Demo am 8. März in Zürich
„Die Frauen sind aus dem Dornröschenschlaf
erwacht“, oder: „Ist Feminismus
wieder en vogue?“ titelten die
Zeitungen nach den grossen Protesten
im Zuge der Bundesratswahlen vom 10.
Dezember 2003, als Christoph Blocher
(SVP) an der Stelle von Ruth Metzler
(CVP) und Hans-Rudolf Merz (FDP) auf
Kosten von Christine Beerli (FDP) in
die Regierung aufgenommen wurden. Der
„Affront gegenüber den Frauen“
hat vielen vor Augen geführt, wie
wackelig das Recht auf Gleichstellung
in der Schweiz ist. „Wir Frauen
sind wutentbrannt“, war auf einem
Transparent zu lesen. Die Wut, die die
Frauen an den Demonstrationen nach der
„Patriarchenwahl“ im Dezember
zum Ausdruck gebracht haben, war jedoch
nicht bloss eine Wut gegenüber
diesem Bundesrat: Sie brachte ein Fass
zum überlaufen, wie es eine junge
Aktivistin aus dem bereits im Sommer
2003 gegründeten Kollektiv „Femmes
en colère“ ausdrückte:
„Die Bundesratswahlen waren eine
Frechheit. Aber die Diskriminierungen,
die Frauen tagtäglich am Arbeitsplatz,
zuhause und in der Öffentlichkeit
erleben, sind eine noch viel grössere
Frechheit!“
Die Tatsache, dass Frauen auf dem Papier
zwar gleichberechtigt sind, in Wirklichkeit
jedoch weniger Lohn erhalten, immer
länger für immer weniger Rente
arbeiten müssen, von Restrukturierungen
und Sozialabbau in besonderem Masse
betroffen sind, den grössten Teil
der Haus- und Erziehungsarbeit auf sich
nehmen müssen und dabei immer noch
auf einen gesetzlich garantierten Mutterschaftsurlaub
warten – das macht die Frauen
wütend, nicht erst seit dem 10.
Dezember 2003.
Von
der Wut zum Frauenaufbruch
Während der Sonntags-Blick den
Unmut aufnahm und medial ausschlachtete,
indem er die SP-Ständerätin
Anita Fetz (ehemals POCH) zur Chefredaktorin
einer Ausgabe ernannte, in der Arbeitgeber-Präsident
Peter Hasler seine Vorstellungen einer
„egalitären“ Gesellschaft
preisgeben durfte (Hasler zur Lohnungleichheit:
„Vielleicht müssen wir die
Männerlöhne senken“),
machten sich verschiedene, vor allem
junge Frauen daran, einen Protesttag
am internationalen Frauentag zu organisieren,
der sich den dringenden frauenpolitischen
Themen annehmen sollte. Neue Frauen-Kollektive
entstanden, alte wurden reaktiviert.
Ende Januar trafen sich in Bern über
50 Frauen aus den verschiedensten Organisationen,
Gewerkschaften und sozialen Bewegungen,
um gemeinsam den 8. März vorzubereiten
und national zu koordinieren. An diesem
Treffen einigten sich die Frauen auf
eine gemeinsame Plattform, die drei
Hauptforderungen beinhaltete: Nein zur
11. AHV-Revision, Ja zum Erwerbsersatz
bei Mutterschaft, Schluss mit den Diskriminierungen,
jetzt und überall! Damit wurde
der Vorschlag von Frauen der BFS und
von Frauenkollektiven, die für
eine Politisierung des 8. März
eintraten, angenommen. Die Farbe Rot
– rot vor Wut – und der
Slogan „Wir Frauen sind wütend“
wurden als gemeinsames Mobilisierungsmerkmal
für den Frauen-Protesttag bestimmt.
Wenn
Frau will, steht alles still
Was die Frauen in den wenigen Wochen
Vorbereitungszeit auf die Beine stellten,
war beeindruckend: In vielen Städten
und Dörfern der Schweiz fanden
am 8. März Aktionen und Demonstrationen
statt. Sie waren von unterschiedlichem
Charakter und verschiedener Ausrichtung
und reichten von verlängerten Kaffeepausen
über Sensibilisierungsaktionen
in Warenhäusern und Sit-Ins bis
zu Protestpausen in einigen Betrieben
in der Westschschweiz.
