Die
Treffen des Internationalen Währungsfonds,
der Weltbank und der Gruppe der Sieben in Washington
in der letzten Woche fanden im Schatten der
schlimmsten Finanzkrise seit der Großen
Depression der 1930er Jahre statt. Obwohl die
Turbulenzen an der Wall Street und die sich
vertiefende Kreditkrise die Diskussionen beherrschten,
waren die Führer der globalen Finanzinstitutionen
gezwungen, der wachsenden globalen Nahrungsknappheit
Beachtung zu schenken. Sie warnten vor der Gefahr
einer umfassenden Hungerkatastrophe und einer
sich schon abzeichnenden politischen Instabilität.
Die
sieben größten kapitalistischen Mächte
der G-7 - die USA, Japan, Deutschland, Großbritannien,
Italien, Kanada und Russland - erwähnten
die Lebensmittelkrise praktisch gar nicht, sondern
verwiesen nur ganz kurz auf das Risiko "hoher
Öl- und Verbraucherpreise". Stattdessen
konzentrierten sie sich auf die Stabilität
der Finanzmärkte und versprachen Maßnahmen
zur Stärkung des Vertrauens der Investoren.
Der
IWF und die Weltbank fühlten sich jedoch
genötigt, die sich entwickelnde weltweite
Katastrophe zu thematisieren. Der Grund dafür
liegt darin, dass diese Agenturen zwar Instrumente
der wichtigsten imperialistischen Mächte
sind, sich selbst aber gerade deshalb so darstellen,
als würden sie auf die Bedürfnisse
aller Länder eingehen. Es wäre zu
enthüllend für sie, wenn sie sich
nur auf das Schicksal der großen Finanzhäuser
konzentrieren und die Tatsache ignorieren würden,
dass Hunderte von Millionen überall auf
diesem Planeten vom Hungertod bedroht sind.
Entscheidender
ist jedoch die Erkenntnis, dass diese Krise,
mit der die extrem verarmten Länder und
die ärmsten Teile der Weltbevölkerung
konfrontiert sind, eine Revolution der Hungrigen
zu entfesseln droht, die Regierungen in großen
Teilen der Welt stürzen könnte.
Noch
während des Treffens des IWF und der Weltbank
wurde die Regierung Haitis mit einem Misstrauensvotum
zum Rücktritt gezwungen, das als Reaktion
auf tagelange Demonstrationen und Proteste gegen
steigende Lebensmittelpreise und eine Hungersnot
ausgesprochen wurde, von denen alle großen
Städte des Landes erfasst wurden. Bei Zusammenstößen
zwischen Demonstranten und den Besatzungstruppen
der Vereinten Nationen kamen mindestens fünf
Menschen ums Leben und viele wurden verwundet.
Menschenmengen versuchten den Präsidentenplast
zu stürmen.
Die
Lebensmittelpreise in Haiti waren in weniger
als einem Jahr im Durchschnitt um 40 Prozent
gestiegen, wobei die Preise für Grundnahrungsmittel
wie Reis sich verdoppelt hatten.
Im
Wesentlichen dasselbe wiederholte sich in einem
Land nach dem anderen von Afrika bis in den
Nahen Osten, von Südasien bis Lateinamerika.
*
In Bangladesch gingen am Samstag ca. 20.000
Textilarbeiter auf die Straße, um die
galoppierenden Lebensmittelpreise anzuprangern
und höhere Löhne zu verlangen. Der
Preis für Reis hat sich in diesem Land
im letzten Jahr verdoppelt und setzt die Arbeiter,
die monatlich nur 25 Dollar verdienen, der Gefahr
einer Hungersnot aus. Viele wurden bei Zusammenstößen
mit der Polizei verletzt, die das Feuer eröffnete,
um die Menge zu zerstreuen.
*
In Ägypten erschütterten letzte Woche
zweitätige Proteste von Arbeitern gegen
die Lebensmittelpreise das Textilzentrum Mahalla
al-Kobra, nördlich von Kairo. Dabei wurden
zwei Menschen von Sicherheitskräften erschossen.
