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Nachhaltige Wege aus der Autokrise

Arbeitszeitverkürzung, demokratische Planung, ökologischer Umbau

von Stephan Krull - Soz, Mai 2009


Auf eine komplexe Krise gibt es keine einfachen Antworten. Aber der Ausgangspunkt jeder sinnvollen Veränderung ist, dass die Belegschaften aufstehen für ihre Rechte und ihre Zukunft.

Im Herbst 2008 haben die politischen und wirtschaftlichen Eliten erklärt, die Finanzkrise werde einen Bogen um uns machen. Nun ist sichtbar, dass es eine allumfassende mehrdimensionale Krise des Produktions- und Wirtschaftssystems ist; in der globalen Wirkung eine Krise der Zivilisation.

Ein Aspekt dieser Krise ist, dass die in vielen Ländern dominante Automobilindustrie erschüttert wird. In dieser Industrie und ihren Produkten bündeln sich verschiedene einzelnen Krisen: die Verknappung fossiler Energieträger und Rohstoffe wie Stahl und Edelmetalle; die Nahrungsmittelkrise (wegen des Umstiegs auf „nachwachsende Rohstoffe"); die Klimakatastrophe (wegen der Umweltbelastung im Lebenszyklus). Verknappung heißt Verteuerung — und um begrenzte Ressourcen werden Kriege geführt.

Es gibt „hausgemachte” Krisenverstärker:

Die Überproduktion: Den Kapazitäten von über 70 Millionen Pkw stand vor dem Herbst 2008 ein Absatz von „nur” 60 Millionen Pkw gegenüber; inzwischen wurde die Absatzplanung auf unter 50 Millionen Fahrzeuge gesenkt. Auf diese Situation reagieren die Unternehmen reflexartig mit kühler betriebswirtschaftlicher „Logik": „Die anderen” haben schuld, das eigene Unternehmen „musste im Interesse der Kunden und Beschäftigten expandieren” Dem Bau neuer Fabriken in China, Indien, Russland, USA wird die Schließung von Fabriken andernorts folgen. Selbst in China werden mehr Autos produziert als verkauft.

Die Spritfresser: Das Auto als Transportmittel auf zu vielen oft verstopften Straßen ist ein Dinosaurier. Die Unternehmen haben mit großen Luxusschlitten an den Bedürfnissen der Menschen vorbei produziert — ein Fehler der Vorstände, die dem Trend nach den höchsten Profiten folgten. Nun stoßen die profitträchtigen PS-Protze auf geringere Einkommen, gestiegene Spritpreise und sinkende soziale Akzeptanz.

Die Konkurrenz: Sie ist mörderisch und sie wird auf die Beschäftigten übertragen. Im Kampf um Maximalprofite wurden die Unternehmen geschwächt. Karmann hat u.a. deshalb Insolvenz angemeldet, weil die Eigentümer in den letzten drei Jahren fast 100 Millionen Euro aus dem Unternehmen entnommen haben. Leih- und Zeitarbeiter werden zu Tausenden entlassen, Zulieferer gehen pleite, Lohnkürzungen, Arbeitszeitverlängerungen, noch mehr Lohnkürzungen und Arbeitszeitkürzungen stehen auf den Kostensenkungsprogrammen. Mit den von Opel und Daimler geforderten „substanziellen Beiträgen” der Beschäftigten für den Krieg der Konzerne werden in diesem gut organisierten Bereich Tarifverträge ausgehebelt. Partieller Lohnsenkung folgt flächendeckende Lohnsenkung: Lohndeflation ist der Anfang einer deflationären Entwicklung insgesamt.

Die Exportorientierung: 70% der Produktion gehen ins Ausland; dies erweist sich jetzt als Schwachpunkt. Es wurde Erwerbslosigkeit exportiert und aus der vormaligen „Stärke” entsteht Schwindsucht, wenn der Export in den ersten drei Monaten des Jahres um fast die Hälfte einbricht.

