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Streikende ArbeiterInnen blockieren
das Werk von Lindt in Oloron

(Département Pyrénées-Atlantiques, Frankreich)

Tränengaseinsatz durch Räumungskommando


Die Firma Lindt & Sprüngli mit Sitz in der Region Zürich, hat von 2003 bis 2007 ein Umsatzwachstum von rund 10% pro Jahr verzeichnen können. Das Ziel von 8% Wachstum für 2008 war eher von der "konservativen" Art. Was den Gewinn für das Jahr 2008 anbelangt, wird nach Finanz & Wirtschaft (F&W) eine Steigerung von zwischen 8% und 10% erwartet. Bei der Bewertung der Gesellschaft in derselben Veröffentlichung von F&W wird darauf hin gewiesen, das „Lindt und Sprüngli über reichlich Nettoliquidität verfügt, diese jedoch mangels Möglichkeiten kaum für Akquisitionen verwendet hat“
(„Im 1. Halbjahr 2008 hat der Konzern das operative Ergebnis (Ebit) dank Preiserhöhungen, verstärkter Kostenkontrolle und Effizienzsteigerungen um 11,6 Prozent steigern können“. Tages-Anzeiger vom 27.08.2008). Am 24. Mai 2008 berichtete die Neue Züricher Zeitung NZZ, dass der legendäre amerikanische Value-Investor Warren Buffett, dem im Heimmarkt USA immer mehr die Investitionsgelegenheiten ausgehen, sich deswegen in Europa umsah. Analytiker spekulierten immer wieder, auch Lindt & Sprüngli könne einer der potenziellen Kandidaten sein, für die sich Buffett interessiert.
Bei diesen unternehmerischen Zielen was Wirtschaftlichkeit und Profit anbelangt „versteht“ man den Eifer und die Härte mit dem die Firmenleitung von Lindt in Oloron gegen ihre eigenen ArbeiterInnen vorgehen. (Red.)

Die beiden nachstehenden Artikel der Zeitung Sud-Ouest vom 22. und 23. Oktober 2008 berichten davon. (Red.)


(photo guillaume bonnaud - Sud-Ouest)


Sud-Ouest - Mittwoch, 22. Oktober 2008

"Was können wir machen? Die Kumpels verteidigen ihr Brot. Ich bin mich das mittlerweile gewohnt: gestern konnte ich für Danone nicht liefern wegen einer Demonstration von Bauern“. Gelassen warten zwei LKW-Fahrer geduldig in den Kabinen ihrer Trucks. Vor drei Stunden sind sie mit ihren 38 Tonnen Material auf dem Parkplatz vor der Fabrikanlage Lindt in Oloron angekommen. Sie können ihre Ladung – Verpackungs-material für Schokoladenprodukte – nicht in die Fabrik anliefern. Die Streikenden lassen keine LKW’s mehr die Werkstore passieren, weder hinein noch heraus. Sie kämpfen seit März 2008 für eine Erhöhung ihrer Löhne.

In der vergangenen Woche hat sich der Arbeitskonflikt verstärkt; gestern ist er in eine neue Dimension eingetreten. War der Dialog zwischen der Belegschaft und der Fabrikleitung bis anhin von Schwierigkeiten gekennzeichnet, ist er jetzt gänzlich zerrissen. Das gestrige Verhandlungstreffen zwischen den PersonalvertreterInnen und der Direktion von Lindt Oloron war schnell zu Ende. Nach 10 Minuten hat Gerd Waelti - der industrielle Direktor des Lindt-Werkes in Oloron – klargemacht, die Löhne für 2008 werden nicht über seine Erwartungen von 10 Euro brutto pro Monat erhöht.

Mediator

Die Streikenden haben deshalb beschlossen, mit dem Hauptsitz von Lindt Frankreich in Kontakt zu treten und dort um die Intervention eines Schlichters anzufragen. Sie haben auch beschlossen, sämtliche Ein- und Ausgänge zu blockieren und damit den Antransport von Rohprodukten und betriebsnotwendigen Lieferungen ebenso wie den Abtransport von Endprodukten zu verhindern.

Die Antwort der Generaldirektion in Paris fiel am Nachmittag vernichtend aus: sie stärkte die Position von Gerd Waelti. Keine weiteren Rechtsmittel, Unterzeichnung eines Abkommens zur Wiederaufnahme der Arbeit.

