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Mehr als eine Rezession
ein Wirtschaftsmodell in Zersetzung

von Joel Geier aus Inprekorr 440/441 Juli/August 2008


Wir befinden uns an einem wichtigen Wendepunkt. Die jetzt stattfindende Rezession kennzeichnet das Ende der fünfundzwanzig Jahre dauernden Periode des Wirtschaftswachstums, das auf dem neoliberalen Modell basierte – einem Modell, das für das Kapital jahrelang ein großer Segen war, für die Arbeiterklasse aber viel Elend brachte. Neoliberale Maßnahmen wurden vor einer Generation eingeführt – nach dem langen Nachkriegsboom und dem Beginn der Krise in den 70er Jahren –, um die kapitalistische Rentabilität wiederherzustellen. Diese Politik beinhaltete, was Angebotsökonomie genannt wurde, wozu Steuersenkungen für die Reichen, ökonomische Deregulierung und Privatisierung, Einschnitte bei den Sozialleistungen, Angriffe auf die Gewerkschaften und Lohn-kürzungen gehörten. Diese Politik führte zu einer gewaltigen Zunahme der Verschuldung. Der Monetarismus war die Grundlage der Finanz-politik, und billige Kredite wurden als Lösung gegen den Wirtschafts-abschwung betrachtet. Diese Politik hat nun zu einer ökonomischen Katastrophe geführt – zuerst für die Werktätigen, aber nun auch für das kapitalistische System selbst.

Die destruktiven Folgen des Neoliberalismus werden eine Reorganisat-ion des Kreditsystems und der Banken erfordern sowie eine Sanierung des unausgewogenen Systems des Welthandels. Diese Krise ist tiefer als eine klassische zyklische Rezession – sie wird lange, schmerzvolle Jahre von Krise und Umstrukturierung zur Folge haben. Das bürgerliche Programm dafür ist noch nicht bestimmt, aber zweifellos treten wir in eine neue Periode ein, sowohl in ökonomischer wie in politischer Hinsicht, die das Kräfteverhältnis zwischen den führenden Nationen in der Welt verändern wird.

Vor einem Jahr wurde klar, dass die USA einer Rezession entgegengehen. Der Wirtschaftszyklus war an seinem Gipfelpunkt angekommen und die Überproduktion an Immobilien produzierte erst stagnierende und dann sinkende Immobilienpreise, als der „Subprime”-Immobilienmarkt1 verfiel. Der immer noch stattfindende Zerfall der Immobilienblase leitete einen gleichermaßen langsamen Zerfall der Kreditblase ein, die der Economist vor einigen Jahren als die größte Finanzblase der Welt bezeichnet hatte. Der Einfluss sinkender Hypotheken sandte die ersten Schockwellen, die einen Hebeleffekt auf die Struktur des stark verschuldeten Finanzsystems hatten. Die massiven Forderungsausfälle zerstörten die Profite der Banken, beschränkten ihre Fähigkeit zur Kreditausgabe und führten eindeutig zu einer Kreditkrise und Rezession

1 Es handelt sich um Hypothekendarlehen zu variablen Zinsraten. Die Erhöhung der Basiszinsrate durch die Federal Reserve hat zur Folge, dass zahlreiche Haushalte diese Darlehen nicht zurückzahlen können, während gleichzeitig die Immobilienüberproduktion den Wert der Immobilien senkt, was dazu führt, dass die Gläubiger ihre Darlehen nicht zurückerhalten, selbst wenn sie sich die Immobilie aneignen und die „Eigentümer“ vor die Tür setzen.

Es war anfangs nicht vorauszusehen, wann sich dies auf die gesamte Ökonomie auswirken würde, wenngleich wir annahmen, dass es in ein bis zwei Jahren der Fall sein würde. Die Welt befand sich noch auf dem Gipfel ihres größten Booms seit den frühen 70er Jahren. In den USA waren die Profite sehr hoch und die Profitraten der Banken waren die höchsten seit den 20er Jahren. Auch konnten wir nicht voraussehen, welche Maßnahmen die Regierung ergreifen würde, um den Prozess der Rezession zu verlangsamen oder seine Wirkungen zu schwächen.

Als 1998 die Asienkrise in das globale Finanzsystem schwappte, beschloss Alan Greenspan, der Chef der Federal Reserve Bank, erstmalig einen laufenden Wirtschaftsboom anzureizen. Die Rezession wurde in den USA über zwei Jahre lang erfolgreich hinaus-gezögert. Der Preis dafür war hoch: Die Blase der „new economy“ führte zu einer Implosion der Börsenkurse, und gewaltige Handelsdefizite und Auslandsschulden häuften sich, als die USA für Asien als Käufer „der letzte Ausweg“ wurden. Und als die Rezession schließlich 2001 die USA erreichte – mit den größten Abstürzen bei den Profiten seit den 30er Jahren –, wurden ihre Auswirkungen durch das größte Paket an Anreizen seit dem Zweiten Weltkrieg abgefedert. Das Plus von 250 Milliarden Dollar im Regierungsbudget wurde in ein Defizit von 300 Milliarden Dollar verwandelt; 1 Billion Dollar an Steuerkürzungen für die Reichen und Kriegsausgaben wurden verwendet, um die Auswirkungen der Krise abzuschwächen. Die Zinsraten wurden drei Jahre lang auf 1–2 % gekürzt, um die Betriebskosten zu senken und die Rentabilität wiederherzustellen. Das Resultat war die schwächste Erholung seit dem Zweiten Weltkrieg, und der Preis dafür waren die Immobilien- und Schuldenblase, deren Zerfall zur gegenwärtigen Krise führte.

