In
seinem letzten Ausblick auf die Weltwirtschaft
erklärt der Internationale Währungsfonds,
zur Eindämmung der gegenwärtigen Finanz-
und Wirtschaftskrise seien staatliche Ausgabenprogramme
nötig.
Eine solche Rehabilitierung des Keynesianismus
durch das „Zentralkomitee des internationalen
Monetarismus” deutet daraufhin, dass die
Bourgeoisien aller Länder nach Alternativen
zum Neoliberalismus suchen. Nicht weil der Kampf
subalterner Klassen sie zu Konzessionen zwingt,
sondern weil die Krise ihr Vermögen bedroht.
Das Krisenmanagement zur Sicherung der Geldzirkulation
kann Vermögensverluste hinauszögern,
aber nicht verhindern; deshalb erwägen
Wirtschaftspolitiker eine Rückkehr zum
Keynesianismus.
Stagnation der realen Wertschöpfung und
inflationäre Aushöhlung von Kaufkraft
und Vermögen gab es zuletzt in den 70er
Jahren. Im Gegensatz zur aktuellen Debatte über
ein Comeback des Keynesianismus schlossen sich
seinerzeit immer mehr Wirtschaftspolitiker der
monetaristischen Auffassung an, keynesianisch
inspirierte Ausgabenprogramme würden nicht
zu einer steigenden Nachfrage nach Gütern,
Dienstleistungen und Arbeitskraft führen.
Vielmehr stellten solche Staatsinterventionen
die Dispositionsfreiheit privaten Kapitals in
Frage, weshalb Unternehmen auf steigende Staatsausgaben
nicht mit Investitionen und Neueinstellungen
reagierten, sondern ihre ohnehin geplante Produktion
zu steigenden Preisen absetzen würden.
Noch schlimmer würde die Situation, wenn
Arbeiter auf die Preissteigerungen und die damit
einhergehenden Reallohnverluste mit der Forderung
nach höheren Nominallöhnen antworten
würden. Genauer: Wenn sie aufgrund eines
hohen Beschäftigungsniveaus in der Lage
wären, solche Forderungen durchzusetzen.
Dies war in den 70er Jahren der Fall, die Arbeitsmärkte
waren nahezu leergefegt. Von der Elbe bis Wladiwostok
erstreckte sich eine staatssozialistische No-go-Area.
Rohstoffexportierende Länder, allen voran
die OPEC, bastelten an einer abgestimmten Kontrolle
ihrer Ausfuhrmengen, um höhere Preise und
steigende Exporterlöse zu Lasten der kapitalistischen
Metropolen durchzusetzen. Die Schlussfolgerungen
waren daher eindeutig: Aufgabe keynesianischer
Ausgabenpolitik, Einschränkung der Verhandlungsmacht
der Arbeiter in den Metropolen, Öffnung
der sozialistischen Länder für privates
Kapital, Zerstörung der Rohstoffkartelle
in der Peripherie.
In der Folge sorgten steigende Arbeitslosenzahlen
und die Öffnung bislang für Auslandsinvestitionen
verschlossener Länder für ein billiges
Angebot an Arbeitskräften und Rohstoffen.
Dennoch auftretende Krisen wurden als eine Folge
politischer Eingriffe ins Marktgeschehen erklärt.
Zwei Dinge sind dem monetaristischen Zeitgeist,
dem auch viele Linke klagend erlegen sind, allerdings
entgangen. Erstens wurde der Keynesianismus
niemals vollständig durch den Monetarismus
abgelöst. Zweitens war der Monetarismus
kein Übergangsprogramm vom staatlich organisierten
Kapitalismus zur globalen Marktwirtschaft, sondern
eine Ideologie zur Rechtfertigung des neoliberalen
Staates.
Wie andere wirkungsmächtige Ideologien
zuvor kannte der Monetarismus nur einen kurzen
Moment der praktischen Anwendung, dessen langfristige
Folgen hatten mit dieser Praxis allerdings nichts
mehr zu tun. Dieser Moment ist als Volcker-
Schock bekannt und dauerte von 1979 bis 1982.
Der damalige US-Zentralbankpräsidenten
Paul Volcker verknappte das Geldangebot und
setzte damit weltweit eine Explosion des Zinsniveaus
in Gang. Da der Dollar nicht nur US-, sondern
auch Weltreservewährung war, trieben steigende
Dollarzinsen das Zinsniveau überall auf
der kapitalistischen Welt in die Höhe.
Dadurch kam es zu einer Schuldenkrise, von der
Staaten mit Auslandsschulden ebenso betroffen
waren wie Unternehmen und öffentliche Haushalte
mit Schulden gegenüber privaten Haushalten.
Die Schuldenkrise hatte eine Kürzung privater
Investitionen und öffentlicher Ausgaben
zur Folge, die gewollt war. Sofern sie in den
Metropolen zu Arbeitslosigkeit und sinkenden
Lohnersatzleistungen führte, konnte die
individuelle und kollektive Verhandlungsmacht
von Arbeitern gebrochen oder zumindest eingeschränkt
werden. Sofern sie Peripheriestaaten in die
Zahlungsunfähigkeit trieb, konnte der IWF
mit Beistandskrediten samt der daran geknüpften
Bedingungen zur Marktöffnung einspringen.
