Die
Vermarktung der Hochschulbildung
von
Sarah Schilliger aus Debatte Nr. 2/3, Juli-August
2002
Im
Schweizer Hochschulsystem sind derzeit zahlreiche
Reformen im Gang, die den Anspruch haben, die
Universitäten zu "modernisieren".
In Tat und Wahrheit geht es aber darum, den
Bereich der tertiären Bildung immer mehr
auf die Bedürfnisse des Kapitals auszurichten,
während die Bedürfnisse eines grossen
Teils der Studierenden dabei auf der Strecke
bleiben.
Die
Universitäten sind schon seit langer Zeit
ins Fadenkreuz der neoliberalen Kritik geraten.
Beklagt wird, dass Unmengen von Studierenden
fernab von der "Realität" und
ohne Bezug auf den Arbeitsmarkt und die Wirtschaft
viel zu lange an den Unis dahinschlenderten,
obwohl die Mittel für einen solchen "Luxus"
gar nicht vorhanden wären. Schon 1989 beklagte
der "Runde Tisch der europäischen
Industriellen" (ERT), dass "die Industrie
nur einen sehr bescheidenen Einfluss auf die
gelehrten Programme ausübt" und die
"Bedürfnisse der Industrie" nicht
beachtet würden. In dem Bericht der ERT
wurde eine "beschleunigte Reform der Bildungssysteme"
gefordert, und diese Forderungen tauchten bald
darauf auch in Empfehlungen der OECD, der Weltbank,
der europäischen Kommission und der nationalen
Unternehmenrorganisationen auf. Die laufenden
Gegenreformen im Schweizer Hochschulbereich
stehen einerseits im Zusammenhang mit dem WTO-Abkommen
GATS, andererseits mit der "Bologna-Deklaration",
die auf europäischer Ebene umgesetzt wird.
GATS
: Die Privatisierung der Bildung als lukratives
Unternehmen
Das
multilaterale Dienstleistungsabkommen GATS der
WTO sieht vor, dass die öffentlichen Dienste
auf längere Frist möglichst umfassend
privatisiert werden sollen. Dabei erscheint
vor allem die Bildung als sehr lukrativ, wenn
man einen Blick auf die OECD-Berechnungen wirft
: Da werden die öffentlichen Ausgaben für
das Bildungswesen weltweit auf ca. 2000 Milliarden
Dollar jährlich geschätzt. Durch die
Öffnung u.a. des Bildungssektors für
Investitionen der Kapitalisten eröffnet
sich also eine enorme Möglichkeit, dem
kapitalistischen System eine neue Dynamik zu
verleihen und die sinkenden Kapitalrenditen
zu bekämpfen. Die laufenden Gegenreformen
im Bildungsbereich müssen also im Zusammenhang
mit diesen Privatisierungszielen gesehen werden,
die im Rahmen der WTO umgesetzt werden sollen.
Die
Bologna-Deklaration zur Schaffung eines europäischen
Hochschulmarktes
1999
trafen sich in Bologna die europäischen
Bildungsminister, um einen Schritt hin Richtung
Liberalisierung des Bildungswesens zu unternehmen.
Betont wurde in der abschliessenden Bologna-Deklaration,
dass der zu schaffende europäische Hochschulraum
ein "Schlüssel zur Förderung
der Mobilität und der arbeitsmarktbezogenen
Qualifizierung seiner Bürger"1 darstelle.
Konkret wurde beschlossen, die Hochschulstudiengänge
zu standardisieren, indem sie alle dem angelsächsischen
System einer Zweiteilung in Bachelor und Master
angepasst werden. Ein grosser Teil der Studierenden
beendet das Studium nach drei Jahren mit einem
Bachelor, eine schmale Elite studiert weitere
zwei Jahre bis zum Master-Abschluss. Mit dieser
Unterteilung richtet sich das Studium schon
zu Beginn auf anwendbare Kenntnisse ("skills")
aus, während nur diejenigen, die den Master
machen, das Recht auf tiefergehende Bildung
haben. Dadurch sichern sich die Unternehmen
qualifizierte Arbeitskräfte in kürzerer
Zeit ; in ihren Augen bedeutet dies eine "Produktivitätssteigerung",
d.h. die zukünftigen Lohnabhängigen
werden mit einem Minimum an Mitteln ausgebildet.
