Nein zur 11.
AHV-Revision !
Mit
der 10. AHV-Revision (1997) wurde das
Rentenalter der Frauen von 62 auf 64
Jahre erhöht. Um dies durchzusetzen,
hatte Bundesrätin Ruth Dreifuss
(SP) damals versprochen, die 11.AHV
– Revision werde das flexible
Rentenalter für alle bringen.
Wir wissen es mittlerweile besser. Der
Angriff auf die Renten geht mit der
Vorlage zur 11. AHV-Revision unvermindert
weiter. Die herrschenden Kreise fordern
in der Vorlage den Abbau von Rentenleistungen
in der Höhe von beinahe einer Milliarde
Franken pro Jahr: 445 Millionen durch
die Erhöhung des Rentenalters der
Frauen auf 65 Jahre, 250 Millionen durch
die Kürzungen der Witwenrenten
und 150 Millionen Franken durch die
Verlangsamung der Teuerungsanpassung1.
Parallel zum Angriff auf die Renten
präsentieren die Herrschenden das
Steuergeschenkspaket für die Reichen,
sowie die Vorlage zur Erhöhung
der Mehrwertsteuer. Alle drei Projekte
verfolgen dasselbe Ziel: eine Umverteilung
des Reichtums von unten nach oben.
Rentenalter
67 Jahre?
Seit den neunziger Jahren hat die Verunsicherung
der Lohnabhängigen über ihre
ökonomische Lage im Alter spürbar
zugenommen. Sie wird durch den Bundesrat
und interessierte Kreise bewusst geschürt
und hat mit den Forderungen von Bundesrat
Couchepin (FDP), das Rentenalter auf
67 Jahre zu erhöhen und den Mischindex
abzuschaffen, einen vorläufigen
Höhepunkt erreicht. Unterstützt
wird Couchepin unter anderen vom Schweizerischen
Gewerbeverband (SGV). „Im Rahmen
der 12. AHV-Revision, muss die Erhöhung
des Rentenalters auf 67 Jahre beschlossen
werden“, erklärte SGV-Vizedirektor
Kurt Gfeller anlässlich einer Pressekonferenz
2. Zudem müsse
man von der Vorstellung Abschied nehmen,
dass die Löhne im Verlaufe des
Erwerbslebens (Dienstalter) kontinuierlich
anzusteigen hätten. Gleichzeitig
will der SGV die wachsende Zahl von
IV-RentnerInnen mit einschneidenden
Massnahmen stoppen: Schluss mit lebenslangen
Renten, lautet dabei unter anderem das
Rezept.
Die
Katastrophenprognosen des Bundesrates
bezüglich der Finanzierbarkeit
der AHV haben sich jedoch noch nie bewahrheitet.
Im Jahr 2000, in der Botschaft zur 11.
AHV-Revision hat der Bundesrat, gestützt
auf die IDAFiSo-Zahlen 3,
für 2000 ein negatives Resultat
von 40 Millionen Franken vorhergesagt.
Das effektive Resultat lag dann bei
positiven 1'070 Millionen. Für
das Jahr 2003 hat sich der Bundesrat
sogar um 3 Milliarden Franken „verschätzt“.4
Geld
ist genug da
Seit ihrer Entstehung im Jahre 1948
schrieb die AHV beinahe immer schwarze
Zahlen. Die wenigen Defizitjahre beschränken
sich auf die Zeit der Ölkrise in
den siebziger Jahren und auf drei Jahre
am Ende des 20. Jahrhunderts. Defizite
über 500 Millionen gab es nur 1978,
1997 und 1998. Dagegen hat die AHV in
20 Jahren Überschüsse von
über 500 Millionen ausgewiesen,
in einzelnen Jahren sogar von über
2 Milliarden.
Hinzu kommt, dass die Menge des produzierten
Reichtums, also das, was für Renten
und Gewinne zur Verfügung steht,
durch die massive Steigerung der Produktivität
der Arbeit sehr stark gewachsen ist
und weiterhin wächst. Ein bestimmtes
Mass an Reichtum wird von immer weniger
und immer weniger lang arbeitenden Menschen
erbracht - unter anderem auch als Folge
der steigenden Arbeitslosigkeit. Jede
und jeder Erwerbstätige produziert
heute doppelt so viel wie vor 30 Jahren.