In Bern, wo der 8. März von Kräften
rund um das Grüne Bündnis
organisiert wurde, hatte der Protesttag
eine ausgeprägter institutionelle
Ausrichtung als zum Beispiel in Zürich,
wo die Organisation geprägt wurde
von aktivistisch orientierten und mehrheitlich
jungen Frauen (BFS-Frauen, ZOff!, FrauenLesbenKasama,
etc.). Nach einer „Weckaktion“
am frühren Morgen an verschiedenen
Bahnhöfen, wo mit Flyern auf den
Frauenprotest aufmerksam gemacht wurde,
besammelten sich die Zürcher Frauen
am Mittag auf dem Paradeplatz, um diesen
symbolischen Platz der Wirtschaftsmacht
einzunehmen. „Frauen nehmt Platz,
es ist fünf nach zwölf“
– so nannte sich die Aktion, an
der über tausend Frauen in Rot
mit Trillerpfeifen und Pfannendeckeln
ihrer Wut Ausdruck gaben. Die bewegungsorientierte
Ausrichtung wurde dann vor allem an
der lebendigen und kämpferischen
Demonstration am Abend sichtbar, an
der sich Frauen von jung bis alt beteiligten:
Einige „gestandene“ Aktivistinnen
aus der Frauenbewegung der 70er und
80er Jahre, aber auch auffällig
viele junge Frauen, die häufig
zum ersten Mal überhaupt an einer
Frauendemo teilnahmen und diesen Tag
wohl nicht so schnell wieder vergessen
werden.
Es
gibt weiterhin Zoff!
„Es geht weiter – keine
Frage! Frauenkampftag alle Tage!“
Dieser Slogan, den die Frauen in Zürich
während der Demonstration skandierten,
sollte darauf hinweisen, dass der Frauenkampf
nicht auf diesen einzigen Tag im März
beschränkt sein wird, sondern auch
in Zukunft mit Zoff zu rechnen ist.
Bereits haben sich die Frauen auf nationaler
Ebene wieder getroffen und beschlossen,
weiterhin gemeinsam gegen die 11.AHV-Revision
und für den Erwerbsersatz bei Mutterschaft
zu mobilisieren.1 Die jungen Studentinnen,
die nach der „Patriarchenwahl“
die neue Gruppe ZOff! (Zürcher
Offensive Frauen gegen Rechts) gegründet
haben, sind sich einig, dass die Frauen
jetzt tatsächlich in die Offensive
gehen müssen: „Die Situation
der Frauen wird sich nicht ändern,
solange wir uns nicht selber darum kümmern.
Es bringt nichts, einfach frustriert
zu sein und auf bessere Zeiten zu warten“
meint eine Geschichtsstudentin, die
in ZOff! aktiv ist. Die ZOff!-Frauen
haben beschlossen, im Hinblick auf den
16. Mai gegen die drei unsozialen und
frauenfeindlichen Vorlagen des rechten
Bundesrates (AHV-Revision, Steuerpaket
und Mehrwertsteuererhöhung) mobil
zu machen, da diese für die grosse
Mehrheit Verschlechterungen bringt,
während sich ein paar wenige Reiche
noch mehr bereichern.2
Clara Zetkin, sozialistische Frauenrechtlerin
und eine der ersten Befürworterinnen
des Frauentages, würde sich darüber
freuen, denn sie meinte schon 1911:
„Wir müssen Sorge tragen,
dass der Frauentag nicht nur eine glänzende
Demonstration für die politische
Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts,
sondern darüber hinaus der Ausdruck
einer Rebellion gegen den Kapitalismus,
eine leidenschaftliche Kampfansage all
den reaktionären Massnahmen der
Besitzenden, und ihrer willfährigen
Dienerschaft, der Regierung, ist.“
1. Über eine (bescheidene) Vorlage
zum Erwerbsersatz bei Mutterschaft wird
im Herbst des laufenden Jahres abgestimmt.
Es gibt hierzulande immer noch keine
Mutterschaftsversicherung. Die Schweiz
steht unter den führenden Industrieländern
in dieser Hinsicht ziemlich allein auf
weiter Flur. (Red.)
2. Siehe dazu den Beitrag von Lothar
Moser in dieser Nummer
Rede
der BFS-Frauen an der 8. März-Demo
in Zürich
Heute
sind wir in Zürich und in vielen
anderen Städten auf der Strasse,
weil wir es satt haben, ungleich behandelt
zu werden, weil wir die Schnauze voll
haben von Diskriminierungen. Wir Frauen
sind wütend!
2003 war ein schwarzes Jahr für
die Frauen: Zuerst die Erhöhung
des Rentenalters, dann das Referendum
der Rechten gegen den Erwerbsersatz
bei Mutterschaft… und schliesslich
die Bundesratswahl vom 10. Dezember,
die als „Patriarchenwahl“
in die Geschichte eingegangen ist.
Tausende von Frauen haben (wieder einmal)
gemerkt, dass die Gleichstellung keineswegs
realisiert ist und noch viel zu tun
bleibt. Vor allem wir junge Frauen sind
regelrecht aufgeschreckt, weil wir erkennen
mussten, dass Männer an der Macht
– nicht nur auf der politischen
Ebene – keinen Wert auf reale
Gleichberechtigung legen.
Obwohl uns ein Artikel in der Verfassung
Gleichstellung garantieren sollte, sind
wir von diesem Ziel noch weit entfernt.
Die Realität sieht ganz anders
aus:
• Frauen verdienen durchschnittlich
über 20 % weniger als Männer;
• Die Frauen leisten – selbstverständlich
gratis – den grössten Teil
der Haus- und Erziehungsarbeit;
• Drei von vier Müttern sind
erwerbstätig, aber es fehlt überall
an öffentlicher Kinderbetreuung
und Tagesschulen.
