Im
Herbst 2008 haben die politischen und wirtschaftlichen
Eliten erklärt, die Finanzkrise werde
einen Bogen um uns machen. Nun ist sichtbar,
dass es eine allumfassende mehrdimensionale
Krise des Produktions- und Wirtschaftssystems
ist; in der globalen Wirkung eine Krise der
Zivilisation.
Ein Aspekt dieser Krise ist, dass die in vielen
Ländern dominante Automobilindustrie
erschüttert wird. In dieser Industrie
und ihren Produkten bündeln sich verschiedene
einzelnen Krisen: die Verknappung fossiler
Energieträger und Rohstoffe wie Stahl
und Edelmetalle; die Nahrungsmittelkrise (wegen
des Umstiegs auf „nachwachsende Rohstoffe");
die Klimakatastrophe (wegen der Umweltbelastung
im Lebenszyklus). Verknappung heißt
Verteuerung — und um begrenzte Ressourcen
werden Kriege geführt.
Es
gibt „hausgemachte” Krisenverstärker:
Die Überproduktion: Den Kapazitäten
von über 70 Millionen Pkw stand vor dem
Herbst 2008 ein Absatz von „nur”
60 Millionen Pkw gegenüber; inzwischen
wurde die Absatzplanung auf unter 50 Millionen
Fahrzeuge gesenkt. Auf diese Situation reagieren
die Unternehmen reflexartig mit kühler
betriebswirtschaftlicher „Logik":
„Die anderen” haben schuld, das
eigene Unternehmen „musste im Interesse
der Kunden und Beschäftigten expandieren”
Dem Bau neuer Fabriken in China, Indien, Russland,
USA wird die Schließung von Fabriken
andernorts folgen. Selbst in China werden
mehr Autos produziert als verkauft.
Die Spritfresser: Das Auto als Transportmittel
auf zu vielen oft verstopften Straßen
ist ein Dinosaurier. Die Unternehmen haben
mit großen Luxusschlitten an den Bedürfnissen
der Menschen vorbei produziert — ein
Fehler der Vorstände, die dem Trend nach
den höchsten Profiten folgten. Nun stoßen
die profitträchtigen PS-Protze auf geringere
Einkommen, gestiegene Spritpreise und sinkende
soziale Akzeptanz.
Die Konkurrenz: Sie ist mörderisch und
sie wird auf die Beschäftigten übertragen.
Im Kampf um Maximalprofite wurden die Unternehmen
geschwächt. Karmann hat u.a. deshalb
Insolvenz angemeldet, weil die Eigentümer
in den letzten drei Jahren fast 100 Millionen
Euro aus dem Unternehmen entnommen haben.
Leih- und Zeitarbeiter werden zu Tausenden
entlassen, Zulieferer gehen pleite, Lohnkürzungen,
Arbeitszeitverlängerungen, noch mehr
Lohnkürzungen und Arbeitszeitkürzungen
stehen auf den Kostensenkungsprogrammen. Mit
den von Opel und Daimler geforderten „substanziellen
Beiträgen” der Beschäftigten
für den Krieg der Konzerne werden in
diesem gut organisierten Bereich Tarifverträge
ausgehebelt. Partieller Lohnsenkung folgt
flächendeckende Lohnsenkung: Lohndeflation
ist der Anfang einer deflationären Entwicklung
insgesamt.
Die Exportorientierung: 70% der Produktion
gehen ins Ausland; dies erweist sich jetzt
als Schwachpunkt. Es wurde Erwerbslosigkeit
exportiert und aus der vormaligen „Stärke”
entsteht Schwindsucht, wenn der Export in
den ersten drei Monaten des Jahres um fast
die Hälfte einbricht.
Die Gewerkschaften sind mit defensiven Positionen
in das Jahr 2009 gegangen: Keine Entlassungen,
faire Bedingungen für Leiharbeit und
„mit Kurzarbeit die Krise meistern”
Inzwischen „warnen” Gewerkschaftsführer
vor „sozialen Unruhen” —
statt Protest und Widerstand zu organisieren!
Ein krasses Beispiel: Dem Schaeffler-Clan,
der durch Raub jüdischen Eigentums und
Zwangsarbeit zu dem wurde, was er ist, hat
die IGM in einer Vereinbarung, in der die
Übernahme von Conti legitimiert wird,
beste Absichten bescheinigt. Eine Automobilkonferenz
der IGM im März offenbarte das Dilemma.
Die Verlängerung des Kurzarbeitergeldes,
Bürgschaften von 100 Mrd. Euro für
die Realwirtschaft und die Abwrackprämie
wurden als Erfolge der Gewerkschaft bezeichnet.
IGM-Chef Huber: „Von all diesen Vorschlägen
profitiert heute die Automobilindustrie.”
Und weiter: „Kurzarbeit ist das intelligenteste
Instrument, um in der Krise Beschäftigung
zu sichern."