Dadurch liessen sich nicht nur die steigende
Lebenshaltung der Erwerbstätigen,
sondern auch die Einkommen der "Nichterwerbstätigen",
das heisst der Rentner und der Bezüger
Kapitaleinkommen, finanzieren. Die Gewinnsteigerungen
der letzten Jahre haben gezeigt, wohin
das Geld "verschwunden" ist.
Jede Lohnerhöhung unterhalb des
Anstiegs der Produktivität bedeutet
eine Senkung der Lohnquote, das heisst
des für Löhne und Renten zur
Verfügung stehenden Anteils am
Gesamteinkommen. Die Unternehmen wollen
nicht, dass die Renten zu Lasten der
Gewinne finanziert werden: Dieses Interesse
steht im Zentrum der bürgerlichen
Propaganda zur Zukunft der Altersvorsorge.
In
der Bundesverfassung (Artikel 112) steht
unmissverständlich geschrieben:
Die Renten müssen den Existenzbedarf
angemessen decken. Doch über die
Hälfte aller Personen, die in einem
Rentnerhaushalt leben, verfügen
über ein Gesamteinkommen von unter
3'470 Franken monatlich. Dies zeigt
die Bedeutung der AHV-Rente, die heute
zwischen 1’055 und 2’110
Franken für Alleinstehende und
2’110 bis 3’165 Franken
für Ehepaare beträgt und damit
deutlich unter dem Existenzminimum liegt.
Die
11. AHV-Revision geht erneut zu Lasten
der Frauen
Wie schon bei der 10. sind auch bei
der 11. AHV-Revision die Frauen besonders
betroffen. Im Jahr 2000 betrug die durchschnittliche
AHV-Rente für Frauen 1'663 Franken
pro Monat. Die durchschnittliche Rente
aus der 2. Säule (Pensionskasse)
lag für Frauen bei 1'337 Franken.
Jede zweite Frau mit einer Rente aus
der 2. Säule erhielt weniger als
833 Franken. 500'000 erwerbstätige
Frauen (28%) sind bei der 2. Säule
gar nicht versichert, weil sie „zuwenig
verdienen“ (Koordinationsabzug).
Nun sollen die Frauen nochmals ein Jahr
länger arbeiten müssen, es
sollen ihnen die Witwenrenten massiv
zusammengekürzt werden, und sie
werden die Änderungen beim Mischindex
besonders stark zu spüren bekommen.
Diese Massnahmen gehen von denselben
Kreisen aus, die auch die Mutterschaftsversicherung,
die Finanzierung der Kinderkrippen und
die Löhne der Frauen angreifen.
1
Nach dem sog. Mischindex werden heute
die Renten der AHV/IV alle zwei Jahre
an die Lohn- und die Preisentwicklung
angepasst. Gemäss der 11. AHV-Revision
soll diese Anpassung nur noch alle drei
Jahre erfolgen.
2
10 Schritte zum Aufschwung, Pressekonferenz
des Schweizerischen Gewerbeverbandes
am 12. Februar 2004.
3
Interdepartementale Arbeitsgruppe: "Finanzierungsperspektiven
der Sozialversicherungen“
4
Die AHV-Rechnung hat auch 2003 positiv
abgeschlossen. Der Überschuss betrug
fast 2 Mia Franken: Das ist rund 3 Mia
Franken besser als der Bundesrat anfangs
2000 in seiner Botschaft zur 11. AHV-Revision
für das Jahr 2003 prognostiziert
hatte.
Nein zum Steuerpaket
!
Die
Krise, die leeren Kassen und das Steuerpaket
Spätestens seit Anfang der 70er
Jahre befindet sich die kapitalistische
Wirtschaft in einer langen Phase verlangsamten
Wachstums. Dadurch hat sich die Konkurrenz
im Industrie- und Bankensektor der Industrieländer
und zwischen den einzelnen Volkswirtschaften
verschärft. Im Gefolge dieser Krise
der kapitalistischen Wirtschaft hat
sich eine „neoliberale“
Politik des Abbaus durchsetzen können,
welche sich den Angriff auf die seit
Ende des 19. Jahrhunderts von den Lohnabhängigen
und der ArbeiterInnenbewegung errungenen
sozialen Fortschritte auf die Fahne
geschrieben hat. In der Finanzpolitik
verfolgen das Bürgertum beharrlich
und zielbewusst die so genannte Politik
der leeren Kassen mit dem Ziel, den
Staat in eine dauerhafte Finanzkrise
zu manövrieren. Im Strudel der
wirtschaftlichen Rezession wälzen
die Herrschenden die Kosten für
Steuergeschenke an die Reichen und die
stiegende Profite der Bosse auf die
lohnabhängige Bevölkerung
ab. Die Rezepte lauten in allen Ländern
gleich: Erhöhung des Rentenalters
(trotz steigender Arbeitslosigkeit,
Senkung der Rentenbezüge, massivem
Abbau bei den Leistungen der öffentlichen
Hand, Privatisierungen, brutalem Abbau
des Schutzes bei Erwerbslosigkeit) und
Umbau des Steuersystems: weg von den
progressiven Einkommenssteuern, hin
zu mehr indirekten Steuern. Dies alles
zulasten der Lohnabhängigen. Alle
drei Abstimmungsvorlagen vom 16. Mai
stehen unter diesen Vorzeichen.