Die Wirtschaft befindet sich nun in einer Rezession oder steht vor einer solchen. Bei jedem Wendepunkt liefern die Eckdaten noch widersprüchliche Signale. Teile der Wirtschaft be- finden sich sichtbar in einer Rezession; bei Bau, Auto, Finanzen und Einzelhandel bspw. werden keine Arbeitsplätze mehr geschaffen. Kreditzusammenbrüche haben in den bislang stabilsten Bereichen des Finanzsystems stattgefunden. Doch einige Daten liefern die Illusion, wonach die Ökonomie sich nicht in einer Rezession befindet, sondern nur in einer Wachstumsverzögerung, oder wonach die Rezession mild oder kurz sein wird. Demnach soll das Wachstum in einem Zeitraum von sechs Monaten wiederhergestellt sein, da niedrigere Zinsraten und ein Finanzhilfsprogramm von 150 Milliarden Dollar den Konsum wiederherstellen würden. Einige Analysten sagen voraus, dass die Exportindustrie die Wirtschaft über Wasser halten wird. Aber die Exporte, die im dritten Quartal 2007 um 19 % gewachsen waren, wuchsen im vierten Quartal nur um 3,9 %, trotz des niedrigen Dollarkurses. Die Verlangsamung des Exportwachstums ist ein Zeichen ökonomischer Schwäche, die sich international ausbreitet.

Die Argumente zugunsten einer milden Rezession gründen auf der Erwartung eines schnellen Wiederaufschwungs der Profite. Während die Profite im vierten Quartal 2007 dramatisch sanken – um 20 % gegenüber dem Vorjahr –, beruhte der Niedergang auf den großen Abschreibungen im Bankensystem, die fortdauern werden. In den übrigen Bereichen der Ökonomie schienen die Profite standzuhalten, insbesondere in den Sektoren Öl, Rohstoffe und Hightech, die alle vom weltweiten Boom profitierten. Die Profite der 500 größten Unternehmen wuchsen noch um 11 % im Verlauf des Jahres 2007. Doch der größte Teil dieser Profite stammt aus internationalen Geschäftsabschlüssen. Es gibt noch keine verlässlichen Zahlen über die Profi- te aus dem Inlandsgeschäft, die im Jahresverlauf gesunken sind.

Jeden Tag gibt es neue Daten des ökonomischen Niedergangs. Der größte Schock war der heftige Zusammenbruch der Dienstleistungsökonomie (das Institute for Supply Management berichtete, dass sein Index der Aktivität des Dienstleistungssektors im Januar 2008 auf 41,9 gesunken sei – von 54,4 im Dezember 2007; ein Index unter 50 zeigt eine Rezession an). Mittlerweile erreichen Krediteinschränkungen ständig neue Bereiche – trotz massiver Liquiditätsspritzen (Zentralbanken stecken Geld in die Banken, um eine Lähmung des Kredits zu verhindern). Das Wall Street Journal erwähnte kürzlich „die Reduzierung der Bonität von Kreditkarten“, weshalb 7,6 % der Kreditkartendarlehen mindestens 60 Tage im Verzug sind oder zwangsvollstreckt werden. Das Scheitern von Krediten die „auction-rated“ (d. h. deren variable Zinsraten periodisch durch Versteigerungen bewertet werden) sind – angeblich die sichersten Kredite – hat die kommunalen Zinsraten nach oben schnellen lassen. Kredite für Studiendarlehen versiegen und die Kreditrestriktionen für Unternehmen wie Konsumenten nehmen zu.

GLOBALE DIMENSIONEN

Der Abschwung ist nun global geworden. Die Rezession begann in den USA und hat dort ihr Zentrum, aber es gibt auch einen Konjunkturrückgang in Europa und Japan. Italien scheint sich bereits in der Rezession zu befinden. Die Immobilienblase ist u.a. in Großbritannien, Irland und Spanien zerplatzt; andere, darunter China, werden vermutlich folgen. Die europäischen Banken haben begonnen, über ähnliche Schwierigkeiten zu berichten wie die amerikanischen Banken. Im Januar gab es einen internationalen Börsencrash, der die USA, Kanada, Japan, Großbritannien, Frankreich und Deutschland betraf, aber auch die aufstrebenden Märkte (Brasilien, Russland, Indien und China). Der Crash dauerte drei Wochen, vom 2. bis 23. Januar, und die Börsenkurse sanken zwischen 15 und 20 %. Über 7 Billionen Dollar an Effekten wurden dabei ausgelöscht. Die Theorie, nach der die Weltökonomie sich von der US-Ökonomie abgekoppelt habe und der weltweite Boom auch angesichts einer Rezession in den USA weitergehen werde, ist in einer internationalen Börsenpanik zusammengebrochen.

In den letzten Jahren ist der Anteil der USA an der Weltwirtschaft dramatisch gesunken, von 30 % auf unter 25 % des weltweiten Bruttoinlandsprodukts (BIP), aber die USA sind noch immer das Zentrum des internationalen kapitalistischen Systems. 55 % aller in Asien produzierten Güter werden exportiert, zwei Drittel davon in die USA und die anderen fortgeschrittenen Industrieländer. Der Konsumentenmarkt in den USA beläuft sich auf 9,5 Billionen Dollar, in Indien und China zusammen auf 1,6 Billionen Dollar. Asiatische Fertiger sind für den Verkauf ihrer Waren vom US-Markt abhängig – ohne ihn haben sie eine Überproduktionskrise. Deshalb wird der Niedergang des US-Marktes eine unheilvolle Auswirkung auf die übrige Weltwirtschaft haben.