"Wir sind enttäuscht. Wir dachten es gäbe noch eine Möglichkeit für Verhandlungen", bekunden die Vertreter der Gewerkschaften CGT-FO. Niemand versteht, warum sie uns so mit dem Rücken zur Wand stellen. Plötzlich weiss man nicht mehr, wie weit der Streiks jetzt gehen wird. Man wird nicht nachgeben, das ist sicher".

Blockade während der Nacht

Alles schien gestern abend darauf zu deuten, dass sich die Blockade auch in die Nacht hinein verlängern würde. In diesem Fall werden die Auswirkungen auf die Zu- und Ablieferungen unvermeidlich sein. Die Streikenden sind der Auffassung, dass die bereits beeinträchtigte Produktion schnell ganz unterbrochen sein wird. Vielleicht bis heute Abend: "Wir arbeiten mit den letzten Vorräten, die Lager werden schnell ganz leer sein, wenn kein Nachschub mehr eintrifft“.

Brosamen

Für seinen Teil mag Direktor Gerd Waelti die Entwicklung des Tages lieber nicht kommentieren. Seine Haltung hinterlässt bei den Beschäftigten, die im Arbeitskonflikt stehen, einen bitteren Nachgeschmack: "Die Marke verkauft sich gut. „Maxi Plaisir“, unsere neue Produktereihe, erst vor sechs Monaten lanciert, hat bereits den dritten Platz auf dem Markt erreicht, vor Poulain (Poulain-Chocolatier: ein Konkurrent von Lindt – Red.). Die Bosse von Lindt kommen in den Genuss von phantastischen Profiten und die ArbeiterInnen sollen nur das Recht auf Brosamen haben. Wofür halten sie uns?"

Die Streikenden sind um so mehr von der Position ihrer Direktion erschüttert, weil sie im Laufe der Verhandlungen ihre ursprünglichen Forderungen bis auf 25 Euro brutto pro Monat, reduziert haben. "Wir werden auf der Frage der Arbeitsplatzsicherheit erpresst. Das Unternehmen setzt auch unsere Kaufkraft einer grossen Gefahr aus. Wir kämpfen für die Basislöhne, auch für die der 600 SaisonierarbeiterInnen".

Für morgen ist eine ausserordentliche Betriebsversammlung geplant. Auf der Tagesordnung steht die aktuelle Lage. Die Sitzung verspricht heftig zu werden. Im Jahr 1988 hatte ein Konflikt schon einmal einen Monat lang angedauert. Der Direktor wurde damals, zusammen mit seinen obersten Kaderleuten, von den ArbeiterInnen für eine Nacht lang in den Büros eingeschlossen. Die Ordnungskräfte mussten schlussendlich gerufen werden um die Eingesperrten zu befreien. Die Behörden verfolgen die Entwicklung daher aufmerksam, weil sie befürchten, die Wut der Beschäftigten könne ähnliche Ausmasse wie damals annehmen.


Sud-Ouest - Donnerstag, 23. Oktober 2008

Verstärkte Polizeipräsenz

Es war gestern, kurz nach 19 Uhr. Etwa 20 streikende ArbeiterInnen beissen vor dem nördlichen Fabriktor in die Krusten ihrer mitgebrachten Brote. Ein Dutzend Fahrzeuge der Gendarmerie fährt vor dem Fabriktor vor. Rund 30 Uniformierte der PSIG (Polizeischule – Red.) von Pau und Orthez und der Brigade von Oloron stürmen aus den Wagen. Diesmal sind sie aber nicht gekommen um nur nach dem Rechten zu sehen. Sie wollen die Blockade der Streikenden brechen um den Lastwagen die Zufahrt zur Fabrik wieder zu ermöglichen. Der Angriff wird blitzartig vorgetragen – Gewaltanwendung unvermeidlich. Die Frauen sind unter Schock. "Sie haben uns regelrecht gestürmt! Es war beeindruckend. Ich wurde brutal gegen das Portal gedrückt. Mir hat es den Atem verschlagen. Sie haben mich am Bein verletzt. Das ist inakzeptabel."

Unter Pfeifen, Buhrufen und Schimpftiraden bilden die Uniformierten einen sicheren Korridor um zwei Lastwagen mit Lieferungen die Zufahrt zur Fabrik zu ermöglichen. "Schämt ihr euch nicht?" Schreien Dutzende zur Verstärkung eingetroffene ArbeiterInnen. Ein Mitglied der Geschäftsführung zeigt sich von fern. Die Streikenden reagieren sofort: "Bandit, Halunke".

