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Gegen die Barbarei – Kampf an allen Fronten

Zu den Anfängen des „Trotzkismus“ in Deutschland (1930-1945)

von Wolfgang Alles

aus Inprekorr Nr. 396/397 November/Dezember 2004

Das Drama der deutschen ArbeiterInnenbewegung im 20. Jahrhundert ist von zwei Eckdaten bestimmt – dem Scheitern der Novemberrevolution 1918 und der Machtübergabe an die Nazis 1933. Die blutige Unterdrückung des sozialen Aufstands der radikalen Teile der ArbeiterInnenklasse 1918/1919 war das gemeinsame Werk von Mehrheits-SPD um Ebert-Noske und Freikorps. Sie bereitete, wie Sebastian Haffner zu Recht schrieb, das faschistische Deutschland vor. Eine zentrale Zwischenetappe auf dem Weg in den Abgrund war der verpasste Oktoberaufstand 1923. Er bedeutete nicht nur eine weitere Niederlage der stärksten ArbeiterInnenbewegung der damaligen kapitalistischen Welt, sondern öffnete gleichzeitig dem Stalinismus in der Sowjetunion das Tor. Dies waren wesentliche Rahmenbedingungen für die weitere Entwicklung der KPD, aus deren Reihen später eine linksoppositionelle, „trotzkistische“ Strömung entstehen sollte. Einige Tage nach Hitlers Ernennung zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 lieferte Leo Sedow von Berlin aus seinem Vater und Genossen Leo Trotzki eine ernüchternde Beschreibung der Lage: „Was wir durchleben ähnelt einer Auslieferung der Arbeiterklasse an den Faschismus … An der Spitze Unentschlossenheit, niemand weiß, was er tun soll; an der Basis kein Vertrauen in unsere eigenen Kräfte … Wenn jetzt nicht eine entschlossene Aktion geschieht …, ist eine schreckliche Niederlage unvermeidlich. Diese Aktion … ist … meiner Meinung nach nicht mehr sehr wahrscheinlich.“ (Leo Sedow, 05.02.1933, zit. nach Pierre Broué, Trotzki, Köln o. J. [2003], S. 880.)

ZUR VORGESCHICHTE DES DEUTSCHEN „TROTZKISMUS“

Im Unterschied zu Frankreich existierte hierzulande relativ lange Zeit keine Gruppierung innerhalb der KPD, die mit der antibürokratischen russischen Linken Opposition um Trotzki sympathisierte. Dies resultierte vor allem aus der Tatsache, dass die „Oktoberniederlage“ 1923 sogleich zu einem bedeutenden Thema des heftigen Fraktionskampfes in der russischen Kommunistischen Partei geworden war. Die „literarische Debatte“ zwischen Trotzki und dem Triumvirat um Kamenew, Sinowjew und Stalin im Herbst 1924 war nicht nur die Geburtsstunde einer langlebigen und immer bedrohlichere Züge annehmenden Kampagne gegen den sogenannten Trotzkismus. Gleichzeitig stellte sie mit der Verkündung von Stalins Dogma des „Sozialismus in einem Lande“ als Gegenstück zur Theorie der permanenten Revolution ein wesentliches ideologisches Fundament für den Stalinismus bereit. Die Moskauer Propaganda- Offensive gegen den angeblich „rechten Führer“ Trotzki kam der damaligen KPD-Linken um Ruth Fischer und Arkadij Maslow sehr gelegen. Sie nutzten sie für ihre eigenen fraktionellen Angriffe gegen die Berliner Partei-Zentrale um Heinrich Brandler. Erst nach der Vereinigung von Sinowjews Neuer Opposition mit der Linken Opposition um Trotzki begann sich auch in Deutschland das Verhältnis zum „Trotzkismus“ zu ändern. Dies galt sowohl für die mittlerweile von Moskau ausgeschaltete Fraktion um Fischer-Maslow als auch für die „ultralinke“ Weddinger Opposition. Allerdings wirkte das vergiftete Erbe der scharfen innerparteilichen Auseinandersetzungen der KPD auf politischer und persönlicher Ebene im linksoppositionellen Spektrum noch lange nach. Dies war nicht zuletzt ein Ergebnis der vom sowjetischen Geheimdienst seit Mitte der 20er Jahre begonnenen Zersetzungsarbeit gegenüber linksoppositionellen KommunistInnen. Die deutsche Geheimpolizei konnte diese Aktivitäten übrigens detailliert überwachen. (Vgl. hierzu Günter Wernicke, Operativer Vorgang [OV] „Abschaum“; in: Andreas G. Graf [Hg.], Anarchisten gegen Hitler, Berlin 2001, S. 284 f.)

SCHWIERIGE ANFÄNGE

Trotzki stellte sich gleich nach seiner Ausweisung aus der Sowjetunion im Februar 1929 der Aufgabe, die heterogenen Kräfte der internationalen linksoppositionellen Gruppen zu bündeln. Damals setzte er sich noch dafür ein, eine weltweit handelnde Fraktion der bereits stalinisierten Kommunistischen Internationale (Komintern) aufzubauen. Ziel war die Reform und politische Wiederbelebung der Komintern auf Grundlage der revolutionären Tradition des Oktobers, die damals „Bolschewismus- Leninismus“ genannt wurde. Trotzkis mit strenger Beharrlichkeit verfolgte damalige Linie lässt sich wie folgt skizzieren: Die internationale linke Opposition wird nur dann als Fraktion der Komintern erfolgreich sein können, wenn sie einerseits in prinzipieller Weise die theoretischen Grundlagen ihrer politischen Praxis klärt und sich andererseits strikt von anderen kommunistischen Strömungen abgrenzt. Eine wesentliche Stellung in Trotzkis politischer Konzeption nahm seine Analyse der Sowjetunion als bürokratisch deformierter Arbeiterstaat ein. Durch die politische und organisatorische Reform vor allem der KPdSU, aber auch der Gewerkschaften und des Sowjetsystems könne die ArbeiterInnenklasse von der Herrschaft der „zentristischen“, das heißt stalinistischen Bürokratie befreit werden. Die bedeutendste linkskommunistische Organisation in Deutschland war der im April 1928 gegründete Leninbund. Er stand in einem scharfen Konkurrenzverhältnis zur Weddinger Opposition, die seit 1927 ebenfalls direkte Kontakte zur russischen Linksopposition geknüpft hatte. Im Sommer 1929 bereitete ein offener Streit zwischen der Mehrheit der Organisation um Hugo Urbahns und einer Minderheit um Anton Grylewicz die Spaltung des Leninbundes vor. Bereits im Februar 1930 wurde die Minderheit ausgeschlossen. Bei diesem Disput ging es im Kern um die Frage: Reform der KPD oder Schaffung einer neuen Kommunistischen Partei? Fraktionelle Streitigkeiten, persönliche Feindseligkeiten und nicht zuletzt die von der GPU gesteuerte Zersetzungsarbeit stalinistischer Agenten wie Roman Well (d.i. Ruvin Sobolevicius), dessen Bruder Adolf Senin (d.i. Abraham Sobolevicius) oder Jakob Frank verzögerten die Gründung einer neuen Organisation.

