Das
neue Zürcher Universitätsgesetz bringt
massive Verschlechterungen
Ein
harter Brocken
von
Sarah Schilliger (aus DEBATTE Nr. 4 Oktober
2002)
Mitten
in den Semesterferien, am 22. August 2002, als
der Erziehungsdirektor Ernst Buschor alle StudentInnen
in den Ferien glaubte, rückte der Zürcher
Regierungsrat raus mit seinen Plänen zur
Revision des Universitätsgesetzes. "Uni
darf ihre Studiengebühren verdoppeln",
titelte der Tages-Anzeiger tags darauf. Die
Revision des Universitätsgesetzes, die
die Zürcher Regierung vorschlägt,
ist ein harter Brocken.
Neu
darf der Universitätsrat die Studiengebühren
auf bis zu 1224 Franken pro Semester erhöhen,
was einer Verdoppelung gegenüber heute
und einer Verfünffachung gegenüber
1991 gleichkommt. Auch in der Weiterbildung
und bei den sozialen und kulturellen Einrichtungen
werden die StudentInnen zur Kasse gebeten :
Für soziale, kulturelle und sportliche
Einrichtungen ist beim neuen Gesetzesentwurf
von "angemessenen Gebühren" die
Rede (maximal kostendeckend). Die Revision des
Universitätsgesetzes sieht für die
Weiterbildung und für Nachdiplomstudien
kostendeckende Gebühren vor.
Der
1998 gesetzlich verankerte Numerus Clausus wird
nun noch weiter verschärft : Neu ist ein
bestandener Eignungstest keine Garantie für
einen Studienplatz an der Uni Zürich, denn
die StudienanwärterInnen können an
eine andere Uni zwangsverwiesen werden.
Der
von oben eingesetzte Universitätsrat erhält
durch die Gesetzesrevision noch mehr Kompetenzen,
während die Einführung einer machtlosen
"verfassten Studentenschaft" als Alibiübung
daherkommt.
Der
Spar- und Reform"zwang"
Wieder
einmal ist es die Entwicklung der Finanzen,
die als Grund für die Revision des Universitätsgesetzes
genannt wird. Damit ist Zürich in guter
Gesellschaft : Seit über zehn Jahren werden
in verschiedenen Hochschulkantonen unter dem
Vorwand der "leeren Kassen" Budgetkürzungen
vorgenommen, während sich die Zahl der
Millionäre in der gleichen Zeit verdoppelt
hat und den obersten Einkommenssegmenten und
den Unternehmen fortwährend Steuergeschenke
gewährt werden.
Diese
"Politik der leeren Kassen" erhöht
den Sparzwang der Universitäten und dient
der Legitimierung verschiedener Gegenreformen
: Mit Verweis auf das Geld, das nun halt leider
fehle, wurden beispielsweise in Zürich
1998 im Universitätsgesetz verschiedene
Gegenreformen festgeschrieben, die die Uni "schlanker"
machen sollten : Numerus Clausus, Studienzeitbeschränkungen,
Globalbudget, Drittmittelaquirierung u.a. Die
chronische Unterfinanzierung der Universitäten
wird also mit System betrieben, um dadurch einen
politischen Kurswechsel herbeizuführen.
Auch hinter der anstehenden Gesetzesrevision
in Zürich stehen nicht einfach nur finanzpolitische
Sparüberlegungen. In Wirklichkeit steckt
dahinter das politische Ziel, die Marktlogik
im Bildungssystem institutionell stärker
zu verankern und dem Prozess der Demokratisierung
der Universitäten einen Riegel zu schieben.
Die
Marktlogik festsetzen : In der Funktionsweise
der Uni...
Die
angeblich fehlenden Ressourcen liessen den Ruf
nach mehr "Eigenverantwortung der Studierenden"
aufkommen. Es soll vermehrt an den "KundInnen"
selber liegen, für die in Anspruch genommenen
"Dienstleistungen" Geld aufzubringen.
Die anstehende Studiengebührenerhöhung
an der Universität Zürich zeigt die
Stossrichtung ganz klar auf : Künftig wird
die individuelle Kaufkraft verstärkt Ausschlag
gebend sein für den Zugang zu einer Hochschulbildung.
