Viele
Arbeiter waren vor allem deshalb wütend,
weil die Unternehmens-leitung trotz Produktionsrückgang
und Massenentlassungen beschlossen hat, eine
Dividende von 1,1 Milliarden Dollar an die Aktionäre
auszubezahlen. "Wir verlieren unseren Job
und die Aktionäre bekommen die Dividende",
sagte ein verbitterter Arbeiter aus dem ArcelorMittal-Werk
im lothringischen Florange in einem Fernsehinterview.
Die
Polizei hatte den Firmensitz mit Absperrgittern
und Sondereinheiten gesichert. Während
der Kundgebung griffen wütende Arbeiter
plötzlich die Polizei mit Pflastersteinen
und Flaschen an. Der Metallzaun wurde niedergerissen
und Arbeiter versuchten, die Eingangstür
des Gebäudes aufzubrechen. Es kam zu heftigen
Auseinandersetzungen mit der Polizei und dem
Firmen-Werkschutz.
Nach
Augenzeugenberichten warf ein Stahlarbeiter
eine Rauchbombe durch ein Fenster, woraufhin
sich nebeliger Gestank bis zu den Aktionären
ausbreitete.
Firmenchef
Mittal ist der achtreichste Mann der Welt
ArcelorMittal
ist nach eigenen Angaben "der in jeglicher
Hinsicht mit Abstand größte Stahlproduzent
der Welt". In rund 60 Werken in mehr als
zwei Dutzend Ländern beschäftigt der
Konzern 310.000 Mitarbeiter.
Der
Stahlmulti ist das Ergebnis einer rasanten Rationalisierungs-
und Fusionswelle von Stahlunternehmen im vergangenen
Jahrzehnt. Er entstand 2007 aus dem Zusammenschluss
der führenden Stahlproduzenten Arcelor
S.A. und Mittal Steel Company. Zuvor hatten
sich der spanische Aceralia Konzern, die luxemburgischen
Arbed Werke und die französische Usinor
unter dem Dach von Arcelor S.A. zusammengeschlossen.
In Deutschland gehörten die Hüttenwerke
in Bremen, Eisenhüttenstadt (Brandenburg)
und Unterwellenborn (Thüringen) zu dem
Konzern.
Vor
zwei Jahren übernahm die Mittal Steel Company
dann die Arcelor S.A. in einer feindlichen Übernahme.
Der
frühere Vorstandsvorsitzende der Mittal
Steel Company, Lakshmi Mittal, leitet den Konzern,
und sein Sohn Adiya Mittal ist Finanzchef. Die
indische Unternehmerfamilie Mittal hat ihr Firmenimperium
durch das Ausschlachten und Sanieren maroder
Stahlwerke in Asien aufgebaut. Nach dem Zusammenbruch
der stalinistischen Regime in Osteuropa und
der Sowjetunion spezialisierten sie sich darauf,
ehemalige Staatsbetriebe im Osten billig aufzukaufen
und zu privatisieren. Sie übernahmen unter
anderem Werke in Rumänien, Polen, Tschechien,
Bosnien und Herzegowina, Mazedonien, Kasachstan
und der Ukraine.
Firmenchef
Lakshmi Mittal gilt laut Forbes Magazin mit
einem Vermögen von 19,3 Milliarden US-Dollar
als achtreichster Mensch der Welt. Er lebt in
Kensington Palace Gardens (London) in protzigem
Reichtum. Als vor fünf Jahren seine Tochter
Vanisha einen 25-jährigen Londoner Finanzmagnaten
heiratete, ließ sich der Firmenchef das
Presseberichten zufolge etwa 64 Millionen Dollar
kosten. Das Fest wurde in den Schlössern
von Versailles gefeiert und dauerte fast eine
Woche.
Im
vergangenen Jahr wurde der Firmenchef mit dem
zweithöchsten indischen Verdienstorden,
dem Padma Vibhushan für "außergewöhnlich
herausragende Leistungen" ausgezeichnet.
Die indische Regierung organisierte dazu am
"Tag der Republik" eine feierliche
Zeremonie.
Lakshmi
Mittal nutzt die gegenwärtige Stahlkrise,
um in allen Werken, die zu seinem Produktionsimperium
gehören, drastische Sparmaßnahmen,
Lohn- und Sozialkürzungen und andere Rationalisierungsmaßnahmen
durchzusetzen. Die angekündigten Entlassungen
bilden nur den Auftakt, um ganze Produktionsstandorte
schrittweise stillzulegen.