Für
die herrschende Klasse hat diese Politik
viele Vorteile. Sie schafft durch die
Behauptung der Finanzkrise ein günstiges
ideologisches Klima für den Abbau
von „Sozialstaat“ und Service
Public. Das durch Steuergeschenke an
die Reichen geschaffene Defizit erweist
sich als geeignetes Druckmittel, um
den Staat schrumpfen zu lassen. Darunter
verstehen die Kapitaleigner einerseits
die Reduzierung von Ausgaben, die ihnen
keinen direkten Nutzen bringen, wie
Ausgaben für Soziales, Bildung,
Kultur etc. Anderseits wollen sie die
Privatisierung einträglicher Staatsgeschäfte
durchsetzen und so die Investitionsmöglichkeiten
für ihr Kapital erweitern. Darüber
hinaus erlaubt es diese Defizitpolitik,
das Steuersystem fortlaufend umzuändern,
wobei ein enormer Transfer der Steuerbelastung
von den Kapitalbesitzern auf die Lohnabhängigen
stattfindet.
Nur
die Reichen profitieren
Die Haushalte mit mittleren und tiefen
Einkommen mussten in den letzten 10
Jahren empfindliche Einkommenseinbussen
einstecken. Laut Strukturbericht Nr.
12/2002 des Seco1
ist das verfügbare Einkommen (Einkommen
abzüglich Sozialversicherungsbeiträge,
direkte und indirekte Steuern, Miete
und Krankenkassenprämien) der Haushalte
mit tiefen und mittleren Einkommen um
über 12% gesunken, während
die reichen Haushalte (die reichsten
10%) ihr Einkommen um 12% steigern konnten.
Das Schema der Umverteilung von unten
nach oben wird mit diesem Steuerpaket
weitergeführt. Durch die Steuergeschenke
werden die Reichen noch reicher.
Der Einnahmenausfall von über 5
Milliarden Franken führt unweigerlich
zu einer Weiterführung der rigorosen
Sparpakete und des Leistungsabbaus auf
Bundes- und Kantonsebene. Die Zeche
werden die Lohnabhängigen und BenutzerInnen
der öffentlichen Dienste bezahlen.
Mehr
oder weniger schlecht als „Steuerentlastungsprogramm
für Familien“ getarnt, entpuppt
sich die Vorlage zur Ehe- und Familienbesteuerung
einmal mehr als Geschenk an die Reichen
und Besitzenden und wird die Lohnabhängigen
und ihre Familien teuer zu stehen kommen.
Um etwa 2.2 Milliarden Franken sollen
vor allem die Reichen steuerlich entlastet
werden. Auf eine Oberschicht von 5.4%
(228'000) der Steuerpflichtigen werden
62.4% der Steuerentlastungen verteilt
(durchschnittlich 3'947 Fr). Alleine
die 1.4% Steuerpflichtigen mit einem
Bruttoeinkommen von über 230'000
Franken werden durchschnittlich 7'500
Franken weniger an Bundessteuern bezahlen
und nehmen damit einen Drittel des gesamten
Steuergeschenks für sich in Anspruch.
Die überwiegende Mehrheit von rund
vier Millionen Steuerpflichtigen (94.6%)
müssen die verbleibenden 37.6%
unter sich aufteilen (durchschnittlich
135 Fr.).
Von
wegen Steuererleichterungen für
Familien: Die Einkommensklassen, in
welchen die meisten Kinder leben, kommen
überhaupt nicht in den Genuss von
Steuererleichterungen, weil sie heute
schon keine direkte Bundessteuer bezahlen.
Eine Untersuchung des BASS2
zeigt, dass über die Hälfte
aller Kinder in Familien mit einem Bruttoein-
kommen von unter 90'000 Franken leben.
