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Wird 2004 wirklich alles besser ?

Die angeblich guten Wirtschaftsprognosen verschleiern einen Konflikt
zwischenUnternehmern und Lohnabhängigen

von Charles-André Udry, aus Debatte Nr. 7 Januar 2004

Wie immer haben zu Jahresbeginn die Wirtschaftsprognosen Hochkonjunktur. Und seit 25 Jahren folgt ihnen mit derselben Regelmässigkeit, Quartal für Quartal, die Korrektur. Wie sagte doch schon Mark Twain (1835-1919), der Schriftsteller aus dem amerikanischen Westen : "Was euch Schwierigkeiten bereitet ist nicht das, was ihr nicht wisst, sondern das, was euch sicher scheint und doch nicht das ist, was ihr glaubt." Vergessen wir diesen Satz nicht, wenn wir Titel wie den folgenden lesen : "So wird 2004. Börse, Konjunktur, Jobs : Warum im nächsten Jahr alles besser wird" (Cash, 24. Dezember 2003).

Dies um so mehr, als dieselbe Presse einen weiteren Anstieg der Krankenkassenprämien, der Posttarife und der SUVA-Beiträge ankündigt (NZZ am Sonntag, 11.1.2004) und für 2003 in der Maschinenindustrie einen Rückgang der Beschäftigung um 5.1 % verzeichnet, ohne Anzeichen für die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen. Ähnlich sieht es bei den Banken aus (-4.3 %), im Gastgewerbe (-3.5 %) oder im Grosshandel (-3.3 %). Und alle diese Sektoren werden im Versuch, ihre Gewinnmarge zu halten, weiterhin "rationaliseren", das heisst die Arbeit flexibilisieren, die Möglichkeiten des vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB) akzeptierten Arbeitsgesetzes bis aufs Äusserste nutzen, die Arbeitsintensität steigern und im Namen der Polyvalenz die Aufgaben jeder / s einzelnen Lohnabhängigen vermehren. Eine Person soll also die Arbeit von zwei Personen erbringen. Darüber hinaus wird der Lohn weiterhin stagnieren, oder genauer gesagt sinken, wenn wir die tatsächliche Inflation berücksichtigen.

Doch "im nächsten Jahr wird alles besser." Für wen ? Für die Unternehmer und die Grossaktionäre, die auf verschiedenen Hochzeiten tanzen und sich immer irgendwie aus der Affäre ziehen können ? Für die grosse Mehrheit der Lohnabhängigen ? Für die Student / innen, die zur Finanzierung ihres Studiums arbeiten müssen, oder deren Eltern den Gürtel enger schnallen, um sie beim Studium zu unterstützen, ohne Garantie, dass sie nachher einen sicheren Arbeitsplatz finden ? Für die in der Industrie beschäftigten Frauen, deren Nettolöhne nicht über 2,800 oder 3,000 Franken pro Monat liegen ? Für die Personen im Ruhestand, die keine 2. Säule haben oder deren 2. Säule weit weniger einbringt, als ihnen 1972 (Abstimmung über die Volkspension) oder 1985 (Einführung der obligatorischen 2. Säule) vorgegaukelt wurde ?

Diese Fragen zeigen uns schon, dass es keine "Wirtschaft" gibt, sondern eine Gesamtheit gesellschaftlich-wirtschaftlicher Beziehungen, die auf dem Verhältnis zwischen den "Wirtschaftsführern" - sie werden immer mehr zu "Führern" des Alltagslebens bei der Arbeit, wo freundlich gelächelt und ein Anschein von Partizipation erzeugt werden soll - und den Lohnabhängigen beruht. Sie sind gezwungen, die ihnen auferlegten Lebens- und Arbeitsbedingungen zu akzeptieren - unter dem Druck der Arbeitslosigkeit und der Angst, keine neue Stelle zu finden, entlassen zu werden, in den Augen der Kollegen / innen schlecht dazustehen. Denn die Unternehmer organisieren die Konkurrenz unter den Lohnabhängigen. Diese nimmt schärfere Züge an als die Konkurrenz unter den Kapitalisten, weil die Gewerkschaftsführungen schwach sind und keine Organisation aufbauen wollen, keinen Widerstand... Sie träumen viel mehr von Runden Tischen und spektakulären Auftritten in der Arena.

Weiterhin und noch einmal"besser arbeiten" !

Bevor wir auf zwei wichtige Fragen eingehen, halten wir noch Folgendes fest : Sollte es in der Schweiz zu einem Aufschwung kommen, wird er sehr bescheiden ausfallen (zwischen 0.9 % laut Credit Suisse und 1.9 % laut Seco). Und die Politik der Unternehmer sowie der sozial-demokratischen Führer der SBB, der Post, usw. wird sich auch nicht ändern : Erhöhung der Arbeitsproduktivität ; noch einmal bis zur Erschöpfung gesteigerte Ausbeutung der Arbeiter / innen und Verstärkung des Stresses mit seinen physischen, psychologischen und gesundheitspolitischen Auswirkungen ; Kürzung der Sozialausgaben ; Verschärfung der Selektion im Bildungswesen.