Trotzki setzte sich 1929 für eine Fraktion in der stalinistischen Komintern ein

DIE VEREINIGTE LINKE OPPOSITION

Schließlich konnte am 30. März 1930 die Vereinigte Linke Opposition der K.P.D. (Bolschewiki-Leninisten) (VLO) nur unter großen Schwierigkeiten gegründet werden. Mitglied der neu gewählten Reichsleitung (RL) der VLO war auch der eben erwähnte Provokateur und Spitzel Roman Well. Als Zentralorgan veröffentlichte die VLO die zweiwöchentlich erscheinende Zeitung Der Kommunist.

Seit 1930 können wir von der organisierten Existenz eines deutschen „Trotzkismus“ sprechen. Allerdings zeigte sich, dass die rund 200 Mitglieder zählende VLO keineswegs eine einheitliche, geschweige denn eine wirklich handlungsfähige Organisation war. Die Vereinigung der Leninbund- Minderheit um Anton Grylewicz und der Weddinger Opposition um Kurt Landau war nicht auf der Grundlage einer ernsthaft diskutierten politischen Plattform vollzogen worden, sondern lediglich auf der formalen Basis der Parität. Hinzu kam das Auseinanderklaffen zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Die Bürokratisierung der Kommunistischen Partei ließ nur sehr bescheidenen Spielraum für die von der VLO angestrebte „Eroberung der Partei für die Lehren des Marxismus-Leninismus“. In den Organisationsrichtlinien des ZK der KPD hieß es: „Jedes trotzkistischer Ideen verdächtige Parteimitglied ist ohne Verfahren unverzüglich auszuschließen.“ Die zeitgenössische linksoppositionelle Presse berichtete über 53 Ausschlüsse von Mitgliedern der Linken Opposition in den Jahren 1930 bis 1933. Am 6. April 1930 wurde in Paris die Internationale Linken Opposition (ILO) als „Fraktion der Komintern“ gegründeten. Die VLO konnte als deutsche Sektion der ILO anfangs nur begrenzte organisatorische und politische Hilfe erwarten – wenn wir von der außerordentlichen Unterstützung Trotzkis einmal absehen. Die internationale Koordination der meist schwachen und oft in sich zerstrittenen Oppositionsgruppen wirkte sich für die deutsche VLO erst später positiv aus. Bereits im Juni 1930 verschärfte sich ein Disput in der VLO, der mehrere Monate lang die Kräfte der Organisation beanspruchte. Kern der Auseinandersetzungen war ein schwer zu durchschauendes Knäuel von Meinungsverschiedenheiten, Intrigen und Provokationen. Das jahrelang kultivierte Zirkelwesen der linksoppositionellen Gruppen bot dafür einen fruchtbaren Nährboden.

KONFLIKT MIT LANDAU

Die zentrale Streitfrage über das aktuelle Ausmaß der Bedrohung der ArbeiterInnenbewegung durch den Faschismus wurde erbittert zwischen der Mehrheit der Reichsleitung um Landau und der Minderheit um den Agenten Well debattiert. Eine weitere Verschärfung erfuhr diese Polemik durch die Verknüpfung mit fraktionellen Kämpfen in der österreichischen und französischen Linksopposition. Trotzki verfolgte mit Sorge diese Entwicklung. Eindringlich mahnte er größere gegenseitige Toleranz an. Er warnte davor, durch nicht gerechtfertigte interne Debatten weitere Zeit zu verlieren. Vergeblich, wie sich bald zeigen sollte. Auf Initiative des Internationalen Sekretariats der ILO fand am 31. Mai 1931 eine Plenarsitzung der Reichsleitung in Berlin statt. Landau und seine Anhänger weigerten sich jedoch, an dieser Sitzung teilzunehmen, so dass der Bruch endgültig vollzogen war. Vierzehn Monate nach der Gründung zerfiel die VLO in zwei Teile, die fast identisch waren mit der ehemaligen Minderheit des Leninbundes und der Weddinger Opposition. Die GPU konnte einen weiteren Erfolg verbuchen. Mit der Trennung von Landau fand die Anfangsphase des deutschen „Trotzkismus“ ihren Abschluß. Mehr als ein Jahr lang hatten interne Querelen die Linke Opposition weitgehend gelähmt. Der bescheidene Zuwachs an neuen Kräften war durch die Spaltung wieder verloren gegangen. 80 Mitglieder verließen mit Landau die Organisation. Sie verteilten sich auf Berlin, Ludwigshafen, Leipzig und Hamburg-Harburg.

EIN NEUBEGINN

Insgesamt 150 Mitglieder in Bautzen, Berlin, Bruchsal, Forst, Goldap, Hamborn, Hamburg, Heidelsheim, Königsberg, Leipzig und Magdeburg wagten den Neuanfang. Da Landau die Kontrolle über die Zeitung Der Kommunist erfolgreich verteidigt hatte, musste die Linke Opposition zunächst mittels eines hektographierten Mitteilungsblattes den Kontakt zu den Gruppen aufrechterhalten. Im Juli 1931 erschien dann endlich die erste Nummer der neuen Zeitschrift Permanente Revolution. Noch im Oktober 1931 sprach die LO selbst von einer „Periode der gewissen Stagnation“, aber im Dezember meinte sie, das „Stadium der Schwächung“ verlassen zu haben und eine langsame Aufwärtsentwicklung feststellen zu können. Erst jetzt konnte sich die eigentliche Stärke der LO, die scharfsinnige Analyse der Endphase der Weimarer Republik, besser entfalten. Besondere Aufmerksamkeit widmete die LO dem bedrohlichen Ansteigen der braunen Flut vor allem seit den Reichstagswahlen im September 1930. Die sich verschärfende Krise des kapitalistischen Wirtschaftsystems und des Parlamentarismus, der nur scheinbar unaufhaltsame Aufstieg der Nazi-Bewegung und das katastrophale Versagen der Führungen der ArbeiterInnenbewegung waren zentrale Themen der LO-Publikationen. Die auch heute noch beeindruckende Klarheit ihrer Kommentare, Einschätzungen und Aktionsvorschläge verdankten sie vor allem den Stellungnahmen Trotzkis. Von seinem Exil in Prinkipo aus verstand er es wie kein zweiter, immer wieder überzeugende, aktualisierte Antworten auf die „Schicksalsfragen des deutschen Proletariats“ zu geben. Unermüdlich plädierten Trotzki und die Linke Opposition für die Schaffung einer Einheitsfront der ArbeiterInnenbewegung gegen die faschistische Gefahr. Alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel konzentrierte die LO auf die Herausgabe und Verbreitung preiswerter Trotzki-Broschüren. Seit Ende 1931/Anfang 1932 fanden Trotzkis in kurzen Abständen verfasste Analysen der deutschen Entwicklung einen wachsenden Widerhall bei Mitgliedern von KPD, SPD und Sozialistischer Arbeiterpartei (SAP), ja sogar bei „linksbürgerlichen Kreisen“. Im Juni 1932 bezifferte Anton Grylewicz die Gesamtauflage der seit April 1931 herausgegebenen Broschüren auf 67.000, von denen zum damaligen Zeitpunkt 55.000 Exemplare verbreitet worden waren. Appelle wie der folgende im internen Mitteilungsblatt der Reichsleitung waren keine Seltenheit: „Jeder Genosse muß es sich zur Pflicht machen, mindestens 10 Stk. der neuen Broschüre des Gen. Trotzki: "Der einzige Weg zu verbreiten“. Neben der Herausgabe und Verbreitung von Trotzki- Broschüren widmete die LO seit Anfang 1932 ihrer Monatszeitung Permanente Revolution verstärkte Aufmerksamkeit. Ab 1. Januar 1932 erschien die Permanente Revolution vierzehntägig und schließlich ab Ende Juli 1932 als Wochenzeitung im Zeitungsformat. Die Auflage, die sich seit dem Erscheinen der ersten Ausgabe mehr als verdoppelt hatte, wurde im August 1932 mit 5.000 Exemplaren pro Nummer angegeben. Im Vergleich zur ersten trotzkistischen Zeitschrift, dem Kommunist, stellte die Permanente Revolution aufgrund ihres verbesserten Inhalts und des häufigeren Erscheinens sicherlich einen Fortschritt dar. Die Zeitung und die Broschüren Trotzkis waren das eigentliche Bindeglied der LO.

