind ausserordentlich wichtig : Die Übereinstimmung betreffend die grundlegenden politischen Werte und die wirtschaftlichen Ausrichtung sollten nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden [...]. Die jüngsten Kommentare von Herrn Schröder über die amerikanische Politik gegenüber dem Irak sind zweifellos auf die Hitze des Wahlkampfs zurückzuführen."4

Die Anpassungen an die amerikanische Position werden schneller kommen, als es manche denken. Die untergeordnete Stellung des Imperialismus der europäischen Mächte verdient die Schmeicheleien nicht, welche ihr eine gewisse Linke entgegen bringt.

1. Los Angeles Times, 10.9.2002

2. Vgl. die Studie von F. Fitzgerald : "George Bush & the World", in The New York Review of Books, 26.9.2002

3. Vgl. Raad Alkadiri : "The Iraqi Klondike. Oil and regional trade", in Middle East Report, 220, Herbst 2001.

4. Financial Times, 24.9.2002