Zunehmend sieht es so aus, als ob die ganze Welt zusammen in eine Rezession eintritt. Seit 1973 hat es keine koordinierte internationale Rezession mehr gegeben. Seit damals boomten einige Länder, wenn andere eine Rezession aufwiesen, und hielten ihre Exportmärkte aufrecht, um den Abschwung in den Ländern mit einer Rezession zu lindern. Wenn alle gemeinsam in die Rezession gehen, ziehen sich die Exportmärkte überall zusammen und vertiefen so die Rezession weiter.

Die aktuelle Krise ist auch eine Krise des Finanzkapitals, die in den USA begonnen hat, sich aber auf das internationale Banksystem ausbreitet. Das Banksystem ist der Schlüssel zur kapitalistischen Produktion ebenso wie zur Verteilung, die beide ohne Kredit nicht funktionieren können. Und es ist auch einer der wesentlichen Wege, auf dem der US-Imperialismus die Welt beherrscht hat, durch sein internationales Banksystem.

Vor einem Jahr, als die Verlangsamung begann, waren die meisten Aspekte des Kreditsystems vor der Öffentlichkeit verborgen. Es gab keine öffentliche Kenntnis der structural investment vehicles (SIV)2, die angewandt wurden, um die Kapitalreserven niedrig zu halten und so die Profite aufzublähen, oder der massiven Verbreitung von Betrug und Korruption im Zentrum des Finanzsystems.

2 SIV sind Fonds, die kurzfristig Geld zu niedrigen Zinsen aufnehmen und langfristig zu höheren Zinsen anlegen. Diese Fonds, die massiv in langfristige Subprime-Kredite investiert haben, sind als erste von der aktuellen Krise betroffen.

Die Banken werden durch Verluste gelähmt, die ihren Ursprung in der Immobilienblase haben. Bislang haben sie 160 Milliarden Dollar an Ab-schreibungen aus Subprime-Hypotheken verloren (ein Drittel davon bei nur drei Banken – Citicorp, Merrill Lynch und UBS), und es wird erwartet, dass sie insgesamt 300–400 Milliarden Dollar an Subprime-Hypotheken verlieren. Der Immobilienmarkt hat den Tiefpunkt noch nicht erreicht, und wenn die Immobilienpreise weiter sinken (sie sind bereits um 10 % gesunken und sollen in den nächsten Jahren um weitere 10–20 % sinken), werden die Banken noch größere Verluste zu verzeichnen haben. Die Hausbesitzer werden 4–6 Billionen Dollar verlieren, und ein Drittel der Haushalte wird mit Hypotheken belastet sein, die höher sind als der Wert ihrer Häuser. Auf dem Subprime- Markt erzielte Verluste führen zu Kreditschrumpfungen im Wert von 2 Billionen Dollar. Die gesamte Kreditschrumpfung ist womöglich noch viel größer. Die kommerziellen Immobilienmärkte, die vor Monaten noch boomten, brechen jetzt zusammen. Ihre geschätzten Verluste können ebenso groß sein wie die auf Subprime-Hypotheken. Andere Kreditprobleme nehmen auch zu, von Obligationen auf die Schulden von Kreditkarten zu Unternehmensfusionen und -aufkäufen, die durch Risikoobligationen (sog. junk bonds) finanziert werden.

Firmenobligationen werden mit Paketen finanziert, die den subprimes ähneln. Die Obligationen werden geteilt und als Pakete verkauft; die schlimmsten, risikoreichsten Teile mit den höchsten Zinsraten. In diesem pyramidenförmigen Schema, wird der Rest abgewertet, wenn ein Teil in Verzug gerät. Obligationen hochverschuldeter Unternehmen wurden populär, weil die Käufer einen Schutz in Form der credit derivative swaps (CDS)3 erwerben konnten. Diese CDS stellen einen vollkommen unregulierten Markt von 45 Billionen Dollar mit lockeren Leihbedingungen dar. Sie werden ständig ge-handelt, so dass niemand weiß, wer den Schutz garantiert und ob die Ressourcen für seine Finanzierung vorhanden sind. Gewiss ist, dass mit der Kreditrestriktion und der Rezession eine große Zahl von Unternehmen nicht über den nötigen Kapitalfluss verfügt, um Zahlungen auf eine hohe Verschuldung zu leisten. Sie werden pleite gehen – ein Prozess, der gerade erst anfängt und in den kommenden zwei Jahren in Fahrt kommen wird. Infolge der fehlenden Transparenz und des damit einhergehenden Schwindels gibt es keine sicheren Informationen darüber, wie groß dieses Problem werden kann.

3 Die CDS sind bilaterale Finanzverträge zwischen Käufern und Verkäufern eines Darlehensschutzes. Der Käufer zahlt jedes Jahr im Voraus eine Prämie, abhängig vom Betrag des gewährten Darlehens, an den Verkäufer, der verspricht, die Verluste auszugleichen, die aus einem eventuellen Zahlungsverzug resultieren. Der Verkäufer des Schutzes erhält somit periodische Prämien und erhöht sein Haben ohne eine Kapitalinvestition, wenn bis zur Fälligkeit des Vertrags kein Zahlungsverzug eintritt. Andernfalls ist er gezwungen, Gelder zu liefern. Es handelt sich also um eine Operation außerhalb der Bilanzen.