Unverständnis

Die Gemüter beruhigen sich zwischenzeitlich etwas. Die Leute äussern ihr Unverständnis: "Lindt verhandelt nicht sondern schickt uns lieber die Bullen. Chapeau! (Hut ab – Red.) Wir haben seit letztem März alles getan um eine Lohnerhöhung auszuhandeln. Nun sind wir wegen einer Differenz von 5 Euro pro Monat gestürmt worden. Gerade mal so hoch ist der Unterschied noch zwischen dem was wir fordern und dem was sie uns geben wollen“. Die Vertreter des Personals wollen nicht aufgeben: "So etwas sind wir uns nicht gewohnt. Frühere Geschäftsleitungen haben sich auf der sozialen Ebene mehr bemüht und zeigten sich menschlicher. Beim derzeitigen Direktor ist dies nicht der Fall. Er kennt sein Personal nicht. Er wollte nie offen diskutieren. Hätte er es getan, wäre er sich bewusst geworden wie offen wir unsererseits sind. Heute Abend hat er eine Grenze überschritten. Es hat sich eine Kluft aufgetan, die insgesamt so lange offen bleiben wird, wie wir diesen Manager noch haben werden".

Der Direktor wird evakuiert

Nicht weit vom Brennpunkt des Geschehens beobachtet der "Chef" Gerd Waelti die Ereignisse. "Ich hoffe, dass der Konflikt damit nun beendet ist", sagt er. "Wir haben einen Vorschlag für Lohnerhöhungen gemacht. Sie müssen auch verstehen, dass Lindt nicht weiter gehen kann. Ich habe die Verantwortung für das Werk. Ich kann die Arbeitsplätze der durchschnittlich 890 Mitarbeiter nicht gefährden. Ich kann auch nicht Lindt Frankreich in Gefahr bringen. Wir rudern gegen einen immer schärferen und härteren Wettbewerb."

Direktor Gerd Waelti bleibt nicht sehr lange. Ein sich in seiner Nähe befindender Polizist bringt ihn vorsorglich vor den zornigen Streikenden in einem Polizeifahrzeug in Sicherheit.
"Warum glotzt der hier rum? Das ist die Provokation, wie man es von ihm gewohnt ist", erklären die Streikenden.

Mittlerweile ist es 20 Uhr. Die Streikenden wollen das Feld nicht räumen. "Wir sind entschlossener denn je. Wir bleiben vor Ort und werden versuchen die Blockade auf irgend eine Weise aufrecht zu erhalten. Der Angriff der Polizei war nicht normal. Die streikenden ArbeiterInnen haben die Arbeitswilligen nie am Zugang zur Fabrik behindert.

Tränengas

20 Uhr 30, Marylise Gaston und Patrick Maillet, zwei stellvertretende Bürgermeister, sind kaum auf dem Fabrikareal angekommen, führt die Polizei einen weiteren Angriff gegen die Streikenden aus. Ein LKW soll durch. Die streikenden ArbeiterInnen zerstreuen sich sehr schnell – die Polizeikräfte haben Tränengas eingesetzt.

Seit dem vergangenen März ist es den Gewerkschaften CGT-FO nicht gelungen eine Lohnerhöhung für die ArbeiterInnen von Lindt Oloron durchzusetzen. Im Frühjahr belief sich ihr Anspruch noch auf 60 Euro mehr Lohn pro Monat. Gestern waren es noch 20 Euro. Der Chef des Unternehmens schätzt, schon Anfangs Jahr eine Erhöhung um 23 Euro akzeptiert zu haben und will jetzt nicht mehr als 15 Euro geben. Er stellt aber für das Jahr 2009 eine weitere Erhöhung von 50 Euro brutto pro Monat in Aussicht. Die Beschäftigten verstehen nicht, weshalb mit 14 Millionen Euro Gewinn – alleine im ersten Halbjahr 2008 – Lindt nicht in der Lage sein soll, ihre Lohnforderungen zu erfüllen.

Die Blockade der Zulieferungen seit Dienstag hat die Produktion ernsthaft gestört. Zwei von drei Fabrikationsstrassen funktionierten in den letzten Tagen oft nur durch die Unterstützung der Mitglieder des Produktionskaders. Gestern begann sich der Vorrat an Zucker dem Ende zu zuneigen und bei der Schokolade-Rohmasse wird dies möglicherweise heute Morgen der Fall sein.