Die Steuerentlastung, die das Steuerpaket
für diese Familien vorgesehen hat,
beträgt höchstens 350 Franken.
Die Studie zeigt weiter, dass drei Viertel
aller Kinder in Haushalten mit einem
Bruttoeinkommen von unter 120'000 Franken
jährlich aufwachsen. Auch hier
bedeutet die Steuerentlastung von ein
paar hundert Franken pro Jahr keine
entscheidende Entlastung. Ab einem Haushaltseinkommen
von 200'000 Franken hingegen beginnen
die Steuererleichterungen in Höhe
von rund 4'000 Franken einzuschenken
– sie kommen allerdings nicht
vielen Familien zu gute, leben doch
in diesen Haushaltskategorien nur gerade
6% aller Kinder. Nicht genug, das Steuerpaket
begünstigt vor allem wohlhabende
Ehepaare ohne Kinder, und dies in einem
weit grösseren Ausmass als die
reichen Familien mit Kindern. Damit
greift auch das Argument der Familienförderung
ins Leere.
Steuergeschenke
an Villenbesitzer und weitere Abbauprogramme
Mit den Steuerausfällen von gegen
1.8 Milliarden Franken, welche die Änderung
der Wohneigentumsbesteuerung zur Folge
hat, werden vor allem reiche Villenbesitzer
beschenkt. Die Ungleichheit zwischen
MieterInnen und WohneigentümerInnen
wird weiter vergrössert. Neben
den weiterhin geltenden, ungerechten
Abzugsmöglichkeiten für Schuldzinsen
und Unterhaltskosten inunbeschränkter
Höhe (!) wird ein Bausparabzug
(bis 24'000 Franken jährlich für
Paare) eingeführt. Die Ausgaben
des Bundes für den sozialen Wohnungsbau
wurden hingegen erst gerade wieder gekürzt.
Einen Abbau von 9 Milliarden Franken
am Service Public sehen die aktuellen
Pläne des Bundes sowie von 14 Kantonen
und 3 Halbkantonen vor. 8'200 Vollzeitstellen
beträgt der damit verbundene Personalabbau
beim Bund und den Kantonen. Die Auswirkungen
dieses Kahlschlags kennen wir alle:
Abbau bei den sozialen Leistungen, Kürzungen
im Bildungsbereich und Leistungsabbau
im Gesundheitswesen. Dabei sind die
Auswirkungen des Steuerpakets bei diesen
Abbauplänen noch gar nicht einberechnet.
Sie werden Anlass für weitere Abbaumassnahmen
sein und dann einen bereits ausgebluteten
Service Public treffen.
1
Strukturberichterstattung Nr. 12: Globalisierung
und die Ursachen der Umverteilung in
der Schweiz
Analyse der strukturellen und sozialen
Umverteilungen in den 90er Jahren in
einem Mehrländergleichgewichtsmodell
März 2002
2
BASS, Büro für Arbeits- und
sozialpolitische Studien, Bern
Demo
gegen den Kahlschlag vom 02.Juli 03
in Zürich
Nein
zur Erhöhung der Mehrwertsteuer
!
Indirekte
Steuern, gestern und heute
Seit einer Rede von Ferdinand Lassalle
(1825-1864) vor dem Berliner Kammergericht
steht die Aussage im Raum: Indirekte
Steuern haben eine Regressionswirkung
zur Folge. Anders gesagt werden untere
Einkommensschichten (zugunsten der oberen
Einkommensschichten) durch indirekte
Steuern wie die Mehrwertsteuer besonders
stark belastet.
Eine Mehrwertsteuererhöhung bedeutet
eine Umverteilung von unten nach oben,
von arm zu reich. Ursache hierfür
ist die unbestrittene Tatsache, dass
Einkommensschwache einen grösseren
Anteil ihres Einkommens für den
Konsum verwenden müssen als Bezieher
hoher Einkommen.1
Wohl deshalb meint Thomas von Ungern,
Professor an der Universität Lausanne:
„Der Charme der Mehrwertsteuer
liegt für einen Freisinnigen darin,
dass sie die Armen besonders trifft“2.
Es handelt sich um eine eigentliche
Armensteuer.