NEOLIBERALE KRISE

Dieses wachsende Schulden-debakel resultiert aus der neoliberalen Politik der Bankenderegulierung, die mit Reagans Reformen der „Liberalisierung des Marktes“ in den 80er Jahren begann und den Banken erlaubte, Operationen à la Enron durchzuführen, die nicht in der Unternehmensbilanz auftauchen.4 Um ihre Profite zu erhöhen, konnten die Banken ihre Darlehen vervielfachen, mit dem Risiko, dass sie nicht über die Reserven verfügten, falls die Rückzahlung der Darlehen scheiterte. Die Steuergesetze von Clinton und Bush ermutigten Operationen außerhalb der Bilanzen, indem sie die Löhne der Bankangestellten als „Zinsertrag“ besteuerten, ein Steuerschlupfloch für die Kapitalistenklasse, das es ihr erlaubt, ihren höchsten Steuersatz auf nur 15 % der Einkommen zu halten, was die demokratische Mehrheit im Kongress immer noch konserviert.

4 Enron war an seinem Börsenkapital gemessen eins der größten amerikanischen Unternehmen. Außerhalb ihres Kerngeschäfts im Erdgassektor hatte diese texanische Gesellschaft ein Maklersystem aufgebaut, mit dem sie Strom kaufte und weiterverkaufte, besonders in das Netz der Stromanbieter des Bundesstaates Kalifornien. Im Dezember 2001 machte sie Bankrott auf Grund der Verluste, die sie mit ihren spekulativen Operationen auf dem Elektrizitätsmarkt eingefahren hatte – Verluste, die durch Buchungsmanipulationen als Gewinne maskiert worden waren. Vgl. Andrew Pollack,
„EnronOnline und die nicht ganz so neue New
Economyì, Inprekorr Nr. 367, Mai 2002

Unter Clinton bestand das neoliberale Geschenk an die Banken in der Abschaffung des Glass-Steagall-Gesetzes aus dem Jahr 1933, der Zeit der Großen Depression, das der Trennung zwischen kommerziellen und Investment-banken ein Ende bereitet hatte. Die Investmentbanken standen am Ursprung der Verschuldungspakete der Unternehmen. Die Agenturen zur Bewertung von Obligationen (Moody’s, Standard & Poor’s, Fitch) wurden von den Urhebern dieser Obligationen bezahlt, um die bestmöglichen Bewertungen zu liefern, so dass Pensionsfonds und Versicherungsgesellschaften sie erwerben können. Die Firma Goldman Sachs, größte Urheberin dieser tödlichen Schulden, hat gewaltige Honorare eingestrichen, wenn sie diese Obligationen an ihre KundInnen verkaufte, während sie gleichzeitig Milliarden durch die Spekulation gegen diese Obligationen eingenommen hat, von denen sie wusste, dass sie in Zahlungsverzug und Bankrott enden würden. Es gibt einige Gewinner inmitten dieses Elends.

Hinter der Finanzkrise des Banksystems gibt es die Schuldenkrise der KonsumentInnen. Der Hauptgrund für die Explosion der ausufernden Verschuldung der KonsumentInnen ist die extreme soziale Ungleichheit infolge der neoliberalen Politik des freien Marktes. Die US-Wirtschaft hat sich seit 1973 nahezu verdreifacht, aber das gesamte Wachstum ging an das Kapital, nicht an die Arbeit. Die Reallöhne sind heute niedriger als 1973, vor 35 Jahren also. Der einzige Weg, den Lebensstandard zu halten, waren längere Arbeitszeiten und zwei Einkommen in einer Familie zu haben. Selbst das reichte nicht: Das reale Familieneinkommen ist heute niedriger als vor zehn Jahren. Um ihren Lebensstandard zu halten, versanken die Arbeitenden tiefer in der Verschuldung. Die äußerste und schlimmste Verschuldung bestand in der Aufnahme einer Anleihe mit einer Hypothek auf die einzigen Ersparnisse, den steigenden Wert ihrer Häuser. Von 2004 bis zur ersten Jahreshälfte von 2007 nahmen Hausbesitzer 800 Milliarden Dollar pro Jahr durch die Refinanzierung ihrer Immobiliendarlehen und durch Hypothekendarlehen ein. 34 Millionen US-amerikanische Haushalte – fast ein Drittel der Bevölkerung – nahmen Anleihen mit einer Hypothek auf ihr Haus auf. Zusammen hatten sie eine Nettosparrate von minus 13 %. Anders gesagt, sie lebten buchstäblich von ihren Häusern.

Als die Immobilienblase platzte und die Hypothekenraten in die Höheschnellten, konnte eine große Anzahl von Lohnabhängigen ihre Zahlungen auf ihre Häuser nicht mehr leisten und trug so zu der Spirale der verfallenden Immobilienwerte bei, und damit auch zur Bankenkrise. Dies hatte gleichfalls dazu geführt, dass Konsumausgaben, die auf den Anleihen auf den steigenden Wert der Häuser beruhten, ein Ende nahmen, was seinerseits Druck auf die Produzenten von Konsumgütern – besonders auf die Hersteller von Produkten wie Autos und Haushaltsgeräten– ausübte und mittlerweile die Fertigwarenindustrie erreichte. Natürlich wird dieser Zusammenbruch der Ausgaben der KonsumentInnen auch einen internationalen Einfluss auf Länder haben, die von den USA als dem entscheidenden Markt für den Export abhängen, da die USA seit der Asienkrise als „Käufer der letzte Ausweg“ sind.

