Die
beiden nachstehenden Artikel der Zeitung Sud-Ouest
vom 22. und 23. Oktober 2008 berichten davon.
(Red.)
(photo guillaume
bonnaud - Sud-Ouest)
Sud-Ouest
- Mittwoch, 22. Oktober 2008
"Was können wir machen? Die Kumpels
verteidigen ihr Brot. Ich bin mich das mittlerweile
gewohnt: gestern konnte ich für Danone
nicht liefern wegen einer Demonstration von
Bauern“. Gelassen warten zwei LKW-Fahrer
geduldig in den Kabinen ihrer Trucks. Vor
drei Stunden sind sie mit ihren 38 Tonnen
Material auf dem Parkplatz vor der Fabrikanlage
Lindt in Oloron angekommen. Sie können
ihre Ladung – Verpackungs-material für
Schokoladenprodukte – nicht in die Fabrik
anliefern. Die Streikenden lassen keine LKW’s
mehr die Werkstore passieren, weder hinein
noch heraus. Sie kämpfen seit März
2008 für eine Erhöhung ihrer Löhne.
In der vergangenen Woche hat sich der Arbeitskonflikt
verstärkt; gestern ist er in eine neue
Dimension eingetreten. War der Dialog zwischen
der Belegschaft und der Fabrikleitung bis
anhin von Schwierigkeiten gekennzeichnet,
ist er jetzt gänzlich zerrissen. Das
gestrige Verhandlungstreffen zwischen den
PersonalvertreterInnen und der Direktion von
Lindt Oloron war schnell zu Ende. Nach 10
Minuten hat Gerd Waelti - der industrielle
Direktor des Lindt-Werkes in Oloron –
klargemacht, die Löhne für 2008
werden nicht über seine Erwartungen von
10 Euro brutto pro Monat erhöht.
Mediator
Die Streikenden haben deshalb beschlossen,
mit dem Hauptsitz von Lindt Frankreich in
Kontakt zu treten und dort um die Intervention
eines Schlichters anzufragen. Sie haben auch
beschlossen, sämtliche Ein- und Ausgänge
zu blockieren und damit den Antransport von
Rohprodukten und betriebsnotwendigen Lieferungen
ebenso wie den Abtransport von Endprodukten
zu verhindern.
Die Antwort der Generaldirektion in Paris
fiel am Nachmittag vernichtend aus: sie stärkte
die Position von Gerd Waelti. Keine weiteren
Rechtsmittel, Unterzeichnung eines Abkommens
zur Wiederaufnahme der Arbeit.
"Wir sind enttäuscht. Wir dachten
es gäbe noch eine Möglichkeit für
Verhandlungen", bekunden die Vertreter
der Gewerkschaften CGT-FO. Niemand versteht,
warum sie uns so mit dem Rücken zur Wand
stellen. Plötzlich weiss man nicht mehr,
wie weit der Streiks jetzt gehen wird. Man
wird nicht nachgeben, das ist sicher".
Blockade
während der Nacht
Alles schien gestern abend darauf zu deuten,
dass sich die Blockade auch in die Nacht hinein
verlängern würde. In diesem Fall
werden die Auswirkungen auf die Zu- und Ablieferungen
unvermeidlich sein. Die Streikenden sind der
Auffassung, dass die bereits beeinträchtigte
Produktion schnell ganz unterbrochen sein
wird. Vielleicht bis heute Abend: "Wir
arbeiten mit den letzten Vorräten, die
Lager werden schnell ganz leer sein, wenn
kein Nachschub mehr eintrifft“.
Brosamen
Für seinen Teil mag Direktor Gerd Waelti
die Entwicklung des Tages lieber nicht kommentieren.
Seine Haltung hinterlässt bei den Beschäftigten,
die im Arbeitskonflikt stehen, einen bitteren
Nachgeschmack: "Die Marke verkauft sich
gut. „Maxi Plaisir“, unsere neue
Produktereihe, erst vor sechs Monaten lanciert,
hat bereits den dritten Platz auf dem Markt
erreicht, vor Poulain (Poulain-Chocolatier:
ein Konkurrent von Lindt – Red.). Die
Bosse von Lindt kommen in den Genuss von phantastischen
Profiten und die ArbeiterInnen sollen nur
das Recht auf Brosamen haben. Wofür halten
sie uns?"
