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Nicht krummbiegen lassen

Schöne Grüße aus dem Mesozoikum:

Heute wird der revolutionäre Sozialist Jakob Moneta 90 Jahre alt


Der heutigen politischen Jugend, die eine Zeit vor Gerhard Schröder oder gar vor Helmut Kohl nicht kennengelernt hat, muß der alte engagierte Gewerkschafter und politische Aktivist Jakob Moneta wie ein Dinosaurier aus dem erdgeschichtlichen Mittelalter, dem Mesozoikum, vorkommen. Seine ersten Erinnerungen sind Weltkriegserinnerungen. Der 1914 im damals noch österreichisch-ungarischen Ostgalizien Geborene wurde am Ende des Krieges nicht nur Zeitzeuge des revolutionären Zusammenbruchs dreier Monarchien (Rußland, Deutschland und Österreich-Ungarn). Er mußte 1918 auch erleben, wie seine nun polnische Heimatstadt Blasow die neue Unabhängigkeit nicht besser zu feiern wußte als mit einem Judenpogrom. Sozialismus und Barbarei – diese beiden Pole des 20. Jahrhunderts sollten Jakob Monetas Schicksal und Denken fortan prägen.

Gleiche und Freie im Kibbuz

Seine Familie flüchtete 1919 nach Köln, die Heimatstadt seines Vaters, eines Textilfabrikanten; dort durchlief er die Schule und bestand 1933 das Abitur. Er schloß sich dem Sozialistischen Jugendverband, der Jugendorganisation der aus einer linksoppositionellen Strömung der SPD hervorgegangen Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP), an und engagierte sich im Arbeitersport. Ende 1933 verließ der junge Jude und Sozialist das faschistische Deutschland und ging nach Palästina, um in einem Kibbuz zu (über)leben. »Würde man mich fragen, woher meine unverrückbare Zuversicht stammt, daß Menschen Habsucht, Jagd nach Geld, Konkurrenzneid, Selbstsucht, Unterwürfigkeit – jene zum großen Teil vom Kapitalismus mühsam anerzogenen ›menschlichen‹ Eigenschaften – ablegen können; würde man mich fragen, wo die tiefste Wurzel meines Glaubens daran liegt, daß Menschen ohne jeden äußeren Zwang als Gleiche und Freie im Kollektiv ihr Leben selbst gestalten können, ich würde antworten: Das hat mir meine Erfahrung in der Praxis des damaligen Kibbuz bewiesen.«

In Palästina organisierte er gewerkschaftliche Streiks für den Acht-Stunden-Tag und arbeitete mit Arabern zusammen. Dies brachte ihm den Ausschluß aus dem Kibbuz und 27 Monate Internierung 1939 ein. »Hier [im Gefängnis] gab es zwischen Juden und Arabern keine Unterschiede mehr, ebensowenig wie zwischen Politischen und Kriminellen.« Nach seiner Freilassung wurde er Journalist und ging 1948 als überzeugter Internationalist und Trotzkist nach Köln zurück: »In der falschen Hoffnung, die Geschichte würde dort weitergehen, wo sie nach der Revolution von 1918 unterbrochen worden war.«

Diskreter Trotzkismus

Er wurde zwar Redakteur der von Willi Eichler und Heinz Kühn geführten sozialdemokratischen Rheinischen Zeitung und Mitglied der SPD, doch im Geiste und hinter vorgehaltener Hand blieb er als Trotzkist ein heimatloser Linker jenseits von stalinistischem Bürokratismus und sozialdemokratischem Reformismus. Noch vor dem Tod Stalins veröffentlichte er sein erstes Buch, eine Kritik jener stalinistischen »Bibel«, die »Geschichte der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (Bolschewiki) – Kurzer Lehrgang« hieß. Ende 1953 ging er als Sozialreferent an die bundesdeutsche Botschaft nach Paris, wo er fast zehn Jahre leben und arbeiten sollte. Neben dieser offiziellen Arbeit engagierte er sich, von seinen Arbeitgebern unbemerkt, für die algerische Befreiungsfront.