ORGANISATORISCHER AUFSCHWUNG

Die propagandistischen Anstrengungen der Linken Opposition erhöhten den Einfluss ihrer Ideen in einem Ausmaß, das im Verhältnis zur Größe der Organisation bedeutend war. In Diskrepanz dazu befand sich die organisatorische Entwicklung der LO, wenn auch hier seit Ende 1931 ein deutliches Wachstum und die Gründung neuer Ortsgruppen zu verzeichnen waren. Vor allem die Hamburger und die Bruchsaler LO vergrößerten ihre Mitgliederzahlen. In Oranienburg schloß sich eine größere ArbeiterInnengruppe der LO an. Der Linken Opposition gehörten sowohl winzige Propaganda- Stützpunkte als auch einige wenige, aber örtlich relativ einflussreiche Gruppen in kleineren Städten wie Bruchsal, Oranienburg oder Dinslaken an. Dem zum größeren Teil aus älteren Kadern bestehenden Kern der LO schlossen sich seit Ende 1931 vor allem jüngere, das heißt 18- bis 35- jährige Menschen an. Trotz ihrer Jugend waren sie meist schon mehrere Jahre Mitglieder, teilweise auch FunktionärInnen der KPD oder des Kommunistischen Jugendverbandes (KJV) gewesen. Von ihrer sozialen Zusammensetzung her war die LO im Gegensatz zu der auch heute noch verbreiteten Legende des „intellektuellen Trotzkismus“ eine ArbeiterInnenorganisation. Lediglich in Universitätsstädten wie Berlin oder Leipzig waren StudentInnen stärker vertreten. Insgesamt dürfte die Linke Opposition Ende 1932 ungefähr 600 Mitglieder in 44 Ortsgruppen und Stützpunkten gezählt haben. Die Organisationsstruktur der LO orientierte sich an den ursprünglichen Prinzipien des demokratischen Zentralismus. Die Leitung einer Ortsgruppe wurde von der örtlichen Mitgliederversammlung gewählt. Sofern regional eine größere Anzahl funktionsfähiger Ortsgruppen der LO angehörten, konstituierten sie sich auf einer Bezirkskonferenz zu einem Bezirk und wählten sich eine Bezirksleitung. Außer dem bereits 1930 geschaffenen Bezirk Sachsen entstanden bis Anfang 1932 weitere Bezirke unter anderem Rhein- Ruhr, Berlin-Brandenburg, Wasserkante und Südwest. Die Reichskonferenz, auf der die Ortsgruppen durch Delegierte vertreten waren, wählte das Führungsorgan der LO, die 16-köpfige Reichsleitung. Eine siebenköpfige Redaktionskommission besorgte die Herausgabe der Permanenten Revolution.

EINHEITSFRONT GEGEN FASCHISMUS IN BRUCHSAL …

Richten wir an dieser Stelle unser Augenmerk auf die nordbadische Kleinstadt Bruchsal. Denn dort befand sich die mit 100 Mitgliedern stärkste lokale Organisation der LO. Sehr zum Ärger der führenden badischen KPDFunktionäre stellten die „Trotzkisten“ dort die einzige kommunistische Kraft dar. Alle Versuche der KPD-Bürokratie, die Bruchsaler LO um Paul Speck zu „liquidieren“, scheiterten an deren starker Verankerung in der Bruchsaler ArbeiterInnennschaft. Die Linke Opposition spielte eine führende Rolle in den örtlichen Gewerkschaften und der ArbeiterInnensportbewegung. Bei den badischen Kommunalwahlen erhielten die Bruchsaler Linksoppositionellen 889 Stimmen und damit neun Gemeinderatssitze. Im Gemeindeparlament setzten sich die Vertreter der LO vor allem für die Interessen der Erwerbslosen ein. Auf Initiative der Bruchsaler LO gelang es gegen den anfänglichen Widerstand der örtlichen SPD-Führung, im Oktober 1931 einen paritätischen Aktionsausschuss aus LO, SPD, Gewerkschaften und anderen proletarischen Organisationen zu bilden. Zu Versammlungen gegen Lohnabbau und Faschismus konnte der Aktionsausschuss jeweils weit über 1000 Menschen mobilisieren. Das starke Wachstum der Bruchsaler LO-Gruppe und ihr Einfluss in den umliegenden Ortschaften Forst, Bretten und Heidelsheim verdankte sie nicht zuletzt diesen Bemühungen. Offensichtlich auf Anweisung einer höheren Parteiinstanz verließ die SPD 1932 das Einheitskomitee. Die „bewusste Sprengungspolitik“ des örtlichen SPD-Führers, so meinte die Bruchsaler Linke Opposition, sei dadurch erleichtert worden, dass ihre Einheitsfrontpolitik nicht über Bruchsal hinaus verwirklicht worden war. Trotz dieses Rückschlags konnte die Bruchsaler LO ihren politischen Einfluss ausweiten. Bei den Reichstagswahlen am 31. Juli 1932 erhielt die LO für die KPD 1.000 Stimmen, die SPD lediglich 500 Stimmen. In seiner Broschüre Was nun? nannte Trotzki Bruchsal „trotz der bescheidenen Ausmaße ein Vorbild für das ganze Land“. …

