Die
Plattform von Peking hatte zum Ziel, geschlechts-spezifische
Diskriminierungen zu beseitigen, bei makroökonomischer
Politik die Auswirkungen auf Frauen zu berücksichtigen
und neue Gerechtigkeitsstandards umzusetzen.
Die WTO trat an mit dem Versprechen, durch die
Förderung des Freihandels zu Wachstum und
dadurch zu mehr Wohlstand und einem höheren
Lebensstandard für alle zu gelangen.
Während
es die WTO trotz Krisen und einigen Rückschlägen
geschafft hat, ihre Freihandelsmission bis in
die entlegendsten Dörfer Afrikas voranzutreiben
und die Landwirtschaft wie auch viele andere
Bereiche dem Marktprinzip zu unterwerfen, fällt
die Bilanz in Bezug auf die Globalisierung der
Frauenrechte etwas anders aus.
Durchzogene
Bilanz
Frauen
gelten zwar als die Jobgewinnerinnen der Globalisierung.
Weibliche Billigarbeitskräfte sind ein
Wettbewerbsvorteil, sowohl in der Bekleidungs-,
Elektronik- oder Spielzeugindustrie als auch
in der exportorientierten Landwirtschaftsproduktion
und im Dienstleistungssektor. Die Feminisierung
der Beschäftigung hat jedoch dem in der
Aktionsplattform von Peking formulierten Ziel
der „wirtschaftlichen Rechte von Frauen
und deren Unabhängigkeit“ nicht zum
Durchschlag verholfen. Integration in den flexibilisierten
Arbeitsmarkt bedeutet für Frauen im Norden
wie im Süden oft informelle, schlecht bezahlte
und prekäre Lohnarbeit zu schlechten Arbeitsbedingungen
und ohne soziale Sicherheit. Zudem hat die Marktliberalisierung
und die erzwungene Exportorientierung in vielen
Weltregionen die frauendominierte kleinbäuerliche
Landwirtschaft zerstört. Die in Peking
formulierten sozialen und wirtschaftlichen Rechte
der Frauen haben sich als nicht kompatibel mit
dem WTO-Regime erwiesen.
Politischer
Alzheimer und besänftigende Gender-Politik
In
den 90er Jahren herrschte Aufbruchstimmung in
den international ausgerichteten Frauennetzwerken.
Man mischte sich bei globalen Themen ein, versuchte
Einfluss zu nehmen auf die UN-Politik und auf
internationale Institutionen, erarbeitete internationale
Plattformen und formulierte gemeinsame Ziele
und Forderungen. Trotz beachtlicher rechtspolitischer
Fortschritte zeigte sich in der Realität
jedoch schnell, dass es – in den Worten
der deutschen Feministin Christa Wichterich
– keine „Rolltreppe zur Gleichstellungsempore“
gibt und dass „auch ein frauenpolitisch
nachgebessertes Konferenzdokument in Behördenakten
ablegbar ist, dort dem politischen Alzheimer
anheimfällt und keineswegs automatisch
umgesetzt wird.“ Ohne politischen
Druck von unten nützt auch der Einsitz
in Verhandlungsgremien nichts. Zudem zeigte
sich eine grosse Umsetzungslücke zwischen
den internationalen Aktionsplänen und der
nationalen und lokalen Frauenpolitik. Die Fortschritte
in den UN-Konventionen bedeuteten noch lange
keine reale Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen
von Frauen.
Frau
war der „grossen Politik“ zwar näher
gekommen, sah sich aber gleichzeitig auch gezwungen,
sich an deren Vorgaben abzuarbeiten. Und das
verlangte einiges an Anpassungsleistung. Viele
Feministinnen verliessen die Strasse und versuchten
durch Lobbying, Mainstreaming und Monitoring
„Gender- Politik“ in kleinen Schritten
zu betreiben. Die UN-Rhetorik wurde ge-genderkompatibelt,
die Programmatik gegender- mainstreamt und die
Institutionen einem Gender-Monitoring unterzogen.
Christa Wichterich bezeichnet die neuen professionellen
Gender-Expertinnen als „eine transnationale
Klasse von Jet-Set- Lobbyistinnen, die inhaltlich
kompetent, handwerklich profiliert und rhetorisch
versiert auftreten, mit hohem Gehalt, Spesenkonto
und ebenso hoher Selbsteinschätzung um
die Welt touren“.