Dass Bildung den Status einer Ware haben soll,
die auf einem Markt erstanden werden muss, zeigen
die Leitlinien der "Economiesuisse"
auf : "Die Dienstleistung, welche die Hochschulen
in der Lehre anbieten, ist ein privates Gut
mit den Eigenschaften der Rivalität in
der Nutzung und der Ausschliessbarkeit. Dies
rechtfertigt es, angemessene Studiengebühren
zu verlangen, um zusammen mit dem Wettbewerb
zwischen den Hochschulen eine Effizienzsteigerung
zu bewirken."1
Die
Effizienzsteigerung besteht darin, dass mit
weniger Mitteln in kürzerer Zeit qualifizierte
Arbeitskräfte ausgebildet werden.
Zusätzlich
führt die Logik der Bildung als Ware dazu,
dass StudentInnen immer mehr dazu gezwungen
werden, "marktgerecht" zu studieren
: Künftig sollen die StudentInnen ihre
"Investition in Humankapital", die
unter anderem durch die Studiengebühren
getätigt wird, mit der künftigen "Rendite"
eines Hochschulstudiums abwägen. Zwangsläufig
werden sich die Studierenden nach diesem Kosten-Nutzen-Kalkül
stärker am Arbeitsmarkt orientieren. Denn
wer riskiert schon so viel Geld und verschuldet
sich vielleicht sogar, um nachher um einen Job
zittern zu müssen ?
...
wie auch in der Organisationsstruktur
Nicht
nur die Funktionsweise, sondern auch die Organisationsstruktur
der Universitäten lehnt sich immer stärker
an das privatwirtschaftliche Modell : die Hochschulen
sind ein Dienstleistungsunternehmen, bei dem
der Universitätsrat dem Verwaltungsrat
entspricht und das Rektorat die Rolle der Geschäftsleitung
einnimmt. Dem Universitätsrat, der von
der Regierung eingesetzt wird und überproportional
mit Männern aus der "Wirtschaft"
bestückt ist, werden durch die Revision
des Universitätsgesetzes in Zürich
weitere wichtige Kompetenzen zugesprochen :
er hat nun das letzte Wort beim Leitbild der
Uni und bei der Ernennung des Leiters der Evaluationsstelle,
beides wichtige Befugnisse, durch die die Ausrichtung
der Universität festgelegt werden kann.
Neu ist der Unirat letzte Instanz für die
Schaffung, Umwandlung und Aufhebung von Fakultäten,
hat also freie Hand bei der Gliederung und der
Gestaltung der Organisationsstruktur der Universität.
Weiter kann der Universitätsrat neu Kompetenzzentren
(wissenschaftliche Netzwerke) einrichten und
dadurch Forschungsschwerpunkte eigenhändig
festlegen.2
Wie
in der Privatwirtschaft ist die Mitbestimmung
der Universitätsangehörigen faktisch
abgeschafft. Daran ändert auch die vom
Regierungsrat vorgeschlagene Einrichtung einer
öffentlich-rechtlichen Körperschaft
nichts. Diese sogenannte "verfasste Studentenschaft",
die man an fast allen Schweizer Universitäten
kennt, kommt als eine Alibi-Übung daher,
denn den Studierenden steht dadurch auch weiterhin
kein Mitbestimmungsrecht zu. Mit der Einrichtung
der öffentlich-rechtlichen Körperschaft
will Bildungsdirektor Ernst Buschor "die
konstruktive Rolle honorieren", die der
Studierendenrat (StuRa) in der Universitätsreform
gespielt habe. Dieses "Zugeständnis"
von Seiten der Regierung ist der Ausdruck einer
Einschätzung der Kräfteverhältnisse
: Der StuRa stellt der Umsetzung der Gegenreformen
keine wirklichen Hindernisse in den Weg, ja
er trägt sie zum grössten Teil gar
mit und hat damit einen legitimierenden Charakter.
Ein
weiterer Schritt Richtung Eliteuni
Massnahmen
wie die Erhöhung der Studiengebühren
und die Verschärfung der Zulassungsbeschränkungen,
die im neuen Universitätsgesetz in Zürich
festgeschrieben werden, passen gut zu einer
Reihe von anderen Gegenreformen wie dem Abbau
des Stipendienwesens, der Verschärfung
der Selektionsmassnahmen und der Einführung
des Bachelor-Master-Systems : Der Zugang zur
qualitativ hochstehender Bildung soll künftig
nur noch das Privileg einer kleinen Elite sein.