Seit der Panik von 1907 und der Schaffung des Systems der Federal Reserve 1913 ist dies die dritte US-amerikanische Finanzkrise. Die erste fand in den 30er Jahren statt, als die innerimperialistischen Beziehungen, die zu den beiden Weltkriegen führten, zwischen den Kriegen den internationalen Bankenkrach produzierten, der die Depression der 30er Jahre unlenkbar machte. In dieser Periode gab es keine Einlagenversicherung, und die Krise führte zu einem Run auf die Banken, als die Menschen versuchten, ihre Einlagen zurückzuziehen. Die daraus resultierende Panik führte zum Bankrott Tausender Banken.

Das zweite Finanzdesaster war die Spar- und Darlehenskrise der 80er Jahre, die auf Hypothekengeber beschränkt war. Dies war ein Verlust von 180 Milliarden Dollar, der durch eine Finanzspritze der Steuerzahler sozialisiert wurde, wobei die Aktiva durch die Resolution Trust Company zu Preisen verkauft wurden, die Investoren gewaltige Profite ermöglichten. Es gab eine Kreditkontraktion, aber sie war nicht intensiv genug, um einen langfristigen Einfluss auf die Ökonomie auszuüben.

Die jetzige dritte Krise ist viel weitreichender als die zweite. In ihrem Anfangsstadium lässt sie bereits das Ausmaß der zweiten hinter sich. Es gibt noch kein genaues Bild, wie schlimm sie wirklich werden wird. Doch die Banken werden sogar mit einem Teil des Verlusts der Subprime-Hypotheken gelähmt. Sie mussten Kapital zusammenbringen, indem sie Teile der Banken nach Abu Dhabi, Singapur und an verschiedene andere souveräne Vermögensfonds verkauften – was faktisch zur teilweisen Kontrolle durch ausländische Regierungen führt.

Als Japans Immobilien- und Aktienblase 1990 platzte, wurden die japanischen Banken, die Inhaber der Schulden waren, durch zweifelhafte Außenstände gelähmt. Japan litt über ein Jahrzehnt an einer Rezession und Stagnation, trotz Zinsraten, die nahezu auf Null reduziert wurden. Japan entging der Rezession erst kürzlich durch den Asienboom. Die jetzige Bankenkrise könnte durchaus schlimmer sein als diejenige Japans aufgrund der Anzahl der Banken in der ganzen Welt, die von der Schaffung nichtregulierter Kreditderivate und von Operationen außerhalb der Bilanz betroffen sind. Ihre globale Auswirkung wird größer sein, weil anders als die US-Banken die japanischen Banken nicht im Zentrum des internationalen Finanzsystems stehen.

ANGEHÄUFTE WIDERSPRüCHE

Diese Finanzkrise ist potenziell gefährlicher, weil sie sich vor dem Hintergrund der tiefen Widersprüche der neoliberalen Periode vollzieht. Das System des Welthandels nahm nach der Asienkrise von 1997/98 und der Antwort der von Greenspan geführten Federal Reserve auf diese Krise eine besondere Form an. Die USA wurden zum Käufer in letzter Instanz, indem sie billigere asiatische Waren importieren und Produktionsstätten nach Asien, vor allem China, verlagern. Die USA verloren ihre Wettbewerbsposition auf dem Weltmarkt. Das US-Handelsde- fizit blähte sich in den letzten Jahren auf jährlich 700–800 Milliarden Dollar auf, das durch eine Auslandsverschuldung von 3,5 Billionen Dollar bezahlt wird – 80 % der weltweiten Ersparnisse finanzierten dieses Defizit. In diesem Wirtschaftszyklus haben die USUnternehmen nicht in die Schaffung neuer Fabriken und Ausrüstung, d. h. in die Ausdehnung der Produktionsmittel, investiert. Es gibt heute in den USA weniger Fabriken als vor Beginn der Wachstumsphase vor sechs Jahren. Es gibt heute 3 Millionen industrielle Lohnabhängige weniger als vor fünf Jahren. Mittlerweile haben US-Unternehmen massiv in neue Fabriken in China und Südostasien investiert. Der größte Teil der Produktion dieser Fabriken geht in den Export und dadurch in einem Kreislauf zum großen Teil in die USA.

Dieses internationale Handelssystem mit dem gewaltigen, von asiatischen Zentralbanken finanzierten USHandelsdefizit kann nicht ewig bestehen bleiben. Doch existiert es schon so lange, dass es ein akzeptierter Teil von Welthandel und -finanzen geworden ist. Aber das US-Handelsdefizit wird unhaltbar, denn es trifft auf die Kredit- und Verschuldungskrise sowie auf den Niedergang des Dollarkurses. Die USA, die nun der Welt größter Schuldner sind, liehen im Ausland 3,5 Billionen Dollar, wobei sie sich weigerten, ihre Währung zu verteidigen. Sie erlaubten (und ermutigten als Exportstütze) die Abwertung des Dollars um 30 % seit dem Jahr 2000. Die ausländischen Gläubiger der USA haben durch die Dollarabwertung eine Billion Dollar verloren, der größte Schuldenzahlungsausfall der Geschichte. Es gibt deshalb eine größere Zurückhaltung seitens ausländischer Banken und Investoren, die US-Verschuldung durch Erhöhung ihrer Dollarreserven weiter zu finanzieren, da der Dollar aufgrund der Schuldenprobleme, der Kürzung der Zinsraten, schwacher US-Pro fite und der Handels- und Haushaltsde- fizite weiter an Wert verliert.

