In drei Dutzend Staaten,
die meisten in Afrika, sind die Menschen vom
Hunger bedroht. Doch immer mehr lehnen sie sich
gegen ihn auf. Die Revolten springen von Land
zu Land, von Kontinent zu Kontinent.
In
Afrika erfassten sie Senegal, Gabun, Burkina
Faso, Elfenbeinküste, Kamerun, Mauretanien,
Mosambik und Südafrika, fanden aber auch
in Marokko und Ägypten ein Echo. Die Kette
der Empörungen zog sich über den Jemen,
über Indien und Bangladesch nach Indonesien
und Thailand. Ein weiterer Schwerpunkt der Rebellionen
war Mittelamerika mit Mexiko, Honduras und die
Karibik mit Haiti. In Südamerika ist es
Peru, wo die Armen rebellieren. In Argentinien
gingen allerdings nicht die Ärmsten der
Armen auf die Straßen, sondern die mittleren
und reichen Bauern, die die Proteste gegen sinkende
Agrarprofite organisierten.
„Lösungen“ der Herrschenden
Für den Fall, dass die Preise für
Nahrungsmittel weiterhin drastisch steigen,
befürchten Weltbank und Internationaler
Währungsfonds (IWF) weitere Empörungen
in Nigeria, Burkina Faso, Elfenbeinküste,
aber auch in Haiti, Armenien und Tadschikistan,
sowie in Indonesien. Die Lage könnte in
einigen Staaten außer Kontrolle geraten.
Auch in den jeweiligen Ländern haben die
Herrschenden Angst vor einer „sozialen
Radikalisierung“.
Zur
Soforthilfe, aber auch um den Protesten das
Wasser abzugraben, werden von den Großmächten
Nahrungsmittel geliefert. Während die Institutionen
des Imperialismus als Helfer in der Misere auftreten,
die sie mit ihren neoliberalen Diktaten heraufbeschworen
haben (vgl. Avanti 154), reagierten die bürgerlichen
Regierungen in den jeweiligen Ländern mit
staatlicher Repression. Fast überall wurden
Polizei und Militär gegen die Hungernden
eingesetzt. Es gab mehrere Hundert Tote, Tausende
Verletzte und Verhaftete. Andererseits gaben
die Regierungen den Protesten nach, wenn diese
zu stark wurden.
Denn nur mit Unterdrückungsmaßnahmen
konnten die von den Großmächten abhängigen
Regierungen nicht antworten. In Burkina Faso
kündigte die Regierung Maßnahmen
zur Preiskontrolle an, die indische und die
indonesische Regierung verboten den Reisexport,
in Marokko wurde die Preiserhöhung für
Brot rückgängig gemacht. In Mexiko
verkündete die Regierung einen Höchstpreis
für Maismehl.
Nachfrage, Spekulation, Biosprit
Ob Weizen, Reis oder Mais – die stark
ansteigenden Preise auf dem von den internationalen
Lebensmittelkonzernen und auch von der Spekulation
bestimmten Weltagrarmarkt lösten die Hungerrevolten
aus.
2005
begann der rasante Preisanstieg für Lebensmittel,
der bis heute anhält. Um die Jahreswende
2007/2008 verdoppelte sich innerhalb nur weniger
Monate fast der Preis für Mais, Weizen
und Reis. Als Ursachen werden häufig genannt:
Mehr Fleischkonsum in China und Indien (warum
sollte Fleisch nur den Menschen in den imperialistischen
Ländern vorbehalten sein?); die Spekulation
an den Warenbörsen, die subventionierte
Biospritproduktion un der Klimawandel.
Spezialisierte
sich früher die Produktion der abhängigen
Länder für den Export mehr und mehr
auf Rohstoffe und höherwertige Nahrungsmittel
(z. B. Kaffee, Kakao, Bananen), nicht etwa auf
die Förderung der eigenen Subsistenzwirtschaft,
so wird heute vermehrt auf Mais, Soja, Zuckerrohr,
Yukka und Palmöl gesetzt, um sie in den
hochindustrialisierten Ländern zu Biosprit
zu verarbeiten. Dabei benötigt die Herstellung
von 100 Liter Biosprit soviel Getreide wie ein
Mensch ein Jahr lang essen kann.
Als weitere Ursache kommt die ungerechte Landverteilung
zwischen Großgrundbesitzern, Kleinbauern
und LandarbeiterInnen hinzu. Es ist in den einzelnen
Ländern eine Agrarrevolution nötig,
die die im kapitalistischen System eingebetteten
spezifischen Agrarverhältnisse grundlegend
in Frage stellt. Dies erfordert die Führung
der Bauernschaft durch die ArbeiterInnenklasse.
Imperialistisches Agrarsystem
Eine der wichtigsten Ursachen für die Hungerrevolten
liegt in der Struktur der Weltagrarproduktion.