Hunderte wurden verhaftet, und die Regierung
schickte Polizisten in Zivil in die Fabriken,
um die Arbeiter wieder an die Arbeit zurück
zu zwingen. Die Lebensmittelpreise in Ägypten
sind im letzten Jahr um 40 Prozent gestiegen.
*
In dem westafrikanischen Land Burkina Faso organisierten
die Gewerkschaften und die Ladenbesitzer letzte
Woche einen zweitägigen Generalstreik,
um gegen die hohen Preise zu protestieren. Die
Streikenden forderten eine "beträchtliche
und wirkungsvolle" Senkung der Preise für
Reis und andere Grundnahrungsmittel.
*
Mehrere Hundert Demonstranten marschierten am
6. April in Phnom Penh, Kambodscha, zum Parlament,
um gegen die gestiegenen Lebensmittelpreise
zu protestieren. Der Preis für ein Kilogramm
Reis ist auf 1 Dollar gestiegen in einem Land,
in dem das Durchschnittseinkommen kaum 50 Cents
pro Tag beträgt. Mit Stöcken bewaffnete
Polizisten lösten die Demonstration auf.
*
Anfang dieses Monats marschierten in der Elfenbeinküste
Tausende zum Haus von Präsident Laurent
Gbagbo und riefen "wir sind hungrig"
und "das Leben ist zu teuer, ihr werdet
uns töten". In diesem Land sind die
Lebensmittelpreise von einer Woche zur nächsten
zwischen 30 und 60 Prozent in die Höhe
geschossen. Die Polizei hat die Demonstration
mit Tränengas und Stöcken aufgelöst
und dabei mehr als ein Dutzend Menschen verletzt.
Ähnliche
Demonstrationen, Streiks und Zusammenstöße
gab es in Bolivien, Peru, Mexiko, Indonesien,
den Philippinen, Pakistan, Usbekistan, Thailand,
dem Jemen, Äthiopien und im größten
Teil Afrikas südlich der Sahara.
Mit
erschreckender Schnelligkeit wurden Hunderte
von Millionen Menschen überall auf dem
Planeten damit konfrontiert, dass sie den lebensnotwendigen
Grundbedarf nicht mehr decken können. Der
globale kapitalistische Markt diktiert Massen
von Menschen auf allen Kontinenten unerträgliche
Bedingungen und provoziert damit einen weltweiten
Ausbruch des Klassenkampfs.
Die
Sorge darüber, dass dieser Kampf außer
Kontrolle gerät, drückte sich in den
besorgten Erklärungen aus, die von den
in Washington versammelten IWF- und Weltbank-Führern
zusammen mit den Finanzministern sowie Zentralbank-Chefs
herausgegeben wurden.
"Wenn
die Lebensmittelpreise weiter so steigen wie
im Moment, dann werden die Folgen für die
Bevölkerung in einer großen Zahl
von Ländern, darunter Afrika, aber nicht
nur Afrika, furchtbar sein. Hunderttausende
von Menschen werden verhungern. Kinder werden
unter Mangelernährung leiden, mit Folgen
für ihr gesamtes Leben", erklärte
Dominique Strauss-Kahn, der Geschäftsführende
Direktor des Internationalen Währungsfonds,
auf einer Pressekonferenz am 12. April in Washington.
Er
warnte, dass die Regierungen "erleben werden,
das alles, was sie getan haben, vernichtet und
ihre Legitimität gegenüber der Bevölkerung
ebenfalls zerstört wird". Strauss-Kahn
fügte hinzu: "Deshalb geht es nicht
nur um ein humanitäres Problem. Es ist
auch ein Problem der Demokratie. Solche Probleme
münden manchmal in einen Krieg."
"In
nur zwei Monaten", erklärte Weltbankpräsident
Robert Zoellick in seiner Eröffnungsrede
vor dem Treffen der Finanzminister, "ist
der Preis für Reis auf fast historische
Höhen geklettert, global ist er etwa um
75 Prozent gestiegen und auf manchen Märkten
sogar mehr; und es werden weitere Steigerungen
erwartet.
In
Bangladesch verschlingt eine 2-kg-Reispackung
mittlerweile etwa die Hälfte des Einkommens
einer armen Familie", erklärte er
und hielt eine solche Packung in die Höhe.