Von
Wirtschaftsseite her ist schon seit längerer
Zeit zu vernehmen, dass viel zu viele Jugendliche
studieren möchten und die "Massenuniversität"
nicht länger Daseinsberechtigung habe,
denn was zähle, sei nicht die Breite, sondern
die "Spitze". Diese Worte stellen
eine wichtige Errungenschaft der Bildungsreformen
der 60er- und 70er-Jahre radikal in Frage, nämlich
die einer gewissen Demokratisierung des Hochschulzugangs.
Der Zugang zu höherer Bildung stand seither
nicht mehr ausschliesslich Kindern aus Oberschichts-Familien
offen, obwohl natürlich die sozialen Hürden
zur Aufnahme eines Studiums weiterhin existierten.
Die Unentgeltlichkeit des Studiums, der freie
Zugang zum Studium und die freie Studienwahl
sowie ein Ausbau des Stipendienwesens waren
wichtige Schritte dieser fortschrittlichen Studienreformen,
die nun sukzessive zurückbuchstabiert werden.
Der Hochschulzugang in der Schweiz ist jetzt
schon im europäischen Vergleich einer der
restriktivsten, nur die Türkei hat noch
einen kleineren Anteil Studierender pro Bevölkerung.
Durch die laufenden Gegenreformen wird der Zugang
zu einem Hochschulstudium noch vermehrt einer
kleinen Elite vorbehalten.
Die
soziale Selektion zementiert die gesellschaftlichen
Ungleichheiten
Kürzlich
hat der "Euro Students Report", die
erste europaweite studentische Sozialerhebung,
gezeigt, dass in allen untersuchten Ländern
die Kinder aus "bildungsfernen Schichten"
an den Universitäten stark unterdurchschnittlich
vertreten sind 3. Auch in der Schweiz sind die
unteren Schichten an den Hochschulen klar unterrepräsentiert.
An dieser Tatsache hat sich in den letzten 30
Jahren nichts Grundlegendes geändert.4
Laut einer Nationalfondsstudie schliesst jeder
zweite Sohn und jede vierte Tochter eines Vaters
mit Universitätsabschluss selber auch eine
Uni-Ausbildung ab. Bei Vätern mit abgeschlossener
Berufslehre schaffen dies nur noch jeder zehnte
Sohn und jede zwanzigste Tochter. Praktisch
keine Chancen haben die Töchter ungelernter
Väter, nur jede hundertste schafft eine
höhere Schulbildung. In der Region Zürich
lässt sich diese Tatsache illustrieren
mit Statistiken der Bildungsdirektion5, die
zeigen, dass der Anteil an GymnasiastInnen in
Gemeinden mit wohlhabenden EinwohnerInnen (Goldküste,
Zürichberg) ein Mehrfaches beträgt
von jenem zum Beispiel in den Zürcher Kreisen
4 und 5.
Bei
der Finanzierung des Studiums zeigt der "Euro
Students Report" erhebliche Unterschiede
: Das beste Sozialsystem finden Studierende
offenbar in Finnland vor, wo 83 Prozent der
Studierenden mit durchschnittlich 317 Euro gefördert
werden. In der Schweiz betrug der Anteil der
Studierenden, die Stipendien oder staatliche
Stipendien beziehen, bei der letzten Erhebung
1995 gerade einmal 17,9 %. Seit 1993 ist der
Gesamtbetrag der ausbezahlen Stipendien sukzessive
zurückgegangen. Die wichtigste Einkommensquelle
für Studierende in der Schweiz sind die
Eltern und die eigene Erwerbstätigkeit.6
78 % der Studierenden in der Schweiz sind neben
dem Studium erwerbstätig - für 46
% ist die Erwerbstätigkeit zur Bestreitung
des Lebensunterhaltes dringend notwendig. Durch
eine Erhöhung der Studiengebühren
wären viele Studierende gezwungen, ihre
Erwerbstätigkeit zu erhöhen, was sich
direkt auf die Erfolgschancen im Studium auswirkt
: ab 30 % Erwerbstätigkeit nehmen die Erfolgschancen
im Studium erheblich ab.
Zürich
ist überall !