Von einer solchen Stabilisierungskrise erwarteten
sich monetaristische Ökonomen und von ihnen
inspirierte Politiker eine Verschiebung der
Machtverhältnisse von den Peripheriestaaten
und der Arbeiterklasse in den Metropolen hin
zu Unternehmern und Besitzern großer Geldvermögen.
1982 lockerte die US-Zentralbank ihre Geldpolitik
wieder, und der gerade gewählte US-Präsident
Reagan machte mit enormen Ausgabensteigerungen
den US-Staatshaushalt zur globalen Konjunkturlokomotive.
Seither wurde jeder Krise mit einer Politik
des billigen Geldes und staatlichen Ausgabensteigerungen
begegnet.
Nur die Haushaltspolitik Bill Clintons passt
nicht ohne weiteres ins dieses Bild eines „permanenten
Keynesianismus” Clinton trat sein Amt
1993, nach einer gerade — wiederum mit
Hilfe von steigenden Staatsausgaben überwundenen
— Krise an und machte sich im Gegensatz
zu seinen republikanischen Amtsvorgängern
Reagan und Bush sen. sofort entschlossen an
die Sanierung des Staatshaushalts. Seine Sparpolitik
bedeutete jedoch keine grundsätzliche Abkehr
vom Keynesianismus, sondern eine Verschiebung
der staatlichen Ausgabenprogramme hin zu einer
Art Börsenkeynesianismus (Robert Brenner).
Der Volcker-Schock zu Beginn der 80er Jahre
trieb die Sparquote auf einen Höchstwert
von 12%. Wer seinen Job nicht verloren hatte,
legte angesichts von Rezession und sprunghaft
steigender Arbeitslosigkeit lieber ein paar
Notgroschen zurück, als das gesamte Einkommen
in die nächste Shopping Mall zu tragen.
Hohe Zinsen halfen, den ungeliebten Konsumverzicht
zu versüßen.
Der Rückgang von Zinsen und Sparquote leitete
das Ende des monetaristischen Moments ein. Die
Sparquote stabilisierte sich in den USA Ende
der 80er Jahre bei Werten um die 8% und trat
mit Clintons New Economy eine Talfahrt in Richtung
0% an. Mit diesem „Entsparen” war
ein Kaufrausch verbunden, weil die steigenden
Börsenkurse eine gigantische Vermögensillusion
produzierten. Vielen Haushalten war gar nicht
bewusst, dass sie ihre Ersparnisse zunehmend
in fiktiven Vermögenswerten anlegten. Sie
nahmen an, sie könnten das „Vermögensversprechen”
bei Bedarf in Bares umwandeln wie sie Geld vom
Sparbuch abhoben, und hofften darüber hinaus
auf Spekulationsgewinne und Dividenden. Schließlich
wurde in den USA soviel für den Konsum
ausgegeben, dass Investitionen vollständig
mit Kapitalimporten aus dem Ausland finanziert
werden mussten.
Nachdem die New Economy ihren Glanz verloren
hatte, verschob sich die Produktion von Vermögensillusionen
und hierauf beruhender positiver Konsumneigung
auf den Immobilienmarkt. Weil die Sparquote
im Jahr 2005 aber bereits bei 0,5% angekommen
war, also kaum noch Ersparnisse in zusätzliche
Konsumausgaben umgewandelt werden konnten, gewannen
unter Bush jun. die Staatsausgaben wieder an
Bedeutung zur Wirtschaftsstabilisierung.
Angesichts einer Staatsquote von gegenwärtig
36% — auch unter dem Haushaltssanierer
Clinton wurden 33% nicht unterschritten —
ist die These, monetaristische Wirtschaftspolitik
führe zu einem schlanken Staat, empirisch
schwer begründbar. Deshalb ist die Frage
nach einer Wiederkehr des Staates ebenso gegenstandslos
wie die vielfach im selben Atemzug angestellten
Spekulationen über ein Comeback des Keynesianismus.
Nachdem die monetaristische Episode zu einer
Verschiebung der sozialen Kräfteverhältnisse
zugunsten der um die USA gescharten Bourgeoisien
dieser Welt geführt hatte, wurde der Staatsapparat
fröhlich genutzt, um die verteilungspolitischen
Geländegewinne, die der monetaristische
Blitzkrieg erringen konnte, abzusichern und
auszubauen.
Begünstigt wurde dieses Wirken des neoliberalen
Staates durch eine Linke, die sich gefragt hat,
ob sie die „postnationale Konstellation”
(Jürgen Habermas) und den „Postkeynesianismus”
(Göran Therborn, Christine Buci-Glucksman)
als Ende des sozialen Ausgleichs bedauern oder
als Voraussetzung „echter” Emanzipation
begrüßen soll. Auch die umgekehrte
Frage, ob wir gegenwärtig eine Wiederkehr
von Staat und Keynesianismus erleben, trägt
nicht zum Aufbau sozialer Gegenmacht bei. Der
lange mit Sozialstaat und Sozialdemokratie identifizierte
Keynesianismus hat sich als anpassungsfähig
genug erwiesen, um in den neoliberalen Staat
„eingebaut” zu werden. Die Linke
sollte sich lieber darüber verständigen,
ob ein sozialstaatliches Keynes-Update möglich
ist, wie dieses ggf. gegen monetaristische Blitzkriege
zu verteidigen ist, und ob zur Absicherung sozialer
Errungenschaften über sozialdemokratische
Klassenkompromisse hinausgegangen werden muss.
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