Er
fügte hinzu, dass die Getreidepreise um
120 Prozent gestiegen seien, was den Preis für
einen Brotlaib verdoppelt hat.
"Wenn
die Lebensmittelpreise weiter so steigen wie
bisher, dann werden die Folgen für die
Bevölkerung in einer großen Zahl
von Ländern... schrecklich sein",
erklärte Zoellick.
Die
"internationale Gemeinschaft muss dringend
gemeinsame Maßnahmen planen, um die weitergehenden
politischen und sicherheitstechnischen Folgen
dieser wachsenden Krise abzuwenden", erklärte
der Generalsekretär der Vereinten Nationen
Ban Ki-moon den internationalen Vertretern der
Finanz- und Handelswelt bei einem UN-Treffen
nach den Gesprächen am Wochenende in Washington
Der
Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen
in Fragen des Rechts auf Nahrung, Jean Ziegler,
stellte die trostloseste Prognose für die
anhaltende Krise. "Wir steuern auf eine
sehr lange Periode von Aufständen, Konflikten
(und) unkontrollierbarer Instabilität zu,
die gekennzeichnet ist von der Verzweiflung
der schwächsten Bevölkerungsgruppen",
erklärte er am Montag der französischen
Tageszeitung Liberation.
Er
hob hervor, dass schon vor der gegenwärtigen
Krise, alle 5 Sekunden ein Kind unter 10 Jahren
an Unterernährung gestorben ist und 854
Millionen Menschen auf der Welt an schwerer
Unterernährung leiden. Was jetzt bevorstehe,
warnte Ziegler, "ist ein drohendes Massaker."
Während
die Finanzminister der USA und Europas die Krise
übereinstimmend als ernst einschätzten,
war nicht zu erkennen, dass die großen
kapitalistischen Mächte einen Plan besitzen,
um eine humanitäre Katastrophe abzuwenden.
Das
Weiße Haus kündigte am Montag an,
200 Millionen Dollar als Lebensmittelsoforthilfe
bereit zu stellen - als Reaktion auf einen Aufruf
der Weltbank, Mittel zur Verfügung zu stellen,
um den Ausfall an Lebensmittellieferungen auszugleichen,
der durch den sprunghaften Anstieg der Preise
verursacht wurde. Der Betrag - in etwa das,
was die USA an einem halben Tag ausgeben, um
den Irak zu kontrollieren - ist angesichts der
bevorstehenden Katastrophe weniger als ein Tropfen
auf den heißen Stein.
Letztendlich
ist die Krise ein Produkt des kapitalistischen
Marktes selbst. Es geht nicht darum, dass es
zu viele Mäuler zu stopfen oder dass es
zuwenig Lebensmittel gibt, um die menschlichen
Bedürfnisse zu befriedigen. Lebensmittel
sind verfügbar, aber der Markt hat die
Preise auf Höhen getrieben, die für
einen wachsenden Teil der Menschheit in den
ärmsten Ländern nicht mehr erschwinglich
sind; gleichzeitig reduziert er drastisch den
Lebensstandard der Arbeiter in der entwickelten
kapitalistischen Welt.
Der
Prozess wird von einer Reihe von Faktoren vorangetrieben,
darunter Klimafaktoren, wie die Auswirkungen
der Dürre in Australien auf die Getreideproduktion
und der Flut in Bangladesch auf die Reisproduktion.
Dazu kommt noch eine wachsende Nachfrage speziell
von den schnell wachsenden Mittelschichten in
China und Indien.
Aber
wichtiger sind die Folgen der Spekulation mit
Lebensmitteln als Ware - wie bei Öl und
wertvollem Metall. Sie sind eine Zuflucht für
Finanzinvestoren geworden, die aus Papieranlagen
flüchten, denen der Makel von Subprime-Hypotheken
und anderen schädlichen Kreditprodukten
anhaftet. Der Zustrom an Käufern treibt
die Preise hoch und macht Lebensmittel für
die Armen der Welt unerschwinglich.