Um
die angestrebte "Mobilität" zu
ermöglichen, wurde in Bologna die Schaffung
eines europäischen Kreditpunktetransfersystems
(ECTS) vorangetrieben : Die Studierenden müssen
nun Punkte sammeln, 30 Punkte pro Semester,
wobei jeder Punkt einem Arbeitsaufwand von 30
Arbeitsstunden entspricht. Das System ist also
auf ein Vollzeit-Studium ausgerichtet und bedeutet
für mehr als die Hälfte der Studierenden
in der Schweiz, die alle einer Erwerbstätigkeit
nachgehen (müssen), einen Nachteil oder
gar ein Hindernis, überhaupt studieren
zu können, was einer sozialen Selektion
gleichkommt. Zusätzlich führt das
Punktesystem zu einer deutlichen Verschulung
der Studiengänge und zu einem Abbau der
Freiheit bei der Gestaltung des Studiums. Es
wird für die Studierenden immer schwieriger,
selber zu bestimmen, wofür sie wieviel
Zeit aufwenden wollen. Wer studiert, muss sich
damit abfinden, dass sich die Ansprüche
der Wirtschaft vor die eigenen Interessen stellen,
denn durch das Punktesystem ist es einfacher,
die Lehrinhalte nach den kurzfristigen Bedürfnissen
der Privatwirtschaft zu modeln und "Humankapital
nach Bedarf" zu produzieren.
Die
Logik des Schweizer "Standortwettbewerbs"
Die
Kommission für Wissenschaft und Forschung
von Economiesuisse erklärt in ihrem Strategiepapier2,
die Universitäten seien zu einem wichtigen
Standortfaktor geworden. Der "Standort
Schweiz" habe nur eine Chance, wenn sich
das Bildungssystem im internationalen Wettbewerb
der Hochschulen durch Spitzenqualität profilieren
kann. "Die Wettbewerbsfähigkeit einer
Volkswirtschaft ist umso stärker, je besser
sie im Bildungs- und Forschungssystem verankert
ist. Die Schweiz braucht deshalb exzellente
Hochschulen, wenn sie im globalen Wissens- und
Innovationswettbewerb bestehen will."
Was
die "Exzellenz" von Hochschulen ausmacht,
wird nach engen wirtschaftlichen Kriterien definiert.
Mit betriebswirtschaftlichen Indikatoren sollen
die Leistungen der Unis genau quantifiziert
werden, was hinsichtlich der Vergleichbarkeit
auf dem internationalen "Bildungsmarkt"
als dringende Notwendigkeit erachtet wird. In
einem "Ranking" werden die "besseren"
und "schlechteren" Unis abgestuft
und dieser Leistungsausweis soll dann wiederum
den Wettbewerb um die besten Studierenden ankurbeln.
Weil sich "die Schweiz im globalen Wettbewerb
nicht jeden Luxus leisten kann", soll gezielt
auf Elitenförderung gesetzt werden und
muss das Szenario "Massenuniversität"3,
das sich durch die ansteigenden Studierendenzahlen
abzeichne, nach Ansicht der Wirtschaftlobby
vehement abgewendet werden.
New
Public Management zur Schaffung einer "standortgerechten
Universität"
Einer,
der sich die Forderungen der Economiesuisse
sehr zu Herzen genommen hat, ist der Bildungsdirektor
des Kantons Zürich, Ernst Buschor. Der
ehemalige Betriebswirtschaftsprofessor und Vordenker
des "New Public Managements" (NPM)
hat es in wenigen Jahren geschafft, die Zürcher
Universität nach den Prinizipien der Privatwirtschaft
umzukrempeln4.
Während
die Universität jahrelang unterfinanziert
worden war, definierte man nun die "Misere"
an der Zürcher Universität mehr und
mehr in ein "Effizienzproblem" um,
das mit Hilfe von NPM gelöst werden könne.
Die Uni wurde durch das neue Universitätsgesetz
in die "Autonomie" entlassen und wird
nun seit 1998 nach einem Globalbudget finanziert,
d.h. die Finanzierung misst sich neu an Leistungsindikatoren
des "Outputs". Die Definition dieses
anzustrebenden "Outputs" erfolgt dabei
nach eng gefassten betriebswirtschaftlichen
Begriffen, die sich in die Logik des Standortwettbewerbs
einreihen : als Referenzkriterium für den
"Nutzen der Bildung" dient u.a. die
"hohe internationale Qualität der
Forschung", welche aufgrund der Anzahl
Zitierungen, Publikationen und Patente von internationaler
Bedeutung eruiert wird, weiter das "Einkommen
und der Beschäftigungsgrad nach Studienabschluss"
und der "effektive Gebrauch des Studienwissens",
was durch Umfragen bei Studienabgängerinnen
herausgefunden werden soll. Diese Evaluierung,
die von Technokraten ausgearbeitet worden ist
und nie zur öffentlichen Diskussion stand,
erlaubt es nun, dass die Vergleichbarkeit im
Wettbewerb zwischen den verschiedenen Universitäten
- sowohl schweizerisch als auch global - gewährleistet
ist.