Nach
Angaben des Weltstahlverbands erlebt die internationale
Stahlindustrie gegenwärtig ihren stärksten
Nachfrageeinbruch seit dem Zweiten Weltkrieg.
Angesichts einer globalen Rezession und dem
dramatischen Rückgang der Produktion in
der Autoindustrie und dem Maschinenbau ist die
Nachfrage nach Stahl weltweit um 14,9 Prozent
auf 1,019 Milliarden Tonnen gesunken. In der
Europäischen Union wird das Minus mit 28,8
Prozent noch deutlich höher ausfallen.
Für
Deutschland rechnet die Wirtschaftsvereinigung
Stahl mit einem Rückgang der Rohstahlproduktion
um mehr als ein Viertel. Es könnte aber
auch schlimmer kommen. Allein im April sank
die Stahlproduktion im Vergleich zum Vormonat
um 53,1 Prozent. Von 94.000 Beschäftigten
in der deutschen Stahlindustrie sind nach Zahlen
des Verbandes bereits jetzt 45.000 in Kurzarbeit.
Die
Gewerkschaften als Komplizen der Konzernleitung
Wie
in allen anderen Großkonzernen spielen
die Gewerkschaften bei ArcelorMittal eine Schlüsselrolle,
um den Arbeitsplatzabbau und die damit verbundenen
sozialen Angriffe durchzusetzen. Obwohl die
Unternehmensleitung eine internationale Strategie
verfolgt und die Beschäftigten in mehreren
europäischen Ländern und weltweit
von den Angriffen auf die Arbeitsplätze,
Löhne und Sozialstandards gleichermaßen
betroffen sind, weigern sich die Gewerkschaften
einen gemeinsamen Kampf aller Beschäftigten
zu organisieren.
Stattdessen
arbeiten sie hinter dem Rücken der Beschäftigten
eng mit der jeweiligen Unternehmensleitung zusammen
und unterschreiben Zugeständnisse in der
Absicht, den "eigenen Standort" auf
Kosten der Arbeiter in anderen Werken zu retten.
Lakshmi
Mittal hat viel Erfahrung im Umgang mit Gewerkschaftsbürokraten
und deren opportunistischer Politik. In Osteuropa
und den Staaten der früheren Sowjetunion
setzte er seine Privatisierungspläne in
enger Zusammenarbeit mit den ehemaligen Funktionären
der Staatsparteien durch. Auch die britische
Labour Party bedachte er 2001 mit einer großzügigen
Spende. Medienberichte machten damals deutlich,
dass diese Zuwendung in direktem Zusammenhang
mit der Unterstützung gestanden habe, die
ihm Partei- und Regierungschf Toni Blair zur
selben Zeit gab, um den rumänischen Staatsbetrieb
Sidex zu übernehmen.
Zwei
Tage vor der ArcelorMittal-Aktionärsversammlung
in Luxemburg appellierte der Europäische
Metallgewerschaftsbund in einer Pressemitteilung
an "die Verantwortung und das persönliche
Interesse" der Aktionäre. Sie, die
Aktionäre, müssten dafür sorgen,
"dass Mittal einen klaren industriellen
Plan vorlegt, der aufzeigt, wie alle ArcelorMittal-Standorte
so erhalten werden können, dass sie wieder
in Betrieb genommen werden können, sobald
die Wirtschaft anzieht", erklärte
Peter Scherrer, Generalsekretär des Europäischen
Metallgewerkschaftsbundes (EMB).
In
der Pressemitteilung heißt es weiter:
"Der EMB fordert insbesondere, dass die
Aktionäre den Abschluss einer Europäischen
Rahmenvereinbarung zur Bewältigung der
Krise im Unternehmen unterstützen."
Eine solche Rahmenvereinbarung dient dazu, den
Arbeitsplatzabbau so zu gestalten, dass er von
den Gewerkschaft durchgesetzt werden kann.
Die
Wut der Arbeiter, die sich vor der Firmenzentrale
von ArcelorMittal in Luxemburg entlud, richtete
sich nicht nur gegen die geplanten Massenentlassungen
und gleichzeitigen Dividendenzahlung in Milliardenhöhe.
Sie war auch ein Ausdruck der Opposition gegen
die Weigerung der Gewerkschaften, einen ernsthaften
internationalen Kampf zur Verteidigung der Beschäftigten
zu führen. |