"Das
Geld aus Fonds, das in den Agrarsektor fließt,
hat die Preise hoch getrieben", erklärte
der Analyst für den Lebensmittel-Warenmarkt
bei der Standard Chartered Bank Abah Ofon gegenüber
den Medien. "Es ist in Mode gekommen. Dies
ist das Jahr der Argrarwaren."
Die
Spekulation mit Lebensmitteln als Ware wurde
durch den Wertverlust des Dollars, in die Höhe
schießende Ölpreise und die Förderung
der Bio-Sprit-Produktion in den USA und anderswo
besonders angeheizt. Dieser Versuch, eine neue
Investitions"blase" zu schaffen, die
auf der Lüge basiert, dass die Umwandlung
von Mais in Ethanol eine "grüne"
Alternative zu den fossilen Brennstoffen sei,
hat nicht nur die Preise für Mais, sondern
auch für andere Getreidearten in die Höhe
getrieben und gleichzeitig einen größeren
Anteil der Lebensmittelproduktion in einen profitableren
Bereich umgelenkt.
Subventioniert
von der US-Regierung haben die amerikanischen
Farmer volle 30 Prozent der Mais-Produktion
in das Ethanol-Projekt umgeleitet und treiben
damit die Preise für die anderen teureren
Getreidesorten in die Höhe, die als Ersatzfutter
für Tiere gekauft werden.
"Die
Bio-Sprit-Politik der Vereinigten Staaten mit
Subventionen von 6 Milliarden Dollar entzieht
dem Getreidemarkt 138 Millionen Tonnen Mais.
Dadurch wird die Grundlage für ein Verbrechen
gegen die Menschheit gelegt, um den eigenen
Hunger nach Treibstoff zu befriedigen,"
erklärte UN-Sonderberichterstatter Ziegler
gegenüber Liberation.
Diese
Einschätzung wurde vom indischen Finanzminister
Palaniappan Chidambaram bestätigt, der
erklärte: "Wenn Millionen Menschen
hungern, dann ist es ein Verbrechen gegen die
Menschheit, Lebensmittel zu Bio-Sprit zweckzuentfremden."
Regierungsvertreter
der USA haben die Vorwürfe zurückgewiesen.
Sie erklärten, die Bio-Sprit-Produktion
sei nur ein Faktor von vielen, und deuteten
an, es sei nicht geplant, Washingtons Politik
zu ändern.
Ein
Land nach dem anderen wurde für die globalen
Warenpreis-Steigerungen verwundbar gemacht.
Die Steigerung der Nahrungsmittelpreise ist
die Folge der Politik des "freien Marktes",
die in den letzten 25 Jahren auf Betreiben Washingtons
und der internationalen Finanzorganisationen
wie dem IWF und der Weltbank durchgesetzt wurde.
Die
immer engere Integration der Volkswirtschaften
der unterdrückten Länder in den Weltmarkt
wurde von einer wachsenden Konzentration auf
spezialisierte Feldfrüchte für den
Export begleitet. Gleichzeitig wurden die Zollschranken
niedergerissen, was den Weg für subventionierte
Grundnahrungsmittel der entwickelten Länder
auf die lokalen Märkte frei gemacht hat.
Die
Krise der Lebensmittelpreise ist ein heftiger
Ausdruck des Zusammenbruchs der globalen kapitalistischen
Ordnung. Die Katastrophe, mit der Milliarden
Menschen überall auf der Erde konfrontiert
sind, kann nicht im Rahmen eines Systems gelöst
werden, das auf dem privaten Profit und dem
Nationalstaat basiert.
Die
revolutionären Implikationen dieser Krise
werden bestimmten Elementen innerhalb des herrschenden
Establishments allmählich bewusst. In einem
Artikel, der am Montag veröffentlicht wurde,
bemerkt die einflussreiche US-Zeitschrift Time:
"Die Idee, dass Massen von hungernden Menschen
von Verzweiflung getrieben auf die Straße
gehen, um das herrschende System zu stürzen,
erschien unmöglich bizarr, seit der Kapitalismus
im kalten Krieg so eindeutig triumphierte...
Und dennoch deuten die Schlagzeilen des letzten
Monats darauf hin, dass die Explosion der Lebensmittelpreise
die Stabilität einer wachsenden Zahl von
Regierungen überall auf der Welt gefährdet." |