Die Gewerkschaften sind mit defensiven Positionen in das Jahr 2009 gegangen: Keine Entlassungen, faire Bedingungen für Leiharbeit und „mit Kurzarbeit die Krise meistern” Inzwischen „warnen” Gewerkschaftsführer vor „sozialen Unruhen” — statt Protest und Widerstand zu organisieren! Ein krasses Beispiel: Dem Schaeffler-Clan, der durch Raub jüdischen Eigentums und Zwangsarbeit zu dem wurde, was er ist, hat die IGM in einer Vereinbarung, in der die Übernahme von Conti legitimiert wird, beste Absichten bescheinigt. Eine Automobilkonferenz der IGM im März offenbarte das Dilemma. Die Verlängerung des Kurzarbeitergeldes, Bürgschaften von 100 Mrd. Euro für die Realwirtschaft und die Abwrackprämie wurden als Erfolge der Gewerkschaft bezeichnet. IGM-Chef Huber: „Von all diesen Vorschlägen profitiert heute die Automobilindustrie.” Und weiter: „Kurzarbeit ist das intelligenteste Instrument, um in der Krise Beschäftigung zu sichern."

Im März erklärt er, die Verschiebung der für Mai vereinbarten Tariferhöhung um 2,1% in Einzelfällen zu prüfen. Wen wundert‘s, dass Gesamtmetall nun die flächendeckende Abweichung vom Tarifabschluss ankündigt; die Einzelfallprüfung wird weggespült, wenn die Dämme (die Tarifverträge!) bei Daimler nach „offenen Gesprächen” gebrochen sind.

Dass nicht gezahlte Löhne weniger Konsum bedeuten und somit krisenverschärfend wirken, weiß der Gewerkschaftschef, doch den Widerspruch zwischen vernünftiger Volkswirtschaft und profitorientierter Betriebswirtschaft weiß er nicht zu lösen. Zu den Überkapazitäten fällt der IGM nur ein, dass „die industrielle Struktur in Deutschland erhalten bleiben muss” „Die Politik” wird aufgefordert, „alle Instrumente zur Sicherung der Automobilindustrie einzusetzen”

Auf den Vorschlag, integrierte Mobilitätskonzepte und Elektromobilität zu fördern, reagieren Opel, Karmann und andere mit dem „grünen Auto” als Ausweg aus der Krise. Spritsparmodelle mit effektiveren Motoren, besseren Reifen und weniger Gewicht sind in kürzester Zeit auf dem Markt — was beweist, dass diese Technologie uns bisher vorenthalten wurde. Das „grüne Auto” aber gibt es so wenig wie „grünen Atomstrom” oder den „schwarzen Schimmel”

Mit Co-Management und Absprachen zwischen Staat, Unternehmen und Gewerkschaften ist die Krise nicht im Interesse der Beschäftigten zu überwinden. Gewerkschaftliche Vorschläge, Branchenräte zu installieren, mehr Demokratie und Mitbestimmung in die Wirtschaft zu bringen, ist wie Pfeifen im dunklen Wald, solange dafür nicht in konkreten Situationen wie bei Schaeffler und Opel in den Betrieben und auf der Straße gekämpft wird. Genau das aber wird verhindert, u.a. durch die Spaltung der Belegschaften in Stamm- und Leiharbeiter, durch unterschiedliche Bezahlung von Männern und Frauen, durch das Ausspielen von Jungen gegen Alte und von Belegschaften untereinander in der Standortkonkurrenz.

Dem setzt die Gewerkschaft nichts Effektives entgegen; die Illusion, „mit Kurzarbeit durch die Krise” zu kommen, und das nicht einlösbare Ziel, „keine Entlassungen im Jahr 2009” wiegen die Beschäftigten in eine falsche Sicherheit, weshalb sie hoffen, der Kelch werde an ihnen vorüber gehen. Mal um Mal stimmen Betriebsräte, Gewerkschaften und Belegschaften Lohnsenkung, Kurzarbeit und Entlassungen zu — „die Leiharbeiter die wussten ja um ihre Situation”

Kurze Vollzeit für alle

Es gilt, eine demokratische Beteiligung der Beschäftigten und der Bevölkerung in der Region durchzusetzen. Die Idee von Wirtschafts- und Sozialräten kann Bedeutung erlangen, wenn die Beschäftigten und die Menschen in den Regionen aktiv werden. Mit den „Apparaten” von Parteien und Gewerkschaften ist das allein nicht zu machen, weil diese „aus ihrer Haut”, aus der antrainierten „Interessenvertretung” nicht heraus können, weil sie sich mit ihrem Einkommen und Habitus von den meisten Menschen weit entfernt haben.