Was die Löhne angeht, so reichen zwei Zahlen aus, um die Differenz zwischen der Realität und den Forderungen aufzuzeigen, die der ehemalige Schönwettermarxist Serge Gaillard (SGB) im Stile eines Rituals immer wieder öffentlich vorträgt : Zwischen 1999 und 2002 sind die Löhne in der Maschinenindustrie durchschnittlich um 1.5 % angestiegen (für viele Lohnabhängige sind sie also gar nicht gestiegen oder sogar gesunken) ; auf dem Bau waren es im Durchschnitt 2.7 %. Die Schlussfolgerung liegt auf der Hand : Der Anteil der Löhne an einer Produktionseinheit (an einer Baustelle, einer Maschine, einem Dossier in der Bank, usw.) ist in der Schweiz weiter gesunken. Dies bestätigen auch die Berichte der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) in Basel. Die schweizerischen Unternehmer sind eine Avantgarde im Dienst des wettbewerbsfähigen "Standort Schweiz", unterstützt durch die Gewerkschaftsbonzen. Ausser ihnen hat niemand eine Stelle auf Lebenszeit.

Grösser werdende Ungleichgewichte

Kommen wir noch zu zwei grundsätzlichen Überlegungen.

- Der erste Punkt betrifft die Politik der Zentralbanken - und ihrer engsten Mitarbeiter : der Privatbanken - sowie der Regierungen. Sie stehen vor einem grundlegenden Problem, das sich wie folgt formulieren lässt : Angesichts der schwerwiegenden Finanzkrisen der 90er Jahre (Asien, Russland, Enron, Spekulationsfonds, grosse Konkurse in Japan, usw.) haben die amerikanischen Zentralbank und ihre europäischen und japanische Schwestern phantastische Summen Geld in die Zirkulation geworfen und dadurch die Zinssätze auf einen historischen Tiefstand gesenkt.

So haben die Zentralbanken während mehr als 13 Jahren 1) die Spekulation an den Börsen angetrieben ; 2) es den Banken ermöglicht, durch Kommissionen auf Finanzgeschäfte riesige Summen einzustreichen und Verluste auszugleichen, die aus missglückten Spekulationen, dem unüberlegten Aufkauf von Finanzunternehmen zum Zweck der Ausweitung des eigenen Einflusses, dem Konkurs von Kunden, usw. resultierten ; 3) durch eine Hypotheken-Politik ohne Grenzen einen neuen Boom (eigentlich eine Blase) im Immobiliensektor gefördert ; 4) es den Grosskonzernen erleichtert, mit billigem Geld ihre eigenen Aktien zu kaufen ; 5) den Konsum auf Kredit in bisher unbekanntem Ausmass gefördert (SonntagsZeitung, 11.1.2004, S.49).

13 Jahre dieser Politik haben Risiken erzeugt, die auch nach den ersten Erschütterungen an den Börsen (März 2001 bis März 2003) gross bleiben.

1. Falls die Zinssätze in den USA ansteigen, um riesige Massen von Kapital ins Land zu holen, wird es zu zahlreichen Konkursen kommen. Stark verschuldete Unternehmen werden nicht mehr in der Lage sein, ihren zahlreichen Verpflichtungen nachzukommen.

Und wenn die Zinssätze auch in Europa wieder ansteigen, könnte dies dem angekündigten Aufschwung bereits den Todesstoss versetzen. Eine erneute Rezession wäre möglich. Dies zu einem Zeitpunkt, in dem es noch unsicher ist, ob die produktiven Investitionen (ein Motor jedes kapitalistischen Aufschwungs) an die Stelle eines sich erschöpfenden Konsums treten werden. Sicher ist hingegen (und diesbezüglich täuscht sich Mark Twain), dass die Unternehmer in den strategischen Sektoren noch mehr Stellen streichen werden.

2. Falls die Zinssätze unverändert bleiben, wird sich Inflation einstellen. Dies wird den Konsum der Haushalte ins Stocken bringen, auf den sich die amerikanische Wirtschaftsmaschinerie so sehr stützt, welche wiederum den eigentlichen Motor der Weltwirtschaft darstellt.

- Die zweite Überlegung betrifft die amerikanische Wirtschaft. Die USA umfassen 20 bis 21 % des weltweiten BIP. Während dem Boom der so genannten "New Economy" (1995-2002) haben sie allein für durchschnittlich 40 % des weltweiten Wachstums gesorgt.

Diese Bedeutung ist direkt mit der Tatsache verknüpft, dass die USA den Löwenanteil der weltweiten Kapitalströme nach Wall Street zu lenken vermögen, um die Obligationen (die Schulden) der transnationalen Konzerne und des Staates zu finanzieren. Die Defizite der Zahlungsbilanz und der staatlichen Haushalte haben in den USA ein Rekordniveau erreicht. Die Zahlungsbilanz der USA (Handelsbilanz plus Bilanz der "unsichtbaren" Finanzströme (invisibles) : Versicherungen, Transportwesen, Zinsen, einseitige Zahlungen : öffentliche Hilfe, Löhne, usw.) weist Ende 2003 einen Fehlbetrag von 500 Milliarden Dollar auf. Die Aussenschuld der USA liegt bei 30 % des BIP (3 Billionen Dollar). Deshalb hat Alan Greenspan von der Fed (US-Zentralbank) besorgt die Frage gestellt, ob es möglich sei, dass die Ersparnisse der ganzen Welt weiterhin in die USA fliessen (New York Times, 4.11.2003). Die asiatischen Banken, die über ca. 70 % der weltweiten Devisenreserven verfügen, haben vor allem in amerikanische Obligationen investiert. Werden sie dies weiterhin tun, ohne dass die Zinssätze zu diesem Zweck ansteigen müssen ?

Für die schweizerischen Kapitalisten bedeuten ein müder deutscher Kapitalismus und ins Wanken geratende USA keine "bessere" Zukunft. Was die Zukunft der Lohnabhängigen angeht, so hängt sie von ihrer eigenen kollektiven Aktion ab.