Die Streikenden sind um so mehr von der Position
ihrer Direktion erschüttert, weil sie
im Laufe der Verhandlungen ihre ursprünglichen
Forderungen bis auf 25 Euro brutto pro Monat,
reduziert haben. "Wir werden auf der
Frage der Arbeitsplatzsicherheit erpresst.
Das Unternehmen setzt auch unsere Kaufkraft
einer grossen Gefahr aus. Wir kämpfen
für die Basislöhne, auch für
die der 600 SaisonierarbeiterInnen".
Für morgen ist eine ausserordentliche
Betriebsversammlung geplant. Auf der Tagesordnung
steht die aktuelle Lage. Die Sitzung verspricht
heftig zu werden. Im Jahr 1988 hatte ein Konflikt
schon einmal einen Monat lang angedauert.
Der Direktor wurde damals, zusammen mit seinen
obersten Kaderleuten, von den ArbeiterInnen
für eine Nacht lang in den Büros
eingeschlossen. Die Ordnungskräfte mussten
schlussendlich gerufen werden um die Eingesperrten
zu befreien. Die Behörden verfolgen die
Entwicklung daher aufmerksam, weil sie befürchten,
die Wut der Beschäftigten könne
ähnliche Ausmasse wie damals annehmen.
Sud-Ouest
- Donnerstag, 23. Oktober 2008
Verstärkte Polizeipräsenz
Es war gestern, kurz nach 19 Uhr. Etwa 20
streikende ArbeiterInnen beissen vor dem nördlichen
Fabriktor in die Krusten ihrer mitgebrachten
Brote. Ein Dutzend Fahrzeuge der Gendarmerie
fährt vor dem Fabriktor vor. Rund 30
Uniformierte der PSIG (Polizeischule –
Red.) von Pau und Orthez und der Brigade von
Oloron stürmen aus den Wagen. Diesmal
sind sie aber nicht gekommen um nur nach dem
Rechten zu sehen. Sie wollen die Blockade
der Streikenden brechen um den Lastwagen die
Zufahrt zur Fabrik wieder zu ermöglichen.
Der Angriff wird blitzartig vorgetragen –
Gewaltanwendung unvermeidlich. Die Frauen
sind unter Schock. "Sie haben uns regelrecht
gestürmt! Es war beeindruckend. Ich wurde
brutal gegen das Portal gedrückt. Mir
hat es den Atem verschlagen. Sie haben mich
am Bein verletzt. Das ist inakzeptabel."
Unter Pfeifen, Buhrufen und Schimpftiraden
bilden die Uniformierten einen sicheren Korridor
um zwei Lastwagen mit Lieferungen die Zufahrt
zur Fabrik zu ermöglichen. "Schämt
ihr euch nicht?" Schreien Dutzende zur
Verstärkung eingetroffene ArbeiterInnen.
Ein Mitglied der Geschäftsführung
zeigt sich von fern. Die Streikenden reagieren
sofort: "Bandit, Halunke".
Unverständnis
Die Gemüter beruhigen sich zwischenzeitlich
etwas. Die Leute äussern ihr Unverständnis:
"Lindt verhandelt nicht sondern schickt
uns lieber die Bullen. Chapeau! (Hut ab –
Red.) Wir haben seit letztem März alles
getan um eine Lohnerhöhung auszuhandeln.
Nun sind wir wegen einer Differenz von 5 Euro
pro Monat gestürmt worden. Gerade mal
so hoch ist der Unterschied noch zwischen
dem was wir fordern und dem was sie uns geben
wollen“. Die Vertreter des Personals
wollen nicht aufgeben: "So etwas sind
wir uns nicht gewohnt. Frühere Geschäftsleitungen
haben sich auf der sozialen Ebene mehr bemüht
und zeigten sich menschlicher. Beim derzeitigen
Direktor ist dies nicht der Fall. Er kennt
sein Personal nicht. Er wollte nie offen diskutieren.