Solange die Gewerkschaft sich zur politischen und herrschenden Klasse in diesem Staat nicht oppositionell verhält, wird sie Alternativen nicht denken und durchsetzen können.

Notwendig und möglich ist es, neben einem Mindestlohn von 1800 Euro monatlich und gleichem Lohn für gleiche Arbeit für folgende Alternativen zu mobilisieren:

  • Die Arbeitszeit ist auf 30 Stunden mit Lohnausgleich zu senken! Ohne faire Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen, Jungen und Alten, ohne faire internationale Arbeitsteilung ist die Krise nicht zu bewältigen! Die 30-Stunden-Woche kann jetzt umgesetzt werden, ohne dass dadurch weniger Wertschöpfung entstünde. Das vorhandene Arbeitsvolumen auf all jene zu fair-teilen, die arbeiten können und wollen, bedeutet „kurze Vollzeit” für alle. Mit den eingesparten Kosten für Arbeitslosigkeit, Arbeitsvermittlung, Sozialhilfe, für 1-Euro-Jobs und ergänzende Sozialhilfe und mit den Profiten der Unternehmen ist das zu bezahlen. Um Arbeitszeitverkürzung unmittelbar umzusetzen, ist eine Steuerfinanzierung denkbar — das ist jedenfalls besser, als Kurzarbeit und Entlassungen zu finanzieren!
  • Erforderlich ist ein ökologisches Umbauprogramm, das den öffentlichen Personen- und Güterverkehr in Ballungsgebieten und in der Fläche auf die Schiene bringt. Es muss die Erkenntnis greifen, dass wir mit unserem Energieverbrauch auf Kosten der Menschen in den weniger entwickelten Ländern leben: Der Bauer in Kenya, die Textilarbeiterin in Bangladesh erarbeiten unseren Wohlstand, die Automobilarbeiter in Südafrika und China erarbeiten unsere Rente! Gerechte Verteilung der Vermögen zwischen Arm und Reich und zwischen den Ländern ist nötig: Internationale Solidarität muss die Antwort sein! Keine Steuergelder, keine Bürgschaften, keine Kredite,
  • nichts für Konzerne, die in den zurückliegenden Jahren Milliardengewinne gescheffelt haben, aber oft keine Steuern zahlten;
  • nichts für Entlassungen und Werkschließungen;
  • nichts für Unternehmen ohne Beteiligung der Belegschaften;
  • nichts für Unternehmen ohne ökologische Kehrtwende;
  • nichts für ein „Weiter so” in der Automobilbranche!

Gesellschaftliche Planung

Die Krise schreit nach gesellschaftlicher Planung! In der Konkurrenz und in der anarchischen Produktion der Konzerne liegen die Ursachen für die ökologischen und wirtschaftlichen Katastrophen. Gesellschaftliche Planung ist zwingend zum Abbau der Überkapazitäten, um neue sinnvolle Produktion auf den Weg zu bringen und — zum Beispiel durch Bildung und Qualifizierung — Übergänge zu schaffen. Der „freie Markt” führt zu monopolistischen Strukturen, die nächste Krise würde für die Zivilisation noch schlimmer.

Ohne Druck werden die Herrschenden diesen Weg nicht frei machen. Der Druck kann und muss in den Betrieben beginnen — mit gut besuchten Sprechstunden des Betriebsrats, langen Betriebsversammlungen, gründlicher Reparatur der Anlagen, Dienst nach Vorschrift... und was es sonst noch an kreativen Ideen gibt, um die Geschäftsführung zur Verzweiflung zu treiben.

Seine Fortsetzung kann und muss dieser Druck auf den Straßen finden, in der Zusammenführung mit dem Widerstand der Schüler, der Studierenden, der Erwerbslosen, der Hartz-IV-Betroffenen, der sozialen Bewegungen, der Globalisierungskritiker, der Kriegsgegner! Wir können und müssen uns jetzt das Recht auf politischen Streik zurückerobern!
Gelingt das nicht, wird der Kapitalismus als Verursacher der Krise die Armen die Folgen zahlen lassen und gestärkt aus der Krise hervorgehen. Das aber führt in die Katastrophe oder — um es mit Rosa Luxemburg zu sagen — in die Barbarei!

Der Autor war Betriebsrat bei VW Wolfsburg.