Diese wird in den imperialistischen Blöcken
USA und EU hochsubventioniert. Die US-Regierung
hat Ende 2007 ein Gesetz unterzeichnet, das
die eigene Landwirtschaft mit 286 Mrd. US-Dollar
unterstützt. Die EU zahlt der Agrarwirtschaft
Jahr für Jahr 43 Milliarden Euro (s. Kasten).
Gleichzeitig haben der Internationale Währungsfonds
und die Weltbank dafür gesorgt, dass die
Importzölle der abhängig gehaltenen
Länder gesenkt werden, damit diese dann
von den Großmächten mit billigen
Agrarprodukten überflutet und in Grund
und Boden konkurriert werden können.
Haiti
übernahm auf Druck des IWF in den 80er
Jahren die Handels- und Wirtschaftspolitik des
Neoliberalismus. Mit dem neuen Handelsrecht
wurden ab 1986 die Importsteuern auf Nahrungsmittel
gesenkt. Die Importzölle für Reis
sanken 1995 gegen Null. Durch die billigen US-Importe
kam der Reisanbau auf Haiti völlig zum
Erliegen.
In
Indonesien sorgte der IWF für die Senkung
der Einfuhrzölle z. B. für Sojabohnen,
Reis und Mais. Er öffnete damit den Agrarimporten
Tür und Tor. Als Folge hat sich die indonesische
Soja-Produktion innerhalb von nur 5 Jahren halbiert.
Viele
der einstigen oder noch Exporteure von Nahrungsmitteln
müssen diese heute importieren: Mexiko
kauft aus den USA pro Jahr Nahrungsmittel im
Wert von 10 Mrd. US $. Das Land der Tortillas,
die aus Maismehl gemacht werden, importiert
billigen Mais aus den USA, obwohl es selbst
welchen auf dem Weltmarkt verkauft. Das einstige
Getreideexportland Ägypten importiert
heute 50% des Weizens, die Elfenbeinküste
50% vom Reis. Selbst der Weizenexporteur Indien
führt mittlerweile Weizen ein. Indonesien
ist zwar einer der größten Reis-Produzent
der Welt, muss aber ebenfalls Reis importieren.
Ob Burkina Faso oder Mosambik, das fast allen
Weizen einführt, überall müssen
Lebensmittel importiert werden, in Mauretanien
bis zu 70 %. Kein Wunder, dass in Peru die Bauernschaft
gegen ein Freihandelsabkommen für landwirtschaftliche
Produkte mit den USA demonstrierte. Die Abhängigkeit
wird durch gentechnisch manipuliertes Getreide
drastisch verstärkt, das dafür sorgen
soll, dass die arme Bauernschaft über kein
eigenes Saatgut verfügt.
Die Akteure und ihre Parolen
Auch wenn 80% der Hungernden auf dem Lande leben,
die meisten Proteste fanden in den Städten
statt. Entsprechend stützen sie sich überwiegend
auf die städtische Armut (z. B. Senegal,
Elfenbeinküste, Haiti, Kamerun) und auf
Organisationen der ArbeiterInnenklasse wie Gewerkschaften
(z. B. Senegal, Burkina Faso, Togo, Ägypten,
Bangladesch, Südafrika), aber auch auf
manche politische Bündnisse (z. B. Senegal,
Gabun, Haiti). Die arme Bauernschaft spielte
in Mexiko und Peru eine Rolle; viele aus der
städtischen Armut sind vom Land entwurzelt
oder vertrieben worden, verfügen aber weiterhin
über Beziehungen dorthin.
Die Proteste begannen mit Parolen, die sich
auf die dringendsten Bedürfnisse konzentrierten
wie „Gegen das teure Leben“, „Wir
haben Hunger, es reicht!“, „Wir
haben Hunger!“, „Eure Preise bringen
uns um!“, um sich dann häufig auf
die jeweilige Regierung und ihre neoliberale
Politik zu beziehen: „Der Reis ist teuer,
geh‘!“. In Haiti drangen die Protestierenden
bis zum Präsidentenpalast vor, worauf der
Premierminister entlassen wurde. Aber Informationen
über revolutionären Einfluss auf die
Hungerrevolten fehlen. Er scheint (mit der eventuellen
Ausnahme von Mexiko) nicht vorhanden gewesen
zu sein. So mussten sie vorerst verpuffen.
Perspektive
Der neoliberale Kapitalismus wird zunehmend
in Frage gestellt – von oben durch die
Finanzkrise und von unten durch die Hungerrevolten.
Beide kündigen von entgegengesetzten Polen
die schweren Erschütterungen an, die dem
kapitalistischen System noch bevorstehen. Es
bleibt den RevolutionärInnen nicht
unbegrenzt Zeit, sich bis dahin genügend
politisch und organisatorisch vorzubereiten.
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