.....UND IN ORANIENBURG

Eine andere relativ einflussreiche Ortsgruppe der Linken Opposition befand sich in Oranienburg. Die dortige KPD schloss am 8. Januar 1932 Helmut Schneeweiß, den örtlichen Leiter des Kampfbundes gegen den Faschismus, wegen angeblicher Zugehörigkeit zur LO aus. Die KPD zog damit einen Schlussstrich unter die schon längere Zeit schwelenden Differenzen in der Einheitsfrontfrage. 56 weitere Mitglieder des Kampfbundes, die sich mit Schneeweiß solidarisiert hatten, wurden ebenfalls ausgeschlossen. Mit entscheidend für den Übertritt der Oranienburger DissidentInnen zur Linken Opposition war die politische Anziehungskraft der Schriften Trotzkis. Die neue LO-Gruppe und der Proletarische Selbstschutz Oranienburg, einer Nachfolgeorganisation des Kampfbundes, waren personell weitgehend deckungsgleich. Dank dieser fast 100 ArbeiterInnen und Arbeitslose umfassenden Organisation stellte die Oranienburger LO einen für die örtlichen Verhältnisse beachtlichen politischen Faktor dar. Sie wurde sofort im Sinne der Einheitsfrontbestrebungen der LO aktiv. Das Arbeiter-Mai-Komitee, ein Bündnis aus LO bzw. Proletarischem Selbstschutz und SPD organisierte 1932 eine erfolgreiche 1. Mai-Demonstration. Es zeigte derart deutlich die isolierenden Folgen der ultralinken KPD-Politik auf, dass die KPD sich kurze Zeit später gezwungen sah, dem in Arbeiter-Kampfkomitee umbenannten Einheitsfrontorgan beizutreten. Das aus je fünf VertreterInnen von SPD, KPD und LO zusammengesetzte Komitee entfaltete eine intensive Aktivität. Außer der Veranstaltung mehrerer antifaschistischer Kundgebungen und der Schaffung von Arbeiterschutzstaffeln widmete es der koordinierten Betriebs- und Erwerbslosenarbeit besondere Aufmerksamkeit. Ähnlich wie in Bruchsal übte die Oranienburger Einheitsfrontbewegung einen starken Einfluss auf die umliegenden Ortschaften aus. Auch dort entstanden Einheitsfrontkomitees und Selbstschutz-organisationen der ArbeiterInnenschaft. In verschiedenen anderen Städten ergriff die LO die Initiative zur Bildung lokaler Einheitsfrontausschüsse. Meist scheiterten diese Bestrebungen jedoch schon im Anfangsstadium, weil die LO dort zu schwach war, um den Widerstand sozialdemokratischer und stalinistischer Funktionäre zu brechen.

LETZTE WARNUNG

Anfang Januar 1933 schlug die Permanente Revolution erneut Alarm: „1933 [wird] das Jahr der Entscheidung sein“. (Permanente Revolution, 3. Jg., Nr. 1, 1. Januarwoche 1933.) Die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler stellte für die Linke Opposition das Ende der Epoche der „bonapartistischen“ Übergangsregimes dar, der mit diktatorischen Vollmachten ausgestatteten Regierungen Papen oder Schleicher. Noch ein letztes Mal warnte die Permanente Revolution: „Hitlers Programm ist die völlige Zerschlagung aller politischen und gewerkschaftlichen Organisationen der Arbeiterschaft, um den Weg für eine noch ungeheuerlichere Verelendung der Arbeiterschaft zu öffnen. Sein außenpolitisches Ziel ist der Krieg mit Sowjetrußland.“ (Permanente Revolution, 3. Jg., Nr. 5, 1. Februarwoche 1933, Hervorhebungen im Original.)

ERNEUTE STALINISTISCHE PROVOKATION

In dieser politisch entscheidenden Situation organisierte die GPU eine erneute Spaltung der Linken Opposition. Bereits im Herbst 1932 hatten Roman Well und sein Bruder Adolf Senin durch eine Verschärfung der organisationsinternen Debatte diesen Schritt vorbereitet. Es war kein Zufall, dass dies fast zeitgleich zu Trotzkis Reise nach Kopenhagen im November 1932 und der dortigen inoffiziellen Konferenz der Internationalen Linken Opposition geschah. In der zweiten Januar-Hälfte 1933 versuchten Well und Konsorten der ArbeiterInnenöffentlichkeit mit einer gefälschten Ausgabe der Permanenten Revolution weiszumachen, dass die Mehrheit der LO politisch und organisatorisch mit Trotzki und der ILO gebrochen habe. Sowohl die Rote Fahne der KPD als auch das Komintern-Organ Inprekorr verbreiteten umgehend die Meldung vom „Zusammenbruch der deutschen Trotzki-Gruppe“. Davon konnte jedoch keine Rede sein. Etwa 35 Mitglieder spalteten sich mit diesem Coup von der LO ab. Bezeichnenderweise kommentierten andere linke Organisationen wie SAP, KPO, Leninbund und die Landau-Gruppe mit unverhohlener Befriedigung die Spaltung. Zwar fiel es der LO nicht schwer, die absurden Behauptungen der stalinistischen Agenten als „bestellte Arbeit“ zu widerlegen. Dennoch musste die LO zugeben: „Daß solche Leute so lange in unseren Reihen weilten, ist sicher Ausdruck unserer Schwäche.“