Die sozialen Defizite der Umsatzsteuer
waren in Deutschland bereits 1919 bekannt,
deshalb sah der Paragraph 14 des Gesetzes
über die Umsatzsteuer vor, „dass
aus dem Aufkommen der Umsatzsteuer eine
Vergütung an die Bezieher geringer
Einkommen zu zahlen sei“. Damit
sollte die antisoziale Wirkung der Umsatzsteuer
ausgeglichen werden. Diese Bestimmung
wurde bereits im März 1920 wieder
gestrichen. Nicht weil sie unnötig
geworden wäre, sondern weil sich
im Parlament die Vertreter des Kapitals
durchgesetzt hatten.
Die
Mehrwertsteuer als Basis für Steuergeschenke
an die Reichen
Am antisozialen Charakter der Mehrwertsteuer
hat sich bis heute nichts verändert,
im Gegenteil: Jede Erhöhung des
Steuersatzes verstärkt die Umverteilungswirkung.
Studien aus Frankreich und Deutschland
über die Belastung der verschiedenen
Einkommensschichten durch die Mehrwertsteuer3
zeigen, dass die relative Belastung
der niedrigsten Einkommen rund doppelt
so hoch ist wie die Belastung der hohen
Einkommen. Während die Einkommenssteuer
sich explizit am Leistungsfähigkeitsprinzip
orientiert und durch den progressiven
Tarif und gezielte Freibeträge
(z.B. für kinderreiche Familien)
ansatzweise Umverteilungselemente zugunsten
der niedrigen Einkommen enthält,
ist die Mehrwertsteuer als reine Konsumsteuer
nur mittelbar von Einkünften und
Familienkontext abhängig. In einem
Kilo Brot oder einem Pfund Butter steckt
für einen Sozialhilfeempfänger
wie für einen Millionär derselbe
Frankenbetrag an Mehrwertsteuer. Das
ist es, was für die Reichen und
Herrschenden den Reiz der Mehrwertsteuer
ausmacht. Für sie ist es das erklärte
Ziel, die direkte Bundessteuer mit ihrer
progressiven Wirkung zugunsten einer
weiteren Erhöhung der Mehrwertsteuer
und anderer indirekter Steuern abzuschaffen.
Eine weitere Etappe dieses Umbaus des
Steuersystems steht mit der Mehrwertsteuervorlage
vom 16. Mai an. Die Erhöhung des
Mehrwertsteuersatzes von 7.6% auf 9.4%
würde die prekäre Lage der
Lohnabhängigen noch zusätzlich
verschlechtern. Sie trifft diejenigen
am härtesten, die für ihr
Geld nicht Aktien (der Kapitalmarkt,
das heisst die Welt der Banken und Versicherungen
ist von der Mehrwertsteuer befreit),
sondern lebensnotwendige Dinge wie Nahrung
und Kleider kaufen. Statt der Bosse
werden die SozialhilfeempfängerInnen,
Arbeitslosen und ArbeiterInnen zur Kasse
gebeten. Ein Haushalt mit einem Bruttoeinkommen
von 80'000 Franken pro Jahr würde
bei Annahme der Vorlage 768 Franken
pro Jahr an Kaufkraft verlieren4.
Dies zusätzlich zu den bereits
in Schwindel erregende Höhe gestiegenen
Krankenkassenprämien, zu den unzähligen
Abgaben und Gebühren, welche in
den letzten Jahren unter dem Motto des
„Verursacherprinzips“ auf
die Lohnabhängigen abgewälzt
wurden (Kehrichtmarken, usw.) und immer
denselben Charakter haben: sie kosten
die Menschen mit den niedrigsten Einkommen
gleich viel wie Millionäre und
Milliardäre. Zudem bildet die Erhöhung
der indirekten Steuern die Basis für
die gigantischen Steuergeschenke an
die Reichsten bei den direkten Steuern.
Wider
besseres Wissen
Den antisozialen Charakter der Mehrwertsteuer
scheinen auch die „offiziellen“
Vertreter der ArbeiterInnenbewegung
erkannt zu haben. Zu Beginn dieses Jahres
äusserte sich Serge Gaillard, der
Generalsekretär des Schweizerischen
Gewerkschaftsbundes (SGB), dazu wie
folgt: "Alle sozialen Kosten der
Krise wurden auf die Lohnabhängigen
abgewälzt. Man hat die Mehrwertsteuer
eingeführt, zwei Mal die Benzinsteuer
erhöht und ohne Unterbruch die
Krankenkassenprämien angehoben.