Die
Zuteilung von öffentlichen Geldern des
Bundes an die verschiedenen Universitäten
und Institute erfolgt ebenfalls nach höchst
fragwürdigen Kriterien : Das wichtigste
Kriterium ist der Erhalt von Fremdmitteln aus
der Privatwirtschaft oder aus nationalen Forschungsprogrammen.
Je mehr Mittel eine Universität aus dem
privaten Sektor auftreibt, desto höher
fällt die Unterstützung durch den
Bund aus. Dies zwingt die Universitäten
noch mehr, sich auf die privaten Unternehmen
auszurichten und fördert gleichzeitig jene
Forschungsgebiete, die der Privatwirtschaft
nützlich sind (Biotechnologie, Informatik,
Wirtschaft, Pharmakologie…) während
die sogenannten "Orchideenfächer"
wie Sinologie oder Afrikanistik vergeblich auf
Unterstützung warten.
Um
zu weiteren finanziellen Mitteln zu kommen,
werden Anstrengungen unternommen, dass die Kosten
für das Studium mehr und mehr von den "Kundinnen"
des Bildungssystems übernommen werden :
Die Studiengebühren sollen die "Eigenverantwortung"
der Studierenden fördern, was bedeutet,
dass die Studentinnen die "Investition
in Humankapital" mit der künftigen
"Rendite" abwägen müssen
und sich zwangsläufig stärker am Arbeitsmarkt
orientieren. Viele Studierende werden nach diesem
Kosten-Nutzen-Kalkül wohl frühzeitig
nach dem Bachelor-Studium aus Kostengründen
die Universität verlassen müssen.
Mit den NPM-Reformen werden die gesellschaftlichen
Ungleichheiten so drastisch verschärft,
dass die Möglichkeit eines Hochschulstudiums
in Zukunft von der entsprechenden Kaufkraft
der "Kundin" abhängt.
Jenseits
von demokratischer Mitbestimmung
Alle
Gegenreformen im Bildungsbereich gehen einher
mit einer weiteren, massiven Beschränkung
der wenigen demokratischen Rechte : Durch die
Umgestaltung der Funktions- und Organisationsweise
der Universitäten nach privatwirtschaftlichen
Prinzipien werden die Mitbestimmungsrechte der
Mitglieder der Universität faktisch abgeschafft.
Die studentische Vertretung in der erweiterten
Unileitung hat nicht mehr als einen symbolischen
Charakter. Die wichtigen Entscheidungen bezüglich
strategischer Ausrichtung der Universität
unternimmt der Universitätsrat, der dem
Verwaltungsrat entspricht und aus "Persönlichkeiten
aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft"
besteht. Vertreter von transnationalen Konzernen
(an der Uni Zürich sitzen Leute, die bei
CS, ABB und Ciba-Geigy Karriere gemacht haben)
haben in diesem Gremium die Möglichkeit,
direkt zu ihren Gunsten auf die Uni einzuwirken.
Hier
zeigt sich die Situation der Schweizer Hochschulen
ganz offensichtlich : Die Interessen des Kapitals
setzen sich im Bereich der Bildung immer mehr
durch und untergraben die Prinizipien des Service
public, wonach die öffentlichen Dienste
auf die Bedürfnisse der Benutzer-innen
ausgerichtet sein sollen und einer demokratischen
Kontrolle unterworfen sind.
1
"Gemeinsame Erklärung der Europäischen
Bildungsminister", 19. Juni 1999, Bologna.
2
Economiesuisse : Schweizerische Bildungs-, Forschungs-
und Technologiepolitik : Perspektiven bis 2007.
3
Der Zürcher Bildungsdirektor Ernst Buschor
beklagt, dass die Hochschulen "leider zur
Massen-universität verkommen seien".
Dabei ist im Gegenteil der Zugang zu Hochschulbildung
in der Schweiz einer der restriktivsten Europas.
4
Alessandro Pelizzari beschreibt in seinem Buch
"Die Ökonomisierung des Politischen"
(2001, UVK-Verlag) die NPM-Reformen im Kanton
Zürich und ihre politische Bedeutung sehr
ausführlich.
Bewegung
an deutschen Universitäten
Nach
mehreren Jahren vollständiger Ruhe regt
sich an deutschen Hochschulen Widerstand gegen
Studiengebühren und Privatisierungsbestrebungen.