Hätte er es getan, wäre er sich
bewusst geworden wie offen wir unsererseits
sind. Heute Abend hat er eine Grenze überschritten.
Es hat sich eine Kluft aufgetan, die insgesamt
so lange offen bleiben wird, wie wir diesen
Manager noch haben werden".
Der
Direktor wird evakuiert
Nicht weit vom Brennpunkt des Geschehens
beobachtet der "Chef" Gerd Waelti
die Ereignisse. "Ich hoffe, dass der
Konflikt damit nun beendet ist", sagt
er. "Wir haben einen Vorschlag für
Lohnerhöhungen gemacht. Sie müssen
auch verstehen, dass Lindt nicht weiter gehen
kann. Ich habe die Verantwortung für
das Werk. Ich kann die Arbeitsplätze
der durchschnittlich 890 Mitarbeiter nicht
gefährden. Ich kann auch nicht Lindt
Frankreich in Gefahr bringen. Wir rudern gegen
einen immer schärferen und härteren
Wettbewerb."
Direktor Gerd Waelti bleibt nicht sehr lange.
Ein sich in seiner Nähe befindender Polizist
bringt ihn vorsorglich vor den zornigen Streikenden
in einem Polizeifahrzeug in Sicherheit.
"Warum glotzt der hier rum? Das ist die
Provokation, wie man es von ihm gewohnt ist",
erklären die Streikenden.
Mittlerweile ist es 20 Uhr. Die Streikenden
wollen das Feld nicht räumen. "Wir
sind entschlossener denn je. Wir bleiben vor
Ort und werden versuchen die Blockade auf
irgend eine Weise aufrecht zu erhalten. Der
Angriff der Polizei war nicht normal. Die
streikenden ArbeiterInnen haben die Arbeitswilligen
nie am Zugang zur Fabrik behindert.
Tränengas
20 Uhr 30, Marylise Gaston und Patrick Maillet,
zwei stellvertretende Bürgermeister,
sind kaum auf dem Fabrikareal angekommen,
führt die Polizei einen weiteren Angriff
gegen die Streikenden aus. Ein LKW soll durch.
Die streikenden ArbeiterInnen zerstreuen sich
sehr schnell – die Polizeikräfte
haben Tränengas eingesetzt.
Seit dem vergangenen März ist es den
Gewerkschaften CGT-FO nicht gelungen eine
Lohnerhöhung für die ArbeiterInnen
von Lindt Oloron durchzusetzen. Im Frühjahr
belief sich ihr Anspruch noch auf 60 Euro
mehr Lohn pro Monat. Gestern waren es noch
20 Euro. Der Chef des Unternehmens schätzt,
schon Anfangs Jahr eine Erhöhung um 23
Euro akzeptiert zu haben und will jetzt nicht
mehr als 15 Euro geben. Er stellt aber für
das Jahr 2009 eine weitere Erhöhung von
50 Euro brutto pro Monat in Aussicht. Die
Beschäftigten verstehen nicht, weshalb
mit 14 Millionen Euro Gewinn – alleine
im ersten Halbjahr 2008 – Lindt nicht
in der Lage sein soll, ihre Lohnforderungen
zu erfüllen.
Die Blockade der Zulieferungen seit Dienstag
hat die Produktion ernsthaft gestört.
Zwei von drei Fabrikationsstrassen funktionierten
in den letzten Tagen oft nur durch die Unterstützung
der Mitglieder des Produktionskaders. Gestern
begann sich der Vorrat an Zucker dem Ende
zu zuneigen und bei der Schokolade-Rohmasse
wird dies möglicherweise heute Morgen
der Fall sein.
Die ausserordentliche Betriebsversammlung
von heute Nachmittag wird wohl besonders heiss
werden.