WIDERSTAND UND EMIGRATION

Die Machtübergabe an Hitler und die Errichtung der Nazi- Diktatur markierte für Trotzki die „bedeutendste Niederlage in der Geschichte der Arbeiterklasse“. Erneut hatte die Linke Opposition im Wettlauf mit der politischen Entwicklung wichtige Zeit verloren: Aufgrund der Auseinandersetzungen mit der Well-Gruppe konnte die ursprünglich für Ende Januar 1933 geplante Reichskonferenz der LO erst in der Illegalität stattfinden. Am 11. und 12. März 1933 trafen sich Delegierte der Ortsgruppen, Vertreter der Reichsleitung und der ILO in Leipzig, um die neue Situation zu analysieren. Hauptaufgabe sei es, den Widerstand der Arbeiterklasse zu organisieren, den Aufbau einer neuen Partei lehnte die Konferenz noch ab. Zwar glaubte sich die Linke Opposition im Rahmen ihrer Möglichkeiten gut auf die Illegalität vorbereitet, aber sie musste bereits in den ersten Monaten der NS-Diktatur zahlreiche Verhaftungen vor allem in den örtlich bekannten Gruppen hinnehmen (Oranienburg, Westdeutschland, Leipzig …) Schon nach Papens Staatsstreich am 20. Juli 1932 hatte die LO auf Beschluss der Reichsleitung mit der Vorbereitung auf die Illegalität begonnen. Die Ortsgruppen waren in kleine, drei bis fünf Personen umfassende Gruppen aufgeteilt worden. Diese wählten jeweils eine Leitungsperson, die zusammen mit den anderen auf Ortsebene eine sogenannte Fünfergruppe bildete. Diese wiederum wählte eine Kontaktperson zur Bezirksleitung bzw. direkt zur Reichsleitung. Durch diese Maßnahmen sollte die LO besser vor dem Zugriff staatlicher Repressionsorgane geschützt werden. Trotz der geringen Größe und der spärlichen materiellen Ressourcen der Linken Opposition dürfen ihre organisatorischen und propagandistischen Anstrengungen im Widerstand nicht unterschätzt werden. Die Zugehörigkeit zur Internationalen Linken Opposition erwies sich erneut als großer politischer und organisatorischer Vorteil. Sie milderte anfangs die Probleme, die aus der zwangsläufigen Trennung in eine im Untergrund arbeitende Inlands- und eine im Exil aktive Auslandsorganisation resultierten. Es war deshalb auch kein Zufall, dass Unser Wort, die neue Zeitung der LO, schon ab Mitte März 1933 in Prag herausgegeben werden konnte. Unser Wort war nicht nur eine der ersten Zeitschriften der illegalen deutschen Opposition gegen die Nazis, sie war auch eine der Publikationen, die am längsten überlebten. Ihre letzte Ausgabe erschien im Sommer 1941 in New York. Insgesamt flüchteten zunächst etwa 50 Mitglieder der Linken Opposition ins Ausland. Nicht nur in Prag, sondern auch in Paris, Amsterdam, Antwerpen, Basel, Wien, Reichenberg, Kopenhagen und London entstanden Gruppen und Stützpunkte. Sie betreuten von dort aus den jeweils geographisch benachbarten Inlandsbezirk. So war zum Beispiel die Amsterdamer Gruppe für die westdeutsche LO zuständig. Im Sommer 1933 wurde Paris als Sitz des Auslandskomitees (AK) bestimmt. Das Auslandskomitee stellte die offizielle Führung der LO dar. Allerdings war die Verbindung zwischen Exil- und Inlandsgruppen sehr fragil. Wege und Möglichkeiten der Kommunikation und des Materialtransports mussten erst mühsam gefunden, weiter entwickelt und oft neu hergestellt werden. Obwohl die Gestapo die Kontakte mit dem Ausland immer wieder unterbrechen konnte, besaßen die meisten Inlandsgruppen zunächst ausreichende technische und politische Ressourcen, um eigenständig arbeiten zu können. Neben illegal hektographierten Flugblättern und Zeitschriften (wie Das andere Deutschland, Der Vortrupp, Die kritische Parteistimme, Der Rote Kurier) konnte sich der Widerstand auf das Zentralorgan Unser Wort stützen. Es wurde nach Deutschland eingeschmuggelt und beispielsweise in Berlin vervielfältigt. Wie Oskar Hippe, ein führendes Mitglied der Gruppe berichtete, stellte die Berliner LO etwa 300 bis 400 kleinformatige Fotoabzüge von jeder Zeitungsseite her und verkaufte die Reproduktionen zusammen mit einem einfachen Vergrößerungsglas der Warenhauskette Woolworth an interessierte Kontakte. Offensichtlich konnte die LO in den ersten Monaten der Nazi-Diktatur nicht nur die durch Verhaftungen entstandenen Lücken teilweise wieder schließen. Sie vermochte sogar kurzfristig, neue Kräfte vor allem aus SPD und KPD zu gewinnen. Dadurch war trotz des NS-Terrors die Funktionsfähigkeit der LO zunächst relativ gut gesichert, aber die politische Verständigung über die neue Lage stand noch aus.

FÜR EINE NEUE PARTEI

Zur gleichen Zeit, als die Mehrheit der LO auf ihrer Reichskonferenz den Kurs auf eine neue Partei ablehnte, hatte Trotzki für die Vorbereitung einer neuen Kommunistischen Partei plädiert. Die kampflose Niederlage der KPD im Frühjahr 1933, die er mit der politischen Kapitulation der SPD zu Beginn des Ersten Weltkriegs verglich, bedeute ihr Ende als revolutionäre Partei. Der Bruch der Internationalen Linken Opposition mit der bisherigen Orientierung auf die Reform von KPD und Komintern und die Wende zum Aufbau neuer revolutionärer Parteien und einer neuen Internationale führte zu Namensänderungen. Seit Herbst 1933 nannte sich die LO Internationale Kommunisten Deutschlands (IKD), die ILO hieß seitdem Liga der Kommunisten- Internationalisten (LKI). In dieser Phase war die SAP ein enger Bündnispartner. Aber noch bevor die damaligen Vereinigungsverhandlungen zwischen SAP und ILO/LKI bzw. SAP und LO/IKD endgültig scheiterten, legte das Auslandskomitee der LO/IKD mehr Wert als bisher darauf, die eigene Organisation in der Öffentlichkeit herauszustellen. So erregten die Übertritte der ehemaligen KPD-Reichstagsabgeordenten Maria Reese sowie der prominenten Altkommunisten Karl Friedberg (d.i. Karl Retzlaw) und Erich Wollenberg zur IKD einiges Aufsehen. Allerdings löste Trotzkis Werben um die früheren „linken“ KPD-Führer Ruth Fischer und Arkadij Maslow Entsetzen in den Reihen des Auslandskomitees und der Pariser IKD-Gruppe aus. Eher Anlass zur Freude bot die Umstellung von Unser Wort auf wöchentliches Erscheinen Anfang Februar 1934.

„KADERARBEIT“

Im März 1934 diskutierten Delegierte aus vier IKD-Bezirken und Vertreter des AK auf einer illegalen Organisationskonferenz, die als Hochzeitsfeier getarnt war, ihre Widerstandstaktik. Zwar war die besondere Bedeutung der „Kaderarbeit“ unstrittig, aber die Bedingungen erlaubten nur ausnahmsweise die angestrebte Konzentration auf die Betriebsarbeit, um die Verbindung zu den Arbeitermassen wiederherstellen zu können. In der Realität beschränkte sich die „Kaderarbeit“ im wesentlichen auf Diskussionen und Schulungen in kleinen Zirkeln, denen nur Mitglieder oder enge SympathisantInnen der IKD angehörten. Darüber hinaus gab es Kontakte zu anderen Widerstandsgruppen: dem Internationalen Sozialistischen Kampfbund (ISK), sozialdemokratischen sowie parteiunabhängigen Gruppen und vor allem zur SAP – trotz der Differenzen im Exil. Die IKD vermied es, von wenigen Ausnahmen abgesehen, als Organisation im Inland wahrnehmbar in Erscheinung zu treten. Nur ausnahmsweise wurden zu dieser Zeit noch Flugblätter verteilt oder Widerstandsparolen an Häuserwände gemalt. Ende 1934 analysierte die IKD, dass sich das Bild des Faschismus zu verändern beginne. Die NS-Diktatur stützte sich mehr als zuvor auf den Staatsapparat und weniger auf seine aktive „ursprüngliche Massenbasis. Der Übergang zu dieser „zweiten Periode“ des Faschismus, der „bonapartistischen“ Phase eines „Faschismus ohne Massenbasis“ wurde allerdings erst Ende 1935 konstatiert. Die „französische Wendung“ der LKI 1934, das heißt die Taktik des Entrismus in die Sozialdemokratie, drängte zeitweise die Fragen des deutschen Widerstands in den Hintergrund. Die folgenden heftigen internen Auseinandersetzungen lähmten im Spätsommer desselben Jahres die Organisation. Im Herbst gelang es einer Minderheit des Auslandskomitees eine Zwei-Drittel- Mehrheit der IKD für die Billigung der Eintrittstaktik zu gewinnen. Die Mehrheit des AK um Bauer (d.i. Erwin Ackerknecht) spaltete sich ab und schloss sich zunächst der SAP an, um schließlich mit anderen ehemaligen SAP-Mitgliedern als Gruppe Neuer Weg eine kurzzeitige Existenz zu fristen.