Die sechste Novelle des Hochschulrahmengesetzes
(HRG) vom April 2002 auf Bundesebene ermöglicht,
dass Gebühren bei Überziehung der
Regelstudienzeit erhoben werden können.
Dazu kommen die verschiedenen Verwaltungs- oder
Bearbeitungsgebühren. Damit wird allgemeinen
Studiengebühren die Tür geöffnet.
Die
Bildungspolitik der rot-grünen Landesregierung
in Nordrhein-Westfalen (NRW) bot den ersten
Anlass zum Widerstand. Ab Sommer 2003 sollen
alle StudentInnen pro Semester mindestens 50
Euro "Rückmeldegebühren”
und sogenannte Langzeitstudenten (Regelstudienzeit
plus vier Semester) 650 Euro pro Semester bezahlen.
Wer ein Zweitstudium verfolgt, soll 500 Euro
bezahlen. Durch die geplante Streichung bei
den Zuschüssen für das Studentenwerk
würden die Essenspreise in der Mensa, die
Mieten der Wohnheime und die Semesterbeiträge
erhöht. Angestellte sollen nicht mehr nach
Bundesangestelltentarif bezahlt und die studentische
Mitbestimmung drastisch abgebaut werden. Am
21. Mai beschlossen 2000 Studierende in Bielefeld
einen einwöchigen Streik. In den folgenden
Tagen und Wochen dehnte sich die Streikbewegung
auf nahezu alle Hochschulen in Nordrhein-Westfalen,
insbesondere in Köln und Düsseldorf,
aus. 30 000 Studierende forderten am 8. Juni
in Düsseldorf, die Studentenwerke und das
Schulsystem zu erhalten und auszubauen. Auf
Druck der Bewegung hat die Regierung die 50
Euro Semstergebühren inzwischen zurückgenommen.
In
Hamburg übernahm im Herbst 2001 eine CDU-FDP-rechtspopulistische
Koalition die Regierung. Bereits die rot-grüne
Regierung stand für ein Programm neoliberaler
Gegenreformen. Die neue Regierung versucht nun,
mit brachialer Wucht in vielen Bereichen ihre
antisoziale Offensive durchzusetzen. Dazu gehört
insbesondere der gesamte Bildungsbereich. Der
Senat will Studiengebühren für "Langzeitstudenten"
von 500 Euro und eine Verwaltungsgebühr
von 50 Euro für alle Studenten einführen.
Besonders empörend ist die Zwangsexmatrikulation
bei Überschreitung der doppelten Regelstudienzeit
oder bei für die Universität schädlichen
Verhaltens. Die universitäre Selbstverwaltung
soll eingeschränkt werden und ein externes
Expertengremium den Präsidenten und die
Dekane bestimmen.
An
den Schulen hatte sich bereits Widerstand gegen
die Sparpolitik geregt. Am 10. Juni demonstrierten
rund 50 000 LehrerInnen und SchülerInnen
gegen den Senat. Das Echo auf eine in der gleichen
Woche stattfindende Aktionswoche an der
Universität war zunächst noch verhalten.
Das änderte sich, als die Universitätsleitung
gegen eine Blockade eines Unigebäudes am
13. Juni die Polizei rief. Empört forderten
über 1000 Studierende an einer Vollversammlung
am folgenden Tag den Rücktritt des Unipräsidenten
und die Zurücknahme der Gebührenvorlage.
Die Bewegung gewann nun an Breite. Am 17. und
18. Juni fanden erneut Besetzungsaktionen auf
dem Campus statt. Der vorläufige Höhepunkt
war ein breiter Warnstreik am 26. Juni, der
von Besetzungsaktionen über Nacht und einer
Demonstration im Geschäftszentrum der Stadt
begleitet wurde. Am gleichen Tag demonstrierten
auch Feuerwehrleute und PolizistInnen, Bankangestellte
und SchülerInnen, aber jeweils getrennt.
Problematisch
ist, dass der Föderalismus in der Umsetzung
der Gegenreformen zunächst die Landesregierungen
als Hauptgegner erscheinen lässt. Es zeigt
sich aber bereits, dass die Angriffe der sozialdemokratisch-grünen
Regierung in NRW, der rechten Regierung in Hamburg
und der SPD-PDS Regierung in Berlin letztlich
dieselbe Stoßrichtung aufweisen. Die Herausforderung
besteht darin, eine bundesweite Bewegung zu
entwickeln, die sich zudem mit den betrieblichen
und gewerkschaftlichen Auseinandersetzungen
verbindet. (CZ) |