Die ausserordentliche Betriebsversammlung von heute Nachmittag wird wohl besonders heiss werden.

 

Übersetzung: Rolf Krauer und Lothar Moser, 26. Oktober 2008

Kommentar
Lothar Moser - 27.Oktober 2008

Die Vorgänge bei Lindt Orolon sind auch für die Schweiz und die Region Zürich von Bedeutung. Nicht nur, weil der Profit den die ArbeiterInnen in Oloron erarbeiten in den Taschen derselben Bosse landet, wie der unserer Arbeit. Der Direktor des Werkes in Orolon, Gerd Waelti bekommt seine Direktiven aus der Schweiz, vom Lindt & Sprüngli Hauptsitz in Kilchberg. Die Zielvorgaben betreffend Umsatz, Profit und Produktivitätssteigerungen kommen aus Kilchberg genauso wie die Vorgabe sich bei den Löhnen in „Zurückhaltung“ zu üben.

Lindt - Werk in Orolon Frankreich

Bei Lindt in Orolon arbeitet nur der kleinere Teil der Beschäftigten fest angestellt während dem ganzen Jahr (rund 290 von 890 Beschäftigten). Sie produzieren die Schokolade, (Tafelschokolade etc.) die während dem Jahr kosumiert wird. Es sind vorwiegend Männer die auch die Produktionsmaschinen unterhalten. Von Mai bis November produzieren 600 SaisonarbeiterInnen, in der überwiegenden Mehrzahl Frauen, auf Hochtouren ausschliesslich für Weihnachten, vorwiegend Pralinen. Sie arbeiten in vier Nachtschichten insgesamt 32 Stunden die Woche, soviel das Gesetz halt hergibt – zu niedrigsten Löhnen (Stand 2005). Betreffend dem Arbeitstempo gelten klare Vorgaben: alle zwei Minuten eine Geschenkpackung voll Pralinen pro Arbeiterin. 12'000 Einheiten pro Tag und Arbeitsteam ebenfalls Stand 2005). Nur die Einhaltung dieser rigiden Vorgaben ergeben eine Aussicht allenfalls in der Folgesaison wieder bei Lindt für weitere sechs Monate angestellt zu werden. Die Beschäftigten bei Lindt Orolon werden in dauernder Unsicherheit und prekären Bedingungen gehalten.

Der Hauptsitz in Kilchberg trägt somit auch die Verantwortung für den brutalen Polizeiangriff und Reizgasangriff auf die streikenden ArbeiterInnen. Die Niederknüppelung von Streikenden rund um den Erdball, im Dienste des schweizerischen Kapitals hat eine lange Tradition (z.B. Nestlé in Südamerika etc.). Die Unternehmer nehmen die Handlangerdienste der Justiz und Polizei, in Zeiten verschärfter Konkurrenz zunehmend in Anspruch.


Grenadiereinsatz bei Allpack in Reinach 2003

Auch in der Schweiz – so geschehen bei der Firma Allpack im Dezember 2003, in Reinach/BL. Polizeigrenadiere in voller Kampfmontur räumten eine Blockade streikender ArbeiterInnen. Die strafrechtlichen Voruntersuchungen sind mittlerweile abgeschlossen. 22 Personen, vorwiegend AktivistInnen die sich mit den Streikenden solidarisierten, werden in Bälde wegen „Nötigung“ vor dem Strafgericht Basel-Landschaft in Liestal vortraben müssen. Die Frist für Anträge auf Ergänzung der Beweisliste läuft am 21. November 2008 ab. Die Prozessdauer ist auf 2 bis 2 1/2 veranschlagt worden. Ein genauer Termin liegt noch nicht vor. Robert Scheitlin, CEO und Inhaber der Allpack AG, wird im Anschluss an den Strafprozess auf zivilrechtlichem Wege versuchen, seine Forderungen für Umsatz- und Gewinnausfall gegenüber den UnterstützerInnen des Streiks geltend zu machen. Bis anhin hat er jedes Jahr pünktlich im Dezember, seine Forderung von mittlerweile rund einer Million Franken (inkl. Zinsen) auf dem Betreibungsweg geltend gemacht und erneuert.