1934: Die NS-Diktatur stützte sich mehr als zuvor auf den
Staatsapparat

An Weihnachten 1934 fand die zweite Reichskonferenz der IKD unter den größtmöglichen Sicherheitsvorkehrungen geheim in der Schweiz statt. Die Delegierten des innerdeutschen Widerstands und der Exilgruppen tagten in einem Bildhaueratelier in Dietikon, in der Nähe von Zürich. Auf der Konferenz, die einem Teilnehmer zufolge „ziemlich friedlich“ verlief, spielte paradoxerweise die „Entrismus“-Frage nur eine untergeordnete Frage. Im Mittelpunkt stand die Diskussion über die politische Lage in Nazi- Deutschland und die Aufgaben des Widerstands vor allem in den Betrieben. Neben der Fortsetzung der „zähen revolutionären Kaderarbeit“ wurde eine verstärkte Hinwendung der damals noch etwa 200 Mitglieder zählenden Organisation zur SAP beschlossen. Neben einem Auslandskomitee wählten die Delegierten eine Inlandsleitung der IKD.

DER ENTSCHEIDENDE SCHLAG

Abgesehen von den schweren Verlusten in den ersten Monaten nach der Machtübergabe an die Nazis war die Linke Opposition und spätere IKD zunächst weitgehend vor weiteren Verhaftungen verschont geblieben. Im Sommer 1935 warnte das Reichenberger IKD-Mitglied Julik (d.i. Wenzel Kozlecki) im internen Informationsdienst der IKD: „Wir dürfen… vor uns selbst kein Versteck spielen. Unsere weitere Existenz hängt davon ab, inwieweit und in welchem Zeitraum wir verstehen, die für unsere Entwicklung angepassten organisatorischen Verhältnisse herbeizuführen. Wehe uns, wenn wir im Verhältnis zur Gestapo zu kurz treten.“ (Informationsdienst, Nr. 7/8 von August 1935, S. 22, Hervorhebungen im Original.) Diese Warnungen kamen zu spät. Bereits im Frühjahr 1935 war es der Gestapo gelungen, die Grundlage für ihre späteren Erfolge zu schaffen. Ab Herbst 1935 schnappte die Falle zu. Verhaftungen, Folterungen durch die faschistischen Schergen, neue Verhaftungen, neue Folterungen – in Hamburg, Berlin, Gelsenkirchen, Solingen, Köln, Essen, Neuß, in Frankfurt am Main, in Magdeburg, in Danzig, um nur die wichtigsten Gruppen zu nennen. Von November 1935 bis Ende 1936 – im Laufe eines Jahres – waren die Strukturen des innerdeutschen IKD praktisch zerschlagen worden. Nach dieser Verhaftungswelle verfügte die IKD seit Anfang 1937 nur noch über zwei intakte Gruppen, die eine in Berlin- Charlottenburg, die andere in Dresden. In weiteren Städten standen lediglich einzelne Mitglieder noch in Kontakt mit dem Auslandskomitee. Die Verhafteten mussten teilweise eine mehrjährige Untersuchungshaft ertragen, während der die Gestapo durch Folterung weitere Informationen über die IKD zu erpressen versuchte. Die Anklagen wegen „Vorbereitung des Hochverrats“ dienten als Grundlage für die Verhängung meist hoher Gefängnis- oder Zuchthausstrafen. Für viele Opfer der NSJustiz war nach der Verbüßung ihrer Haftstrafen der Leidensweg nicht beendet. Vor allem die WiderstandskämpferInnen, die die Gestapo als Leitungsmitglieder der IKD identifizieren konnte, wurden danach in Konzentrationslager in „Schutzhaft“ überführt. Eine nicht bekannte Zahl von linksoppositionellen Kommunisten wurde in der Gefangenschaft durch Nazis ermordet, teilweise wie im Falle Werner Scholems mit Unterstützung von Stalinisten. Viele der Verurteilten mussten während des Zweiten Weltkriegs im Strafbataillon 999 Kriegsdienst leisten. Nach Schätzung des Auslandskomitees waren 1940 mindestens 150 IKD-Mitglieder Gefangene des Regimes.

STALINISTISCHER TERROR

Nach der Verhaftungswelle 1935/36 hatte die IKD den wesentlichen Bezugspunkt ihrer politischen Arbeit verloren. Dadurch verschlechterte sich die in nahezu jeder Hinsicht schwierige Situation der Exilorganisation noch mehr. Abgesehen vom „Kirchenkampf“ setzte sich die IKD immer seltener mit innerdeutschen Fragen, dafür umso mehr mit internationalen Themen (Belgien, Frankreich und natürlich Spanien) sowie mit den Streitigkeiten in der deutschen Emigration auseinander. Existenziell verschärfte sich die Lage der Flüchtlinge durch die Moskauer Schauprozesse ab August 1936 und die damit verbundene beispiellose stalinistische Hetze gegen den „Trotzkismus“ als „Spionage- und Diversionsagentur des Faschismus“. Den Worten folgten blutige Taten. Der mittlerweile NKWD genannte stalinistische Geheimdienst ermordete Moulin (d.i.Hans Freund), Rudolf Klement, Erwin Wolf und später Walter Held (d.i.Heinz Epe), – um nur einige führende IKD-Mitglieder zu nennen. Im Überlebenskampf der LKI unterstützten die Exilgruppen der IKD aktiv die Kampagne zur Verteidigung Leo Trotzkis und anderer Opfer der stalinistischen Verfolgungen.