Zur schmerzhaften Umstrukturierung der US-Ökonomie gehört eine schmerzhafte Angleichung des Welthandels. Länder, die vom Export für den US-Markt abhängig sind, werden von dieser Krise betroffen sein. Der chinesische Binnenkonsum beträgt nur 35 % des BIP; bei sinkenden Exporten ist China mit einer Überproduktion in den meisten Industriezweigen konfrontiert. Die chinesische Produktion wurde bislang durch die Handelsbeziehungen mit den USA aufrechterhalten, die nun zunehmend unhaltbar geworden sind. Die chinesische Regierung hält 1,5 Billionen Dollar an Fremdwährungsreserven, wovon der größte Teil aus Schulden der US-Regierung besteht. Unhaltbare Bedingungen werden, auch wenn sie jahrelang fortbestehen, schließlich zum Eklat führen. Die aktuelle Krise wird dies verdeutlichen.

Auch die Kriegsökonomie verstärkt das Ausmaß der Krise. Im Jahr 2000 betrugen die Militärausgaben 299 Milliarden Dollar; mittlerweile belaufen sie sich auf über 800 Milliarden Dollar – eine Zunahme von einer halben Billion Dollar in sieben Jahren. Vom Ende des Vietnamkriegs bis 2007 betrugen die Rüstungsausgaben 3–4 % der Wirtschaft, mit Ausnahme einiger Jahre der Aufrüstung während Reagans zweitem Kalten Krieg.

Die Rechte verlangt eine Ausweitung des Militärs und eine Erhöhung der Rüstungsausgaben. Sie behauptet, dass sie gegenwärtig 4 % des Bruttosozialprodukts (BSP) betragen, und spricht von 515 Milliarden Dollar. Aber wenn man die zusätzlichen Ausgaben für den Krieg in Afghanistan und im Irak einbezieht sowie die Ausgaben für die innere Sicherheit, die CIA, die Nuklearwaffen als Teil des Energiehaushalts und die zusätzlichen Kosten für die Gesundheitsversorgung von Veteranen, machen die Militärausgaben über 800 Milliarden Dollar, also 6 % des BSP, aus.

Gegen Ende der permanenten Rüstungswirtschaft mit der Niederlage der USA in Vietnam konnten die USA ein Ausmaß von 6 % oder mehr des BSP nicht länger aufrechterhalten. Es war nur durch eine totale Beherrschung des Weltmarkts durch die USA erreichbar. Nachdem die USA Ende der 60er Jahre Konkurrenten erhalten hatten – die wiederaufgebauten Länder Deutschland und Japan –, konnten sie eine permanente Rüstungswirtschaft dieses Ausmaßes nicht länger halten. Die Geschichte wiederholt sich. Mit einer geringen Wettbewerbsfähigkeit der USA auf dem Weltmarkt, einem gewaltigen Handelsdefizit und nun auch der Abhängigkeit von Auslandsanleihen haben die USA Probleme, das Ausmaß an Kriegsausgaben aufzubringen, das erforderlich ist, um ihre Position als Weltsupermacht zu bewahren. Durch seine endlose militärische und politische Katastrophe im Irak und in Afghanistan geschwächt, hat der US-Imperialismus nun gewaltige Wirtschaftsprobleme, die seine Macht untergraben und das internationale Kräfteverhältnis ändern.

Das diesjährige Defizit im Regierungshaushalt wird von 4 Milliarden aufwärts bis zu 500 Milliarden Dollar reichen, wovon der größte Teil vom Rest der Welt geliehen wird. Die Demokraten werden dafür die Steuerkürzungen der Bush-Regierung verantwortlich machen und dabei die zusätzlichen 500 Milliarden Dollar übersehen, die für den Krieg ausgegeben wurden, für den auch sie gestimmt haben.

Wegen der oben genannten Gründe erleben wir jetzt mehr als nur den Beginn einer Rezession, nämlich einen Wendepunkt, ähnlich dem beim Ende des Nachkriegsbooms 1970–73. Damals führten die Widersprüche der permanenten Rüstungswirtschaft – die USA verloren ihren Wettbewerbsvorteil in der Weltwirtschaft – zu einer tiefen Rentabilitätskrise, auf die eine größere Umstrukturierung des US-Kapitalismus folgte. In den zwölf Jahren von 1970 bis 1982 gab es vier Rezessionen. Die USA waren gezwungen, das Abkommen von Bretton Woods und feste Wechselkurse aufzugeben und den Dollar zu floaten zu lassen. In den 70er Jahren hatten die USA noch die höchsten Löhne und die niedrigste Produktivität im Vergleich zu ihren Hauptkonkurrenten. Ende der 80er Jahre hatten sie geringere Löhne und eine höhere Produktivität als ihre Hauptrivalen.