Wer
glaubt, an der ganzen Misere im Zürcher
Bildungswesen sei einzig und allein Bildungsdirektor
Ernst Buschor Schuld, liegt ziemlich falsch.
Sicher nimmt Buschor als treibende Kraft und
Chefideologe des New Public Management eine
wichtige Rolle im Reformprozess ein. Die Massnahmen
wie jene, die mit der Revision des Unigesetzes
in Zürich vorgesehen sind, stehen jedoch
auch an anderen Universitäten an und reihen
sich ein in die seit Jahren laufenden Gegenreformen
im Bildungswesen auf kantonaler, nationaler
und internationaler Ebene. In verschiedenen
anderen Schweizer Universitäten ist ein
ähnlicher Umbau im Gange, der sich an die
europäischen Bestrebungen zur Errichtung
eines EU-Hochschulmarktes anlehnt und im Zusammenhang
mit der Deklaration von Bologna steht.
Seit
etwas mehr als zehn Jahren ist in allen Industrieländern
eine grundlegende Wandlung der Bildungssysteme
im Gange. Diese Entwicklung hängt mit der
weltweiten Krise des Kapitalismus zusammen und
hat die Absicht, die langfristigen Verwertungsbedingungen
des Kapitals wieder herzustellen. Das Bildungswesen
(wie auch z.B. das Gesundheitswesen, die Telekommunikation,
die Wasserversorgung) ist dabei ein Sektor,
der einen potentiellen Markt darstellt und neue
Rentabilisierungsfelder für das Kapital
schaffen soll. Diese Absicht wird vorangetrieben
durch das neue Dienstleistungsabkommen der WTO,
das GATS-Abkommen, das die öffentlichen
Dienste liberalisieren soll. Der Bildung kommt
dabei eine sehr wichtige Rolle zu, denn jährlich
werden die öffentlichen Ausgaben in diesem
Sektor auf weltweit ca. 2000 Milliarden Dollar
geschätzt, es handelt sich also um einen
riesigen Markt, den es zu erobern gibt.
Es
regt sich Widerstand
Auf
Initiative der "DEBATTE-Hochschulgruppe"
hat kurz nach der Bekanntmachung der Gesetzesrevision
ein Treffen einer Gruppe von Studierenden stattgefunden,
die gewillt sind, sich gegen diesen massiven
Angriff auf das "Recht auf Bildung"
zu wehren. Am 1.Oktober wurde dazu ein "Aktionskomitee
gegen das neue Universitätsgesetz"
gegründet. Das Komitee besteht aus Studierenden,
die unterschiedlichen politischen Organisationen
angehören oder politisch nicht organisiert
sind. Die gemeinsame Plattform beinhaltet ein
klares Nein zur Revision des Universitätsgesetzes.
Dagegen soll in der Studierendenschaft breit
mobilisiert werden. Das Aktionskomitee diskutiert
über geeignete kollektive Instrumente des
Widerstands und möchte versuchen, eine
Debatte zur aktuellen Hochschul- und Bildungspolitik
zu initiieren. Weitere Infos unter : unigesetz-nein@bluewin.ch.
1.
Economiesuisse, Schweizerische Bildungs-, Forschungs-
und Technologiepolitik : Perspektiven bis 2007
2.
Dem Konsolidierten Entwicklungs- und Finanzplan
2000-2003 der Zürcher Bildungsdirektion
ist zu entnehmen, dass "folgende Schwerpunkte
bzw. Kompetenzzentren" ausgebaut werden
sollen : Banking und Finance, interdisziplinäre
Zusammenarbeit der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften
mit besonderem Akzent auf dem Bereich "Menschliches
Handeln und Institutionen" und "Ethik",
Medizin mit Schwerpunkt "Molekulare Medizin
und Somatische Gentherapie", in der Phil
II Fakultät "Life Sciences" usw.
3.
Euro Student Report : www.his.de/Eurostudent
/ download / eurostudent2000.pdf
4.
Leemann, Regula Julia, Chancenungleichheiten
im Wissenschaftssystem. Zürich 2002.
5.
www.bildungsdirektion.ch
6.
Diem, Markus, Soziale Lage der Studierenden.
Eine Repräsentativuntersuchung bei StudentInnen
und Studenten der Schweizer Hochschulen 1995.
Bern, Bundesamt für Statistik 1997. |