NIEDERGANG IM EXIL

Vor diesem düsteren politischen Hintergrund entwickelte sich eine neue Krise in der Exil-IKD. Ihre Eskalation führte im Sommer 1937 zum Ausschluss einer kleinen Oppositionsgruppe um Jan Bur (d. i. Walter Nettelbeck), die mit Fischer-Maslow sympathisierte. Unter dem Einfluss von Josef Webers Theorie der „rückläufigen Bewegung“ der Klassenkämpfe beschloss die Exil-Konferenz der IKD am 25. und 26. August 1937 eine Abkehr von der an Weihnachten 1934 festgelegten Orientierung. Die späteren politischen Bruchlinien mit der IV. Internationale waren hiermit inhaltlich bereits angedeutet. Johre (d.i. Josef Weber) und Oskar Fischer (d.i. Otto Schüssler) stimmten als IKDVertreter auf der geheim tagenden Konferenz der LKI am 3. September 1938 für die Gründung der IV. Internationale, die am Vorabend des Zweiten Weltkriegs das politische und organisatorische Überleben des revolutionären Marxismus sichern sollte. Die zweite Etappe des Exils begann schon kurze Zeit später mit der Ausdehnung des Nazi-Reiches. Die Mitglieder der Reichenberger IKD mussten vor den deutschen Truppen nach Prag und von dort gemeinsam mit ihren Prager GenossInnen weiter zunächst nach Frankreich oder Großbritannien flüchten. Seit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs war die Redaktion von Unser Wort und später auch die Leitung der IKD nach New York verlegt worden, wo sich bereits 1938 eine Ortsgruppe konstituiert hatte. Ein Teil der Kopenhagener IKD um Georg Jungclas arbeitete auch nach der Besetzung Dänemarks im April 1940 im Untergrund weiter. Sie unterstützzten eine im Widerstand aktive dänische ArbeiterInnengruppe der IV. Internationale. Der andere Teil flüchtete nach Schweden. Mit Beginn des sogenannten Westfeldzuges der Wehrmacht waren auch die Exilgruppen in den Niederlanden, Belgien und Frankreich direkt bedroht. Einige Mitglieder konnten nach England flüchten, wo sie sich der Londoner IKD anschlossen. Andere tauchten unter, wurden aber meist von der Gestapo verhaftet. Eine dritte Gruppe, darunter die gesamte Pariser IKD, wurde in südfranzösische Internierungslager deportiert. Nur eine Minderheit von ihnen gelangte in den Besitz USamerikanischer Visa und konnte sich in die Vereinigten Staaten absetzen. Die anderen fielen entweder ihren faschistischen Häschern in die Hände oder schlossen sich der Résistance an. Außerhalb Europas und den USA fanden IKD-Mitglieder in Argentinien, Kuba und Mexiko eine Zuflucht. Anfang 1940 bestand die Auslands- IKD aus 10 Gruppen in Amerika und Europa mit insgesamt etwa 70 Mitgliedern. Im Herbst 1941 wendete sich die Mehrheit der Exil- IKD unter dem maßgeblichen Einfluss Johres von der angeblich „in jeder Beziehung (theoretisch, politisch, methodisch) absolut unzulänglich[en]“ Arbeit der IV. Internationale ab und versuchte mit „Drei Thesen über die Lage in Europa und die politischen Aufgaben“ für eine „radikale Neuorientierung“ zu werben. Nach Kriegsende waren das Auslandskomitee der IKD und seine UnterstützerInnen nicht mehr bereit, auf der politischen Grundlage und im organisatorischen Rahmen der IV. Internationale weiterzuarbeiten. Mit der Herausgabe des ersten Heftes von Dinge der Zeit im Juni 1947 verwirklichte die Gruppe um Johre ihr lange gehegtes Projekt. Ihr Ziel war nun die „Schaffung einer Weltorganisation für inhaltliche Demokratie“.

Obwohl die Führung der IV. Internationale seit Anfang der 40er Jahre die Entwicklung der Exil-IKD mit großer Skepsis betrachtet hatte, wurde sie weiterhin als Bestandteil der Bewegung betrachtet. Allerdings erwartete sie von der Strömung um Johre keine Impulse für den aus ihrer Sicht so dringend erforderlichen Wiederaufbau der deutschen Organisation.

FORTSETZUNG DES WIDERSTANDS

In Zusammenarbeit mit der französischen Sektion, der Parti ouvrier internationaliste (POI), und dem damaligen Linkskommunisten Paul Thalmann gelang es einer winzigen Gruppe deutscher Mitglieder der IV. Internationale um Viktor (d.i. Paul Widelin), ab dem Frühjahr 1943 Widerstand in den deutschen Besatzungstruppen zu organisieren. Die Bildung kommunistisch-internationalistischer Zellen in der Wehrmacht, die Herausgabe von Flugblättern und einer Zeitung mit dem programmatischen Titel Arbeiter und Soldat war nur ein Aspekt ihrer kühnen Aktivitäten. Ein anderer bestand in der Lieferung deutscher Waffen und der Vermittlung deutscher Deserteure an die bewaffneten Widerstandsgruppen der POI. Im Herbst 1943 gelang es der Gestapo, diesen antimilitaristischen Ansatz blutig zu unterdrücken.
Seit März 1944 bemühte sich eine Kommission deutscher Mitglieder der IV. Internationale die Aktivitäten des kleinen Kreises von EmigrantInnen zu reorganisieren, der alle bisherigen Verfolgungen überlebt hatte. Als Bund der Kommunisten-Internationalisten sorgte diese Gruppe für die illegale Herausgabe eines hektographierten Bulletins unter dem alten Titel Unser Wort sowie für das Erscheinen weiterer Ausgaben von Arbeiter und Soldat. Die Verhaftung und Ermordung Viktors/Widelins durch die Gestapo im Sommer 1944 bedeutete einen weiteren schweren Rückschlag für die Reorganisation der deutschen Sektion.

Die kurz vor Kriegsende im Konzentrationslager verfasste „Erklärung der Buchenwalder Trotzkisten“ forderte die Errichtung eines „Rätedeutschland in einem Räteeuropa“. Die Reste der Charlottenburger IKD wollten zur gleichen Zeit bewaffnete Arbeitergruppen aufbauen. Dies waren heroische, aber symbolische Gesten, denn die deutsche Revolution fand nicht statt.
Eine kleine Schar deutscher Mitglieder der IV. Internationale um Georg Jungclas, der aus der Nazihaft befreit worden war, musste mehr als 15 Jahre nach der Gründung der Linken Opposition die deutsche Sektion neu aufbauen.

VERSUCH EINER BILANZ

Welches Resümee können wir ziehen? Die ersten 15 Jahre des organisierten deutschen „Trotzkismus“ waren geprägt von der scharfen Krise der ArbeiterInnenbewegung. SPD und KPD hatten die politische Spaltung und Lähmung der ArbeiterInnenklasse zu verantworten, die direkt in die verheerende Kapitulation von 1933 führte. Sie ermöglichte nicht nur die faschistische Diktatur, sondern auch den späteren zeitweiligen Triumph des Stalinismus.
Die Linke Opposition konnte diese katastrophalen Entwicklungen nicht verhindern, aber sie skizzierte eine realistische Alternative zum Versagen der sozialdemokratischen und stalinistischen „Realpolitiken“ und den ihnen zugrunde liegenden Ideologien. Eine Alternative, die in ihren Grundgedanken auch heute noch aktuell ist.
Die Geschichte von LO und IKD ist ein Beleg für oft unterschätzte oder gar missachtete Funktion kleiner Organisationen. Zum einen als sensible Seismographen sich ankündigender gesellschaftlicher Veränderungen und zum anderen als Zentren praktischen politischen Widerstands, die keinen Vergleich zur Wirksamkeit von parlamentarisch orientierten und bürokratisierten Massenparteien zu scheuen brauchen.
Ohne die politische und organisatorische Unterstützung auf internationaler Ebene hätte die LO und spätere IKD kaum ihre auch heute noch wertvollen Beiträge zur Analyse und zur Bekämpfung der finsteren Barbarei dieser Zeit leisten können. Und sie hätte nicht – zumal in ihren Reihen (stalinistische) Spitzel und Provokateure aktiv waren – die Kontinuität und das Überleben ihrer eigenen Strömung sichern können – als kleines, aber nützliches Instrument im Kampf gegen Ausbeutung und Unterdrückung.
Der unerschrockene und beharrliche Kampf entschlossener und aufrechter Menschen, die sich in LO und IKD organisiert hatten, ist ein Teil der besseren deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert. Er hat es verdient, vor dem Vergessen bewahrt zu werden.