Zwischen
Autonomie und Abhängigkeit
Diese
Professionalisierung hat zu einer Hierarchisierung
der Frauen-NGO-Szene geführt. Finanzstarke,
durch einzelne Staatsapparate und Stiftungen
unterstützte und an internationalen Runden
Tischen partizipierende NGOs stehen nichtprofessionellen,
finanziell eher schwachen „grassroots“-Bewegungen
gegenüber, deren lokaler „Feminismus
des Überlebens“ oft aus den unmittelbaren
Alltagsproblemen der Frauen und dem Kampf um
die Existenzsicherung abgeleitet ist. Viele
Frauenorganisationen stecken „in einem
Knäuel von Dilemmata zwischen politischer
Autonomie und finanzieller Abhängigkeit,
zwischen Kritik an den Regierungen und Kooperation“
(Wichterich).
Diese
Kluft zeigte sich auch an der diesjährigen
Jahreskonferenz des frauenpolitischen Netzwerks
WIDE (Women in Development Europe) – eines
Zusammenschlusses von feministischen und entwicklungspolitischen
Organisationen in Europa. An der dreitägigen
Konferenz diesen Sommer in Madrid trafen sich
Frauen aus allen Kontinenten – von der
Vetreterin von UNIFEM-Afrika über die britischen
Delegierte von OXFAM bis zur Aktivistin der
KleinbäuerInnenbewegung Via Campesina aus
Brasilien oder der Inderin aus einer Gewerkschaft,
die informell Beschäftigte organisiert.
Es war sehr eindrücklich, über die
verschiedenen Realitäten für Frauen
in den einzelnen Regionen zu erfahren, sich
über politische Strategien auszutauschen
und gemeinsam über Alternativen zu diskutieren.
Bezogen auf die politischen Konzepte und Strategien
machte sich in Madrid aber eine gewisse Ratlosigkeit
breit. Während die einen in den laufenden
institutionellen Verhandlungen und Agenden um
Welthandelspolitik, internationale Entwicklungs-
und Finanzpolitik konkrete „entrypoints“
und „Möglichkeitsfenster“ für
Lobbying und ein Gender Mainstreaming sichteten,
hielten andere diese Strategie der Partizipation
als unzureichend oder gar kontraproduktiv, da
die Frauen mit ihrer Präsenz vielmehr eine
legitimierende Funktion einnähmen.
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Die
Globalisierungspolitik hat viele der oft
von Frauen organisierten kleinbäuerlichen
Strukturen zerstört. |
„Wir
waren viel zu brav!“
Während
„Berufslobbyistinnen“ auf die erzielten
„Fortschritte“ in verschiedenen
Konventionen aufmerksam machten und die Bedeutung
des politischen Dialogs betonten, machte sich
bei einigen Frauen aus Basisbewegungen –
insbesondere aus dem Süden – ein
Unverständnis breit. Was bringt uns eine
„gendersensible“ Policy, wenn das
Machtungleichgewicht bestehen bleibt? Welche
und wessen Fraueninteressen werden denn da überhaupt
gemainstreamt? Was soll verhandelt werden über
Freihandelsabkommen, die unsere Existenz bedrohen
– da gibt es nichts zu verhandeln, nur
zu bekämpfen! „Wir waren viel
zu ruhig und viel zu brav die letzten 10 Jahre“,
rief eine Frau aus Guatemala in die Runde. Die
Konferenzleitung konnte die Frauen im Saal noch
so oft mit „my sisters“ ansprechen
- die vereinte globale Schwesternschaft war
nicht auszumachen. Neben der inspirierenden
Vielfalt an unterschiedlichen Erfahrungshorizonten
zeigte sich gleichzeitig eine grosse Differenz
bezüglich Politikverständnis und man
stellte einmal mehr fest, dass die wechselseitigen
Bezüge und Überschneidungen zwischen
der sozialen Kategorie Geschlecht und anderen
Kategorien wie Klasse, Ethnie, Religion, Alter
und sexueller Orientierung nicht ausgeblendet
werden können.
Einige
Voten auf der Konferenz in Madrid waren klar
und unmissverständlich: Um gegen die Dominanz
von Institutionen wie der WTO anzutreten, muss
sich die transnationale Frauenpolitik neu organisieren,
wieder radikaler werden und sich repolitisieren.
Netzwerke wie WIDE kommen nicht darum herum
eine Bilanz zu ziehen aus dem, was im letzten
Jahrzehnt durch Lobbyarbeit (nicht) erreicht
wurde. Eine stärkere Vernetzung mit lokalen
sozialen Basisbewegungen im Süden wie im
Norden bringt nicht nur einen breiteren Erfahrungsaustausch
über die gemeinsame und vergleichbare Betroffenheit
von neoliberalen Politiken, sondern könnte
vielleicht auch einen neuen transnationalen
Mobilisierungsschub initiieren, bei dem Frauenaktivistinnen
ihre Themen selbst bestimmen, statt nach der
Agenda der UNO von einer Konferenz zur nächsten
zu hetzen.
Christa Wichterich, Femme global: Globalisierung
ist nicht geschlechtsneutral, Hamburg 2003.
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