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„Innovation“ auf dem Buckel der Beschäftigten

Immer mehr Unternehmer verlängern unbezahlt die Wochenarbeitszeit, kürzen die Löhne und bauen Stellen ab

von Lothar Moser - 22. August 2011


Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und der damalige Gesundheitsminister (heute Wirtschaftsminister) Philipp Rösler würdigten im November letzten Jahres, anlässlich der Medica2010 - der weltweit grössten Medizinmesse - die „enorme Innovationskraft“ der Karl Storz AG.

Ein eigenartiges Verständnis von Innovation zeigt die Geschäftsleitung der international tätigen Firma Storz Medical AG mit Sitz in Tägerwilen TG. Geschäftsführer Gerold Heine hatte seine 130 Beschäftigten am Dienstag vergangener Woche „gebeten ein Opfer zu bringen“ und ihnen eine Frist von lediglich drei Tagen, bis Freitag gesetzt, das „Opfer“ zu akzeptieren. Nebst einer unbezahlten Verlängerung der Wochenarbeitszeit von 40 auf 42 Stunden sieht dieses „Opfer“ eine Lohnkürzung von 10% vor. Zusammen mit der unbezahlten Verlängerung der Arbeitszeit also eine faktische Lohnsenkung von 15%.

Storz Medical AG, 1987 gegründet, gehört zur Karl Storz Firmengruppe mit Hauptsitz in Tuttlingen Deutschland und stellt High-Tech-Medizinalgeräte für Spitäler her. Unter Anderen beliefert sie das Inselspital Bern. Zahlen veröffentlicht das Familienunternehmen in Tägerwilen nicht. Karl Storz in Deutschland hat im Jahr 2009 einen Umsatz von 866 Millionen Euro erreicht.

Gemäss „Tagesschau“ vom Mittwoch 18. August musste sich die Belegschaft innert drei Tagen entscheiden die Lohnkürzung und Arbeitszeitverlängerung zu akzeptieren, ansonsten drohe die Kündigung. „Wenn diese Bitte (um das „Opfer“) erfolglos ist, müsste sich die Firma andere Massnahmen zur Kostenreduktion überlegen, zum Beispiel Aufgabe einer Produktlinie damit verbunden Stellenabbau, ist doch klar“, so Heine in der „Tagesschau“. „Wir durften ihn (den neuen Vertrag) nicht nach Hause nehmen, wir dürfen ihn nur im Büro lesen und unterschreiben“ so die Aussage einer Beschäftigten in Interview mit der „Tagesschau“. Die Frau verdiente bis anhin 4‘300 Franken brutto pro Monat bei Storz Medical, ab 1. September sinkt ihr Lohn um monatlich 645 Franken: „Das ist natürlich viel Geld, im Moment habe ich Schlafstörungen und Magenschmerzen“ so die Frau weiter.

Als Rechtsbruch bezeichnet Josef Lustenberger, Branchenleiter Maschinenindustrie bei der Gewerkschaft Syna die Art der Information der Belegschaft und die kurze Bedenkzeit. Das sei eine klare Nötigung der Mitarbeitenden. Leider sei diese Firma nicht unter dem Dach des Gesamtarbeitsvertrages der Maschinenindustrie. Der Einfluss der Gewerkschaft im Vorfeld ist begrenzt (St.Galler Tagblatt vom 20.08.2011). „Solange Kündigungsfristen beachtet werden, ist das rechtlich kein Problem. Bedenkfristen kennt das Gesetz nicht“, so Thomas Geiser, Arbeitsrechtsexperte an der Universität St. Gallen in einem Radiobeitrag.

Der Produktionsstandort Schweiz ist wegen seiner miserablen Rechte für die Arbeitnehmenden nicht nur bei Schweizer Unternehmen beliebt, im Ausland wird explizit mit den „Flexiblen Anstellungs- und Entlassungsmöglichkeiten“ der Produktionsstandort Schweiz beworben. Eine Erhebung von „The Global Competitiveness Report“ von 2005 bis 2006 stuft die „Arbeiterflexibilität“ der Schweiz weltweit auf Rang 5 (5.4 Punkte) und Deutschland auf Rang 114 (2.3 Punkte) ein.

2004, als in Deutschland ein CDU-Vorschlag den Kündigungsschutz lockern wollte, sahen die Schweizer Unternehmer sofort einen wichtigen Standortvorteil gegenüber Deutschland in Gefahr. Die "Handelszeitung", bestimmt kein Organ der ArbeiterInnen, schrieb damals dazu: „Die Schweizer Unternehmen kennen bislang nur minimale Regelungen: Mitarbeiter können ohne Angabe von Gründen entlassen werden. Abfindungen gibt es in der Regel nicht. Die Kündigungsfrist beträgt zwischen einem und drei Monaten“ (Handelszeitung vom 8.10.2004).

Das heisst, nur an ganz wenigen Orten weltweit können Arbeiterinnen und Arbeiter, oder ganze Belegschaften innert so kurzer Zeit auf die Strasse gestellt werden. Können Löhne ohne grosse Formalitäten gekürzt und unbezahlte Mehrarbeit angeordnet werden. Und die Unternehmer nützen diese Rechtlosigkeit der Lohnabhängigen in der Krise verstärkt aus. Migros-Boss Bolliger kündigt in einem Interview mit der „Sonntags-Zeitung“ einen Stellenabbau beim grössten Schweizer Detailhändler an. SVP-Nationalrat und Stadler-Rail-Chef Spuhler hält in einem Interview in der Freitagausgabe der „Aargauer Zeitung“ Auslagerungen nach Polen und Ungarn für möglich „müssten wir im schlimmsten Fall Arbeitsplätze in der Schweiz abbauen“. Um „innovative“ Ideen wie die Krise am Besten auf die Lohnabhängigen abgewälzt werden kann, sind die Schweizer Unternehmer nie verlegen. So fordert Coop-Chef Loosli einen reduzierten Mehrwertsteuersatz für die Unternehmen oder eine Senkung der Leistungsabhängigen Schwerverkehrsabgabe (LSVA), um der Frankenstärke begegnen zu können.

Solche Ideen der Profitsteigerung auf dem Buckel seiner Arbeiterinnen hat auch Daniel Furtig, Konzernchef vom AFG (Arbonia-Forster-Holding). In der Zeitung „Sonntag“ von gestern sagte er: „Wenn wir den Verkauf besser organisieren, können wir 3 bis 5 Prozent mehr Umsatz herausolen. Beim Einkauf sind es gegen 8 Prozent. Ingesamt können wir uns um einen zweistelligen Prozentbereich verbessern. Zudem müssen wir die Produktionkapazitäten bei Fenstern und Türen massiv ausbauen. Dort haben wir bereits jetzt eine 57-Stunden-Woche. Das geschieht im Einvernehmen mit den Gewerschaften, geht aber an die Grenze des menschlich machbaren." Und weiter auf die Frage ob er über Produktionsverlagerungen nachdenke: „Ja, wir überlegen uns, ob wir wegen des starken Frankens Kapazitätserhöhungen in der Schweiz tätigen sollen oder lieber im Ausland. Die Produktion von Karotherme-Heizkörpern wird zum Beispiel von Arbon nach Tschechien verlagert.“ Überlegen Sie sich auch, die Löhne zu kürzen oder in Euro auszubezahlen? „Das schauen wir uns an. Ende Monat werden die Divisionleiter mit Vorschlägen kommen. Priotität haben aber Arbeizeiterhöhungen."