Im März erklärt er, die Verschiebung
der für Mai vereinbarten Tariferhöhung
um 2,1% in Einzelfällen zu prüfen.
Wen wundert‘s, dass Gesamtmetall nun
die flächendeckende Abweichung vom Tarifabschluss
ankündigt; die Einzelfallprüfung
wird weggespült, wenn die Dämme
(die Tarifverträge!) bei Daimler nach
„offenen Gesprächen” gebrochen
sind.
Dass nicht gezahlte Löhne weniger Konsum
bedeuten und somit krisenverschärfend
wirken, weiß der Gewerkschaftschef,
doch den Widerspruch zwischen vernünftiger
Volkswirtschaft und profitorientierter Betriebswirtschaft
weiß er nicht zu lösen. Zu den
Überkapazitäten fällt der IGM
nur ein, dass „die industrielle Struktur
in Deutschland erhalten bleiben muss”
„Die Politik” wird aufgefordert,
„alle Instrumente zur Sicherung der
Automobilindustrie einzusetzen”
Auf den Vorschlag, integrierte Mobilitätskonzepte
und Elektromobilität zu fördern,
reagieren Opel, Karmann und andere mit dem
„grünen Auto” als Ausweg
aus der Krise. Spritsparmodelle mit effektiveren
Motoren, besseren Reifen und weniger Gewicht
sind in kürzester Zeit auf dem Markt
— was beweist, dass diese Technologie
uns bisher vorenthalten wurde. Das „grüne
Auto” aber gibt es so wenig wie „grünen
Atomstrom” oder den „schwarzen
Schimmel”
Mit Co-Management und Absprachen zwischen
Staat, Unternehmen und Gewerkschaften ist
die Krise nicht im Interesse der Beschäftigten
zu überwinden. Gewerkschaftliche Vorschläge,
Branchenräte zu installieren, mehr Demokratie
und Mitbestimmung in die Wirtschaft zu bringen,
ist wie Pfeifen im dunklen Wald, solange dafür
nicht in konkreten Situationen wie bei Schaeffler
und Opel in den Betrieben und auf der Straße
gekämpft wird. Genau das aber wird verhindert,
u.a. durch die Spaltung der Belegschaften
in Stamm- und Leiharbeiter, durch unterschiedliche
Bezahlung von Männern und Frauen, durch
das Ausspielen von Jungen gegen Alte und von
Belegschaften untereinander in der Standortkonkurrenz.
Dem setzt die Gewerkschaft nichts Effektives
entgegen; die Illusion, „mit Kurzarbeit
durch die Krise” zu kommen, und das
nicht einlösbare Ziel, „keine Entlassungen
im Jahr 2009” wiegen die Beschäftigten
in eine falsche Sicherheit, weshalb sie hoffen,
der Kelch werde an ihnen vorüber gehen.
Mal um Mal stimmen Betriebsräte, Gewerkschaften
und Belegschaften Lohnsenkung, Kurzarbeit
und Entlassungen zu — „die Leiharbeiter
die wussten ja um ihre Situation”
Kurze
Vollzeit für alle
Gesellschaftliche
Planung
Die
Krise schreit nach gesellschaftlicher Planung!
In der Konkurrenz und in der anarchischen Produktion
der Konzerne liegen die Ursachen für die
ökologischen und wirtschaftlichen Katastrophen.
Gesellschaftliche Planung ist zwingend zum Abbau
der Überkapazitäten, um neue sinnvolle
Produktion auf den Weg zu bringen und —
zum Beispiel durch Bildung und Qualifizierung
— Übergänge zu schaffen. Der
„freie Markt” führt zu monopolistischen
Strukturen, die nächste Krise würde
für die Zivilisation noch schlimmer.
Ohne Druck werden die Herrschenden diesen Weg
nicht frei machen. Der Druck kann und muss in
den Betrieben beginnen — mit gut besuchten
Sprechstunden des Betriebsrats, langen Betriebsversammlungen,
gründlicher Reparatur der Anlagen, Dienst
nach Vorschrift... und was es sonst noch an
kreativen Ideen gibt, um die Geschäftsführung
zur Verzweiflung zu treiben.
Seine Fortsetzung kann und muss dieser Druck
auf den Straßen finden, in der Zusammenführung
mit dem Widerstand der Schüler, der Studierenden,
der Erwerbslosen, der Hartz-IV-Betroffenen,
der sozialen Bewegungen, der Globalisierungskritiker,
der Kriegsgegner! Wir können und müssen
uns jetzt das Recht auf politischen Streik zurückerobern!
Gelingt das nicht, wird der Kapitalismus als
Verursacher der Krise die Armen die Folgen zahlen
lassen und gestärkt aus der Krise hervorgehen.
Das aber führt in die Katastrophe oder
— um es mit Rosa Luxemburg zu sagen —
in die Barbarei!
Der
Autor war Betriebsrat bei VW Wolfsburg.