Diese enorme Umstrukturierung wurde unter dem ideologischen Banner des Neoliberalismus erreicht. Der Keynesianismus war die akzeptierte Orthodoxie der bürgerlichen Ökonomie seit der Depression der 30er Jahre gewesen. Die keynesianische Umverteilung mit dem Ziel, die Konsumentennachfrage zu erhöhen und so Rezessionen zu bekämpfen, wurde für die In- flation verantwortlich gemacht, und sie hatte keine Antworten auf die Stagflationskrise der 70er Jahre mit gleichzeitiger Inflation und Verlangsamung des Wachstums.

Das neue ökonomische Modell des Neoliberalismus markierte eine Rückkehr zu den Bedingungen des „freien Marktes“ vor dem Aufstieg der Gewerkschaften, des Wohlfahrtstaats und der staatlichen Regulierung in den 30er Jahren. Das neoliberale Mantra bestand darin, dass Privatisierung und Deregulierung der Industrie die Wettbewerbsfähigkeit stärken, zu geringeren Kosten führen und die Inflation zügeln würden. Die Neoliberalen befürworteten auch die „Angebotsökonomie“ (im Gegensatz zur keynesianischen „Nachfrageökonomie“): An die Stelle von Staatsausgaben zur Stärkung der Konsumentennachfrage sollten Steuerkürzungen für die KapitalistInnen treten, die, so die Theorie, dafür in die Wirtschaft zurückinvestieren und so das Wachstum fördern. Das Argument war, dass das Geld in den Händen der KapitalistInnen allen Bereichen der Gesellschaft zugute kommen würde. In den ersten Jahren der Krise der 70er Jahre war die proletarische Linke international im Aufschwung; am Ende gab es eine totale Niederlage der Arbeiterklasse. Das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen verschob sich in den USA ebenso wie international. Das Kapital und die konservative Rechte hatten gewonnen. Ihr totaler Sieg in den 90er Jahren wurde durch den Zusammenbruch des Stalinismus begünstigt, der zum ideologischen Triumph des freien Marktes als einziger Alternative führte.

Nun stoßen wir auf die Grenzen des Neoliberalismus. Man kann nicht zulassen, dass in naher Zukunft Deregulierung bei Hypotheken und Banken zu einer weiteren Krise wie dieser führt. Die Banken werden wieder reguliert werden. Die Northern Rock Bank in England – eines der Opfer der Hypothekenkrise – ist gerade verstaatlicht worden. Dies ist die erste Verstaatlichung dieser Art seit Jahrzehnten. Weitere Steuerkürzungen für die Reichen, das Steckenpferd der gesamten Republikanischen Partei, sind nicht länger haltbar. Die höchsten Spitzensteuersätze werden erhöht werden, egal wer die Wahlen gewinnt. Das gemeinsame Umverteilungsprogramm der Demokraten und Republikaner von 150 Milliarden Dollar ist – wie unzureichend auch immer – ein Bruch mit dem Neoliberalismus. Es ist im Wesentlichen ein keynesianisches Paket, das die Konsumentennachfrage stimulieren soll. Es ist auf Personen beschränkt, von denen erwartet wird, dass sie es ausgeben, für Personen, die weniger als 150 000 Dollar im Jahr verdienen. Man kann es nennen wie man will, aber es ist kein Steuergeschenk an die Reichen.

Der Neoliberalismus hat sich nun als ökonomische Strategie des Kapitals erschöpft. Für die Arbeiterklasse war er stets ein Fehlschlag. Aber während der Börsenindex 1982 bei 750 lag, sprang er im Jahr 2007 auf 14 000 und spiegelte so den Erfolg des Modells bei der Wiederherstellung der Profite auf Kosten der Arbeiterklasse wider. Die Kapitalisten liebten den Neoliberalismus, weil er ihnen fantastischen Reichtumbescherte. Sie zögern, ihn aufzugeben, und werden darum kämpfen, so viel wie möglich von ihm zu behalten. Der Neoliberalismus wird erst verschwinden, wenn die herrschende Klasse ihn durch eine alternative Strategie ersetzt hat. Geändert hat sich allerdings, dass die Bourgeoisie mit dem Scheitern ihrer eigenen neoliberalen Politik konfrontiert ist und eine Lösung finden muss; doch dies wird nicht geschehen ohne politische Kämpfe und eine ideologische Krise, die das Scheitern des freien Marktes hervorbringen wird.

Es wird eine neue Wirtschaftspolitik entwickelt werden. Das wird nicht über Nacht passieren. Zu Beginn der Krise der 70er Jahre sagte ein Konservativer wie Nixon: „Wir sind alle Keynesianer.“ Am Ende des Jahrzehnts gab es sogar kaum noch Liberale [d. h. im amerikanischen Sinn „Progressive”], die den Keynesianismus verteidigten.

NOCH KEINE NEUE STRATEGIE

Die herrschende Klasse hat bislang keine neue Strategie entwickelt. Sie hofft noch, dass ein weltweiter Boom die Rettung bringt und ist auf kurzfristige Finanzspritzen fixiert. Es wird Versuche geben, die Spirale der Hypothekenkrise zu mildern, den Schutz kommunaler Bürgschaften zu erhalten und Studiendarlehen zu bewahren. Doch in diesem Stadium werden nur Bemühungen vorgeschlagen, die Stückwerk sind, keine neue ökonomische Strategie. Es sollte auch klar sein, dass jede neue Strategie, wie sie auch immer heißen mag, mit einer fortgesetzten, wenn nicht gar verstärkten Offensive der herrschenden Klasse einhergeht, die auf den Abbau von Löhnen und Sozialleistungen und die Erhöhung der Produktivität abzielt.