Dieser Text ist die überarbeitete Fassung eines Referats des Autors auf der Gelsenkirchener Tagung zum Widerstand linker Kleinorganisationen gegen den Nationalsozialismus am 28. Februar 2004. Soweit nicht anders angegeben beruht die Darstellung auf Wolfgang Alles, Zur Politik und Geschichte der deutschen Trotzkisten ab 1930, Köln 1994 (2. Auflage). Alle Zitate ohne Quellenangabe sind dieser Untersuchung entnommen.

Bücher zum Thema:
  Wolfgang Alles

Zur Politik und Geschichte der deutschen Trotzkisten ab 1930

295 Seiten, Euro 21,50
2. Auflage, Köln: ISP, 1994

ISBN 3-929008-01-7
Neuer ISP Verlag

Barbara Weinhold

Eine trotzkistische Bergsteigergruppe aus Dresden im Widerstand gegen den Faschismus

244 Seiten, Bildteil, Euro 21,00
ISBN 3-89900-110-9
Neuer ISP Verlag

Buchbesprechung in der "jungen Welt"

Ein Buch über eine weitgehend unbekannte trotzkistische Widerstandsgruppe in Dresden ergänzt die Geschichte des Antifaschismus

Mit der Serie »Rote Bergsteiger« erinnerte das DDR-Fernsehen 1968 an den antifaschistischen Widerstand kommunistischer Bergsteiger. Ein bislang weitgehend unbekanntes Kapitel beleuchtet das Buch »Eine trotzkistische Bergsteigergruppe aus Dresden im Widerstand gegen den Faschismus«. Die Autorin Barbara Weinhold wurde auf die Antifaschisten durch den Nachlaß ihrer in dieser Gruppe aktiven Tante Käthchen Kozlecki aufmerksam. Weitere Quellen fanden sich unter anderem in Prozeßakten der Nazis, dem Trotzki-Archiv in Harvard (USA) und in Gesprächen mit noch lebenden Zeitzeugen wie dem Frankfurter Trotzkisten Rudolf Segall.

Vor dem Hintergrund der Weltwirtschaftskrise und des faschistischen Vormarsches drang zunehmend Politik in die Gruppenabende der in der Vereinigten Kletterabteilung (VKA) der Naturfreunde organisierten Arbeitersportler. Als die Bergsteiger 1930 den Kommunisten Ernst Glaser zum Vorsitzenden wählten, beschloß der sozialdemokratisch dominierte sächsische Gauvorstand die Auflösung der Kletterabteilung. Unter dem Namen Naturfreundeopposition-VKA organisierten sich die kommunistischen Bergsteiger neu.

Besonders aktiv auf politischem Gebiet war die um den Arbeiter und Lehrer der Dresdner Marxistischen Arbeiterschule MASCH Gerhard Grabs gebildete Gruppe in den Dresdner Stadtteilen Loschwitz/Rochwitz. Die durch Freundschaften langjährig verbundenen Arbeiter kamen zumeist aus sozialdemokratischen Elternhäusern. Von der feigen Rückzugspolitik der SPD waren die jungen Bergsteiger abgestoßen und von der ultralinken KPD-Linie, die in der Sozialdemokratie den »sozialfaschistischen« Hauptfeind sah, enttäuscht. »Das starke Anwachsen des Faschismus ließ mich die Frage stellen und schließlich verneinen, ob die von der Partei verfolgte Politik richtig und geeignet sei, die Faschisierung zu verhindern«, erläutert Grabs, der wegen dieser Haltung aus der KPD ausgeschlossen wurde. »Ich ... stand auf dem Standpunkt, daß nur eine über eine Einheitsfront KPD-SPD hinweggehende Aktion die sozialdemokratischen Massen von der reformistischen Führung loslösen könnte.« Antworten fanden sich in Broschüren mit Analysen und Ratschlägen Leo Trotzkis, die der Werkzeugmacher Wenzel Kozlecki aus Berlin mitbrachte. Im Sommer 1932 trat die Loschwitzer Gruppe der trotzkistischen Linken Opposition der KPD bei.

Nach Errichtung der faschistischen Diktatur gelang es der Loschwitzer Gruppe, ihren Zusammenhalt zu wahren. Ihre Widerstandstätigkeit bestand zunächst darin, illegal Tausende Exemplare marxistischer Zeitungen und Broschüren über die deutsch-tschechische Grenze zur Verteilung in mehreren deutschen Städten zu bringen. Später wurden auch Genossen über die Grenze geschleust.

Wenzel Kozlecki und seine Frau Käthchen mußten schon im Sommer 1933 in die CSR fliehen, als ihnen die Gestapo auf die Spur kam. Dort arbeiteten sie für die Internationale Linke Opposition, bis Kozlecki ein von Trotzki organisiertes Visum für Mexiko angesichts des drohenden Einmarsches der Wehrmacht nach Prag Ende 1938 das Leben rettete. Die Loschwitz/Rochwitzer Trotzkistengruppe wurde 1937/38 von der Gestapo zerschlagen. Ihre Mitglieder verbrachten viele Jahre in Gefängnissen und Konzentrationslagern. Unmittelbar nach der Befreiung vom Hitlerfaschismus beteiligten sich die Bergsteiger am Aufbau eines Antifaschistischen Aktionsausschusses in Dresden-Rochwitz. Die ehemaligen Trotzkisten unternahmen nach 1945 keinerlei Versuche, erneut eine Oppositionsgruppe aufzubauen, sahen mehrheitlich die DDR als ihre Heimat an und hatten Hoffnungen oder Illusionen in den sozialistischen Aufbau. Dennoch geriet Gerhard Grabs in eine antitrotzkistische Hexenjagd, wurde aufgrund seiner Vergangenheit 1951 vorübergehend aus der SED ausgeschlossen und verlor seinen Arbeitsplatz als Direktor der Landesdruckerei Sachsen.

Ergänzt wird die streckenweise etwas zäh zu lesende Arbeit von Barbara Weinhold durch Bildmaterial und einige Originalartikel, unter anderem von Wenzel Kozlecki zur nationalen Frage in der Tschechoslowakei. Dem engagierten Neuen isp Verlag ist zu danken, daß er ein Buch zu diesem doch sehr speziellen Thema verlegt und damit eine Lücke in der Erforschung des deutschen Trotzkismus und des antifaschistischen Widerstands geschlossen hat.