Für die Patriarchen kann die Mutterschaftsversicherung
warten. Viel lieber wollen sie noch
mehr bei der AHV, den Sozialversicherungen
und den öffentlichen Diensten kürzen!
Uns Frauen wurde bewusst, dass es mit
der Gleichstellung der Geschlechter
in den letzten Jahren nicht vorangegangen
ist – im Gegenteil. Es gibt Rückschritte
auf allen Ebenen, und wir Frauen wollen
das nicht länger hinnehmen.
Wir wehren uns dagegen, dass in einem
reichen Land wie der Schweiz das Parlament
Kürzungen bei der AHV durchsetzt
und gleichzeitig mit dem Steuerpaket
den Reichen Steuergeschenke macht! So
nicht, ihr Herren Couchepin, Blocher,
Merz und Co.: Zuerst sagt ihr, dass
ihr uns Frauen braucht, um mehr Kinder
zu gebären und die AHV zu sichern.
Dann kürzt ihr uns die Renten,
macht Abstriche bei der Witwenrente
und lässt uns nochmals länger
arbeiten! Zudem wird all die Arbeit,
die Frauen zuhause leisten, bei den
Renten nur ungenügend angerechnet.
Nein, nicht mit uns!
Wir fordern Renten, die den Bedürfnissen
der Bevölkerung entsprechen und
allen ein Alter in Würde ermöglichen.
Schluss
mit dem Sozialabbau! Die öffentlichen
Strukturen in der Kinderbetreuung, der
Bildung und dem Gesundheitswesen müssen
ausgebaut und nicht abgebaut werden!!
Geld ist genug vorhanden, es ist nur
in den falschen Händen von wenigen
Profiteuren.
Die Patriarchenwahl bestätigte
einmal mehr, dass wir unser Schicksal
nicht in die Hände der „Gewählten“
im Bundesrat und im Parlament legen
dürfen. Um die patriarchale Ordnung
zu bekämpfen, müssen wir unsere
Anliegen selber in die Hand nehmen und
dürfen sie nicht an irgendwelche
Institutionen delegieren. Veränderungen
waren stets nur möglich, wenn die
Frauen gekämpft haben, wenn sie
mit kollektiven Aktionen den Trott der
herrschenden Ordnung durchbrochen haben.
Wie unsere Grossmütter, die das
Frauenstimmrecht erkämpft haben,
oder die Hunderttausende von Frauen,
die am 14. Juni 1991 gestreikt und die
ganze Schweiz stillgelegt haben!
Es herrscht Aufbruchstimmung –
vor allem auch unter uns jungen Frauen.
Jetzt müssen wir in die Offensive
gehen und eine neue Frauenbewegung aufbauen!
Stehen wir für unsere Rechte ein,
machen wir Zoff, nach dem Motto: Brave
Mädchen kommen in den Himmel, böse
Mädchen kommen überall hin!
Heute sind wir in der ganzen Schweiz
Zehntausende von Frauen auf der Strasse,
um unserer Wut Ausdruck zu geben. Das
ist ein erster wichtiger Schritt. Um
in der Gleichstellung der Geschlechter
wirklich vorwärts zu kommen, reicht
es nicht aus, zwei oder drei Bundesrätinnen
mehr zu fordern. Wir müssen die
herrschende Gesellschaftsordnung grundsätzlich
hinterfragen. Wen treffen z.B. die Sparmassnahmen
im Kanton Zürich am meisten und
wem nützen die Steuergeschenke?
Eine Gesellschaft, in der der Profit
von privaten Grosskonzernen mehr zählt
als die Bedürfnisse der Bevölkerung,
ist zutiefst frauenfeindlich!
Die immense Gratisarbeit, die Frauen
tagtäglich im Haushalt leisten,
und die Benachteiligung der Frauen in
der Erwerbsarbeit zeigen, dass dieses
System nur funktioniert, weil es auf
Ausbeutung und Ungleichheit basiert!
Der Besetzungskrieg ist ein Beispiel
dafür. Im Irak wie auch in Afghanistan
hat sich gezeigt, dass der Krieg die
Frauen nicht etwa befreit hat –
im Gegenteil: Im Irak hat die Gewalt
gegen die Frauen konstant zugenommen,
und die Marionettenregierung unter Kontrolle
der USA will die Sharia wieder einführen!
Solidarisieren wir uns mit den irakischen
Frauen, die heute in Bagdad auf die
Strasse gehen, um sich gegen die US-Besetzung
zu wehren!
Zusammen mit Frauen in Bagdad, London,
Berlin, New York und anderswo sind wir
heute auf der Strasse und stehen gemeinsam
für eine andere, frauenfreundlichere
Welt ein!
Wir Frauen sind überall. Wir sind
viele und wir kommen wieder. Dieser
FrauenProtestTag ist erst der Anfang!
Es geht weiter – keine Frage,
Frauenkampftag alle Tage!