„Politik ist konzentrierte Ökonomie“, pflegte Lenin zu sagen. Diese Wirtschaftskrise wird neue politische Programme und Lösungen hervorbringen. Der Neoliberalismus wird der neokonservativen Außenpolitik beim Weg in die ideologische Wüste folgen. Die Niederlage klärt den Geist; Fehlschläge zwingen zur Entwicklung neuer Optionen. Aber das Bewusstsein hinkt hinter der Erfahrung her. Die Rechte befindet sich in Auflösung und ist auf dem Rückzug. Sie wird zu Recht verantwortlich gemacht für den wachsenden militärischen und wirtschaftlichen Schlamassel, verurteilt wegen ihrer Blindheit, Inkompetenz und Korruption. Aber die Rechte ist zu stark, zu sehr mit dem Kapital verbunden, um zu verschwinden. Das rechte Programm wird sich ändern. Es kann nicht länger glaubwürdig darauf hoffen, Steuerkürzungen für die Reichen, Deregulierung und Einschnitte ins soziale Netz zu erreichen. Es wird eine andere Rechte geben, vielleicht entlang der Linie von Lou Dobbs – ein rechter Populismus, der ImmigrantInnen attackiert, und der protektionistisch ist – oder vielleicht noch extremer. Vielleicht wird eine größere Niederlage bei den kommenden Wahlen den Prozess der konservativen Anpassung in Gang setzen, aber die Ideen für eine neue Rechte sind noch zu rudimentär, als dass eine klare Vorstellung davon möglich wäre.

Mit der Entfaltung der Wirtschaftskrise in den letzten Monaten sind die Liberalen zögernd nach links gerückt, wenn auch nur rhetorisch. Die massive Reaktion auf Obamas vagen Aufruf zum Wandel hat ihnen gezeigt, dass unter den Massen der Wunsch nach einer Linkswende besteht, und dazu geführt, dass seit den Vorwahlen von Iowa Obama und Hillary Clinton um die Unterstützung der Arbeiterklasse wetteifern.

Im Dezember zog John Edwards ein Umverteilungsprogramm von 70 Milliarden Dollar aus der Tasche, im Januar konterte Clinton mit 110 Milliarden und Obama erhöhte auf 120 Milliarden; doch sogar Bush übertraf sie mit 150 Milliarden Dollar. Über diese unmittelbaren Antworten hinaus ist von größerer Bedeutung, wie der Liberalismus sich in der neuen kommenden Periode definieren wird. Es wird verschiedene Versuche geben, keynesianische oder regulierende Ideen wiederzubeleben, eine staatliche Bürgschaft für Hypotheken oder eine Einschränkung von Zwangsvollstreckungen zu präsentieren, da sich das private Kapital als unfähig erwiesen hat, seine eigenen Probleme zu lösen. Aber es gibt noch kein grundlegendes liberales Programm, um mit der Krise des US-Kapitalismus fertigzuwerden – nur unmittelbare, beschränkte Antworten angesichts sich ständig bewegender Ziele.

In den letzten Monaten haben die Demokraten viele, meist vage Versprechen gemacht. Aber sie haben die Erwartungen und Hoffnungen der Menschen verstärkt. Die Demokraten haben die besten Chancen seit Jahrzehnten, die Wahlen deutlich zu gewinnen. Die Rechte ist diskreditiert. Wie die Liberalen die Probleme von Krieg und Rezession behandeln und wie sie die Enttäuschung über sie behandeln werden, wenn sie bei der Umsetzung ihrer zahlreichen Versprechen scheitern, wird den politischen Kontext in der kommenden Periode prägen.

Wir sind durch dreißig Jahre der Reaktion, der Politik des neoliberalen freien Marktes und der Ideologie von TINA (There Is No Alternative), die die meisten Menschen mehr oder weniger akzeptiert haben, hindurch-gegangen. Sogar die Linke kam nach 1991 zu der Schlussfolgerung, dass eine Planwirtschaft nicht funktioniere und dass der freie Markt der einzig effiziente Weg für eine funktionierende Wirtschaft sei.

Hindernis für die Entwicklung der sozialistischen Bewegung ist die generelle Akzeptanz des freien Marktes als der einzigen Alternative in Verbindung mit der Vorstellung, dass die Arbeiterklasse die Gesellschaft nicht verändern könne. Die aus dem Scheitern des freien Marktes entstandene ideologische Krise führt nicht automatisch zu seiner Ablehnung. Aber von dem Glauben, dass der freie Markt ein positives Gut sei, kann sich infolge des Einflusses des freien Markts auf die Arbeitenden der Glaube entwickeln, dass der freie Markt und seine Auswirkungen schreckliche Konsequenzen haben.

Wenngleich wir die Auswirkungen der Krise auf die Kämpfe der Arbeiterklasse nicht voraussehen können, können wir sagen, dass die damit einhergehende Krise des Neoliberalismus größere Möglichkeiten für die Gewinnung von Menschen für die Notwendigkeit einer Alternative zum Kapitalismus schafft.

Joel Geier ist Redakteur von International Socialist
Review, der zweimonatlichen Zeitschrift
der International Socialist Organization (ISO),
der größten Organisation der revolutionären
Linken in den USA. Der vorliegende Beitrag
ist eine überarbeitete Fassung eines Vortrags,
den Joel Geier auf einer Konferenz der ISO im
Februar 2008 gehalten hat.


Übersetzung: HGM