Übersetzung: Rolf
Krauer und Lothar Moser, 26. Oktober 2008
Kommentar
Lothar
Moser - 27.Oktober 2008
Die Vorgänge bei Lindt Orolon sind
auch für die Schweiz und die Region Zürich
von Bedeutung. Nicht nur, weil der Profit
den die ArbeiterInnen in Oloron erarbeiten
in den Taschen derselben Bosse landet, wie
der unserer Arbeit. Der Direktor des Werkes
in Orolon, Gerd Waelti bekommt seine Direktiven
aus der Schweiz, vom Lindt & Sprüngli
Hauptsitz in Kilchberg. Die Zielvorgaben betreffend
Umsatz, Profit und Produktivitätssteigerungen
kommen aus Kilchberg genauso wie die Vorgabe
sich bei den Löhnen in „Zurückhaltung“
zu üben.
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Lindt
- Werk in Orolon Frankreich |
Bei Lindt in Orolon arbeitet nur der kleinere
Teil der Beschäftigten fest angestellt
während dem ganzen Jahr (rund 290 von
890 Beschäftigten). Sie produzieren die
Schokolade, (Tafelschokolade etc.) die während
dem Jahr kosumiert wird. Es sind vorwiegend
Männer die auch die Produktionsmaschinen
unterhalten. Von Mai bis November produzieren
600 SaisonarbeiterInnen, in der überwiegenden
Mehrzahl Frauen, auf Hochtouren ausschliesslich
für Weihnachten, vorwiegend Pralinen.
Sie arbeiten in vier Nachtschichten insgesamt
32 Stunden die Woche, soviel das Gesetz halt
hergibt – zu niedrigsten Löhnen
(Stand 2005). Betreffend dem Arbeitstempo
gelten klare Vorgaben: alle zwei Minuten eine
Geschenkpackung voll Pralinen pro Arbeiterin.
12'000 Einheiten pro Tag und Arbeitsteam ebenfalls
Stand 2005). Nur die Einhaltung dieser rigiden
Vorgaben ergeben eine Aussicht allenfalls
in der Folgesaison wieder bei Lindt für
weitere sechs Monate angestellt zu werden.
Die Beschäftigten bei Lindt Orolon werden
in dauernder Unsicherheit und prekären
Bedingungen gehalten.
Der Hauptsitz in Kilchberg trägt somit
auch die Verantwortung für den brutalen
Polizeiangriff und Reizgasangriff auf die
streikenden ArbeiterInnen. Die Niederknüppelung
von Streikenden rund um den Erdball, im Dienste
des schweizerischen Kapitals hat eine lange
Tradition (z.B. Nestlé in Südamerika
etc.). Die Unternehmer nehmen die Handlangerdienste
der Justiz und Polizei, in Zeiten verschärfter
Konkurrenz zunehmend in Anspruch.
Grenadiereinsatz
bei Allpack in Reinach 2003
Auch in der Schweiz – so geschehen
bei der Firma Allpack im Dezember 2003, in
Reinach/BL. Polizeigrenadiere in voller Kampfmontur
räumten eine Blockade streikender ArbeiterInnen.
Die strafrechtlichen Voruntersuchungen sind
mittlerweile abgeschlossen. 22 Personen, vorwiegend
AktivistInnen die sich mit den Streikenden
solidarisierten, werden in Bälde wegen
„Nötigung“ vor dem Strafgericht
Basel-Landschaft in Liestal vortraben müssen.
Die Frist für Anträge auf Ergänzung
der Beweisliste läuft am 21. November
2008 ab. Die Prozessdauer ist auf 2 bis 2
1/2 veranschlagt worden. Ein genauer Termin
liegt noch nicht vor. Robert Scheitlin, CEO
und Inhaber der Allpack AG, wird im Anschluss
an den Strafprozess auf zivilrechtlichem Wege
versuchen, seine Forderungen für Umsatz-
und Gewinnausfall gegenüber den UnterstützerInnen
des Streiks geltend zu machen. Bis anhin hat
er jedes Jahr pünktlich im Dezember,
seine Forderung von mittlerweile rund einer
Million Franken (inkl. Zinsen) auf dem Betreibungsweg
geltend gemacht und erneuert.