Viele Haushalte haben als Folge davon
einen Rückgang ihrer Kaufkraft
erfahren. Deshalb scheint es uns vollständig
falsch zu sein, einerseits den Paaren
mit hohen Einkommen und den Immobilienbesitzern
Steuergeschenke zu machen und anderseits
die Mehrwertsteuer immer noch mehr zu
erhöhen, was zu Lasten der Familien
und der tiefen Einkommen geht."5
Noch deutlicher: „Erstens ist
es sozial inakzeptabel, andauernd die
Mehrwertsteuer zu erhöhen und gleichzeitig
die direkten Steuern zu senken. Die
Mehrwertsteuer belastet in erster Linie
Familien und Haushalte mit unterdurchschnittlichen
Einkommen. Die Senkung der direkten
Steuern entlastet die Haushalte mit
hohen Einkommen“.6
Uns brennt deshalb die Frage unter den
Fingernägeln: Wie ist es möglich,
dass der Schweizerische Gewerkschaftsbund
(SGB) trotz der korrekten Analyse ihres
Generalsekretärs die Vorlage von
Pascal Couchepin zur Erhöhung der
Mehrwertsteuer unterstützt? Der
SGB befindet sich mit seiner Position
allerdings in der guten Gesellschaft
von Michael Sommer, dem Bundesvorsitzenden
des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB).
Dieser hatte sich an einer Veranstaltung
des hessischen Gewerkschaftsbundes zum
Sprecher der deutschen Unternehmer gemacht
und eine Erhöhung der Mehrwertsteuer
in Deutschland von 16% auf 18% zum Zweck
der Senkung der Lohnnebenkosten gefordert.
Auch die Sozialdemokraten stellen sich
in ihrer Dokumentation zu den Abstimmungen
vom 16. Mai noch die Frage, ob denn
die Mehrwertsteuer nicht eine antisoziale
Steuer sei. Sie bemängeln, dass
die Mehrwertsteuer weniger progressiv
als direkte Steuern sei und ganz tiefe
Einkommen etwas mehr belaste als Lohnprozente,
kommen aber zum Schluss, dass die Verwendung
der Mehrwertsteuer zur Finanzierung
der Sozialversicherungen die bei weitem
sozialste Verwendung dieser Steuer sei7.
Die Grünen Schweiz stimmen der
Erhöhung der Mehrwertsteuer nur
zähneknirschend zu.
Bisher hatten die „offiziellen
Vertreter“ der ArbeiterInnenbewegung
unter einer gerechten Steuer immer eine
Steuer verstanden, die hohe Einkommen
stärker belastet als niedrige –
und gerade deshalb die Erhöhung
von Massensteuern wie der Mehrwertsteuer
abgelehnt. Mit ihrem Ja zur Erhöhung
der Mehrwertsteuer lassen SGB und SP
bei dieser Gelegenheit auch die bürgerlich-keynesianische
These fallen, eine Belebung der Wirtschaft
erfordere vor allem eine Erhöhung
der Massenkaufkraft.
1
Familien in Baden-Württemberg –
Familienbericht 1998. Nach diesem Bericht
liegt die Konsumquote (als Anteil des
privaten Verbrauchs an den ausgabefähigen
Einkommen für 1993) z.B. bei Einkommen
von 2'000 – 2'500 DM für
Ehepaare bei 97%, bei Einkommen zwischen
10'000 – 25'000 DM nur noch bei
54%.
2
Le Matin, 25. Mai 2003
3
Eine Studie des französischen nationalen
Amtes für Wirtschaftsstatistiken
(INSEE) aus dem Jahre 1997 zeigt auf,
dass die Mehrwertsteuer 13% der Einkommen
einfacher Haushalte verschlingt gegenüber
7% der reichsten Haushalte.
Zu ähnlichen Resultaten gelangt
auch die Studie „Welche Haushalte
zahlen wie viel Mehrwertsteuer“
von Peter Jacobebbinghaus aus dem Jahre
2003 zur Situation in Deutschland. Auch
da ist die Belastung der niedrigsten
Einkommen durch die Mehrwertsteuer mit
9% beinahe doppelt so hoch wie jene
der hohen Einkommen mit 5%.
4
Blick
vom 2. März 2004
5
Le Temps vom 3. Januar 2004
6
Alte Fehler vermeiden – Investieren
und sanieren statt Steuern senken. Serge
Gaillard in WOZ économique Nr.
4 vom 26. März 2004
7
Medienkonferenz
vom 22. März 2004 – Dokumentation
– Eidgenössische Volkksabstimmungen
vom 16. Mai 2004 – Die SP eröffnet
ihren Abstimmungskampf.