Das Westdeutschland, in das er zurückkehren sollte, hatte sich entscheidend verändert. Große Teile seiner Generation der heimatlosen Linken waren nach langen Kämpfen gegen die Godesbergisierung der SPD enttäuscht und zermürbt. Nur wenige derjenigen, die in den 50er Jahren politisch führend aktiv waren, sehen wir nach 68 auf der neuen politischen Bühne wieder. Einer dieser wenigen war Jakob Moneta, der sich seinen Optimismus und seine Tatkraft im französischen »Exil« und seit seiner Rückkehr 1962 als Vorstandsmitglied der IG Metall und Chefredakteur der beiden einflußreichen Zeitungen metall und Der Gewerkschafter bewahren konnte.

Spielte er bis zu seiner Pensionierung 1978 im Gestrüpp der sozialistisch-revolutionären Kleinorganisationen eine gewisse Rolle als graue Eminenz der Gruppe Internationale Marxisten (GIM), so konnte er bald danach sein leicht kokettes, aber sympathisch-bezeichnendes Pseudonym »Anna Armand« lüften. Er wurde Kolumnist der linkssozialistischen Was tun und ab Mitte der 80er Jahre der Sozialistischen Zeitung (SoZ), für die er immer noch regelmäßig Texte schreibt und pünktlich abliefert.

Weltgeschichte packen

Trotz seines lebenslangen Engagements in linken Kleingruppen abseits des politischen Mainstreams war er nie Sektierer. Zuerst in der SPD und in der ehemals mächtigen westdeutschen Gewerkschaftsbewegung, seit der »deutschen Wende« in der überwiegend ostdeutschen PDS – immer versuchte er, parallel zu seiner Herzenstätigkeit den Kopf nicht zu vergessen und sich da einzubringen, wo er einen Zipfel der Weltgeschichte greifen konnte, ohne sich unendlich krummbiegen zu müssen. Die Substanz zum Einzelkämpfer haben bekanntlich nur wenige. Um aufrecht zu bestehen, muß man wahrscheinlich auf ein vergleichbar gelebtes Leben zurückblicken. Was ist schon die heutige linke Orientierungskrise verglichen mit der praktischen Erfahrung von Faschismus und Stalinismus?

Monetas sozialistischer Humanismus nahm zeitlebens die Versprechen frühbürgerlicher Aufklärung ernst und klagte sie für die Ohnmächtigen dieser Welt aktiv ein. Demokratie und Menschenrechte konsequent umsetzen, das vermochte bisher nur eine sozialistisch selbstbewußte, an die Wurzeln von Ausbeutung, Entfremdung und Erniedrigung die Axt anlegende kämpferische Arbeiterbewegung. Sich von dieser demokratischen Aufgabe nicht bürgerlich vereinnahmen zu lassen vermögen nur jene, die nicht vergessen, daß demokratische Fortschritte im 20. Jahrhundert nur gegen die bürgerliche Klasse durchzusetzen waren, die vermeintlich als deren natürlicher Exponent angesehen wird. Ein radikaler Demokrat muß auch heute noch ein konsequenter Sozialist sein. So wie kein Sozialist Glaubwürdigkeit verdient, der nicht verstanden hat, daß demokratische Freiheiten eine unhintergehbare Errungenschaft sind, die man für keine noch so schön gemeinte Erziehungsdiktatur auch nur vorübergehend suspendieren kann.

Jakob Moneta hat diese alte Lehre des heute abfällig betitelten »Arbeiterbewegungsmarxismus« zutiefst eingeatmet. Er hat sich bei all diesem nicht immer unproblematischen Sich-Einlassen auf das politische Hier und Jetzt in demselben nie hoffnunglos verfangen. Sozialistische Utopie war und ist kein abstraktes Ziel für ihn, sondern vor allem ein so weit als möglich auch persönlich gelebtes Ethos. Menschen wie er werden zunehmend kostbarer.

* Dieser Text ist einer Borschüre entnommen, die zum 90. soeben erschienen ist: Jakob Moneta: Solidarität im Zeitalter des Skeptizismus. Kommentare aus drei Jahrzehnten, SoZ-Verlag Köln 2004, 76 Seiten, 3 Euro. Neben einer Best-of-Sammlung von Monetas SoZ-Texten finden sich dort biografische Würdigungen u.a. von Ernest Mandel, Gregor Gysi, Gerhard Zwerenz und Winfried Wolf sowie ein aktuelles Vorwort von Georg Fülberth. Zu beziehen nur über den Verlag und gegen Vorkasse: SoZ-Verlag, Dasselstr. 75–77, 50674 Köln